Interpretieren oder Verändern? (Vorlesung, Füllsack, 2006/07)

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Die Vorlesung geht vom 11. Feuerbach-Axiom von Karl Marx aus (MEW Bd.3):

"Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert. Es kömmt drauf an, sie zu verändern."

Menschen haben das Anliegen, die Welt zu verändern, sowie eine Vorstellung, wie diese aussehen sollte. Durch die Verwerfungen, die sich aus der Sicht auf die Welt und der Vorstellung der Welt ergibt, versuchen sie, die Welt zu verbessern. Verbessern heißt dabei, ihren Ist-Zustand zu verändern und setzt voraus, dass es einen Unterschied zwischen dem Sein der Welt und dem Sollen gibt.

Man könnte sich auch fragen, ob es sinnhaft ist, die Welt zu verändern. Nicht selten waren Philosophen Erfüllungsgehilfen für totalitäre Versuche, die Welt zu verändern (etwa im Nationalsozialismus). Die Frage, die im Vorlesungstitel anklingt - "Interpretieren oder Verändern?" - ist sinnhaft. Worin liegen Vor- und worin liegen Nachteile für das Interpretieren und für das Verändern?


Sozialphilosophie

Die Sozialphilosophie im Unterschied zur Klassischen Philosophie behandelt die Spannung zwischen Sein (Ist-Zustand) und Sollen (Soll-Zustand). Die Bearbeitung dieser Spannung, der Versuch der Veränderung des Ist-Zustandes, unterliegt immer Dynamiken und Pfadvorgaben (siehe QWERTY-Phänomen).

Unter den Sozialwissenschaften (= Gesellschaftswissenschaften) nimmt die Sozialphilosophie eine sehr wichtige und fundamentale Rolle ein. Dabei knüpft sie an die klassische Philosophie an und erweitert diese um den sozialen Aspekt, der eine neue Auffassung des Begriffes Individuum hervorgebracht hat. Außerdem thematisiert sie die dynamischen Prozesse und Vorgänge und versucht diese zu erklären, um so eine Basis für die Thematik aller Sozialwissenschaften zu schaffen. Charakteristisch für die Sozialphilosophie ist:

  • Erweiterung der Philosophie um Sozialen Aspekt
Die Sozialphilosophie knüpft an die Ideen der Klassischen Philosophie an, fügt aber eine weitere Dimension hinzu, die soziale Dimension, wobei die soziale Dimension als Betrachtung der Gesellschaft zum Individuum gesehen werden kann.
  • Polykontexturalität
Die Vorstellung einer besseren Welt wird so eine sozial bedingte Vorstellung, da sie immer von allen bisherigen Ideen und Veränderungen ausgeht. Der ständige Wissensfluss der Gesellschaft verursacht einen dynamischen Prozess, der das Individuum zur neuen Wissensförderung (= Veränderung) anregt.
  • Neue Auffassung von Individualität
Die Vorstellung der besseren Welt entsteht nicht individuell in Abschottung, sondern ist das Ergebnis eines Prägungsprozesses, verschiedener Werte und sind von frühester Kindheit an sozial vermittelt. Durch Sozialisation, Kulturation etc. seitens der Familie, den Freunden, den Mitschülern, Mitstudenten etc. wird das "Individuum" geprägt. So sind denn auch die Individuen nicht völlig individuell vorstellbar als vielmehr das Produkt der Reflexion des Subjekts auf sein Umfeld. All diese Merkmale prägen das Bild des Individuums in der Sozialphilosophie.
  • Kontextsteuerung
Der durch die Informationstechnologie sich im Vormarsch befindende Informationsfluss, steigert auf der einen Seite die Wissensentstehung, führt aber auf der anderen Seite zu einem Problem der effektiven Kontextsteuerung im Wandel des dabei beschleunigten dynamischen Prozesses.

Der Sozialphilosophie geht es anders als den anderen Sozialwissenschaften nicht um eine reine Beobachtung (= Soziologie), auch nicht um die reine Nutzung von Dynamiken (= Betriebswirtschaft) oder um die historische Erfassung (= Sozialgeschichte), oder um das reine Wirken auf das Individuum (= Sozialpsychologie) als vielmehr um das Erklären der Sache an sich und der damit verbundenen Kritik, womit sie der klassischen Philosophie treu bleibt. Dabei liegt ihr unter anderem folgende Überlegung zu Grunde:

Philosophische Überlegungen von Hegel

zur Unmöglichkeit der Übereinkunft von Ist- und Soll-Zustand: In dem Moment, in dem ich arbeite, negiere ich den aktuellen Zustand. Die Bearbeitung der Welt bringt etwas Neues, Positives (im Sinne von Gegebenes) hervor. Je nachdem wie die Arbeit geschieht, verschiebt sich die Weltsicht zumindest in geringem Ausmaß durch die durch Arbeit veränderte Wahrnehmung. Darüber hinaus sind unentwegt politische, technische, ökonomische, etc. Dynamiken am Werk, die gemeinsam mit dem zuvor Gesagten bewirken, dass jeder neue, positive Zustand zugleich wieder Ausgangspunkt für einen weiteren Negationsakt ist. Jeder erreichte Soll-Zustand zieht neue Probleme nach sich und neue Soll-Zustände entwickeln sich. Eine völlige Übereinstimmung des Ist-Zustandes mit dem Soll-Zustand ist deshalb faktisch nicht möglich. Eine spannungsfreie Gesellschaft ist nicht denkbar. Diese Überlegung spiegelt sich in der wahrscheinlich von Hegel bekanntesten dialektischen Formulierung These - Antithese - Synthese (die wieder zur These wird) wider.

Interpretation und interpretieren

Interpretation ist der lateinische Begriff für Auslegung, Deutung und Erklärung. Wissenschaftlich betrachtet ist die Hermeneutik diejenige Methode, die als Lehre vom Verstehen und wissenschaftlichen Begreifen geisteswissenschaftlicher Begriffe bezeichnet werden kann und somit die vermutlich häufigste Methode um zu interpretieren. Die Interpretation ist weiters vom interpretierenden Subjekt bzw. Individuum, dessen sozialer Prägung und dem Kontext der Interpretation abhängig.


