Benutzer:Grisu/SS09-BuD-E09-05-06-09

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Bildung und Datenbanken – Transkript der 9. VO vom 5.6.2009

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Zum Ablauf der Vorlesung

Ich grüße Sie. Sie sehen hier das, was noch aussteht in diesem Semester. Ich habe das letzte Mal über Hegel gesprochen. Zu Beginn haben wir noch über Datenbanken gesprochen im Zusammenhang mit Wissensgesellschaft und entsprechenden institutionellen und sozialen Implikationen. Ich habe auch kurz angefangen etwas über Heidegger zu erzählen. Das wird die Hauptthematik dieser Veranstaltung sein. Ich habe des weiteren Ihnen auch hier (bzw. hier) schon einen Unterpunkt zu Heidegger, Sokrates, Platon eingeschaltet. Das ist ein Ausschnitt eines Textes, den ich vor einiger Zeit geschrieben und vorgetragen habe. Da werde ich vielleicht noch darauf kommen. Im Großen und Ganzen werden Sie das vermutlich sinnvollerweise selber lesen. Die Idee dahinter ist, dass Sie auch ein bisschen etwas von meiner Einstellung zu dem Sokrates-Platon-Problemkreis schriftlich haben. Weil das ja doch Themen betrifft, die ich die ganze Zeit hier angesprochen habe. Nächstes Mal gibt es noch eine Session Tactatus/Informatik/Datenbanken. Da habe ich Ihnen vorläufig schon einmal Ausschnitte vom Text von Heinz Zemanek ins Netz gestellt: Über die Ursprünge der Informatik im Wiener Kreis. Das habe ich noch nicht korrigiert. Es muss noch ein bisschen verschönt und ausgestaltet werden. Ich werde an der Stelle auch noch zum Ausprobieren ein bisschen genauere Details dann zur Anschauung bringen; dafür wie solche Skripts aussehen, mit denen Datenbanken erzeugt werden. Das wird ein zweiter Blick hinter die Kulissen der Tabellen sein, die ich Ihnen im Laufe der Vorlesung schon vorgetragen habe. Und in der letzten Sitzung komme ich dann noch einmal zurück wie angekündigt auf Wittgenstein – diesmal auf den späteren Wittgenstein – und werde Ihnen an dieser Stelle auch noch einmal orientiert an den Fragestellungen, die wir durchgegangen sind, eine generelle philosophische Auffassung zur Frage von Formen, Bildern, Urbildern, aller dieser platonischen Fragestellungen geben, die nicht direkt auch Datenbanken bezogen ist, aber die auf die Themen reagiert – vor allem auf die Themen, die wir heute im Zusammenhang mit Heidegger erörtern werden.

Eine Vorschau: Humanismus, Heidegger und Obama – was beim Höhlengleichnis schief lief

