Pädagogische Ansätze: Interkulturelles Lernen und Ausländerpädagogik (JsB - Migration)

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Vergleich der Ausländerpädagogik und der Interkulturellen Erziehung

Zu den Begriffen

Zum Begriff der Ausländerpädagogik

„Ausländerpädagogik“ ist der Überbegriff eines breiten Feldes von schulischen Praktiken, die den Versuch einer Reaktion auf eine neue und als problematisch empfundene Schülergruppe darstellen. Die Idee war die Verbindung von sozialer Integration und Rückkehroption, was zwei durchaus widersprüchliche Ansätze sind. "Im Sinne einer nachträglichen Beschreibung umfasst Ausländerpädagogik vor allem eine Praxis des 'muddling through': 'Durchwursteln' ist eine organisationssoziologisch anerkannte Strategie, die in einer solchen Situation wechselnder, widersprüchlicher Ziele, unsicherer Perspektiven und erhöhten Handlungsdrucks einzig Erfolg verspricht." (Diehm/Radtke 1999; S.135)

Zum Begriff der Interkulturellen Erziehung

Durch 4 zentrale Bestandteile lässt sich der Begriff der Interkulturellen Bildung definieren:
Zum Inhalt hat sie die "gleiche Behandlung und Bewertung von Kulturen" (Meltem Avci-Werning; S. 29) und "um eine Akzeptanz von kulturellen Unterschiedlichkeiten zu vermitteln, müssen die Lehrkräfte aufzeigen, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen Kulturen ein Potential darstellt und dies als Chance gesehen werden kann. [...] Folglich muss eine Defizitperspektive durch eine Fähigleitenperspektive ersetzt werden." (Meltem Avci-Werning; S. 29) Des weiteren gilt es, "[...] Bedingungen des Zusammenlebens auszuhandeln" (Meltem Avci-Werning; S. 29), das bedeutet "einen Konsens über die Regeln des gemeinsamen Lebens" (Meltem Avci-Werning; S. 29) finden.
Ein weiterer wichtiger Punkt zu Definition von Interkultureller Erziehung ist zu nennen, der folgendes besagt: "Kultur ist als prozesshaft zu betrachten und durch die Zeit veränderbar." (Meltem Avci-Werning; S. 29) Die interkulturelle Erziehung begreift Gesellschaft als wandelbar und aus mehreren ethnischen Gruppierungen zusammengesetzt. "Interkulturelle Erziehung greift also die Reaktionen der einheimischen Bevölkerung auf, um sinnvolle Maßnahmen zum Abbau von Befremdung und Konkurrenz zu entwickeln." (Meltem Avci-Werning; S. 29)

Die Anwendung der beiden pädagogischen Ansätze in der Geschichte

Von der Periode der Ausländerpädagogik wird bis zum Anfang der 80er Jahre gesprochen, danach vollzieht sich eine Wende hin zur Interkulturellen Bildung. Man kann von einer starken Veränderung pädagogischen Gedankenguts sprechen, funktionierend unter anderen Sichtweisen auf den Sachverhalt. Interkulturelle Erziehung soll als allgemeines Erziehungsziel in allen Erziehungseinrichtungen festgemacht werden, nachdem begonnen wurde, das Programm der Ausländerpädagogik kritisch zu hinterfragen und so wurde "Anfang der 90er Jahre "Interkulturelles Lernen" als Unterrichtsprinzip verankert." (vgl. http://vs.schule.at) Es sollten Unterschiede klar erkennbar sein, um von alten pädagogischen Mustern abzuweichen und Platz für neue Ideen zu schaffen. Somit wurden 5 große Bereiche erarbeitet, in denen der Vergleich der Ausländerpädagogik und der Interkulturellen Erziehung möglich wurde. Man unterschied den Bereich der (Problem-)Diagnose, die Adressaten des pädagogischen Bemühens, die Praxis, die Ziele der jeweiligen Perioden und das jeweils vorherrschende Gesellschaftsmodell.

siehe auch einen weiteren Text über Historische Entwicklungen und gesetzliche Regelungen in Österreich