Sprache und Interpretation:

Wenn wir gewöhnlich von „Interpretation“ und „interpretieren“ sprechen, nehmen wir meistens an, es handelt sich hierbei ausschließlich um bewusste, reflektierte Deutungen und Auslegungsakte. Doch unser alltäglicher Gebrauch der Sprache, das schlichte Benennen von Sachverhalten und Dingen, stellt bereits eine Interpretation der Welt dar. Die Sprache gilt als Ausdruck für die Tatsache, dass der Mensch für ein Leben in der Gemeinschaft angelegt ist. Sie gilt als soziales Projekt und soll dazu beitragen, dass die Interaktion und Kommunikation zwischen Individuen ermöglicht und Verständigung „wahrscheinlicher“ wird. Um diese Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, sind die Laute, mit denen wir die Dinge bezeichnen, unterschiedlich von den Dingen, die bezeichnet werden. Es gibt so genannte onomatopoetische Begriffe wie z.B.: „zischen“ oder „kratzen“ bei dem das Zeichen dem Bezeichneten sehr ähnlich ist. Sie stellen jedoch eine Ausnahme dar. In den meisten Fällen herrscht ein scharfer Kontrast zwischen Zeichen und Bezeichneten. Man spricht auch von der Arbitrarität ( arbiträr = willkürlich, beliebig, nicht naturgegeben) der Zeichen. Durch diesen Unterschied zwischen Lautgestalt und Wortinhalt wird es möglich eine Mitteilung von einer bloßen Information zu unterscheiden. Er ist funktional. Die Wahrscheinlichkeit, dass Kommunikation gelingt erhöht sich. Die Schrift bietet in weiterer Folge die Möglichkeit der Telekommunikation, das heißt der ortsunabhängigen Kommunikation. Dadurch steigt die Zahl der potentiellen Rezipienten und Kommunikationspartner einer Botschaft exponentiell an. Aus diesem Grund ist es auch notwendig, dass die schriftlichen Zeichen sehr stark typisiert und abstrakt sind. Doch diese einheitliche Erscheinung und Verwendung der Zeichen verhindert nicht die Tatsache, dass die Zeichen und Begriffe von den unterschiedlichen Kommunikationspartnern unterschiedlich interpretiert und aufgefasst werden. Ein Zeichen ermöglicht eine Vielzahl von Interpretationen. Temporär einigt man sich auf Bedeutungen für gewisse Zeichen. Eine vollkommene, eindeutige und unveränderliche Deckung zwischen Zeichen und Bezeichneten gibt es jedoch nie.

Parallel zu den dem Begriffspaar von Zeichen und Bezeichnetem existiert auch jenes von Erscheinung und Wesen - dem „Ding an sich“, wie es Immanuel Kant nennt.

Die von den Menschen subjektiv wahrgenommenen Gegenstände sind nach Kant nicht Dinge an sich, sondern nur Erscheinungen, wie sie abhängig von unserer Erkenntnis objektiv in Raum und Zeit vorhanden sind; Raum und Zeit sind hierbei Anschauungsformen, nach denen die Gegenstände erkannt werden.

Das Ansichseinende ("Ding an sich") kennen wir also demnach gar nicht, und es hat mit unseren apriori gegebenen Erkenntnisstrukturen nichts zu tun. (Kant: "Was die Dinge an sich sein mögen, weiß ich nicht und brauche es nicht zu wissen, weil mir doch niemals ein Ding anders als in der Erscheinung vorkommen kann")

Das „Ding an sich“ bleibt somit unerreichbar. Die Möglichkeit eines bedeutungsfreien Zugangs zur Welt bietet sich uns nicht. Die Natur, das Leben ist nicht zeichenfrei zugänglich, immer leben wir in einer interpretierten Wirklichkeit, ja man könnte behaupten: leben heißt interpretieren Die Hülle des „Für-uns-Seins“ der Dinge kann nie abgestreift werden. Die Frage, die sich aufdrängt, ist also, ob ein Bezeichnetes als eigenständige Entität überhaupt existiert, etwas, das unseren zahlreichen Interpretationen als Feststehendes zugrunde liegt.

Veränderung und verändern

Veränderung heißt im 21. Jahrhundert etwas anderes als im 19. Jahrhundert. Veränderung ist immer vom Kontext abhängig und von einer Vorstellung geleitet, da sie von einem Ist-Zustand ausgeht. Jede Veränderung in der Gesellschaft ruft auch Gegenreaktionen hervor, die den neuen Ist-Zustand wiederum verändern. Somit ist Veränderung ein soziales Phänomen. Daher wird man versuchen, eine (nachhaltige) Veränderung dadurch zu erreichen, indem man mögliche Gegenreaktionen bereits vorweg einkalkuliert und deren Vorstellungen soweit wie möglich in ihr integriert. Veränderung ist heute ein ungemein komplizierter und komplexer Prozess geworden. In Anlehnung an den von Luhmann gebrauchten Begriff der Interpenetration können wir feststellen, dass eine Beziehung zwischen Veränderungen besteht, die füreinander wechselseitig zum Kontext, vor welchem die Veränderung stattfindet, werden.

Beispiel:
Nehmen wir dieses Wiki und einen Satz daraus als Beispiel. Angenommen zwei Akteure A und B haben jeweils eine bestimmte Fassung des Satzes im Sinn, so werden sie nicht das ganze Semester hindurch den Satz jeweils der eigenen Vorstellung anpassen und regelmäßig von einem Zustand in den anderen (und wieder zurück) bringen, sondern sich auf eine Fassung einigen, die der Vorstellung beider Akteure in dem Kontext dieses Wikis am besten entspricht. Das entspräche der Annahme, dass aktuelle Diskurse vor dem Hintergrund einer polykontexturalen Welt ablaufen, wissend, dass es keine absoluten Wahrheiten, Richtlinien und Maßstäbe mehr gibt.

Polykontexturalität

Siehe auch Historische Entwicklung des Begriffes Polykontexturalität.

Die Polykontexturalität meint die in neuerer Zeit durch die Vielfalt der Wissensstände und allgemeine Dynamisierung des Wissenschaftsprozesses entstehende Pluralität von Kontexten. Waren etwa noch im europäischen Mittelalter Wissen und Wissenschaft statische Begriffe, die in ihrer Relevanz von der Institution Kirche definiert wurden, so werden die Grenzen, die Wissen immer zieht, indem es auch das Nichtwissen definiert ("Omnis determinatio est negatio" - "Jede Bestimmung ist eine Verneinung", Spinoza), heute permanent verschoben. Unter anderem verschiedene Auffassungen und Herangehensweisen (gerade in der Philosophie) schaffen jene Wissensvielfalt, die für den Begriff Polykontexturalität wesentlich ist und natürlich auch dem Vorhaben der Veränderung Schwierigkeiten bereitet.