Das habe ich Ihnen auch bereits das letzte Mal angekündigt und noch einmal in Erinnerung gerufen, dass der Humanismus eine zentrale Kategorie im Selbstverständnis der gebildeten, europäischen traditionsbewussten Gesellschaftseliten ist – und Nida-Rümelin mit seiner Aufsatzsammlung ist ein schönes Beispiel dafür, wie Humanismus in den Vordergrund gestellt wird. Ich habe Ihnen hier auch eine Rezension von Hrn. Arnswald angegeben, in der das noch einmal sehr schön deutlich wird, um sie einzustimmen in einen Sprachduktus, der dem Bildungsideal klassischer Provenienz von dem ich wie auch schon zwei, drei Mal angedeutet nicht mehr wirklich weiß, wie weit es bis zu Ihnen sozusagen durchgedrungen ist. Ich sehe auch unterschiedliche Alterskategorien. Meine Beispiele vom letzten Mal werden vermutlich die Älteren von Ihnen leichter verstehen als die Jüngeren. Da wäre ich auf Diskussion angewiesen und auf Beiträge von Ihnen, wie weit das noch zu Ihnen gedrungen ist. Das ist deswegen wichtig, diese Bemerkung, weil was ich Ihnen jetzt von Heidegger darstellen möchte, ist etwas durchaus Revolutionäres. Heidegger ist in all seiner Beschaulichkeit, Betulichkeit mit all den extrem konservativen Attitüden, – und konservativ ist er an der Stelle sozusagen freundlich gesagt, um nicht reaktionär zu sagen – auf die ich nicht im Einzelnen eingehe, ist er ein dramatischer Revolutionär in der Geschichte der Philosophie. Ganz abgesehen davon wie man das mit politischen Kategorien belegen möchte. Er ist jemand – und das ist das wichtige beim Ausgehen von diesem Humanismus-Begriff – er ist jemand, der die gebräuchliche Rede davon, dass es doch um den Menschen geht – wenn sie sich die Rede von Barack Obama gestern in Kairo angehört haben, dann ist an der Stelle geradezu sozusagen paradigmatisch und auch nachvollziehbar wichtig, eine Geste der Aufklärung – das will ich an der Stelle vielleicht kurz einschieben – eine Geste der Aufklärung und der Menschlichkeit jenseits z. B. der verschieden kulturellen und religiösen Traditionen durchgeschienen, die geradezu das zentrale Motiv der europäischen Tradition ist – also zentraler und nachvollziehbarer und mit einem sympathischeren Angesicht als das Obama gestern gemacht hat – praktisch eine Wiederauflage der Ringparabel von Lessing. Das muss man sich ja wirklich vorstellen: Soweit kommt es, dass sich der schwarze Präsident der Vereinigten Staaten hinstellt und dann aus dem Talmud, aus dem Koran und aus der Bibel zitiert, um daran zu appellieren, dass alle Menschen, wenn sie auch unterschiedliche Vorstellungen von Gott haben, doch als Menschen die selben sind und als Mensch, die gemeinsame Zivilisation zu behüten haben. Das sage ich Ihnen jetzt alles, um möglichst plastisch und attraktiv zu machen, wie diese humanistische Tradition gewirkt hat und noch immer wirken kann. Und Heidegger als Reaktionär ist derjenige, der sagt: „Humanismus ist ein Begriff, von dem wir uns verabschieden müssen; der Mensch ist eine Kategorie, die wir nicht in den Mund nehmen dürfen; wir müssen das Ganze anders angehen; das ist seit Platon schief gegangen.“ Er sagt es in anderen Worte, aber das ist der Hintergrund, den er sagt. Was ich Ihnen heute darstellen möchte, ist die hoch phantasievolle, anspruchsvolle, spekulative gedankliche Bewegung, mit der Heidegger vom Höhlengleichnis ausgeht, d. h. vom Standard-Beispiel des Bildungsgedankens, um dort zu demonstrieren, dass schon in diesem Höhlengleichnis etwas schief gegangen ist, was letztlich dazu geführt hat, dass die Möglichkeiten der Menschlichkeit – und Menschlichkeit ist jetzt die Möglichkeit des Bildungsprozesses der Menschen in der abendländischen Tradition – in eine falsche Richtung geführt haben. Und diese falsche Richtung, die ist dazu zu verwenden, – die zeigt er deswegen auf – um darauf hinzuweisen, dass wir einen neuen Anfang des Denkens brauchen. Nach den zweieinhalb Tausend Jahren europäischer Geschichte und das wundert mich, wenn ich darüber nachdenke. Zum Teil wundert es mich noch immer. Ich hab es zum Teil nie verstanden aber zum Teil ist es sehr verständlich, warum das so extrem effektiv und wirksam geworden ist, wenn jemand kommt und sagt: „Wir müssen jetzt die gedanklichen Bewegungen, die wir zweieinhalb Tausend Jahre verfolgt haben aufgeben und aufhören damit und etwas anderes tun.“ Dann, wenn ich Ihnen das so einfach sage, wenn sie das irgendwo lesen, werden sie sich möglicherweise denken: Was ist denn da los; das kling ein bisschen spinnig, nicht wahr?! Wie eine Mischung aus spinnig und Werbestrategie, nicht?! In der Werbestrategie kennt man das auch so: Das absolut Neue; Sie haben es noch nie gesehen; hier haben Sie ein Angebot, das müssen sie kaufen, dann werden Sie etwas sehen, was Sie noch nie gesehen haben – so klingt das. Und das ist aber extrem wirksam geworden. Ich rede jetzt gar nicht von Heidegger, der sozusagen ein Zentralpunkt des 20. Jahrhunderts ist. Ich nenne ihnen zwei Personen, Philosophen, die zu sagen wir einmal 80% auf dem Boden dieser heideggerianischen Gedankengänge stehen und das sind Jacques Derrida und Michel Foucault. Die haben die Gedankenführung aufgenommen, deren Anfang ich Ihnen heute darstellen möchte und haben das umgedreht, haben es aus dem reaktionären Bereich, aus dem grübelnden philosophiegeschichtlichen Bereich hinübergewendet in eine neue Form Geschichte, Geschichte der Macht, Geschichte der Entrechteten, Geschichte der Ausgeschlossenen zu schreiben, die in der Philosophie mittlerweile unumgänglich ist, die sie kennen lernen können und müssen, und die schlicht und einfach aufbaut auf dieser Geste, die Heidegger hier macht. Was der Grund dafür ist, dass ich jetzt in meiner Vorlesung über Bildung und Datenbanken an diese Sache herankomme ist, dass sich, wenn man den Text von Heidegger, den ich zugrunde lege, genau ansieht, sehr überraschend deutlich wird, dass einer der zentralen Anknüpfungs- und Kritikpunkte von Heidegger genau an den Formen, an den εἶδος (eidos) von Platon liegt. Und da haben sie ein Schlüsselwort in Erinnerung an das, was ich Ihnen bisher gesagt habe. Ich habe längere Zeit damit verwendet, Ihnen die Ideen von Platon in ihrer Sonderstellung, in ihrer Meisterposition darzustellen, das zu verbinden mit der höchsten Abstraktion, die wir als Vernunftwesen erreichen können und wollen; und ich habe Ihnen die platonischen Ideen dann in Beziehung gesetzt zu den Tractatus-Ideen von Wittgenstein, um Ihnen zu zeigen, dass es hier eine direkte Verbindung gibt, die sozusagen die Effektivität, die Erfolgsstory der Ideen-Einflüsse, der Konstitution von Typologien, die es bei Platon gibt – so etwas wie die Idee der Gerechtigkeit, es gibt aber auch, an zugegebenermaßen selteneren Stellen, die Idee des Bettes, die Idee eines Dings – und ich habe Ihnen das korreliert mit den im Tractatus vorkommenden Urbildern und ich habe diese Urbilder wiederum in Beziehung gesetzt zu den Datentypen in den entsprechende Tabellen, die wir uns kurz angeschaut haben. Und das rufe ich Ihnen in Erinnerung aus dem Grund, um Ihnen deutlich zu machen, dass wenn Heidegger auftritt und in seiner Auslegung des Höhlengleichnisses die Attacke richtet genau gegen die Rolle der Ideen im Höhlengleichnis, dann ist Heidegger von der philosophischen Systematik an der selben Stelle, an der auch Wittgenstein nach dem Tractatus ist, nämlich als jemand, der sagt: Wir müssen uns von dieser Form von Typologie und Festschreibung, die damit zusammenhängt, dass wir die ganze Welt ordnen wollen und die Ordnung der ganzen Welt geschieht genau durch – ich nenn's jetzt mal nicht philosophisch, sondern informatisch – Datentypen; dass wir in informatisch schließbaren Zusammenhängen nur dann richtig operieren können, wenn wir in unseren Tabellen die nötigen Typen definieren und nach diesen Typen uns die entsprechenden Anfragemodelle vorstellen und in dem Maße, in dem Heidegger in die platonische Ursprungserzählung der Bildung eingreift und sagt: „Dort schon hat es eine Rolle von Ideen gegeben, die über die gesamte abendländische Geschichte hinweg dazu geführt haben, dass wir uns fixiert haben auf diese Form von Welteinteilung.“ Diese Form von Welteinteilung ist geradezu prädestiniert für das, was dann in der Datenbanktheorie gemacht worden ist. Wenn das so ist, dann haben wir hier den Punkt an dem wir mit der Tradition brechen müssen. Das, was ich vorher sozusagen leichte Spinnerei genannt habe, ist fundiert in einer Erfahrung – Heidegger würde jetzt sagen: „Erfahrung des Denkens“ – aber es geht nicht nur um Erfahrung des Denkens, sondern – ich werde dazu noch kurz etwas anderes sagen – aber Heidegger würde sagen: in der Erfahrung, dass der Titel von Heinz Zemanek, wenn ich den eben hier nochmal wiederholen kann: Der Ursprung der Informatik im Wiener Kreis, dass dieser Titel ernst zu nehmen ist, würde Heidegger sagen – ich spreche sozusagen ventriloquistisch für ihn. Tatsächlich ist die Informatik fundiert im Wiener Kreis und bei Wittgenstein aus den genannten Gründen. Da kommt die Informatik her. Insofern ist die Informatik ein Produkt der philosophischen Entwicklungsgeschichte des Abendlandes und insofern ist auch zu sagen, dass hier die Philosophie gefragt ist, herausgefordert ist, und dass die – das ist nun Heideggers Terminologie – ich komme zur Terminologie Heideggers diesbezüglich – von daher gesagt werden muss, dass die Gestalt der Technik – die zurückgeht auf das griechische Wort techné: Kunst, Handwerk, Fertigkeit – in der abendländischen Philosophie über den Tractatus in die Informatik hinein eine Bestimmung der Kultur produziert, die uns heute dazu gebracht hat, dass wir eine technik-, effizienz-, erfolgs- und ergebnisorientierte Zivilisation sind, in der es hauptsächlich darum geht, dass wir bestimmte Zwecke optimieren, maximieren, evaluieren, was immer Sie wollen. Und zu dieser – ich sagen Ihnen sozusagen schon eine Zusammenfassung der ganzen Sache – Situation, in der wir so drinstecken mit sämtliche Konsequenzen der Technik, zu dieser Situation, sich hinzustellen und zu sagen: „Wir müssen aber den Menschen im Blick behalten!“, sagt Heidegger jetzt – und das ist das Revolutionäre daran: „Das ist einfach nicht adäquat.“ Die Menschen sind an dieser Stelle schon so drinnen in dem Prozess, sie sind schon gefangen in dieser Form von technischer Zivilisation, dass jemand der sich hinstellt und sagt: „Denken wir doch an den Menschen!“, nicht mehr an das Problem herankommt, die Menschen sind an dieser Stelle schon eingekauft, wenn sie so wollen. Das ist sozusagen ein Licht auf den Titel Bildung und Datenbanken. Der Titel der Vorlesung gesehen aus dem, was ich Ihnen jetzt gerade gesagt habe, ist der, dass Heidegger sagen würde: „Bildung und Datenbanken sind keineswegs ein Gegensatz“. Es ist nicht so, dass auf der einen Seite die menschliche freie Entfaltung steht und auf der anderen Seite die technische Überfremdung von dem Ding, sondern Heideggers Idee könnte man so paraphrasieren, dass man sagt: „Bildung führt genau zu Datenbanken in einem Zusammenhang der selber zu hinterfragen ist.“

  • Kleine Nebenbemerkung: Wenn Sie im Internet recherchieren möchten über Bildung und Datenbanken – weil das doch etwas ist, was man heutzutage gerne tut oder als Einstieg wählt –, dann werden sie eine Überraschung erleben. Ich zumindest habe eine Überraschung erlebt. Ich weiß nicht, ob Sie damit rechnen würden, was Sie da finden. Ich habe auf eine ganz banale Art und Weise gedacht, da werde ich Leute finden, die etwas über Bildung und Datenbanken geschrieben haben auf irgendeine Art und Weise. Nein! Was sie finden werden, sind Datenbank-Server, die Bildungsgut enthalten: die Bildungsdatenbank, die Bildungswebsite, das Bildungsportal, was auch immer. Das ist das, was sie finden werden. Das ist ein Hinweis darauf, wie subtil eigentlich die Entwicklung der Technologien in denen wir drinnen sind auch schon unser ganzes Denken darüber bestimmt. Sie müssen echt kämpfen darum, wenn – das wird natürlich nicht der Fall sein, wenn Sie Bibliotheksrecherche machen – aber wenn Sie Google-Recherche machen, werden Sie aufgrund der Gegebenheiten der Technik, in der wir sind, einen Blick auf dieses Thema entwickeln, der schon auf eine Art und Weise vorgeprägt ist und zwar jetzt nicht – der Grund dafür ist jetzt natürlich nicht, dass Google an der Stelle täuscht oder schwindelt oder so was, sondern der Grund ist der, dass im Zeitalter des Internets die Institutionen der Bildung nichts besseres zu tun haben – neutral gesagt – als ihre Inhalte in den Bildungsdatenbanken zur Verfügung zu stellen, was wiederum, wie Heidegger sagen würde, genau das Problem ist.
  • Student: Wobei, wenn man recherchiert – die Datenbanken, die zur Verfügung stehen, nennen sich eher Wissensdatenbanken und nicht Bildungsdatenbanken. D. h. es steht nicht der Prozess der Bildung im Vordergrund, sondern das Ergebnis des Wissens.
  • Hrachovec: Ich hätte gerne, dass es ganz stimmt. Sie haben Recht. Der korrekte Ausdruck, den viele auch verwenden, ist „Wissensdatenbanken“, aber probieren sie's mal: „Bildungsdatenbanken“ kommt durchaus vielfach vor. Was noch viel deutlicher vorkommt, was an der Stelle ganz unüberwindlich ist, ist der Bildungsserver. Womit die Sache noch schlimmer wird, insofern noch schlimmer wird, als „to serve“ eigentlich ein Prozess ist. Was eigentlich heißt: Ich diene der Bildung. Bildungsserver ist eigentlich in einer Interpretation eine Instanz oder eine Funktion, die der Bildung dienen soll. Was es in Wirklichkeit ist, ist ein Webserver, der Bildungsmaterial enthält. Aber ihr Punkt ist schon ganz richtig.


