Der Erstkontakt
"Das Wissen, welches zuerst oder unmittelbar unser Gegenstand ist, kann kein anderes sein als dasjenige, welches selbst unmittelbares Wissen, Wissen des Unmittelbaren oder Seienden ist."
"Wir", das ist die philosophische Einstellung. Sie trifft auf andersartige Einstellungen, die im ersten Schritt noch undifferenziert bleiben. Das Gegenüber der Philosophie ist ebenso pauschal gefasst, wie die Gegenüberstellung selbst. Eine einzige Vorgabe bestimmt den Ansatz: wir wollen (und können) etwas von einem Wissen wissen.
Die Aufgabe läßt sich gut als Radikale Interpretation beschreiben. In Hegels Eingangsformulierung finden sich darüber hinaus eine Anzahl systematischer Besonderheiten.
- Im ersten Schritt erscheint das andersartige Wissen ohne bestimmten Inhalt. (Der wird sich später, im Verlauf der Auseinandersetzung, ergeben.) Hegel nennt das "unmittelbares Wissen".
- Die Sprache bietet einen schönen Übergang. Das Wissen, das uns unmittelbar1 begegnet, ist selbst unmittelbares2 Wissen. Warum muss das so sein?
- Die Frage verschärft sich angesichts der Erklärung, die Hegel für "unmittelbares Wissen" gibt. In ihr begegnet "unmittelbar" in einem dritten Sinn, nämlich als das Unmittelbare3, i.e. das Seiende. Unmittelbares2 Wissen sei Wissen des Unmittelbaren3.
- Das ist ein zweiter sprachlich-assoziativ induzierter Übergang. Unmittelbar zu wissen ist danach gleichbedeutend damit, etwas Unmittelbares zu wissen.
Die Gegenüberstellung ist also von einigen markanten Voraussetzungen geprägt. Es fällt auf, dass sie durch den Einsatz suggestiver semantischer Überlagerungen geprägt ist. Die logische Grammatik von "unmittelbar", derer sich Hegel bedient, bietet diese Spezialitäten:
- das Adjektiv kennzeichnet eine Relation zwischen zwei Wissensformen
- es charakterisiert auch ein Verhältnis zwischen einer Wissenden und einem Gegenstand
- und drittens läßt sich auch das Gewusste mit diesem Ausdruck bezeichnen
Um diese verschiedenen Funktionen erfüllen zu können, muss "unmittelbar" in einer bestimmten begrifflichen Architektur eingesetzt werden. Sie besteht in einer ineinander verschachtelten Wissensbeziehung.
- "Wir" wollen etwas über "unseren Gegenstand" wissen
- der seinerseits ein Wissen ist
- also ein Verhältnis zwischen Wissenden und ihrem Gegenstand
Im ersten Ansatz bleiben alle diese Verhältnisse offen. Man kann sich fragen, inwiefern inhaltlich leere Verhältnisse "Wissen" genannt werden dürfen. Ein systematisches Gerüst zur Entfaltung von Wissensverhältnissen wird als ein (anfänglicher) Fall von Wissen hingestellt.