Content & Kontext

Sowohl der Content als auch der Kontext befinden sich in steter Veränderung. Im Laufe eines Versuchs können sich die Bedingungen desselben ändern (etwa das Ich, die individuelle Wahrnehmung oder auch wissenschaftliche Erkenntnisse) und es findet damit eine Rekonfiguration des Content und des Kontext statt. Neuer Content wird im nächsten Moment vom nächsten Menschen als Kontext für wieder neuen Content benutzt, usw. Ein spezifischer Kontext oder Content ist immer nur perspektivisch und temporär im Zentrum. Dies muss für das Vorhaben der Veränderung beachtet werden.

Beispiel:
A mag keinen Fisch da er im Fernsehen gesehen hat, dass viele Menschen durch das Essen von Fisch an Salmonellen erkranken. Da A seinen Körper nicht unnötig belasten will, isst er keinen Fisch und erzählt seinem Umfeld, dass man durch Fische Salmonellen bekommen kann. Einige Jahre später entdeckt die Ernährungswissenschaft, dass Fisch eine nahezu einzigartige Quelle für wichtige Fette darstellt, welche der Körper benötigt und dass das Nicht-Essen von Fisch den Körper belasten kann. A beschließt nun, doch Fisch zu essen und erzählt seinem Umfeld, dass man durch Fische zwar Salmonellen bekommen kann, man aber dennoch Fisch essen sollte.

Epistemologische Problematik

Die Polykontexturalität birgt vor allem eine epistemologische (erkenntnistheoretische) Problematik. In einer sich immer mehr spezialisierenden (Wissenschafts-)Welt basieren Fragestellungen in einem wachsenden Ausmaß auf einem hoch differenzierten Problembewusstsein, welches nur von Spezialisten in dem jeweiligen Gebiet entwickelt werden kann. Nicht-Spezialisten des jeweiligen Gebiets haben nicht mehr die Voraussetzungen, die jeweiligen Problemlagen zu verstehen oder zu erkennen. Dies führt im Weiteren zu einem Unverständnis bzw. einer fehlenden Akzeptanz dieser Probleme.

Ein simples Beispiel hierfür ist die Müllproblematik. Wenn jemanden nicht klar ist, dass das Hinauswerfen von Plastikflaschen aus dem Zugfenster negative Folgen für die Umwelt haben wird, weil in der Gesellschaft noch kein Bewusstsein für Umweltschutz besteht, so wird er den Hinweis, dass sein Handeln nicht die beste Idee war, nicht verstehen.

Ohne die Problemlösungsschritte, die einer Problemlösung vorangehen, kann man die betreffende Problemlösung nicht erkennen.

Beispiel:
Galilei wurde dieses Problem zum Verhängnis. Er hatte zwar die Problemlösungsschritte befolgt, die Inquisitoren aber nicht. Diese konnten nicht wahrnehmen, was Galilei wahrnahm, weil diese eben nicht die Problemlösungsschritte mitvollzogen hatten, die zu Galileis Problemlösung führten. So konnten sie gar nicht erkennen, auch wenn sie wirklich wollten, dass sich die Planeten eigentlich um die Sonne und nicht um die Erde drehen.

Wahrnehmungen werden auch durch das gesellschaftliche Umfeld geprägt. Nur für ein als relevant wahrgenommenes Wissen kann sich auch ein Problembewusstsein entwickeln. Die Einteilung der Welt in gewusste und nicht gewusste Welt stellt somit eine Grenze des Problembewusstseins dar.

Individuum

Siehe auch Bild des Individuums.

Als Gegensatz zur Antike entwickelte sich seit dem 19. Jahrhundert vor allem durch das Forschen der Sozialwissenschaften eine neue Vorstellung des Begriffs des Individuums heraus. So unterliegt das Individuum heute durch beschleunigte, dynamische Prozesse einem stärkeren Einfluss durch sein Umfeld als in früherer Zeit. Dieser verstärkte Einfluss lässt sich vor allem auf den verbesserten Wissensfluss zurückführen, der nicht nur eine Polykontexturalität mit sich bringt, sondern auch eine völlig neue Vorstellung des Wirkens des Individuums auf die Gesellschaft erfordert. Zwar bauen sowohl das Interpretieren als auch das darauf basierende Verändern auf individueller Perspektive auf, allerdings ist der Vorgang der Veränderung der Gesellschaft und das Verändern durch die Gesellschaft zu einem nahezu übergangslosen Vorgang geworden.

Das Individuum ("unteilbar") deutet, zweifelt, interpretiert, ist Subjekt und Identität. Ihm gegenüber steht das Objekt Gesellschaft, das zentrale Objekt gerade der Sozialphilosophie. Das Individuum ist mehr als die Summe seiner Teile. Gleichzeitig konnotiert der Begriff Individuum auch die analytische Teilbarkeit mit - wir können uns nichts Unteilbares vorstellen, ohne die Differenz, die Teilbarkeit mitzudenken. Nach Descartes ("Cogito ergo sum." - "Ich denke, als bin ich.") ist das Individuum/Subjekt das einzige, an dem nicht gezweifelt werden kann. Das Ich, das Individuum ist für Descartes die Grundlage allen Zweifelns.

Einwände zu Descartes

  • Das Zweifeln Descartes' ist nicht konsequent genug. Die faktische Existenz eines wahrnehmenden und denkenden Individuums ist damit noch lange nicht bewiesen, bloß das Sein von irgendetwas. Wer sagt, dass das, was denkt, tatsächlich ich bin? Besser wäre: "Cogito ergo est" - "Ich denke, also ist etwas". Eine weitere Abwandlung Descartes', die im Zuge der Vorlesung vorgeschlagen wurde, zeigt deutlich die zuvor angesprochenen Probleme des Begriffes Individuum im Kontext der Gesellschaft: "Sumus ergo cogito" - "Wir sind, also denke ich".
  • Um zweifeln zu können, sind laut Charles Sanders Peirce bereits Sprachsysteme und Begrifflichkeiten notwendig. Die Sprache wird zur Grundvoraussetzung des Denkens. Und Sprache wird sozial vermittelt. Somit ist der Dialog mit der Umwelt die Voraussetzung für eine Ichidentität.Diese Gedanken führen schließlich zur Linguistischen Wende.