Heidegger: Die Überwindung der Metaphysik

Die Erfahrung des Denkens

Ich habe jetzt noch etwas nachzuholen, im Zusammenhang mit meiner kleinen Barack-Obama-Nebenbemerkung. Ich habe gesagt, Heidegger würde sagen aus der Erfahrung des Denkens kommt es, dass wir diese Perspektive einnehmen, die ich Ihnen kurz skizziert habe. Diese Erfahrung des Denkens – schlagwortartig jetzt noch einmal, damit sie wissen, wo sie es sozusagen hinstellen sollen –, dieses Sich-Distanzieren von der gesamten Geschichte, die in den Bildungsdatenbanken endet, ist von Heidegger terminologisch festgelegt als „Überwindung der Metaphysik“. Metaphysik ist für Heidegger der Ausdruck, der diesen Prozess von Platon bis zur Informatik und zur Herrschaft der Technik charakterisiert. Das ist auch der Begriff, den Derrida im Prinzip aufgreift. Er nennt ihn ein bisschen schicker „Logozentrismus“. Das ist von der systematischen Konstruktion her ein netter und weniger verstaubter – es ist auch ein griechisch-lateinischer Ausdruck – aber er ist einfach ein bisschen schicker und moderner als Metaphysik. Es geht aber in beiden Fällen um einen solchen Sammel- und Überbegriff, der ins Auge rücken soll, dass es darum geht, davon wegzukommen und diese – der Terminus von Heidegger ist eben – „Überwindung der Metaphysik“. Und so wie es Heidegger darstellt, das gibt eben diesen Charakter des Raunens, der doch sozusagen immer wieder ein bisschen für Verwunderung sorgen kann. Dieses Raunen und dieses Im-Denken-Die-Erfahrung machen, dass es im Denken diese Notwendigkeit hat. Das ist – wie ich kurz angedeutet habe – nicht das einzig, was dazu zu sagen ist. Ich habe Ihnen als allerletzten Absatz der Heideggertexte, die da zur Verfügung gestellt werden, aus dem Brief über den Humanismus eine Passage herauskopiert, die sozusagen darauf hinweist – und Heidegger macht das immer wieder einmal in sehr provokanten und absichtlich kontroversen Situation –, wo Heidegger das Folgende sagt: „Und in dem, worüber wir da reden, über die allgemeine Herrschaft der Technik, da geht es nicht nur darum, dass wir vor uns hin phantasieren, sondern da geht es um folgendes:“ – und das sagt er 1947; das muss man sich vor Augen führen; das ist ein sehr zeitlich präziser Termin, dieser Brief über den Humanismus 1947 – Da geht es um Folgendes, darum, dass das Denken, das in Europa groß geworden ist, das abendländische Denken – und das ist seine Metaphysik, die von Platon ausgeht, die er in den entsprechenden Gedanken kritisiert hat – dass dieses abendländische Denken vor einer großen Herausforderung steht; und diese große Herausforderung des abendländischen Denkens 1947, worin besteht sie? Im Kalten Krieg, der in Deutschland statt findet in der Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und dem was er Amerikanismus nennt.

Anti-Anti-Amerikanismus

Eine der delikaten Sachen: Er ist immer für Subtilitäten gut, die einem ein bisschen die Sprache verschlagen. Heidegger, der rein von der sozialen und philosophischen Einordnung und in vielen anderen – oder einigen anderen – Stellungnahmen, die er macht, einer der Hauptkandidaten dafür ist, sich über die us-amerikanische, positivistische Unkultur aufzuregen. Für ihn ist sozusagen das, was die US-Amerikaner machen fast so schlimm wie das, was die Kommunisten machen. Der einzige Hoffnungsschimmer ist, dass die US-Amerikaner uns vor dem Kommunismus bewahren, aber die Verachtung: Das sind sozusagen die Söldnertruppen. Für jemanden aus der tiefen europäischen Tradition wie Heidegger sind die US-Amerikaner die Söldnertruppen, die glücklicherweise dazu da waren, uns vorm Kommunismus zu retten. Aber Kultur haben die keine. Das ist die Basic-Auffassung über die US-Amerikaner und das, was einem den Atem verschlägt in dem Brief über den Humanismus mit dem Zitat, das ich da habe, ist das, dass er dann sagt: „und wir haben eine Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und dem, was man“ – und dazu noch abschätzig – „hin und wieder Amerikanismus nennt“, d. h. an der Stelle dreht er sich gegen die eigene, tief verwurzelte Abschätzigkeit des „die haben keine Kultur“ und kritisiert jetzt noch einmal die Leute, die die Amerikaner dafür kritisieren, dass sie kein Kultur haben. Aber das ist eine kleine Subtilität am Rande.

Der gute Zugang zu den Griechen

Was ich Ihnen aber sagen wollte und warum das hier wichtig ist, ist, dass abgesehen und zusätzlich und wie Sie immer wollen vielleicht auch sozusagen maßgebend für diese Erfahrung des Denkens der Überwindung der Metaphysik die Situation ist, in der Deutschland nach einem verlorenen Weltkrieg gestanden ist, eingeklemmt zwischen Russland und den USA und gestürzt noch immer auf die deutsche Tradition des Denkens. D.h. einen so guten Zugang zu den Griechen wie die Deutschen, das sagt Heidegger auch immer wieder, hat sonst niemand und die Wurzeln der Informatik aus dem Wiener Kreis sind die letzten Ausläufer davon, dass wir auch mit all dem, worum es da geht, aus der europäischen Tradition kommen und – wo kommt die Informatik her? Aus den USA natürlich – und damit ist noch einmal mehr belegt, dass die Unkultur, die eine Attacke gegen die europäische Tradition ist, sozusagen aufgewogen werden muss, kritisiert werden muss, durch einen Neu- und Wiederbesinnung auf das europäische Kulturpotential. Und diese Besinnung auf das europäische Kulturpotential kann nicht darin bestehen, wieder und immer wieder Platon zu rezitieren, sondern wir müssen den Platon hinter uns lassen. Wir müssen eine Möglichkeit finden, eine Story finden, die uns aufgrund unserer Griechischkenntnisse: – das sage ich jetzt ironisch, aber es ist einigermaßen glaube ich auch systematisch legitimierbar und berechtigt – Wir als Europäer, die Platon griechisch lesen können, können ihn noch griechischer lesen als er entstanden ist, als er weiter reflektiert worden ist und wir lesen jetzt Platon auf Griechisch in einer Tiefe, die es uns ermöglicht, eine neue Zugangsweise zu diesen Problemen des Denkens zu entwickeln, die wir nur in Europa machen und haben können und die dazu führen wird, dass wir das Regime der Technik selber nochmal in Frage stellen. Das ist in Vogelperspektive ein zentraler Punkt der heideggerischen Philosophie. Ich habe das Ihnen deswegen auch sozusagen ein bisschen ausführlicher dargestellt, weil wenn Sie die Technikphilosophie – wenn Sie sich die Aufgabe stellen würden, im Zusammenhang mit einem Thema wie Bildung und Datenbanken zu denken: „Okay, das muss eigentlich Philosophie der Technik sein“; da werden wir einmal schauen, was die Philosophen und Philosophinnen, die sich mit technischen Fragen auseinandersetzen, zu Datenbanken an der Stelle zu sagen haben, dann werden Sie draufkommen, im deutschen Bereich sind in etwa 50, 60, 70 % der philosophischen Publikationen dazu Nachbuchstabierungen von Heideggers Auffassungen von Technik. Das was ich Ihnen da gesagt habe, ist massiv wirksam gewesen über Generationen von deutschen Philosophen. Der Grund ist irgendwie der: Technik ist offensichtlich ein hoch brisantes ständig aktuelles Thema und die Art und Weise, wie sich Leute, Menschen, die in der europäischen Bildungstradition stehen, mit dieser Technik auseinandersetzen, ist durch diese heideggerischen Gedankengänge ganz entscheiden geprägt worden. Ende dieses Exkurses, das ist jetzt der: – da will ich jetzt noch einmal zurück zu meiner Bemerkung über Obama – Um das, was ich Ihnen berichtet habe, in einen gegenwärtigen Kontext zu stellen, ist es eben doch ganz attraktiv und interessant, sich klar zu machen, dass ein schwarzer US-Präsident, also ein Amerikaner per definitionem, sich in Kairo an dieser Stelle so artikuliert, wie er sich artikuliert hat, also der ein Mustereuropäer ist, wenn man es so sagen will. Was das Thema, um das es beim Humanismus geht, jetzt noch einmal ganz stark fokussiert. Da geht es darum, diesen Denkmustern, diesen Gedankenentwicklungen noch etwas abzugewinnen, wieder etwas abzugewinnen, einen Dialog auf dieser Basis zu starten, der wie – wenn sie Obama hören, hat er Themen drinnen, die in der Philosophie akut und ständig diskutiert werden, wie z. B. das Thema: Sind Menschenrechte, sind diese Gemeinsamkeiten der Menschen im Zusammenhang mit Gleichberechtigung der Geschlechter, Gleichberechtigung der Religionen, Gleichberechtigung der Rassen, sind das europäische Werte, die man in Frage stellen muss, weil sie in der Metaphysik entstanden sind, und die man postkolonial/postmetaphysisch auf einen andere Weise ersetzen muss? Das ist das Erbe der Revolutionären, nicht der roten, sondern der weißen Revolution, die Heidegger an der Stelle angezettelt hat und die in der Postmoderne und in der Kritik des Logozentrismus und in der Kritik des Kolonialismus eine deutliche Rolle spielt. Also wir können uns nicht mehr auf die europäischen Werte beziehen, um eine weitere sozusagen theoretische Entwicklung der Weltgesellschaft ins Auge zu fassen. Wir müssen an der Stelle post, post-post, etc. sein, was – man kann schon sagen – Traditionsentwicklung – weil die Gedankenentwicklung eher im Sinne der Poststrukturalisten und der Postheideggerianer ist – oder – was komplett kurzgeschlossen jetzt auch mehr die Entwicklung aus der deutschen Tradition kommen, also von Kant kommend, von Habermas kommend, von Rawls, der ein us-amerikanischer politischer Philosoph ist, kommend und aus dem die Barack-Obama-Position kommt, wenn er sich hinstellt und sagt das, was ich Ihnen hier erzählt habe über den Menschen, das sind keine amerikanischen Werte, das sind keine europäischen Werte, das nehmen wir als Allgemein an. Das ist der Humanismus, um den es hier in dieser Auseinandersetzung geht. Soviel einmal ohne Text Ihnen vorweg extemporiert. Wollen Sie dazu vielleicht etwas bemerken?