Unterschiede der Ausländerpädagogik und der Interkulturellen Erziehung

Die Entwicklung im Bezug auf das Herangehen an das Feld der Problemdiagnose kann als eine Veränderung des Erfahrens der Migrantenkinder als defizitär im kulturellen und sprachlichen Bereich zu einem Erleben als different gesehen werden. Was nämlich während der Periode der Ausländerpädagogik in Hinblick auf das Fehlen sprachlicher Vorkenntnisse und schulischer Erfahrungen als Mängel und Defizite gesehen wurde, die pädagogisches Handeln erschweren, wurden fehlende Vorkenntnisse in der Interkulturellen Erziehung nun als etwas durchaus Positives erfasst, und nicht mehr als etwas Mangelhaftes, sondern als etwas schlichtweg anderes aufgefasst.
Die Differenz von Kulturen sollte nicht mehr nach dem logischen Schema „A“ unterscheidet sich von „Nicht-A“, sondern nach dem Muster „A“ ist zu unterscheiden von „B“,“C“,“D“..., wobei „A“,“B“,“C“ und „D“ usw. je für eine „Kultur“ steht" (Diehm/Radtke 1999; S.129), gesehen werden. In der Pädagogik wurden Rassismus und Schuldzuweisungen auf Ethnie und Kultur im Bezug auf eventuell auftretende Probleme verbannt. Mit Beginn der Periode der Interkulturellen Erziehung sollten Kulturen nicht mehr bewertet werden, sondern zwar als unterschiedlich, aber auch als gleichwertig erkannt werden und die Förderung der Unterrichtssprache wurde nur noch zu einem Teil der Bemühungen, neben Programmen wie der Förderung der Erstsprache und der Idee des Interkulturellen Lernens als Unterrichtsprinzip. Man wollte einen eindeutigen Schritt weg von den Überlegungen und Ansätzen der Ausländerpädagogik machen, während deren Aktualität durch Förderunterricht versucht worden war, Kinder mit nicht deutscher Muttersprache an die Regelklasse so rasch wie möglich anzupassen.
Richtet man den Blick auf die jeweils differenten Zielgruppen, die Adressaten der pädagogischen Programme, so sind die Differenzen klar ersichtlich. Die Ausländerpädagogik richtete ihren Fokus eindeutig auf die Migrantenkinder, um sie zu befähigen, mit dem Rest der Klasse mithalten zu können. Da die Interkulturelle Erziehung darauf abzielte, Toleranz und Verständnis zwischen den Kindern als Repräsentanten verschiedener Kulturen zu fördern, wurde das Konzept des Interkulturellen Lernens auch in Klassen mit einem geringen Anteil von Kindern mit einer anderen Erstsprache als Deutsch angewandt. Aspekte verschiedener Kulturen sollten kennengelernt werden und der gegenseitige Respekt sollte gelehrt werden. Somit kam es zu einer allgemeinen Sensibilisierung für interkulturelles Denken und man erkannte die Wichtigkeit des interkulturellen Gedankenguts auch für Eltern und Lehrpersonal. Somit veränderten sich die Überlegungen zum Thema der Adressanten einer Pädagogik und die Zielgruppe umfasste nun auch Jugendliche mit deutscher Muttersprache im gleichen Maße wie Migrantenkinder.
Was zuvor unter dem Aspekt der Adressaten bereits angeschnitten wurde, wird hier – im Hinblick auf die Unterrichtspraxis - vertieft thematisiert. Die Veränderung von der Periode der Ausländerpädagogik hin zu Interkultureller Bildung umfasste auch ein tiefgreifendes Umdenken in Bezug auf Unterricht, Methoden und Ziele.