Interpretieren oder Verändern?

Es stellt sich nun die Frage inwieweit das Individuum in diesem übergangslosen Vorgang des Wirkens und Wirken interpretieren oder verändern kann. Denn das Bedürfnis der Veränderung resultiert eben aus dem Wirken der Gesellschaft auf das Individuum. Möchte nun das Individuum etwas verändern oder möchte die Gesellschaft, dass das Individuum etwas verändert. Wer ist Verursacher der Veränderung und Interpretation? Zudem stellt jede Veränderung des Individuums der Gesellschaft eine Veränderung des Individuums selbst dar.

Beispiel:
A nimmt sich vor, in 3 Jahren genau 1 Millionen Euro zu sparen, um sich ein Haus zu kaufen. Drei Jahre später verfügt A über 1 Million Euro, allerdings kann er sich sein Haus nun nicht mehr kaufen, da ein Haus nun 1,3 Millionen Euro kostet.
Erklärung:
A hat in diesem Beispiel seine Vorstellung von 1 Millionen Euro über die drei Jahre behalten. Er kann deshalb die Veränderung (Haus bauen) nicht durchführen. A hätte also seine Vorstellung innerhalb dieser drei Jahre von 1 Million Euro schrittweise auf 1,3 Millionen Euro ändern müssen. Er hätte also seine Vorstellung durch die Gesellschaft ändern lassen müssen!

Die Sozialphilosophie interessiert in diesem Zusammenhang natürlich die Dynamik an sich am meisten, und sie versucht daher so viele Dynamiken wie möglich zu verstehen und zu erfassen. Doch gerade ethnische Dynamiken stellen auch für die Sozialphilosophie eine mächtige Herausforderung dar und erfordern eine intensive, kritische Auseinandersetzung durch die Sozialphilosophie. So versuchen führende Sozialwissenschaftler Lösungen für soziale Misstände, die aus solchen Dynamiken resultieren, zu liefern.

Ethische Hinterfragung von Interpretation & Veränderung?

In der früheren Geschichte gab es auch eine Zeit, in der man versuchte, die Entwicklung solcher dynamischen Prozesse zu unterbinden. Im europäischen Mittelalter versuchte etwa die Kirche über lange Zeit den Wissensstand auf einem "kontrollierbaren Maß" der Veränderung zu halten. Sie akzeptierte also nur Wissen, welches auch auf längere Zeit keinen negativen Einfluss auf die Gesellschaft haben sollte. Natürlich durfte es auch nicht ihre eigene Vorstellung und Erklärung der Welt bedrohen, um eben diese "Kontrolle" zu gewährleisten. Dadurch wurde das Individuum verstärkt in die Rolle des Interpretierenden gezwungen.

Die Aufklärung schließlich bedeutete eine große Veränderung. Heute befinden wir uns in einer "aufgeklärten Zeit", in welcher jedes Individuum die Möglichkeit der Wissensschaffung hat. Wirtschaft und Informationstechnologie gewähren uns einen schnellen Zugang zu Wissen und Information. Dabei handelt es sich aber mittlerweile um eine solche Masse von Information, dass das einzelne Individuum nicht mehr in der Lage ist, alles zu interpretieren. Dennoch versucht das Individuum (oder muss es versuchen?), zumindest das, was es interpretiert, teilweise Veränderungen herbeizuführen. Diese Unüberschaubarkeit für das Individuum liefert es gleichzeitig dem Einfluss gewisser Dynamiken aus, welche zu ethisch fragwürdigen Entwicklungen führen können. Das Problem besteht darin, dass es dem Individuum zwar möglich ist, die "short run effects" dessen zu überblicken, was es verändern möchte, die "long run effects" hingegen nahezu unüberschaubar werden.

Beispiel:
Man machte der Autoindustrie den Vorwurf für zu wenig Sicherheit im Fahrzeug, da zu viele Menschen schwere Verletzungen durch Unfälle erleiden. Die Reaktion der Autoindustrie war die Entwicklung verbesserter Fahrzeugkarosserien und Airbags als Mindeststandard für Fahrzeuge. Das Ergebnis dieser Entwicklung ist eine erhöhte Sicherheit im Fahrzeug, aber eine ebenso erhöhte Unfallgefahr im Straßenverkehr. Zudem erhöhte sich aber auch das Risiko der Verletzungsgefahr, da jene Sicherheit nur bei gewissen Geschwindigkeiten garantiert werden kann, welche die Fahrzeuglenker überschreiten.

Gefangenendilemma

Das Gefangenendilemma (engl.: prisoner's dilemma) ist ein aus der Spieltheorie kommendes Paradoxon. Folgende Situation präsentiert sich: Zwei einer gemeinsamen Straftat Verdächtigte sitzen in Untersuchungshaft. Da die Anklage keinerlei Beweise gegen die beiden hat, bietet sie den in separate Zellen Gesperrten einen Handel an. Gesteht einer die Tat und der andere nicht, so kommt der Geständige sofort frei und der andere muss die Höchststrafe von fünf Jahren absitzen. Schweigen beide, so werden sie wegen Verweigerung der Zusammenarbeit mit der Justiz mit jeweils zwei Jahren Freiheitsentzug bestraft. Gestehen aber beide, werden beide für jeweils vier Jahre eingesperrt. Die beiden Gefangenen haben keine Möglichkeit miteinander zu kommunizieren, jeder muss die Entscheidung alleine treffen. Beide sind also gezwungen, mit Nichtwissen zu operieren.

Geht man taktisch rational an das Problem heran, so ist es am sinnvollsten für den Einzelnen der beiden, zu gestehen, denn gesteht der Andere auch, so muss der Erste vier statt volle fünf Jahre absitzen, gesteht der Andere nicht, so wird der Erste sofort freigelassen, anstatt zwei Jahre absitzen zu müssen. Die für beide vernünftigste Entscheidung ist aber das Schweigen beider. Auch unter egoistischen Agenten ist also Kooperation sinnvoll.