Der Wesenswandel der Wahrheit in Platons Lehre

Wenn nicht, dann springe ich gleich in das andere Extrem. Was ich da gemacht habe ist, Ihnen Textausschnitte aus zwei Schriften von Heidegger vorzustellen. Das eine ist eben Platons Lehre von der Wahrheit und das andere ist der Brief über den Humanismus. In Platons Lehre von der Wahrheit geht es jetzt terminologisch gesprochen – Heidegger ist extrem talentiert und faszinierend im Ausdenken von Beschreibungen, im Spiel der Terminologien. Wesenswandel der Wahrheit ist eine solche Terminologie – und was er in Platons Lehre von der Wahrheit versucht zu zeigen ist, dass es einen Wesenswandel der Wahrheit gibt. Dahinter, nach dem Wesenswandel, ist die Metaphysik und er, der heute über die Metaphysik nachdenkt, schaut sozusagen auf die andere Seite, auf die vorherige Position des Wesenswandels. Das was es einmal gewesen ist, die Wahrheit, bevor es das geworden ist, was wir in der Metaphysik haben und das ist eine neue Einstellung auf Wahrheit, die das zurückzubringen versucht, was Wahrheit einmal gewesen ist, bevor es in Platons Höhlengleichnis leider mit ihr schief gegangen ist. Die Kühnheit dieser Erzählkonstruktion ist bemerkenswert und noch bemerkenswerter ist, dass das – man kann schon wirklich sagen – Generationen von Heideggerianern brav nacherzählt haben, die mit der Sache so umgehen, dass es hier wirklich einen Geschichte des Abendländischen Denkens gibt, in der in einem gewissen Sinn schicksalshaft im Höhlengleichnis Platons so ein Ereignis stattgefunden hat, das alles weitere Fahren der europäischen Tradition in diese Richtung getrieben hat, in der wir heute sind, und dass wir als tiefe Denker dieses Ereignis umdrehen können, indem wir den Wesenswandel der Wahrheit beschreiben. Ich würde das um vieles nüchterner ausdrücken. Als solches aber, ist es natürlich sehr wichtig und auch von höchster intellektueller Kraft und Herausforderung. Was Heidegger macht ist, er wendet sich an die philosophisch Gebildeten, für die seit 200 Jahren das Höhlengleichnis von Platon ein Hauptbezugspunkt war, über die Bildung nachzudenken, und er schlägt eine Lesart von Passagen dieses Höhlengleichnisses vor, die dazu dienen soll, die Leute davon abzubringen, das Höhengleichnis und die damit verbundenen Bildungsgedanken so zu nehmen, wie sie immer genommen worden sind, sondern einen neuen Blick auf dieses Höhlengleichnis zu werfen. Das ist die Grundidee dahinter, ein bisschen nüchterner ausgedrückt. Bevor ich den Heideggertext ein wenig kommentiere, habe ich Ihnen hier die zentrale Stelle genannt, an der Heidegger das Ding aufhängt. Ich sage Ihnen diese Stelle, bevor ich in den Heideggertext hineingehe.

Lesarten des Höhlengleichnisses

Der Heideggertext, der wie sehr, sehr viele Heideggertexte ausgesprochen faszinierend ist, d. h. wenn man da einmal drinnen ist, dann kommt man in den Duktus hinein, der eine eigene Kraft hat und der genau darauf angelegt ist, mit dieser eigenen heideggerianischen spekulativen Kraft diesen Denkumstellungsprozess zu bewirken, was ja für sich interessant ist und eigenständig ist, was aber immer doch auch kontrastiert werden muss mit der Tatsache, dass es hier um Texte geht, und dass es nicht die erste – um es einmal sehr, sehr vorsichtig zu sagen – Lesart des Textes ist und nicht die selbstverständlichste Lesart dieses Textes ist, die Heidegger vorlegt und statt dessen sollte man sich, bevor man sich in dieses schaurig schöne Gedankenkonstrukt von Heidegger hineinbegibt, anschauen, was der Text ist, dem das entnommen ist. Das will ich Ihnen als erstes sagen. Das ist eine Passage sehr schnell nach dem das Höhlengleichnis allgemein beschrieben worden ist. Dann gibt nämlich Platon selbst eine Deutung, worum es sich beim Höhlengleichnis handelt. Das lese ich Ihnen einmal ein bisschen vor:

„Das Gleichnis, mein lieber Glaukon, ist nun in jeder Beziehung auf die vorhin ausgesprochenen
Behauptungen anzuwenden, die mittels des Gesichts uns offenbarende Welt“ – das ist der Sehsinn,
eine alte Übersetzung – „vergleiche einerseits mit der Wohnung im unterirdischen Gefängnisse 
und das Licht des Feuers in ihr mit dem Vermögen der Sonne.“ (siehe auch das griechische Original)

D. h. Platon interpretiert selbst: Die Leute die da unten sitzen in der Höhle und glauben, dass die Schatten, die an die Wand geworfen werden, die wirklichen Dinge ihrer Umwelt sind, die sind ein Bild für unser normales sinnliches Wesen. Wir haben hier die Sonne und sie zeigt uns solche Szenen wie die, die wir hier sehen. Vergleichbar ist es hier unten in der Höhle. Jetzt ist aber das ganze Höhlengleichnis natürlich darauf angelegt, dass dieses Szenario hinterfragt werden kann. Das Schöne, das Geniale, das Epochale am Höhlengleichnis ist, dass das ein Bild ist, das eine Zusatzdimension erfindet – und das ist jetzt Platon. An der Stelle ist Platon genauso großartig und kühn als jemand, der im Denken etwas erfindet. Er gibt uns ein Bild, das als Bild die Möglichkeit eingebaut hat, einen Zusatzdimension zu erfinden, eine Zweistufigkeit zu erfinden zwischen Höhle und Normalwelt, die nun den folgenden wesentlichen Effekt hat: Im Bild selber versteht das ein jeder. Im Bild versteht jeder: Okay da da gibt es eine Höhle und dann gehen wir hinaus aus der Höhle und dann sind wir im Licht. Da haben wir analog und gestuft zwei verschiedene Welten. Und die Genialität von Platon besteht jetzt darin zu sagen: Okay, nimmt diese Bild und wende es an auf unsere sinnliche Situation und in unserer sinnlichen Situation ist es zunächst einmal nicht so, dass wir irgendwohin aufsteigen können.