Während der Periode der Ausländerpädagogik wurden Kinder und Jugendliche deren Muttersprache nicht Deutsch war zu einem großen Teil in gesonderten Vorbereitungs- u. Förderklassen unterrichtet, sie nahmen an Förderstunden zum raschen Erlernen der Unterrichtssprache teil und sie wurden bei der Bearbeitung der Hausübungen vom Lehrpersonal unterstützt. Um das Programm und die Grundidee der Interkulturellen Erziehung nun aber umsetzen zu können, wurde es wichtig, sowohl Migrantenkinder, als auch Kinder deutscher Muttersprache einem gemeinsamen Unterricht zu unterziehen und als ein Ganzes zu lehren. Wichtiger als das bloße Erlernen des Wortschatzes wurde nun die Entwicklung einer sozialen Kompetenz, eine lebendige Kommunikation zwischen den Kindern, denn im Erleben eines gemeinsamen Alltages sahen Interkulturelle Pädagogen den Grundstein ihrer Methoden.
Der Unterrichtsverlauf änderte sich im Vergleich zu Ausländerpädagogik sehr stark, denn hatte man in der Periode der Ausländerpädagogik noch versucht, Migrantenkinder mittels Förderunterricht möglichst rasch an die übrigen Kinder anzupassen. So unterrichtete man im Zuge des Aufschwungs der Interkulturellen Erziehung nun im Verband der Klasse und stellte eine zusätzliche Lehrperson zur Verfügung, um ein funktionierendes Team aus Lehrpersonal und der gemischten Schülerschaft zu bilden. Fördermaßnahmen im Bereich der Erlernung der Unterrichtssprache wurden parallel zum oder vor und nach dem Unterricht angeboten. Somit wurden Migrantenkinder nicht mehr von der Regelklasse isoliert, sondern sie und die deutschsprachigen Schüler wurden als ein Ganzes gesehen.
Auch das Lehrmaterial wurde an die Unterrichtsmethoden des Interkulturellen Lernens angepasst, indem den unterschiedlichen Herkunftskulturen Rechnung getragen wurde. Im Gegensatz zur Periode der Ausländerpädagogik, während welcher die Anwesenheit von Kindern mit einer anderen Muttersprache als Deutsch als Belastung und Problem erfahren wurde, wird in der Interkulturellen Pädagogik die Anwesenheit der Migrantenkinder als bereichernd gesehen, denn jene jungen Menschen bringen interessantes Fremdes in Form von Sprache, Kultur, Musik, Religion und vielen weiteren Bereichen.
Aus dem bereits hier Erarbeiteten sind die unterschiedlichen Ziele beider Pädagogiken klar ersichtlich. Die Ausländerpädagogik scheint den Begriff der „Integration“ mit dem der „Assimilation“ gleichzusetzen, denn das oberste Ziel war das Einfügen Jugendlicher in eine gewisse Zielkultur ohne Rücksicht auf die jeweils eigens mitgebrachte Kultur. Die Interkulturelle Erziehung hat hier weit aus idealistischere Ziele: in der Schule und in jeglicher anderer erzieherischer Institution soll eine Vorbereitung auf ein Leben in einer Umwelt vorbereitet werden, in der viele Kulturen und somit auch verschiedene Werte nebeneinander existieren. Es sollte also ein Weg zwischen mehreren Kulturen gefunden werden, statt wie während der Zeit der Ausländerpädagogik auf eine Kultur zu fokussieren. Somit wurden die deutschsprachigen Schüler genauso in den Prozess der Integration einbezogen wie ihre anderssprachigen Kollegen.
Das letzte große Unterscheidungskriterium ist das vorherrschende Gesellschaftsmodell. In der Phase der Ausländerpädagogik wurde die Gesellschaft als große, umfassende Gemeinschaft verstanden, und nicht die Gesellschaft und ihre Institutionen sollten verändert werden, sondern die einzelnen Individuen sollten eben an diese Vorstellungen angepasst werden. Die Interkulturelle Erziehung verstand nun aber unter Gesellschaft eine Gemeinschaft, die sich aus vielen unterschiedlichen kleineren ethnischen Gruppierungen zusammensetzt. Sie zielte somit auf eine grundlegende Veränderung der Schule und aller erzieherischen Einrichtungen ab, bestärkt durch den Fakt des großen schulischen Misserfolges vieler Migrantenkinder während der Periode der Ausländerpädagogik.