Varianten des Gefangenendilemmas: Im Rahmen der Spieltheorie gibt es zahlreiche Varianten des Gefangenendilemmas, etwa die des iterativen Gefangenendilemmas. In diesem Fall ist die beschriebene Situation beliebig oft, aber endlich wiederholbar. Es entsteht die Möglichkeit, aus vergangenen Deals zu lernen, Informationen anzusammeln und sich Strategien zuzulegen.

Wirkungsverhältnis Individuum-Welt-Ideen

Idealtypisches Schema des Wirkungsverhältnisses

In der klassischen Philosophie existieren im Grunde drei verschiedene Elemente der Wahrnehmung: das Subjekt, die objektive Welt und die Welt der Ideen und Vorstellungen. Die ontologische Statik des Elementes Subjekt galt lange Zeit als unumstößliches Dogma. Der Materialismus und der Realismus sahen das Element Welt als statisch und ohne Vorbedingungen, also unabhängig vom Subjekt, an. Seit Platon sind die Ideen ewig gültig und unveränderlich. Die "klassische Philosophie" sieht alle drei idealtypischen Elemente also statisch und als streng voneinander separierbar. Tatsächlich konstituiert sich aber das Individuum, also das Element Subjekt, in seiner Interaktion mit der Welt und der Subjektumwelt, das heißt durch seine Mitmenschen. Das scheinbar unveränderliche Subjekt ist also veränderlich und befindet sich in einem ständigen, lebendigen Wandel. Auch die Welt ist eigentlich ein veränderliches Konstrukt von Subjekten. Andernfalls wäre keinerlei Veränderung durch das Subjekt möglich. Der aktuelle Weltzustand basiert auf den unzähligen vorangegangenen Veränderungsversuchen. Wie in der Lehrveranstaltung behauptet wurde, sind auch die Ideen keineswegs ewiggültig, so wie dies Platon behauptete. Auch sie kommen durch Interaktion von Individuen zustande und sind den Bedingungen der "bounded rationality" und dem jeweiligen sozialen und historischen Kontext unterworfen. Von der Absolutheit ewiggültiger Ideen kann also nicht die Rede sein. Ihre Relativität und Kontextualität sollte immer mitgedacht werden. Die drei Begriffe beeinflussen einander in stetiger rekursiver wie auch inkursiver Dynamik. Berechtigte Fragen sind freilich, ob denn nicht Welt und Ideen eigentlich eine Einheit bilden, also auch in einen Begriff zusammenfallen können, oder ob nicht gar alle drei Pole eine Einheit bilden. Was wir als Welt wahrnehmen, ist immer schon eine bestimmte Vorstellung der Welt. Eine Welt an sich gibt es nicht. Auch die Selbstwahrnehmung ist wesentlich von der jeweiligen Umwelt und dem Ideenkonvolut der Gesellschaft geprägt, auf das ich mich in meiner Selbstwahrnehmung und Selbstbeschreibung beziehe. Um das Zusammenwirken der drei Pole zu verstehen, kann es jedoch sinnvoll sein sie zunächst voneinander zu trennen. Durch die Analyse kann schließlich ersichtlich werden, dass - sofern die Frage der Einheit der Pole positiv beantwortet wird - die Pole "Subjekt-Welt-Idee" zusammenfallen.

Verhältnis Zeichen-Bezeichnetes

Alles Interpretieren setzt bereits sprachliche Benennungen und Erfassungen und als solches einen sozialen Zusammenhang voraus. Erst durch kollektive Benennungen, die Einigung auf ein gemeinsames Zeichensystem, also Sprache, wird Kommunikation und Interpretation möglich. Eine Sprache besteht aus Zeichen. Für eine funktionierende, komplexe Sprache ist es unerlässlich, dass ihre Zeichen zufällig und vom Bezeichneten verschieden sind, dass also die Differenz zwischen Zeichen und Bezeichnetem deutlich ist. Je stärker ein Zeichen vom Bezeichneten abweicht, desto eher und desto präziser kann Kommunikation geschehen. Das ist auch auf die Schrift umlegbar. Hier wird wie bei der mündlichen Sprache eine übergreifende Kommunikation aber nur möglich, wenn zuvor eine Vereinheitlichung, eine Typologisierung erfolgt. Bei komplexeren Zeichen kann trotzdem die Interpretation variieren. Hier wird es notwendig, dass sich das Kollektiv temporär auf eine Bedeutung einigt, damit Kommunikation gelingen kann. Es gibt freilich keine vollkommene Interpretation, also keine totale Übereinstimmung zwischen Zeichen und Bezeichnetem. Alles Wahrnehmen ist bereits interpretiert und daher bereits Zeichen. Man könnte demnach also auch jedes Bezeichnete als ein weiteres Zeichen auffassen. Das Verhältnis Bezeichnetes-Zeichen kann auf das von Platon und Kant geprägte Verhältnis von "Ding an sich" und Erscheinungsform umgelegt werden. Die Erscheinungsform ist das Wahrgenommene und von Ideologien, Überzeugungen und Erfahrungen Kategorisierte. Das "Ding an sich" kann nach Kant nicht wahrgenommen werden und ist daher im eigentlichen Sinne nicht existent.

Kontextsteuerung

funktioniert ohne Mahnung oder Zwang. Es gilt vielmehr Dynamiken und ihre Richtungen zu erkennen (vgl. auch Polykontexturalität). Diese sind einzuberechnen und unter Umständen auch zu nutzen, etwa um Multiplikationsprozesse auszulösen oder anderes. Man hat also nicht (mehr) konkrete statische Objekte vor sich, sondern starken Veränderungen unterliegende Objekte, auf deren Veränderungsprozessen das Augenmerk liegen muss.

Andererseits können/wollen Weltveränderungsabsichten oft nicht auf Entwicklungen, Revisionen oder Prozesse warten (etwa die Entstehung eines Problembewusstseins).

Begrifflichkeiten geben Möglichkeiten zu Veränderungen. Die Welt muss erst in Begriffe und Kategorien umgewandelt werden. Gleichzeitig sind Kategorien aber auch wieder Beschränkungen.

Die Schwierigkeit einer effektiven Kontextsteuerung wird in vielen Bereichen unterschiedlicher Wissenschaften sichtbar und ist auf eine andauernde Verschiebung von "Content" und "Kontext" zurückzuführen. Diese ständige Veränderung stellt unter anderem für Wirtschaftswissenschaften ein Problem dar, da sie sich gerade eben mit einem dynamischen Prozess, dem Markt, periodenbezogen auseinandersetzten. Folgendes Beispiel soll dies verdeutlichen.