Die Truman-Story – ein Höhlengleichnis

Wir können schon aufsteigen. Die Truman-Story habe ich gebracht. Die Truman-Story ist tatsächlich eine korrekte Neuerfindung der platonischen Höhlenerzählung, weil Sie in der Truman-Story eine Lebenswelt haben, die tatsächlich vom Film her so konstruiert ist, dass es da eine Wand gibt und Sie rennen einmal gegen die Wand und da gibt’s ein Loch. Damit haben Sie dieselbe Konstellation in dem Filmbild, in der Filmdiegese wie bei Platon. Sie haben einen Ausgang aus dieser Welt. Und die Besonderheit und die sozusagen die Challenge des Höhlengleichnisses von Platon ist jetzt, dass die Anwendung dieses Doppeldeckerbildes auf die Gegenwart, die wir haben, dazu führt, dass eine Dimension thematisiert wird, eine Dimension in unserem Weltverständnis, die quasi getriggert ist vom Bild in dem Sinn, dass gesagt werden kann: „Schau doch mal deinen normalen Alltag mit der Hilfe dieses Bildes so an, als ob es in deinem normalen Alltag so wie in dem Bild auch einen Ausgang gebe, so wie Truman in seinem normalen Alltag eine Phantasie hat, die er nicht ganz realisieren kann, der er nachgeht. Irgendwas kommt ihm nicht richtig vor.“ – Ich habe diese Sachen besprochen. Ich habe den kleinen Klipp mit dem Regen gehabt. Es gibt Widersprüche in dem normalen Alltag und die führen ihn dazu, zu sagen: „Irgendetwas stimmt da nicht. Irgendwas darüber hinaus ist vielleicht sinnvoll – ganz traurig diese Geschichte, nicht wahr?“ Er hat aber, solange er nicht das Bild dieser zweiten Welt hat, sobald er nur Widersprüche in einer Welt findet und nicht die Kenntnis davon hat, dass diese Widersprüche in seiner Lebenswelt in Wirklichkeit zurückzuführen sind auf Manipulationen in einer zweiten Welt mit der zu rechnen ist, solange hat er Schwierigkeiten und erst wenn er sozusagen mit seinen Verdachtsmomenten dieser Kippe macht aufgrund derer er draufkommt: „Hoppla, da ist ja wirklich eine zweite Welt!“ – erst wenn er dieser Kippe macht, hat er greifbar und methodisch einen Anhaltspunkt dafür, diese Welt, mit der er begonnen hat, als eine Teilwelt und als eine weniger gute Welt zu nehmen. Platon verwendet das Höhlengleichnis dafür, ein Angebot einer solchen Zweitwelt hineinzuprojizieren in unsere Alltagswelt. Und diese Zweitwelt, das kommt jetzt hier, das sind die Ideen, das ist die Welt der Vernunft, das ist: „das Hinaufsteigen und das Beschauen der Gegenstände über der Erde stelle dir als den Aufschwung der Seele in die nur durch die Vernunft erkennbar Welt vor, und du wirst dann meine Meinung darüber haben.“ D. h. das ist nun die bildhafte Umsetzung dessen, was wir am Anfang dieser Vorlesung jetzt noch ohne dem Höhlengleichnis diskutiert haben als das Überwinden der Attitüde der Schaulustigen.

Triebe, Neugierde und Philosophie – ein Aufstieg in eine höhere Welt

Ich habe einigen Widerspruch erzeugt, wenn Sie sich erinnern, dadurch, dass ich gesagt habe, da gibt es eine Triebstruktur. Diese Triebstruktur ist eine Triebstruktur des Erkennens. Leute wollen Sachen kennen lernen. Es gibt eine Neugierde. In dieser Neugierde geht es um Inhalte, geht es auch um Wahrheit in einer Weise und das Problem ist, aus dem vielen Streben nach Wahrheit – die Leute wollen natürlich bequem, sie wollen vielleicht erfolgreich leben; sie wollen auch wahre Erkenntnisse haben – das Problem der Philosophie ist, die vielen Streben nach Wahrheit zu unterscheiden von dem, was die Liebe der Weisheit ausmacht, also was an der Stelle die Besonderheit der Philosophie ist und das wird charakterisiert durch Abwendung, Abgrenzung von den Schaulustigen und das wiederum geht über die Begriffe, über die Ideen. Der Protest, den ich hervorgerufen habe, ist, dass ich gesagt habe, zu den Ideen kommt man über wahr und falsch, über wahre und falsche Sätze. Ideen sind etwas worüber man ultimativ wahr oder falsch agieren kann. Das war der Punkt, den ich verwendet habe, um den Konnex mit dem Tractatus herzustellen und hier bringe ich das deswegen in Erinnerung, weil wir jetzt im Bild des Höhlengleichnisses an der selben Stelle sind, dass nämlich das Aufstieg in die höhere Welt ein Aufstieg in die Vernunft, ein Aufstieg in einen Bereich ist, in dem wir mit wahren oder falschen Behauptungen definitiv Aussagen machen können darüber, nicht wie Gerechtigkeit, Tapferkeit, Frömmigkeit zu sein scheinen in unserer Schattenwelt, sondern wie sie sind nach den Gesetzen der Vernunft. An dieser Stelle sind wir sozusagen jetzt beim Platon und ich habe also meine Hinweise über die Triebstruktur deswegen jetzt noch einmal in Erinnerung gebracht, weil für Platon – das ist auch eine Sache, auf die ich nicht genau eingehen kann – der Fokuspunkt, der Endpunkt der Ausrichtung dieser vielfältigen Bestrebungen, von denen die Rede war, die Idee des Guten ist. Man hat eine Idee. Also man ist einerseits in dem Bereich von höchster Erkenntnis und Einsicht, und das könnte ja noch vieles Verschiedenes sein.

Platon und Tractatus – das Gute ist immer das Höchste

Das Gute kommt ja z. B. in den Urbildern vom Tractatus nicht mehr vor. Das habe ich Ihnen ja genau gesagt. Der entscheidende systematische Schnitt im Tractatus, der Schnitt aus dieser platonischen Welt weg, ist, dass er das Gute extrahiert. Eine Lobotomie des Guten an der Stelle. Und statt dessen einfach eine Weltstruktur, die keine Wertigkeit hat. Das ist ein Faktor der Formenwelt. Formen haben zunächst einmal keine Wertqualifikation, nach Wittgenstein zumindest. Platon sieht das anders. Platon überlagert diese beiden Bereiche – also den Bereich der Ordnung der Welt und den Bereich dessen, worauf hin soll, darf und kann menschliches Streben in dieser geordneten Welt denn gehen. Das beides wird überlagert und dann bekommt man die Idee. Das ist das Ordnungscharakteristikum. Und die Idee des Guten als das worauf es letztlich hinauskommt, worauf letztlich alle hinausgehen, diese Idee des Guten ist die höchste Idee von Platon. Auf die speziellen Sachen gehe ich nicht ein. Das Wichtige ist, dass er sagt, im Bereiche der Vernunfterkenntnis sei die Idee des Guten nur zu allerletzt und mühsam wahrzunehmen. Das ist der Drive zu der einen Idee des Guten. Zuerst einmal der Drive zu den Ideen und dann der Drive zum Guten ist das Schwerste. Die Art und Weise wie das verbildlicht wird ist der Aufstieg in der Höhlensituation und nach ihrer Anschauung, nach der Anschauung der Idee des Guten, müsste man zur Einsicht kommen, dass das Gute für alle Dinge die Ursache von Regelmäßigkeit und Schönheit sei, indem es erstlich in der sichtbaren Welt das Licht und die Sonne erzeugt.