Interkulturelle Erziehung

Ich möchte noch genauer auf das Thema der Interkulturellen Bildung eingehen. Anknüpfen möchte ich hierbei an die Phase der Ausländerpädagogik welcher jener eine eindeutig hohe Rate von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache vorlag, die mit Versagen in der Schule zu kämpfen hatten.
Als Erklärung wurde ein Gemeinplatz formuliert: „Kulturkonflikt“ und „Migrantenkind“ waren dabei Schlagwörter. Es entstanden selbsterklärende Wortwendungen die keiner weiteren Ausführung bedurften. Man sprach von Migrantenkindern und somit schien sich von selbst zu erklären, warum sie sich in der Schule so schwer taten. Es machte den Anschein, als würden sich pädagogische Institutionen hinter diesen Allgemeinposten verstecken. Es wurden nämlich die Gründe des Versagens der Schüler nicht etwa bei der Institution Schule selbst gesucht, auf Grund der Unterrichtsmethoden vermutet, oder dem pädagogischen Personal angerechnet, sondern die Gründe wurden immer bei den Kindern selbst und ihren Familien gesucht.
Als Gründe für das schulische Versagen von Kindern mit nicht deutscher Muttersprache wurden Gründe genannt wie geringes Interesse und mangelhafte Unterstützung von Seiten der Eltern der Migrantenkinder, beispielsweise durch seltenes Erscheinen bei Elternabenden oder das Untersagen der Teilnahme an Schulausflügen oder dem Schwimmunterricht bei Mädchen. Oftmals wurde während der Phase der Ausländerpädagogik auch das unentschuldigte lange Fehlen der Kinder als Ursache ihres Versagens genannt oder lange Aufenthalte im Heimatland ohne dass die Schule informiert wurde. Die Schulen verwiesen auf den angeblich fehlenden Willen zur Integration in die Klasse. Die Kinder wären durch Medien ihres Heimatlandes beeinflusst gewesen und somit nicht vollständig in die neue Kultur integrierbar. Außerdem wurden damals die Sprachprobleme als entscheidende Ursache für schulisches Versagen gesehen und den Migrantenkindern wurde mangelnder Wille zur Teilnahme an Fördermaßnahmen vorgeworfen. Man empfand die jungen Menschen als zwischen zwei Kulturen stehend und es schien so, als könnten sie sich mit keiner von beiden wirklich identifizieren.
Bald wurde aber klar, dass die Gründe für das Versagen in der Schule nicht ausschließlich bei den Kindern selbst und deren Lebensumständen gesucht werden durften. Der Weg hin zur Interkulturellen Erziehung wurde begonnen, indem im Unterschied zur Ausländerpädagogik die Unterrichtsmethoden hinterfragt wurden, die Fähigkeiten des pädagogischen Personals kritisch beobachtet wurden und an der Institution Schule selbst Kritik geübt wurde.
Man erkannte Interkulturelle Kompetenz als Schlüsselqualifikation in der Kinder– und Jugendarbeit. ( Jehle/Kammerer/Unbehaun Hrsg., 2004; S. 81) Wenn man eine gelingende Kommunikation zwischen Menschen mit verschiedenen Kulturen und Traditionen herstellen möchte, dann kann man nicht ohne interkulturelle Kompetenz auskommen, denn sie ist maßgeblich am Gelingen von zwischenmenschlichen Begegnungen beteiligt. Diese Kompetenz, dieses Gespür für das Gegenüber und das Verständnis für Reaktionen ist aber keinesfalls von vornherein gegeben. Erst durch das Sammeln von Erfahrungen, die Begegnung mit den verschiedensten Menschen, und die Bereitschaft, sich auch auf Konflikte einzulassen, entsteht eine interkulturelle Kompetenz.
Dabei gilt es zu beachten, dass interkulturelle Kompetenz nicht nur mit Hintergrundwissen über Kultur, Religion etc. zu tun hat und es auch nicht genügt, zusätzlich die Sprache des Anderen zu beherrschen. Ein sehr wesentlicher – kulturunspezifischer – Faktor ist die Haltung, die man dem Anderen gegenüber einnimmt: Eine den Anderen in seiner Art zu sein annehmende und respektierende Haltung, die weder einer herablassenden, abwertenden Behandlung Raum gibt, noch eine Art Bittstellertum zulässt. (Jehle/Kammerer/Unbehaun Hrsg., 2004; S. 87).
Diese Fähigkeit der interkulturellen Kompetenz sollte pädagogisches Personal im Umgang mit Kindern und Jugendlichen vorweisen, sie sollte im Zuge der Interkulturellen Erziehung als Voraussetzung angesehen werden. Diese fachliche Kompetenz sollte sich auch im schulischen Unterricht niederschlagen, wobei die Bereitstellung der Voraussetzungen der interkulturellen Erziehung in der Institution Schule so rasch wie möglich von der Phase der Ausländerpädagogik hin zur Interkulturellen Bildung gegeben sein sollten. Meltem Avci-Werning nennt in ihrem Buch folgende Bedingungen, damit interkulturelle Arbeit in der Schule wirkungsvoll geschehen kann:

  1. Akzeptanz von Interkultureller Erziehung
  2. Positiver sozialer Kontext
  3. Zusätzliches Personal für z.B. Community Education (Öffnung der Schule)
  4. Sachmittel
  5. Ausbildung/Fort- und Weiterbildung der Lehrkräfte
  6. Supervision der Lehrkräfte
  7. Wahrnehmung von und angemessener Umgang mit Heterogenität
  8. Positives Schulklima
  9. Soziale Unterstützung (Die jeweilige kulturelle Identität muss berücksichtigt werden)
  10. Abbau von Institutioneller Diskriminierung (Meltem Avci-Werning, 2004; S.38/39)

Sind diese Faktoren gegeben, kann interkulturelle Arbeit im Unterricht beginnen.

Interkulturelles Lernen am Beispiel des Geschichtsunterrichts

Ein kurzer Überblick soll nun zum Thema des interkulturellen Unterrichts im Fach Geschichte und Sozialkunde gegeben werden.
Für den interkulturellen Geschichtsunterricht sind besonders jene Themenbereiche interessant, die eine direkte Konfrontation von Kulturen beinhalten, Unterschiede aufzeigen, aber auch Vergleiche zulassen und Ähnlichkeiten aufzeigen. Beispielsweise zählen dazu die Türkenkriege oder die christlichen Kreuzzüge. Egal um welchen Konflikt es sich handelt; in vielen Geschichtsbüchern wird immer noch unterschwellig Partei für eine Seite ergriffen. Die eigene Kultur wird den Kindern indirekt näher gebracht als das Fremde, was eine natürliche Distanzierung von anderen Kulturen hervorruft. Auch wenn versucht wird, dem im Zuge des Aufschwungs der interkulturellen Erziehung entgegenzuwirken, wird immer noch zu wenig über beide Seiten eines Konflikts aufgezeigt. Beim Thema „Imperialismus“ herrscht immer noch die eurozentristische Sichtweise vor. Der afrikanische Kontinent findet erst unser Interesse, als er zum Objekt der „Entdeckung“ wurde. (Gauß/Harasek/Lau, 1995; S.80)
Der interkulturelle Geschichtsunterricht möchte nun aber nicht mehr – und sei es auch unbeabsichtigt – Partei für eine Seite einer Auseinandersetzung, ein Volk oder individuelle Personen ergreifen, er möchte vielmehr kritische Reflexion der Vergangenheit üben. Er möchte sich nicht nur einer Sichtweise hingeben, er möchte überblicken und durchleuchten. Der interkulturelle Unterricht allgemein bemängelt die Realitätsferne des schulischen Vortrags, er wirke zu farblos und uninteressant in seiner Gestaltung und lasse die Jugendlichen keine Verbindung zur Realität erkennen. Durch verschiedene Sichtweisen soll die Komplexität verschiedener Themen aufgezeigt werden, denn das Einfühlen in andere Personen und fremde Kulturen soll einen bedeutenden Punkt des interkulturellen Geschichtsunterrichts darstellen.
Das Verstehen des Fremden soll gefördert werden, denn dem interkulturell geschulten Pädagogen und Lehrer ist klar, dass Menschen je nach ihrem gesellschaftlichen und politischen Standort die Welt unter anderen Kategorien sehen, andere Verbündete und andere Gegner haben, und daß solche Linien, die Zugehöriges und Fremdes oder Feindliches trennen, nicht ein für allemal starr bleiben, weder innerhalb unserer eigenen, noch in einer fremden Gesellschaft. (Gauß/Harasek/Lau, 1995; S.81) Wenn nun diese Fähigkeit – die Fähigkeit des Verstehens der Handlungen und Gedanken anderer Menschen – bei den Schülern gegeben ist, dann ist ein Kernpunkt der interkulturellen Bildung gewährleistet.