Beispiel:
Bei der hohen Nachfrage nach Informatikern in den 80ern, reagierte die Regierung darauf, indem sie die Gelder für diese Bereiche erhöhte. Dies endete in einem Überschuss an Informatikern. Man verringerte die Gelder also wieder. Daraufhin stieg die Nachfrage aber wieder, was wieder in eine Erhöhung der Gelder resultierte usw.
Erklärung:
Der Markt für Informatiker wurde über eine vergangene Periode beobachtet und es wurde festgestellt, das (X)Informatiker erforderlich sind um den Markt für Informatiker vollständig zu füllen. Die Regierung versuchte durch eine finanzielle Unterstützung diese Zahl möglichst genau zu erreichen. Nach einer Betrachtung der Periode von dem unterstützen der Regierung bis hin zur Zielsetzung wurde aber festgestellt das sich die Zahl der (X) Informatiker verkleinerte, woraus sich ein Überschuss der Investition der Regierung ergab. Das Problem ist, dass der Informatikermarkt so großen Schwankungen unterliegt, das aufgrund der langen Ausbildungszeit von Informatikern der Break Even Point (die optimale Zahl (X)) nicht erreicht werden kann. Die Ausbildungsperiode ist größer als die Veränderungsperiode!

Entdeckt wurde dieses Phänomen am Schweinemarkt, weshalb dieses Problem auch als Schweinezyklus bezeichnet wird, ein Begriff, der aus der Wirtschaftswissenschaft kommt und ein Marktversagen ("market failure") aufzeigt. In diesem theoretischen Gedankenexperiment wird durch einseitige periodische Schwankungen im Angebot des Marktes für Schweinefleisch Kontextveränderung und -steuerung problematisiert. Es zeigt sich das die idealtypische lineare Vorstellung (= Angebot und Nachfrage pendelt sich immer auf optimalsten Punkt ein) nach dem derzeitigen Wissensstand und Berechnungen aufgrund des sich ständig verändernden Umfelds eine in vielen Bereichen sehr gute Annäherung an den Optimalwert darstellt, aber in manchen Bereichen (Märkte, die starken Schwankungen unterliegen) fehleranfällig wird.

Nur durch Austauschbarkeit in Gesellschaft, Kollektiv, etc. ist Leben möglich, der Mensch ist immer grundlegend sozial konstituiert, ist auf die Gesellschaft angewiesen, ist immer Teil derselben (zoon politikon). Im Zuge unserer Spezialisierungen dürfen wir uns nicht nur auf die Spezialprodukte konzentrieren, sondern müssen auch die Tauschmöglichkeiten sehen. Man muss daran arbeiten, seine Problemlösung als relevant darzustellen, "die relative Unwahrscheinlichkeit der Korrelation von Angebot und Nachfrage in hinreichende Wahrscheinlichkeit zu verwandeln" (Füllsack S2006). Durch diese Arbeit wird eine weitere Spezialisierung erzeugt. Zusätzliche Dynamiken spielen da auch noch mit, die man am ersten Blick nicht sieht und sorgen für weitere Dynamiken und Verwerfungen.

Diese Dynamiken gilt es dynamisch zu erfassen!


Arbeit und Handel

Arbeit (die auch als eine Bearbeitung des Ist-Zustandes wahrgenommen werden kann) zielt immer auf die Beseitigung von Knappheiten. Wir arbeiten, um eine von uns als Individuum wahrgenommene Knappheit (zB. der Ressourcen) zu beseitigen, dh. einen vom Individuum definierten Soll-Zustand zu erreichen. Knappheiten können grundsätzlich auf zwei verschiedene Arten beseitigt werden: Individuell oder im Rückgriff auf andere menschliche Ressourcen.

Handel entsteht, wenn bemerkt wird, dass durch Ressourcentransfer von einem Ort an einen anderen die beiderseitige Ressourcenknappheit zu einem Teil beseitigt wird. Diese Knappheitsbehebung findet jedoch immer nur temporär statt, während sowohl die Individuen an beiden Orten, als auch die, die den Transfer ausführen und davon profitieren, an einer längerfristigen Knappheitsbeseitigung interessiert sind.

In ihrem Versuch, eine Knappheit mit Handel zu beseitigen, löst eine Gesellschaft jedoch Dynamiken aus, die man unter dem abstrakten Begriff der Markt- oder Wirtschaftsdynamiken zusammenfassen könnte: Der Versuch, Knappheiten zu beseitigen, löst demnach Dynamiken aus, deren Ziel es ist, Knappheiten zu schaffen, dh. die Definitionen des Soll-Zustandes der Individuen gemäß den Interessen der Handeltreibenden zu verändern. Die Dynamiken der Individuen liegen also quer zu jenen des Marktes, welche jedoch erst durch die Bearbeitung der Knappheiten entstanden sind. Mit anderen Worten: In den Versuchen, den Ist-Zustand (in diesem Fall den speziellen Aspekt der Knappheit) zu verändern, werden Interessen ausgelöst, die ihrerseits wieder Dynamiken generieren, die Verwerfungen mit den ursprünglichen Dynamiken - oder Interessen - bilden. Es kommen Dynamiken ins Spiel, die erst als Konsequenz individueller Wünsche entstanden sind, mit diesen Wünschen aber nichts mehr zu tun haben. Der Markt reicht über die ursprünglichen Dynamiken hinaus, wird als etwas völlig Losgelöstes betrachtet, das sich scheinbar nicht mehr steuern lässt. Tatsächlich lassen sich Dynamiken aber immer bis zu einem gewissen Grad steuern, indem Anreize (engl.: incentives) gesetzt oder Rahmenbedingungen geschaffen werden. Damit wird die Existenz einer Gesellschaft wie der heutigen erst möglich gemacht. Wir als Individuen sind darauf angewiesen, die Welt (und ihre Dynamiken) zu interpretieren und, gemäß unserer Möglichkeiten, zu verändern.

Begriff der "bounded rationality"

Siehe auch homo oeconomicus.