Das Gute – eine synkretistische Sonne

Das ist sozusagen jetzt der Synkretismus der beiden Welten. Dieser höchste Bezugspunkt des Guten, der in der Welt der Ideen zu finden ist, wird jetzt hier gedacht als Auslöser, als Verursachung des Stellvertreterbildes des Guten in der sinnlichen Welt – und das ist die Sonne. In der sinnlichen Welt hat die Sonne so eine ähnliche Funktion wie das Gute, nämlich als einerseits als – da wäre natürlich jetzt sehr, sehr viel dazu zu sagen; das muss ich alles auslassen – das wichtige an der Sonne in der sinnlichen Welt besteht darin – das habe ich aber auch schon gesagt –, dass einerseits die Sonne ein Faktor der sinnlichen Welt ist. Wir können sie sehen. Wir können bemerken, dass sie untergeht, dass sie aufgeht. Wir können sie darstellen. Wir können sie in einem gewissen Sinn wahrnehmen, wenn auch nur mit Schwierigkeiten. Und gleichzeitig ist sie aber philosophisch gesehen die Bedingung der Möglichkeit dessen, dass wir überhaupt sehen können. Sie ist sichtbar durch das Licht, das von ihr selber kommt. Eine hoch interessante Geschichte! Und das ist das, was in der sichtbaren Welt passiert ist. In der höheren Welt – das ist der zweite Teil des Synkretismus – in der durch die Vernunft erkennbaren Welt, also in dieser oberen Welt, ist sie selbst Herrscherin und gewährt uns die ἀλήθεια (aletheia), die Wahrheit und die Vernunfteinsicht. Eine harmlose Art und Weise das zu deuten ist zu sagen, dass dadurch, dass es die Sonne überhaupt gibt, wir in ihrem Licht Dinge sehen, die wir dann wahr oder falsch behaupten können, also Sachverhalte, die wir wahr oder falsch behaupten können. D. h. durch die Sonne geraten wir in die Möglichkeit Wissenschaft zu betreiben, Erkenntnis zu gewinnen und vernünftig zu agieren. Das ist die Funktion der Sonne. Die Sonne ist aber an der Stelle quasi nur ein sinnliches Surrogat für eine Idee und die Idee ist die Idee des ultimativen Weltzweckes – um nicht immer nur mit dem Guten zu operieren. Was der ultimative Weltzweck ist und kann, das wollen wir hier einmal wie gesagt eingeklammert lassen.

Heideggers Kritik an Platon

An dieser Stelle setzt Heidegger an. – Ich antizipiere das alles, was dann noch kommen wird. – Und an dieser Stelle deutet er eine alternative Lesart an. Also so wie es hier von mir dargestellt worden ist, schaut die Sache jetzt so aus, dass es am Ende dieser ganzen Pyramide eine Form gibt und nicht nur eine Form, sondern eine Form der Formen, eine alles ermöglichende Form. Wenn Ihnen das spanisch vorkommt, könnten Sie sich zumindest zum zeitweisen eigenen Verständnis die Sache so vorstellen, dass Sie sagen: "Die ganze Welt muss doch auf etwas hinauslaufen. Es muss etwas geben worauf der Kosmos hinausläuft, worauf auch mein Leben hinausläuft. Und wenn ich das Ding wirklich systematisch und grundsätzlich einmal in Angriff nehme und mich adäquat den Vorgegebenheiten der Welt einordne, positioniere in der Welt, dann ist der Vorschlag der, sich in Harmonie mit dem zu begeben, worauf hin die ganze Welt hinausläuft, die Natur und nach der Natur auch der Mensch." Das ist diese Art von ultimativem kosmischem Orientierungspunkt. Irgendwo – wenn Sie schon einmal Teilhard de Chardin angeschaut haben – als den Punkt Omega des Kosmos aus der christlichen Tradition, so ähnlich kann man sich es vorläufig einmal verdeutlichen. Und in dieser ermöglichenden Form der Form wird Ihnen die Möglichkeit gegeben, die Welt wahrzunehmen, zu erkenne, Wissenschaft zu betreiben und dorthin zu kommen. Das ist die platonische Geschichte. Heidegger dreht jetzt seine Lesart an den beiden Termini εἶδος (eidos) und ἀλήθεια (aletheia). Das sage ich Ihnen jetzt auf Griechisch: eidos ist die Form, die Idee und aletheia ist die Wahrheit. Zunächst einmal was die Idee das Guten betrifft: Die Idee des Guten nur zu allerletzt und mühsam wahrzunehmen, das ist der Originaltext. Hier habe ich übrigens die Wegmarken. Diesen Platon und die Lehre der Wahrheit-Aufsatz gibt es auf Englisch komplett übersetzt. Das ist ein bisschen skurril, das auf Englisch zu lesen, aber ich wollte nicht, nachdem das schon geht, den gesamten Wegmarken-Artikel einscannen. Das gibt es aber, wenn Sie sich hier ein Bild machen wollen. Aus dem siebten Buch der Politeia die Textpassage heißt jetzt folgendermaßen: ἡ του̂ ἀγαθου̂ ἰδέα καὶ μόγις ὁρα̂σθαι. Das ist das nur mühsam, τελευταία heißt zu allerletzt, am Ende und καὶ μόγις nur mühsam, ὁρα̂σθαι wahrzunehmen, ἡ του̂ ἀγαθου̂ ἰδέα die Idee des Guten. Das ist der eine Teil, um den es da geht. Der zweite Teil ist jetzt dann der, wenn wir darüber reden, was für eine Rolle die Idee des Guten im Bereich der Ideenwelt, der Vernunfterkenntnisse spielt, dann ist hier hier die folgende Aussage: ἔν τε νοητῳ in der durch die Vernunft erkennbaren Welt – der Kontrast ist der in der ἔν τε ὁρατῳ̂ in der sichtbaren Welt – und ἔν τε νοητῳ in der Vernunftwelt αὐτὴ sie selbst – nämlich die ἰδέα του̂ ἀγαθου̂ – αὐτὴ κυρία ἀλήθειαν καὶ νου̂ν παρασχομένη sie selbst, die Idee des Guten, ist die Herrin der Wahrheit. Das ist der minimale Textbefund auf den Heidegger sich bezieht und der jetzt übersetzt wird: "In der durch die Vernunft erkennbaren Welt ist sie selbst, diese Idee des Guten, Herrscherin waltend sowohl die Wahrheit als auch unsere Vernunfteinsicht gewährt." Die Drehung von Heidegger ist jetzt die, dass er sagt: "Hier wird die Idee zur Herrin der Wahrheit." Der Hintergrund ist eben der, dass man etwas sehen muss, bevor man etwas behaupten kann – kurz gesagt. Und von daher ist die Wahrheit, die sich verbindet mit dem, dass man etwas behaupten kann, ermöglicht durch diese große sonnenartige Idee. Das ist aber jetzt für Heidegger der Punkt, an dem eine Gestalt – weil Idea ist Gestalt, auch sei es die höchste Gestalt –, die wichtige Rolle einnimmt, die Wahrheit zu bestimmen. Die Wahrheit zu ermöglichen und zu bestimmen. Für Heidegger widerspricht das. Der entscheidende Umkehrungspunkt ist jetzt der, dass Heidegger sagt: "Das muss man umdrehen. Es ist nicht so, dass wir eine Gestalt haben und diese Gestalt Punkt Omega" – ich sage das behelfsmäßig, das ist nicht irgendwie systematisch legitimiert, aber als Kürzel verwende ich es einmal so – wenn ich einmal so sage: "Die ἰδέα του̂ ἀγαθου ist so etwas wie der Punkt Omega der gesamten Weltentwicklung", dann habe ich eine Situation, in der man innerhalb dieser Weltentwicklung eine ermöglichende Wirksamkeit eines Endpunktes habt. Mehr kann ich eigentlich auch nicht dazu sagen. Und Heidegger dreht das jetzt um und sagt, ich muss anders fragen. Ich muss so fragen: "Unter welchen Umständen kommt überhaupt ein solcher Endpunkt mir in den Blick?" Nicht umsonst habe ich mich jetzt ein paar Mal herumgewendet und ein bisschen herumgetrickst bei der Erläuterung davon was den dieser Punkt Omega, dieser Idee des Guten ist. Das ist tatsächlich eine schwierige Geschichte und genau diese schwierige Geschichte greift Heidegger auf und sagt, dass wir einen solchen Punkt Omega an der Stelle überhaupt haben, in der Funktion in der wir ihn haben, das ist nicht das letzte sondern das ist selbst schon zu sehen als ein bedingtes Ereignis, ein Effekt. Da steckt was dahinter. Hinter diesem höchsten Gut oder so da steckt was dahinter. Und was steckt dahinter? Wie soll ich eine Dimension denken, die da noch einmal dahinter steckt? Das ist ja schon das Höchste und Größte usw. Das ist der Punkt an dem Heidegger mit der Wahrheit kommt, mit der aletheia. Kurz gesagt jetzt einmal, rein terminologisch: Hinter diesem höchsten Gut steckt noch einmal die Wahrheit. Warum? Aus folgendem Grund: Weil man sagen kann, damit sich eine Gestalt als Gestalt zeigt, muss sie sich zeigen. Es ist sozusagen eine Folie, ein Profil, etwas – denken Sie an das Malteserkreuz – ist eine Formung eine Geformtheit und eine solche Form können Sie nur wahrnehmen und entgegennehmen, indem Sie ein Umfeld haben, einen Raum, einen Erfahrungsbereich, in dem dieser Gestalt sozusagen zur Erscheinung kommt. Das ist der Hintergrund der Phänomenologie aus der Heidegger kommt: Phänomenologie als philosophische Beschäftigung mit dem was sich zeigt.

