Elternarbeit (JsB - Migration)

Aus Philo Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche

Die Rolle von Eltern mit Migrationshintergrund in Bezug auf die schulischen Leistungen ihrer Kinder

Zurück zur Übersicht - Jugend und Migration
Zurück zur Übersicht - Migrantenkinder und das Bildungssystem

Elternarbeit in der Schule

Die nur mangelhafte Unterstützung durch das Elternhaus und die schlechte Zusammenarbeit zwischen Eltern mit Migrationshintergrund (EmM) und den Schulen, sind zwei Faktoren, die immer wieder zur Erklärung für die bestrittende Chancengleichheit innerhalb des deutschen und österreichischen Bildungssystems herangezogen werden. In der Literatur wird immer wieder bemängelt, dass die zu Beginn der Schulzeit bestehenden Unterschiede in den kognitiven und affektiven Lernvoraussetzungen nicht kleiner sondern größer werden, da die Schüler, die von den Eltern viel Förderung erhalten, die Lernchancen besser nutzen können als andere, die weniger unterstützende Eltern haben ( Krumm, 1995, In: Textor, 2007) Desweiteren wird die Bedeutung der schulischen Unterstützung durch die Eltern und von Elternarbeit an der Schule in vielen Berichten der Praxis bestätigt. Zudem auch von einer Längsschnittstudie aus Kanada. Laut dieser kann eine gezielte Förderung der Eltern sogar dazu führen, dass selbst Kinder aus Risikofamilien ähnliche Entwicklungswerte, wie die Kinder aus Nicht-Risikofamilien erlangen. (Miedaner, 2004) Eine Studie von Werner Sacher 2006 zeigt jedoch auch auf, dass sich neben einem niedrigen Sozialen Status die Geburt der Mutter und des Vaters im Ausland negativ auf die Beziehung zwischen Elternhaus und Schule auswirken. Im Ausland geborene Eltern rufen Lehrkräfte weniger häufig an oder sprechen sie bei zufälligen Begegnungen an. Und ziehen aus solchen Gesprächen auch einen geringeren Nutzen, als in Deutschland geborenen Eltern.

Momentane Situation

Lehrer berichten immer wieder davon, wie schwer es ist mit Eltern von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund Kontakt aufzunehmen und aufkommende Probleme zu besprechen(Unbehaun, 1998). Die Kommunikationsversuche zwischen Eltern mit Migrationshintergrund und den Schulen beschränkt sich meistens auf drei traditionelle Formen:
a) Elternabende, die ein- bis zweimal im Jahr stattfinden
b) die Mitwirkung von Eltern in Gremien, und
c) individuelle Kontakte, wie z.B. Beratungsgespräch (Miedaner, 2004)

Eine Studie die im Rahmen einer begleitenden Forschung zum Modellprojekt zum türkischem Unterricht in der Schule durchgeführt wurde, dokumentiert die Lage. Rund 80% der Lehrer dieser bayrischen Schule hatten das Gefühl durch Elternsprechabende nur 40% oder weniger der gesamten Elternschaft zu erreichen. Ähnlich sieht die Situation bei der persönlichen Beratung aus. Mehr als ein fünftel der Lehrer gaben an nie ein Elterngespräch geführt zu haben. Knapp zwei Fünftel der Lehrer behaupteten einmal im Monat von Eltern im Rahmen eines Beratungsgespräches aufgesucht zu werden. Bei einem weiteren Fünftel der Lehrer war dies weniger als einmal im Monat der Fall, bei einem anderen Fünftel mehr als einmal im Monat (Unbehaun, 1998). Zu der Vertretung der Eltern in Gremien an der Schule konnten leider keine konkreten Statistiken gefunden werden. Jedoch wird in Berichten aus der Praxis immer wieder die geringe Repräsentanz von EmM in schulischen Gremien bemängelt und die daraus resultierenden eingeschränkten Möglichkeiten Interkulturelle Interessen in die Schulentwicklung mit einzubeziehen. (Miedaner, 2004, Schulentwicklungsforschung, 1993,Avic-Werning, 2004) Eine Studie von Werner Sacher 2006 hat dieses Problem empirisch festgehalten. Neben einem niedrigen sozialen Status, wirkt sich die Geburt der Mutter und des Vaters im Ausland negativ auf die Beziehung zwischen Elternhaus und Schule aus. Im Ausland geborene Eltern rufen Lehrkräfte weniger häufig an oder sprechen sie bei zufälligen Begegnungen an. Und ziehen aus solchen Gesprächen auch einen geringeren Nutzen, als in Deutschland geborenen Eltern.

