Die Hasen-Ente: Aktualisierung

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Im ersten Durchgang ist die Hasen-Ente zur Verdeutlichung verschiedener Negationsformen (T) verwendet worden. Unter dem Aspekt des Carnapschen Toleranzprinzips ergeben sich zusätzliche Überlegungen.

Carnaps Unterscheidung zwischen Syntax und Semantik ( aus Carnaps "Logischer Syntax der Sprache" )lässt sich anwenden: auf der einen Seite die Striche der Zeichnung, auf der anderen ihre Deutung. Die naheliegende Betrachtungsweise besagt, dass eine Person Striche zeichnen kann, aber keine Oberhoheit über deren Deutung besitzt. (Lessings "Grundrisse" unterliegen unterschiedlichen Deutungen.) Dann gibt es eine Gruppe von Hasen-Vertretern und eine aus Entenhausen. Drittens Interessentinnen für Bleistiftskizzen, die Lessings "diese wenigen" entsprechen und denen es egal ist, ob es sich um einen Hasen oder eine Ente handelt.

Damit werden drei Schichten säuberlich untereinander abgehoben und in eine spezifische Beziehung zueinander gesetzt. Zwei inhaltsgeleiteten Deutungen steht eine Betrachtung gegenüber, der diese Inhalte unwichtig sind. Man kann sich ein Szenario vorstellen, in der alle drei Sichtweisen problemlos nebeneinander bestehen ("schaffnerlos": ohne Schaffner, das Los des Schaffners, ein Wort aus 12 Buchstaben, das mit 's' beginnt). Oder die Sichtweisen sind ineinander verhakt.

"Das ist ein Schnabel." -- "Das ist ein Hasenohr" -- "Das ist (doch nur) ein Bleistiftstrich."

Hier entstehen Widersprüche, sofern die Syntax in Verständnisprozessen angewandt wird. Und nur im Hinblick auf solche Prozesse ist sie Syntax. (Die Wasserflecken auf der Wand sind keine syntaktischen Gebilde.) Und damit hebt sich die inhalts-enthobene Betrachtung von den beiden anderen Hinsichten ab. Das hat einen produktiven und einen bedenklichen Effekt:

  • Die syntaktische Reflexion weist darauf hin, dass der Konflikt an einer bestimmten Stelle entsteht, in der Mehrfachverwendung einer Zeichengestalt oder eines Wortes. Zwei divergente Praktiken sind durch den Gebrauch einer geteilten Ressource miteinander verzahnt. Von dieser Warte aus können Missverständnisse entwirrt und Schlichtungsversuche vorgenommen werden.
  • Andererseits kann eine Bleistiftskizze für sich genommen kein Tier darstellen. Man kann kein "Brettspiel" spielen, nur Mühle, Schach oder sonst ein bestimmtes Brettspiel. Die (Rück-)Wendung auf Syntax verliert den Inhalt.
  • Drittens: die Inhaltslosigkeit im ersten Durchgang ist ihrerseits auch ein Verhalten zur Syntax und damit kann sie auch auf eine Ebene mit den Konfliktparteien gestellt werden.

Die Funktion der Richterin, des Vermittlungsausschusses, der Mediation ist ein differenzielles Desinteresse. Aufbauend auf einer inhaltlichen Auseinandersetzung und operativ durch deren Suspension mit anschließender Rekonstruktion. Sie ist ein gesellschaftlich fragiles Konstrukt. Toleranz läßt sich dann so beschreiben: durch Reflexion auf die "Syntax" der eigenen Welterfahrung werden Konflikte der Form "ja oder nein" als komplexere Gegensatz-Konstellationen überdacht.

  • Rauchen im Gang des Neuen Institutsgebäudes. Die umstrittene Ressource (Syntax) ist in diesem Fall "Luft".
  • Verwendung der englischen Sprache in Kongressbeiträgen

Unter Umständen greift diese Reflexion allerdings nicht, oder sie wird verweigert. Ein Beispiel ist das inter-religiöse Gebet in Joseph Ratzinger: Unterscheidung des Christlichen. Auch "Der gestrige Vortrag handelte über Bleiburg" ist bisweilen nicht durch den Satz "Der gestrige Vortrag handelte über Pliberk" ersetzbar. (Vgl. Aus Carnaps "Logischer Syntax der Sprache") Aktuelle Ereignisse legen es nahe, sich die Situation an einer Zeichnung zu verdeutlichen.


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Was ist zu sehen? Farbflächen, Striche, Figuren, ein Mann mit Kind. Das sind korrekte Antworten, aber sie treffen die doppelte Pointe nicht. Die Zeichnung ist darauf angelegt, einen Reflexionsprozess in Gang zu setzen, der von der Inhaltsebene zur Syntax und wieder zurück zum (verwandelten) Inhalt führt. In einen Mantel gehüllte Personen mit einem frontal gezeichneten Kind auf dem Schoß sind in der christlichen Ikonographie Marienbilder. Aber dagegen spricht eine zweite Interpretation: Kopfbedeckung und Bart suggerieren einen Mann. Das könnte Josef, der Mann Marias sein. Dann ist die Zeichnung eine Intervention wie "Die Bibel in gerechter Sprache": "...als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen." Diese Formulierung erfasst den ganzen Problemkomplex. Nicht immer will/braucht man den gesamten Horizont. Wenige Sätze weiter heißt es in der zitierten Bibelübersetzung: "Und Gott sah alles, was sie gemacht hatte ...".

Die zweite Pointe ergibt sich nicht innerhalb einer Religion, sondern zwischen Religionen. Grün ist die Farbe des Islams, Turban und Bart sind Insignien gläubiger Muslims. Daraus entsteht ein Kontrast zwischen einem Bild innerhalb der christlichen Tradition und einer konterkarierenden Bewegung, die auf beiden Seiten Ärgernis erregen kann. Die Wirkung des Bildes schreibt das nicht fest. Es kann (wie im Frau/Mann-Fall) einen Reflexionsprozess auslösen, oder Empfindlichkeiten wachrufen, die schlecht zu handhaben sind. Die zweite Möglichkeit rückt näher, wenn dem Bild ein Sachbezug zugesprochen wird:

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Hier wird die Logik des Toleranzproblems ersichtlich. Aus der harmlosen Differenz zwischen Schnabel und Hasenohr wird ein Kriegsgrund. Die Zeichnung visualisiert den gesellschaftlichen Konflikt, sie heizt ihn nicht auf. Die Nicht-Darstellung der persönlichen Identität ist eine Geste des Respekts innerhalb der Nachzeichnung von Bruchlinien.



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