Heideggers phänomenologischer Hintergrund

Bei Husserl ist das ganz anders gedacht, aber bei Heidegger gewendet in philosophiegeschichtliche, interpretatorische Zusammenhänge: Formen zeigen sich vor einem Umfeld, vor einem Hintergrund. Dieses sich zeigen ist wichtiger als die einzelne Gestalt, die sich zeigt. Damit habe ich eine Denkmöglichkeit, in der ich die Möglichkeit habe, zu sagen: "Du darfst dich nicht an den Formen halten, sondern du musst noch, nachdem eine Form sich dir gezeigt hat, fragen, in welchem Kontext, in welcher Umgebung zeigt sich dir diese Form." Das ist eine sozusagen durchaus vertretbare und standardisierbare phänomenologische Erkenntnis zunächst einmal, die Sie leicht nachvollziehen können, wenn Sie sich so etwas vorstellen, wie Beleuchtung. Sie sehen eine Schrift und wenn mehr Licht ist, sehen Sie mehr und wenn weniger Licht ist, sehen Sie weniger. Die Art und Weise wie Sie die Formen sehen, hängt sehr daran, unter welchen Umständen Sie sie Formen sehen. Oder was Sie z. B. für Tabletten genommen haben, oder ähnliches. Die Rahmenbedingungen, die Umgebungsbedingungen dessen, dass sich Formen Ihnen zeigen, das ist etwas, das Heidegger von der phänomenologischen Schule her mitbringt. Und was er jetzt sagt an dem Moment, an dem das Gute und der Punkt Omega als die allerhöchste Form propagiert wird von Platon, ist: "Auch und gerade diese allerhöchste Form muss man daraufhin befragen, wie sie sich denn zeigt und von woher sie sich zeigt." Von unserer Sicht her gesehen: Es ist nicht selbstverständlich, dass da plötzlich ein Punkt Omega ist. Das ist selbst eine geschichtlich besonders gewordene Tradition, dass die Menschen auf den höchsten Zweck der Welt aus sind. Das haben die Griechen dort erfunden. Diese Form ist eine spezifische Form und wir müssen das geschichtlich hinterfragen auf den Kontext, innerhalb dessen das selber entstanden ist.

Trickreiche Etymologie: ἀλήθεια

Und jetzt kommt der nächste Trick, den er macht, und sagt: "Damit ich das jetzt bei den Griechen festmache, diese allgemeine Idee, die Historisierung des Punkt Omega an dieser Stelle festmache, habe ich sozusagen einen weiteren genialen Trick und der besteht darin, dass ich darauf hinweise: Auf Griechisch heißt Wahrheit ἀλήθεια (aletheia). Und aletheia ist zusammengesetzt aus einem Alphaprivativum, das ist das a, so wie atypisch, i. e. nicht-typisch, und a ist also auch an der Stelle nicht und λανθάνω (lanthano) heißt verbergen. λήθη (lethe) ist die Verbergung. Wenn ich aletheia so übersetze," – da gibt es natürlich auch lange Diskussionen, ob das etymologisch korrekt ist, aber wenn ich das philosophisch so übersetze – "dann heißt Wahrheit an der Stelle Unverborgenheit, Nicht-Verbergung. Und Nicht-Verbergung steht für die Dimension der Umgebungsbedingungen, steht für das, von woher sich etwas zeigt, den Rahmen, innerhalb dessen eine Form deutlich wird und wenn Sie es so nehmen – Heidegger spricht dann von Entbergen – dieses von woher das kommt, von woher die einzelnen Formen kommen, diese aletheia, das woher sie kommen, kann man nach dieser Logik als aletheia, als Wahrheit beschreiben und das ist nun die Möglichkeit hinter die Gestalt, hinter die Form und hinter das höchste Gut zu gehen, indem man sagt: "Das ist selbst ein Ergebnis. Das höchste Gut ist selbst ein Ergebnis von etwas, von einer Enthüllung, Entbergung – wie auch immer Sie dazu sagen wollen". Und wenn Sie das so sehen, dann haben Sie terminologisch den Grund, warum Heidegger hier die ganze Sache umdreht und warum er dann sagt – da komme ich jetzt noch einmal auf eine Formel zurück: "was hier schief gegangen ist, ist, die Gestalt ist die Herrin der Wahrheit geworden, statt umgekehrt. In Wirklichkeit sollte die Wahrheit als dieses Sich-Enthüllen, als das, was sich zeigt, von woher es sich zeigt, das sollte eigentlich die Ausgangsdimension sein. Aus dem, woher sich so etwas zeigt, kommen dann Gestalten. Und wenn ich eine umgekehrte Situation habe, in der die Gestalt das dominiert, was sozusagen zu sehen ist – so wie die Gestalt des Guten – dann kommt die Wahrheit unter das Knechtschaftsjoch der Idee, der Gestalt und was heißt das?" Da ist er sehr, sehr imaginativ weiter und sagt: "Das hat im Rahmen der abendländischen Philosophiegeschichte dazu geführt, dass wir einen Begriff von Wahrheit entwickelt haben, in dem nicht mehr dieses Es-Zeigt-Sich von vornherein deutlich geworden ist und wichtig gewesen ist, sondern in dem wichtig geworden ist, dass es eine Idee gibt, und dass wir uns bestimmten Formen, bestimmten Ideen, also Formvorgaben, Ideen angleichen müssen. Es gibt unser Sehen und es gibt das, was wir sehen und es muss zwischen dem, dass wir sehen und dem, was wir sehen eine Korrespondenz geben. Das ist ermöglicht durch diese höchste Idee des Guten. Dass diese Korrespondenz zwischen unserem Sehen und dem, was wir da sehen, ὁμοῖος (homoios) ist auf Griechisch – adaequatio auf Lateinisch, Abbildung auf Deutsch – wird in der Tradition dann als das Wichtigste der Wahrheit genommen. Und Heideggers Punkt dazu ist der, dass er sagt: "Unter diesen Umständen, dass wir nicht daran denken, wo kommt denn die höchste Idee her, sondern, dass wir daran denken, dass diese höchste Idee uns das alles erschließt und innerhalb des Erschlossenen wir uns dann erkenntnismäßig aufhalten können, verliert die Wahrheit den Charakter des Erschließens, des Sich-Öffnens, dieses ἀλαυθάυειυ (alanthanein)". Und wird zu etwas, das er Ὁρθότης (orthotes) nennt. Das ist der griechische Begriff der Korrektheit, der Übereinstimmung. Und das ist – so habe ich das jetzt ein bisschen eingelöst, von dem was ich am Anfang sozusagen nur skizzenhaft gesagt habe – für Heidegger der Punkt, an dem er sagt: "Die Endgeschichte dessen, dass die Wahrheit von der Unverborgenheit zur Richtigkeit wird, ist die Dominanz der Formen ganz allgemein, die Dominanz dieser Art von Datenbank-Typologien und die Möglichkeit das insgesamt und überhaupt noch einmal neu aufzurollen, ist den Platon neu zu lesen und zu sagen, man müsse die Wahrheit ursprünglicher denken. Man muss die Wahrheit als aletheia denken. Man muss diese Herrschaft der Idee über die Wahrheit umdrehen und die Idee wiederum einer Wahrheit unterwerfen und unterlegen. Und das ist die Aufgabe des postmetaphysischen Denkens. Also das ist einmal im Schnelldurchlaufverfahren der Gedankengang, um den es da geht. Ist Ihnen das alles klar?

Die Zügellosigkeit – Heideggers Kritik am westlichen Aufklärungsgedanken

Dann gehe ich weiter und überlasse die Heideggertexte Ihrer Lektüre. Hier haben Sie den Wesenswandel der Wahrheit, dieses Zitat: "Es gründet sich auf den ungesagten Vorgang des Herr-Werdens der idea über die aletheia ." Und da haben sie dann noch die orthotes. Das können Sie sich extra ansehen. Ich komme in der letzten Zeit, dir mir noch bleibt, auf den Humanismusbrief zurück, auf den zweiten Text, weil ich den noch einmal kurz reinnehmen will. Aber vielleicht, um den einzuleiten, ist es doch noch sinnvoll hier auf den Text zu gehen, wo das Ganze noch ein bisschen zugänglicher ist. Ja, hier. Das ist noch ein Text aus Platons Lehre von der Wahrheit, der die Themen, um die es hier geht, philosophiegeschichtlich und im Zusammenhang mit Bildung plastischer macht. Wie geht Heidegger an die platonischen Formulierungen heran?