Erklärungsversuche der Momentanen Situation

Eine häufig vertretene Annahme, die zur Erklärung von Schwierigkeiten bei der Elternarbeit mit EmM auf Seiten der Lehrer hinzugezogen wird ist, dass die EmM kein Interesse an den schulischen Leistungen ihrer Kinder haben. Dies kommt zum Beispiel in den folgenden Interviews mit Lehrern zum Ausdruck:

,, Anderseits haben sie auch kein Interesse. […] Aber viele Eltern haben auch immer noch nicht begriffen, was es bedeutet in der Hauptschule zu sein, oder auf andere Schulen zu gehen. Ich habe zusammen mit dem Direktor versucht, beim Elternabend aufzuklären, aber dies brachte nicht viel. Die meisten wollen, dass ihre Kinder nur bald Geld verdienen sollen, sie legen keinen Wert auf eine bessere Ausbildung.’’ (Unbehaun, 1998)

Diese Annahme der Lehrer, sollte jedoch kritisch hinterfragt werden. Ein auf kulturellen Faktoren basierendes Desinteresse der EmM ist empirisch nicht belegt und als alleiniger Erklärungsansatz wohl auch unbefriedigend.

Ein entscheidender Faktor für die schulische Laufbahn der Kinder sind die Sprachkenntnisse der Eltern. So beträgt der Anteil der Kinder von Eltern mit sehr guten Deutschkenntnissen, die zur Hauptschule gehen nur 47 %. Der Anteil der Kinder von Eltern mit schlechten oder gar keinen Deutschkenntnissen jedoch 77, 1%. Interessant ist bei dieser statistischen Untersuchung allerdings, dass wenn man die Migranten nach Nationalitäten aufteilt, dieser Effekt bei Türken, Jugoslawen und Italienern zu finden ist nicht jedoch bei den Griechen. (Alba, Handl, Müller, 1994) Weiter Faktoren, die das Verhalten der Eltern im Schulalltag beeinflussen könnten sind neben der Sprachbarriere zum Beispiel ein Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit auf Grund einer sehr geringen Integration, die Beeinträchtigung durch das Leben in der Fremde, Armut, oder Arbeitslosigkeit, Autoritätsängste, negative Erfahrungen während der eigenen Schulzeit, die Arroganz der Lehrer oder das Bildungsgefälle zwischen Lehrern und EmE sein (Miedaner, 2004). Ein ganz neuer interessanter Aspekt ist, dass auch die Art und Weise der Elternarbeit ein entscheidender Faktor dafür ist, ob Elternarbeit gelingt oder nicht und das nicht jeder Typ von Elternarbeit auf jede Elternschaft passt. So stellt Werner Sacher 2006 in Forschungen in Bayern fest, dass der Effekt vom Einholen von Elternfeedback zwar bei Elternschaften mit einem hohen Unterschichtskontext zur einer Verbesserung der Gesprächskultur an der Schule führte, dies jedoch nicht der Fall bei einer Elternschaft mit sehr hohem Migrationshintergrund ist.

Abbildung 1:

Abbildung1.jpg

Genau andersherum war der Effekt bei den Ausstellungen von Schülerarbeiten. Hier lässt sich ein positiver Effekt auf die Gesprächskultur an der Schule nur bei einer Elternschaft mit hohem Migrationshintergrund feststellen. Je größer der Anteil der Migranten in der Elternschaft desto stärker wirkt sich der Effekt aus. Bei einer Elternschaft, bei der nur etwa ein Drittel einem Unterschichtskontext zu zuordnen ist, ist der Effekt durchaus noch positiv, während dies nicht mehr der Fall ist, sobald der Anteil der Eltern, die aus Unterschichtskontexten kommen, mehr als ein Drittel der Elternschaft beträgt.

Abbildung 2:

Abbildung2.jpg

Um von diesem Ergebniss auf Maßnahmen für die Praxis zu schließen wäre es noch zu früh. Doch die These, dass jede Schule ein System zur Eltern Schüler Kooperation entwickeln muss, das ganz spezifisch auf die an der Schule vertretene Elternschaft abgestimmt ist, wird durch diese Forschungen stark gestützt.

Schule der Vielfalt - ein Beispiel gelungener Elternarbeit

Im Laufe der Zeit hat sich eine Vielzahl entwickelt, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Elternarbeit mit EmM zu verbessern. Ich möchte im Folgenden auf ein konkretes Beispiel eingehen, das viele verschieden Ansätze und Ideen zur Förderung der Elternarbeit mit EmM unter einem Dach zusammenbringt.