Nach Herbert Simon meint bounded rationality (dt. Gebundene Rationalität) die Kontextsteuerung auch der persönlichen Kalkulationen und Überlegungen des Individuums. Wenn jeder Agent eines Marktes den persönlichen Nutzen mit den Kosten abwiegt und ökonomisch rational handelt, so ist nach der klassischen Wirtschaftstheorie der Markt als Ganzes rational. Der Marktpreis gilt (in der klassischen Wirtschaftstheorie) als Bindeglied zwischen den unterschiedlichen Wissensbereichen der einzelnen sogenannten "Wirtschaftssubjekten". Er ermöglicht - durch Beobachtung und Interpretation - das Entstehen komplexer Netzwerke, auf Basis dieser minimalen Überlappungen von individuellen Wissensbereichen.

Nun denkt das Individuum nach Herbert Simon aber immer in Nischen, bezieht Aspekte nicht in die Kalkulation ein, kalkuliert in Korridoren, bewertet manche Vor- bzw. Nachteile stärker, ist also kontextgesteuert im Hinblick auf verfügbares Wissen und vor allem Nichtwissen. So hat es etwa keine Kenntnis von zukünftigen Dynamiken. Ein Individuum handelt nur insofern ökonomisch rational, als es der Kontext auch erlaubt. Als Beispiel führt Simon Albert Einstein an.

Gebrauchswert und Tauschwert

Siehe auch Auszüge aus Kritik der politischen Ökonomie von Marx zu Gebrauchswert und Tauschwert, 1859 (Erstes Heft) und 1890 (Das Kapital).

Nach Karl Marx kann ein Produkt auf zweierlei Weise bewertet werden. Den Wert eines Produktes für das Individuum selbst nennt er Gebrauchswert, den Wert, den der Markt durch seine Prozesse und Gesetzmäßigkeiten schafft nennt er Tauschwert.

Nach Marx verkürzt der Tauschwert den Gebrauchswert. Die Marxisten, die Marxens Lehre weiterführten, sahen den individuellen Gebrauchswert als absolut und ontologisch feststehend an, den marktgeschaffenen Tauschwert als sozial konstituiert und in steter Veränderung befindlich. Tatsächlich ist aber auch der Gebrauchswert nicht statisch, denn auch menschliche Bedürfnisse, die ja für die Konstituierung des Gebrauchswertes maßgeblich sind, sind sozial bedingt und veränderlich. Gebrauchs- und Marktwert verändern sich vielmehr beide in Beziehung zueinander, denn auch ein individueller Gebrauchswert orientiert sich in der Regel am erlernten Tauschwert im spezifischen Markt. Also auch hier sind Dynamiken zu beobachten, die aus der Bearbeitung der Welt mit der Absicht der Veränderung heraus Beachtung finden müssen.

Ein gutes Beispiel um die Tauschwert-Gebrauchswert-Differenz aufzuzeigen ist die Ware "Wasser". Wasser hat einen sehr hohen Gebrauchswert für den Menschen (es ist überlebenswichtig), der Tauschwert in Österreich ist aber relativ gering (wobei bei dem Produkt Wasser mit einspielt, dass der Markt für Wasser in Österreich noch immer reguliert ist und Österreich viel Wasser innerhalb seines Territoriums hat).
Ein umgekehrtes Beispiel sind Diamanten, dessen Gebrauchswert für den Menschen relativ gering ist, der Tauschwert jedoch immens hoch. Der Tauschwert bestimmt sich aus der durchschnittlichen gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit zur Erstellung des Gebrauchswerts. Deshalb ist der Diamant wertvoll und Wasser in Österreich billig. In der Wüste, wo die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit, um Wasser zu bekommen, höher ist, vervielfacht sich dementsprechend der Tauschwert des Wassers.

Da der Preis, der sich aus den Nützlichkeiten eines Produktes zusammensetzt, einen wichtigen Einfluss auf den Gebrauchswert hat, wird der Gebrauchswert unter Preiserhöhung und Preissenkung sichtbar. Wirtschaftlich spricht man dann von einer elastischen oder inelastischen Nachfragekurve. Die Wirtschaft versucht dabei bei höchstmöglicher Nachfrage den höchstmöglichen Preis zu erzielen.


Macht

Es stellt sich nun die Frage ob Macht im System der Polykontexturalität, in einer sich ständig verändernden dynamischen Umgebung als solche überhaupt existieren kann, und wenn es sie gibt wie sie zu verstehen ist und auf welche Art und Weise sie auf uns wirkt.

Machtverhältnis innerhalb einer Demokratie

Macht hat sich historisch gesehen in ihrer Eigenheit von einer unkontrollierten, hin zu einer kontrollierten Macht entwickelt. War es in frühester Zeit „jedem“ gestattet Macht als solche durch Gewalt & Brutalität auszuüben, so ist es heute nur mehr der Staat, dem es gestattet ist Macht als solche auszuüben um für das Wohlergehen aller zu sorgen. In einer Demokratie wird Macht aus einer Übereinstimmung aller ihrer Teilnehmer begründet um ihr funktionieren zu garantieren. Folglich muss, um diese Garantie aufrecht zu erhalten, gewährleistet werden das dass Mitspracherecht, die Stimme aller Teilnehmer, dasselbe Gewicht dieselbe Machwirkung hat und zudem das Beeinflussen der einzelnen Teilnehmer untereinander weitestgehend unterbunden wird. Macht ist in einer Demokratie demzufolge kein selbständiges Individuum mehr, welche für sich selbst Macht anreichern kann. Macht ist deshalb innerhalb dieses dynamischen Prozesses selbst nur das Produkt einer Übereinstimmung aller Demokratieteilnehmer. Macht reguliert und wird reguliert. Sie ist demzufolge selbst ein dynamischer Prozess innerhalb des dynamischen Prozesses der Gesellschaft.