Denn nun kann auch ein besseres Verständnis beispielsweise für andere Jugendliche in der Klasse mit anderem kulturellen Hintergrund erwartet werden. Problematisch ist hier jedoch der Umstand, dass auf Grund des geradezu gigantischen Umfangs eine gewisse Oberflächlichkeit in der Vorstellung des Stoffs nicht vermieden werden kann. Jedoch gilt in der interkulturellen Erziehung die Annahme, dass Themen, zu denen Erfahrungen aus dem Alltag verschiedener Kulturen von den Schülern selbst eingebracht werden können, weitaus förderlicher als das bloße aneinander reihen von Zahlen und Fakten. Besonders im Fach Geschichte und Sozialkunde gilt, dass die gewählten Themen im Rahmen des Unterrichts einen Bezug zum Erfahrungsschatz der Kinder aufweisen sollten, um ihr Verständnis zu fördern und das Interesse am Stoff aufrecht zu erhalten.
Weiters will der interkulturelle Geschichtsunterricht Leistungen anderer Kulturen aufdecken und somit Verständnis und Respekt unter den Kindern fördern. Hier soll auch vom regulären Frontalunterricht durch den Lehrer abgewichen werden – wie es nicht nur für den Interkulturellen Unterricht in Bezug auf das Fach Geschichte und Sozialkunde gilt, sondern für alle Fächer – und jedes einzelne Kind soll in die Gestaltung der Stunde mit einbezogen werden. Die Kinder sollen vom passiven Zuhören hin zu eigenständiger Arbeit gelenkt werden. Dies kann mittels Zusammensetzten von Lernpuzzles […], verschiedenen Lernspiele wie Bingo, Memory und Domino geschehen. […] In der Montessori-Pädagogik wird der Begriff der „Vorbereiteten Umgebung“ verwendet, womit u.a. die Bereitstellung von didaktischen Materialien in Regalen gemeint ist. Für die Anwendung im Geschichtsunterricht müssten diese Materialien zuerst in einem Sesselkreis vorgestellt werden und auf das zu bearbeitende Thema bezogen sein. (Gauß/Harasek/Lau, 1995; S. 83)
Aber auch die Variante des Rollenspiels wird für die Förderung des gegenseitigen Verständnisses genutzt.

Die Ausbildung der Fähigkeit des Verständnisses für andere Menschen und Kulturen und die Möglichkeit sich in sie und ihre Situation hineinzuversetzen sollen nicht nur als Ziel des Geschichtsunterrichts angestrebt werden, sondern sind die leitenden Motivationen des Unterrichts überhaupt. Denn interkulturelles Lernen bedingt die Berücksichtigung/Einbeziehung der soziokulturellen Situation der Kinder. Jeder ist Individuum und Sozialwesen zugleich. Das bedeutend einerseits die Entfaltung individueller Fähigkeiten, Urteilsfähigkeit, Selbststeuerung usw., andererseits werden die Heranwachsenden angehalten, gültige Werte und Normen in einer Gruppe/Gesellschaft zu akzeptieren und sich entsprechende Verhaltensmuster anzueignen. (Gauß/Harasek/Lau, 1995; S. 275)