"Wenn nun schon innerhalb der Höhle die Wegwendung des Blickes von den Schatten hin zum Feuerschein
und zu den darin sich zeigenden Dingen schwierig ist und sogar misslingt, dann verlangt vollends das
Freiwerden im Freien außerhalb der Höhle die höchste Geduld und Anstrengung. Die Befreiung ergibt
sich nicht schon aus der Loslösung der Fesseln und besteht nicht in der Zügellosigkeit, sondern
beginnt erst als die stetige Eingewöhnung in das Festmachen des Blicks auf die festen Grenzen der
in ihrem Aussehen feststehenden Dinge."

Das ist doch vielleicht im Rahmen dessen, was ich Ihnen heute gesagt habe, gut in Erinnerung zu rufen, weil – wie soll ich sagen – das hat es auch sozusagen faustdick hinter den Ohren, worums da geht. Sie müssen sich sozusagen wiederum in Erinnerung rufen, dass dieser Bildungs- und Erziehungsprozess durch das Moment der Befreiung von den Fesseln in eine vernunftgeleitet Selbstbestimmung der zu bildenden Personen quasi ein zentrales Motiv der Aufklärung gewesen ist. Was Heidegger hier macht – als allererstes so unterschwellig, dass man es kaum merkt – ist, dass er diesen zentralen Prozess, dieses Geschehen der Aufklärung, das darin besteht: – wenn Sie sich das mit der Vernunft noch vor Augen führen – man bricht aus aus der Befangenheit in die Sinnenwelt und mithilfe des Höhlengleichnisses wird man darauf gebracht, dass es eine Welt der Vernunft gibt, in der das Gute herrscht und in der man sich selbst bestimmen kann. Was macht Heidegger daraus? An der Stelle sagt er: "Naja, wenn wir frei sind von diesen Fesseln der Sinnlichkeit in die Welt der Vernunft gekommen, musst nicht glauben, dass es da schon gut weitergeht, sondern diese Freiheit, der droht die Zügellosigkeit." Wie kommt hier die Zügellosigkeit in die Interpretation des Höhlengleichnisses? Die Antwort ist einfach die: Das ist die Kritik des westlichen Aufklärungsgedankens, die Heidegger hat. Das ist der Zug in seinem Denken, der auf das Anti-Aufklärerische, Völkische, Geschichtsverbundene, Nicht-Rationalistische geht. Die Zügellosigkeit, die hier angesprochen ist, kommt aus dem Formenschatz der Kritik der entwurzelten, rationalistischen, demokratischen Beliebigkeit. Leute, die nur mit Hilfe von Verstandeskategorien sich befreien von irgendwas, indem sie glauben ihre Fesseln abzuwerfen und sich jetzt befreien zu ihrer Vernunft sind in Wirklichkeit in Beliebigkeit und Willkürlichkeit. Die Zügellosigkeit droht, wenn man zu viele Leute frei setzt. Wenn man die Arbeiter her nimmt, die man von ihren Fesseln befreit – das ist ein bisschen überinterpretiert, aber nicht ganz – "die Arbeiterklasse hat nur ihre Fesseln zu verlieren", das muss man hier mithineinlesen. Die Lösung von den Fesseln – Nietzsche kann man an der Stelle natürlich auch hereinnehmen – ist auch eine politische. Wenn man den Leuten einfach ihre Fesseln wegnimmt, dann werden sie mitnichten frei, sondern dann werden sie zügellos.

Das Ziel der Bildung

Diese raffinierte, semantische Verschiebung, dass eine Befreiung von den Fesseln eine Zügellosigkeit ist, die hat es in sich und der Grund, warum das hier herein kommt, ist, weil die Idee die ist, einer neuen Zügelung, einer neuen Maßstabsetzung, Maßgeblichkeit, und die Maßgeblichkeit, für die gilt: Die befreit sind aus der Höhle, damit sie in ihre wirkliche Freiheit hineinkommen, das ist das, was hier steht als das Festmachen des Blicks auf die festen Grenzen der in ihrem Aussehen feststehenden Dinge, also was er hier als Interpretation von Platons Höhlengleichnis und als Interpretation der Formenwelt von Platon anbietet, ist genau die Orientierung an den höheren Formen, an den Formen der Ideenwelt. Und diese höheren Formen, das ist dasjenige, was die νόησις (noesis), die Vernunft von Platon erschließt und das ist gleichzeitig die Logik von dem, was ich Ihnen heute darstelle. Diese Formung der verstandes-, vernunftmäßig zugänglichen Welt ist gleichzeitig das, was die Bildungsideale definiert, wohin die Bildung unterwegs sein soll. Bildung ist unterwegs in die Kompetenz. Gebildet werden wir, indem wir kompetent werden, nicht zügellos, willkürlich mit unserer Freiheit umzugehen, sondern uns zu orientieren an den Gestalten der Welt, die wir vorfinden. Und die Bildung - in diesem Sinne gedacht - ist von daher ein Prozess innerhalb einer gestalteten Welt, in einer Welt, die massiv und primär gestaltet ist und ein Anverwandeln dieser Gestaltung. Wenn es nun so ist, dass man diese Gestaltung selber in Frage stellen muss und möchte mit dem Motiv, das ich Ihnen gesagt habe, dass nämlich die Gestalten, mit denen wir hier konfrontiert werden, diese Gestalten selber etwas Gewordenes sind, etwas, was aus einer Seinsgeschichte – sagt Heidegger, nehmen Sie das nur so als Terminus hin – entstanden ist, dann sind Sie konfrontiert mit einer Dekonstruktion – das ist ein Wort das von Derrida stammt, aber das er auch eins zu eins von Heidegger übernommen hat – des Bildungsbegriffes. Bildung als sich Anverwandeln einem solchen Urbild wird selber problematisch und hier sagt er eben schon ganz am Anfang, dass das etwas mit Wahrheit zu tun hat, und dass die Wahrheit an dieser Stelle eine neue Funktion zu übernehmen hat.

Einleitung zum Humanismusbrief

Ich bin jetzt dann doch nicht zum Humanismusbrief gekommen. Ich will Ihnen nur das eine sagen: Testen Sie das mal. Das ist ein bisschen der Bericht einer Selbsterfahrung. Es ist schon recht lange her, dass ich den Humanismusbrief das vorletzte Mal gelesen habe. Ich habe ihn jetzt zur Vorbereitung für diese Vorlesung wieder einmal durchgeschaut. Wichtig ist von der Logik her dessen, was ich Ihnen gesagt habe, am Ende diese Explikation davon, dass der Wandel des Wesens der Wahrheit zu tun hat mit einer Etablierung von Technik, und dass die Aufgabe darin besteht, die Technik zu überwinden, aber nicht um der Bildung wieder eine neue Chance zu geben, sondern um ein neues Denken zu starten – das ist die allgemeine Logik diesbezüglich. Aber was mich einfach getroffen hat beim wiederum Hernehmen dieses Textes, ist sozusagen die schlichte Eindrücklichkeit dieser ersten Passagen da. Ich habe ein bisschen ein schlechtes Gefühl, weil ich habe hier Absätze gemacht, die eigentlich nicht hierher gehören, zur Lesbarkeit. Es ist ein nicht in Absätze gegliederter zwei Seiten langer Text, der eine Form – ich bin selten einer von denen, die mit Heideggers Sprachstrategien sehr glücklich sind, aber was er hier macht ist einfach blendend im doppelten Sinn, insofern, es ist einfach blendend. Ich würde sogar sagen es ist großartig. Es ist unter anderem großartig und probieren Sie es einmal selber. Nehmen Sie sich ein bisschen Zeit, nehmen Sie sich zehn Minuten Zeit, um das mal anzuschauen. Das etwas, was Sie Satz für Satz komplett simpel verstehen können. Das hat ein Sprachniveau vom Tractat. An der Stelle hat er den selben Effekt wie der Tractat, sehr, sehr anders natürlich, aber der Effekt, den ich für einen der großartigsten Effekte halte, den man in der Philosophie haben kann, nämlich Sätze zu formulieren, die völlig einfach und für jede Person verstehbar sind und die gleichzeitig sich verbinden mit dem Wissen davon, dass man nichts versteht, obwohl man alles an dieser Stelle verstehen kann. Und Philosophie besteht dann darin, den Weg auszubuchstabieren zwischen dem, was jeder versteht, der das liest und dem, was an der Stelle alles drinnen steckt. Es würde mich freuen, wenn Sie das einmal ausprobieren und vielleicht in der Diskussionsseite, die es dazu gibt, – Sie müssen da nur hier auf Diskussion klicken und da was reinschreiben, wenn Sie angemeldet sind – dazu was anmerken.

Ich danke Ihnen!

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