Machtverhältnis innerhalb der Wirtschaft

Ganz im Gegensatz dazu verhält sich Macht innerhalb des dynamischen Prozesses der Wirtschaft. So reguliert sich die Wirtschaft im Hinblick auf ihre Produktivität und Effektivität selbst, doch nicht im Hinblick auf ihre Machtverhältnisse & Machtverteilung der einzelnen (Markt)Teilnehmer. Dies ergibt sich aus der anderen Aufgabe von Macht innerhalb der Wirtschaft. Manfred Füllsack beschreibt die Aufgabe der Macht folgender maßen:


"Die Verteilungsordnung muss damit also in der Lage sein, etwas als tauschenswert auszuweisen, was nicht von allen in gleichem Ausmaß als tauschenswert betrachtet wird. Sie löst dieses Problem eben mit Hilfe von Macht. Macht ist also ein Mittel, um hoch spezialisierte Angebote an Arbeitsprodukten, Arbeitsleistungen oder, in diesem Kontext, Wissensständen, die als solche nicht von allen Mitgesellschaftern in gleicher Weise wahrgenommen werden, mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit auf ihre ebenfalls notwendig hoch spezialisierte Nachfrage treffen zu lassen. Macht ist ein Mittel zur Korrelation von Angebot und Nachfrage. Macht lässt Unwahrscheinliches, nämlich den Austausch von streng genommenen "Unrauchbarem", wahrscheinlich werden."(Füllsack Manfred, "Zuviel Wissen?", Avinus Verlag 2006, S.71)


Demzufolge setzt sich Macht in diesem Zusammenhang ebenfalls aus der Übereinstimmung aller Marktteilnehmer zusammen, allerdings können die Machtverhältnisse der einzelnen Teilnehmer verschieden groß sein. Nicht umsonst schreibt Füllsack bei seiner einleitenden Beschreibung der Macht:


"Wo bereits Macht ist, sammelt sich weitere Macht an. Wer bereits die Möglichkeit hat andere zu etwas zu bringen, was diese aus eigenem Antrieb nicht tun würden, wird dies nützen können, um sich noch mehr solche Macht zu verschaffen. Und umgekehrt scheint auch, wer keine Macht hat und damit gezwungen ist, Dinge zu tun, die er selbst nicht tun würde, immer ohnmächtiger zu werden." (Füllsack Manfred, "Zuviel Wissen?", Avinus Verlag 2006, S.70)


Jenes Ungleichgewicht der Machtverhältnisse lässt sich auf die Eigenschaften von Geld zurückführen. Füllsack schreibt in seiner allgemeinen Beschreibung des Geldes folgendes:


"So wie wir bereits etwa die Macht, die Schrift, Schulen, Universitäten und ganz allgemein Bereiche relativer Eigenständigkeit als Korrelationseinrichtungen kennen gelernt haben, die dies gewährleisten, so sorgt im Prinzip auch das Geld dafür, dass die hoch spezialisierten Angebote von Arbeitsprodukten und -leistungen in differenzierten Gesellschaften hinreichend wahrscheinlich auf ihre Nachfrage treffen und so der gesamtgesellschaftliche Austausch und damit die gesamtgesellschaftlichen Problemlösungsaktivitäten am Laufen gehalten werden." (Füllsack Manfred, "Zuviel Wissen?", Avinus Verlag 2006, S.170-171)


Geld übernimmt innerhalb einer Wirtschaft also dieselbe Aufgabe wie Macht und kann im Gegensatz zum System in der Demokratie angereichert und vermehrt werden. Eine Geld (Macht) Anreicherung ist demzufolge innerhalb einer Wirtschaft durchaus gestattet und wird demzufolge durchaus praktiziert.

Moderne Form der Machtgewinnung

Wenn Geld im Markt eine ähnliche Funktion wie Macht hat und als solche angereichert werden kann so lässt sich daraus schließen dass es Möglichkeiten geben muss zu eben mehr Geld als andere zu kommen um so zu mehr Macht zu gelangen. Außerdem wird Geld in modernen Wirtschaften selbst schon wie eine Ware behandelt. Dass dem so ist zeigt z.b der Kredit. Manfred Füllsack schreibt hiezu:


"Der Kredit aber, der zur Herstellung dieses Produkts notwendig war, läuft über fünf oder gar zehn Jahre […] Die Folge davon kann zum einen die Notwendigkeit sein, weitere Kredite aufzunehmen, um den ersten Kredit zu bedienen. Zum anderen fordert dieser Umstand natürlich auch seinerseits weitere Arbeit heraus, nämlich etwa die Schaffung von „künstlichen Nachfragen“ nach den angebotenen Produkten, also zum Beispiel die zusätzliche Investition in Werbung und Reklameindustrie."(Füllsack Manfred, "Zuviel Wissen?", Avinus Verlag 2006, S.173)


Da nun also innerhalb einer Wirtschaft ein Ungleichgewicht der Macht gestattet ist, ist es eben erlaubt Macht (Geld) dazu zu verwenden, andere Marktteilnehmer zu beeinflussen. Wie oben bereits erwähnt kann also die Macht (Kaufkraft)der Einzelnen Markteilnehmer dazu benützt (beeinflusst) werden um zu noch mehr Macht (Geld) zu gelangen. Die uns dazu wohl Vertrauteste Form ist die Werbung. Denn Werbung ist eben ein Mittel um die Macht der einzelnen Markteilnehmer, die Kaufkraft zu beeinflussen.

Grundlegend ist Werbung dazu da, Nützlichkeiten aufzuzeigen um das betroffene Produkt dadurch "nützlicher" zu machen. Der Gebrauchswert setzt sich eben aus der Nützlichkeit, dem Preis und der Verfügbarkeit zusammen. (siehe Wikepedia) Wenn nun also etwas durch die Werbung nützlicher gemacht wurde, so wird folglich auch der Preis der stark mit der Nützlichkeit verbunden ist, steigen. Damit steigert Werbung den Gebrauchswert. Werbung verbessert somit die Verteilung und ist deshalb mit Hilfe von Macht (Geld) ein Mittel zur Machtgewinnung. Nun ist es aber so das die Werbung auch dazu befähigt "Unbrauchbares" zu einer Nachfrage hinzuführen. Somit ist sie in der Lage Bedürfnisse für "Unbrauchbares" zu erzeugen. Mit anderen Worten kann Werbung "künstlich" neue Märkte schaffen. Da wir uns Werbung aber nicht entziehen können (sie umgibt uns ja 24 Stunden am Tag) können wir uns auch nicht ihrer Machtwirkung entziehen, und der Aufwand Werbung oder die Machteinwirkung großer Unternehmen zu "verbieten" ist, praktisch unmöglich geworden. Demzufolge unterliegen wir einem Zwang der Macht die auf uns wirkt, einem Zwang großer Unternehmen. Jener Zwang (Gewalt) stellt eben die moderne Form der Machtgewinnung in modernen Wirtschaftswissenschaften dar.