Fallbeispiel zum Interkulturellen Lernen

Nachdem das Thema des interkulturellen Erziehens im Allgemeinen und auf den Gegenstand Geschichte und Sozialkunde behandelt wurde, möchte ich noch ein Projekt einer Schule zum Thema der Interkulturellen Bildung anführen.
Projektarbeit ist im interkulturellen Bereich eine wichtige Komponente, denn es geht wie im interkulturellen Lernen erwünscht um themenbezogenes Lernen. (Meltem Avci-Werning, 2004; S.34) Mit dieser Form der Unterrichtsgestaltung lernen die Schüler anhand konkreter Themen, die gezielt bearbeitet werden, andere Länder bzw. Menschen aus anderen Ländern kennen. (Meltem Avci-Werning, 2004; S.34)
Bezug nehmen möchte ich hier auf ein Projekt, das zum Thema Interkulturelles Lernen in einer Volkschule in Oberösterreich im Zeitraum von 1999 bis 2001 durchgeführt wurde. An diesem Beispiel kann kurz gezeigt werden, was im Rahmen der interkulturellen Erziehung die Zielsetzungen sind und wie sie erreicht werden können.
Einbezogen wurde die gesamte Schülerschaft und es war erwünscht, zu den unterschiedlichsten Themen gemeinsame Arbeit zu leisten. Anlass für das Projekt war die Gegenwart mehrerer Schüler mit einer anderen Erstsprache als Deutsch und der Wille zur Förderung besserer Beziehungen zwischen den Kindern.
Es gab Veranstaltungen, Vorträge und Arbeiten zu den Themen Indien, Amerika und die Kultur der Ureinwohner, Afrika und auch das Land Türkei wurde in die Arbeiten einbezogen. Geleitet wurde das Projekt von zwei Lehrerinnen und der Schulleiterin, und überdies unterstützt von den Eltern der Schüler. Beispielsweise bereitete eine Mutter mit den Kindern türkisches Essen zu. Unter Bezugnahme auf das Thema Islam fand ein gemeinsamer Ausflug in eine Moschee statt.
Das Schulprojekt hatte erkennbar positive Auswirkungen: Die Kinder waren begeistert von den Begegnungen mit den unterschiedlichen Leuten, sie waren aktiv an der Gestaltung des Unterrichts beteiligt, übernahmen selbstständige Aufgaben. Auch die Eltern konnten gut einbezogen werden und knüpften guten Kontakt zum Lehrpersonal und den Mitschülern ihrer Kinder.

Bibliographie

Vergleich der Ausländerpädagogik und der Interkulturellen Erziehung

  • Diehm/Radtke (1999): Erziehung und Migration. Eine Einführung.– Stuttgart;Berlin;Köln: Kohlhammer
  • Elisabeth Michalek (2002): Deutsch als Zweitsprache und Interkulturelles Lernen. Analyse in Österreich approbierter DAZ-Lehrwerke für die Zielgruppe Migrantenkinder.- Wien
  • Meltem Avci-Werning (2004): Prävention ethnischer Konflikte in der Schule. Ein Unterrichtsprogramm zur Verbesserung interkultureller Beziehungen.- Münster: Waxmann Verlag

Interkulturelle Erziehung

  • Meltem Avci-Werning (2004): Prävention ethnischer Konflikte in der Schule. Ein Unterrichtsprogramm zur Verbesserung interkultureller Beziehungen. Waxmann Verlag
  • Bernhard Jehle u.a. (Hg.) (2004): Migration – Integration –Interkulturelle Arbeit. Chancen und Perspektiven der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen (mit Fachbibliografie). Nürnberg, emwe-Verlag.
  • Gauß, Rainer u.a. (Hg.) (1995): Interkulturelle Bildung. Lernen kennt keine Grenzen. Wien, Verlag Jugend & Volk.

Weiterführende Links


                                                                 Autorin: Nora Ableitinger (2007)

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