In der Grund- und Hauptschule Ostheim mit ihren 660 Schülern aus 72 Nationen hat in den letzten Jahren ein Sichtwechsel stattgefunden. Ganz im Sinne der Interkulturellen Pädagogik, wird Internationalität und Interkulturalität nicht mehr als Problem betrachtet, sondern als ganz besondere Chance. Stolz nennt die Schule sich heute Schule der Vielfalt. Das neue Konzept beinhaltet den Wunsch eine neue Schulgemeinschaft zu schaffen, in der Lehrer, Schüler, Eltern aber auch Vereine und einzelne engagierte Privatpersonen beteiligt sind. Eltern werden als wichtige Partner verstanden denen mit Empathie und Respekt zu begegnen ist. So werden schon bei der Anmeldung der Kinder in der Schule ausführliche Gespräche mit möglichst beiden Elternteilen geführt über Themen wie die Einschätzung der Eltern von den Fähigkeiten und Stärken des Kindes, seiner Position in der Familie, Wünsche, Hoffnungen, Ziel der Schullaufbahn etc. Hier bei ist es für die Schule der Vielfalt selbstverständlich einen Dolmetscher oder den Koordinator des jeweiligen muttersprachigen Elternvereins zur Überwindung von eventuellen sprachlichen Barrieren heranzuziehen. Die offenen Gespräche, die dem Kennen lernen dienen und unbelastet sind von Problemen und gegenseitigen Schuldzuschreibungen, schaffen eine Vertrauensebene und vermittelt den Eltern, dass ihre Mitarbeit für wichtig erachtet wird. Auf Seiten der Schule hingegen wird durch Zuhören, Beobachten und Nachfragen, die interkulturelle Feinfühligkeit und Kommunikationsfähigkeit verbessert. Neben individuellen Gesprächen wird großer Wert darauf gelegt die Eltern durch Sprachgruppen spezifische Elternvereine in die Gestaltung der Schule mit einzubinden. So können sie ihre Interessen, wie zum Beispiel die Einführung von Muttersprachföderung fordern oder einen gegebenen Vorschlag von der Schulleitung kritisch beleuchten. Aber auch das Projekt ,, Mama lern deutsch’’, dass direkt in der Schule angeboten wird und auf das die Eltern schon bei der Anmeldung aufmerksam gemacht werden, stärkt Kontakt und Austausch. Zudem kommt das Elternbildungsabende in russisch, türkisch, griechisch, italienisch und deutsch angeboten werden, Eltern beim Aufbau einer mehrsprachigen Bibliothek helfen und die Schule eng mit Elternseminaren der Stadt Stuttgart zusammenarbeitet. In diesen muttersprachigen Seminaren lernen Eltern zum Beispiel über das deutsche Schulsystem und die Schulpflicht, den Umgang mit Hausaufgaben oder Entschuldigungen bei Fehlzeiten. (Greth, 2006)

Anmerkungen zum Forschungstand

Beim betrachten des Forschungstandes zu diesem Thema muss kritisch unterschieden werden zwischen Untersuchen, die direkt die Situationen aus Perspektive der Eltern mit Migration untersuchen und den Studien, die die Situation aus der Schul- bzw. Lehrerperspektive beleuchten. Des Weiteren ist festzustellen, dass sich die meiste Literatur zu dem Thema auf Berichte aus der Praxis stützt. Empirische Untersuchungen sind eher eine Seltenheit.

Bibliographie

  • Avic-Werning, M. (2004): Prävention ethnischer Konflikte in der Schule. Münster: Waxman.
  • Alba, R., Handl, J. u. Müller ,W. (1994): Ethnische Ungleichheit im deutschen Bildungssystem. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Jg.46, Heft 2, S.209-237.
  • Greth, G. (2006): Bildungsarbeit im Einwandererviertel: Erfahrungsbericht aus der Grund- und Hauptschule Ostheim Stuttgart. Internationale Schulbuchforschung, Heft 28, S.417-426.
  • Krumm, V. (1995): Über die Vernachlässigung der Eltern durch Lehrer und Erziehungswissenschaft. Plädoyer für eine veränderte Rolle der Lehrer bei der Erziehung der Kinder. Manuskript. Universität Salzburg.
  • Miedaner, L. (2004): Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen Schule und Elternhäusern mit Migrationshintergrund. Theorie der Praxis und Sozialen Arbeit, Heft 3,S. 39-46.
  • Sacher, W. (2006): Einflüsse der Sozialschicht und des Mirgationsstatus auf das Verhältnis zwischen Elternhaus und Schule. Nürnberg: Sun.
  • Schulentwicklungsforschung (1993): Öffnung der Schule und Interkulturelle Erziehung in Frankfurt am Main - Forschungsbericht und Tagungsdokumentation. Dortmund, IFS- Werkheft.


                             Autorin: Nicola Brisch (2007)

Zurück zur Übersicht - Jugend und Migration
Zurück zur Übersicht - Migrantenkinder und das Bildungssystem