Davidson und Lessing

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--Georg 13:35, 5. Mai 2006 hat einen Beitrag geschrieben, in dem er meine Ausführungen über die geschichteten Sprachebenen in Aus: Die Unerforschlichkeit der Bezugnahme auf die 2. Parabel Lessings zurückbezieht. Ich kopiere das auf diese Seite und kommentiere die Gedanken. --anna 15:15, 6. Mai 2006 (CEST)

Hier die Lessing-Passage zur Anknüpfung: (vgl. Text zur Prüfung, WS 2005/06: "Die Parabel"):

Nur wenige sagten: »Was gehen uns eure Grundrisse an? Dieser oder ein andrer, sie sind uns alle gleich. Genug, daß wir jeden Augenblick erfahren, daß die gütigste Weisheit den ganzen Palast erfüllet, und daß sich aus ihm nichts als Schönheit und Ordnung und Wohlstand auf das ganze Land verbreitet. «
Sie kamen oft schlecht an, diese wenigen! Denn wenn sie lachenden Muts manchmal einen von den besondern Grundrissen ein wenig näher beleuchteten, so wurden sie von denen, welche auf diesen Grundriß geschworen hatten, für Mordbrenner des Palastes selbst ausgeschrien.
Aber sie kehrten sich daran nicht und wurden gerade dadurch am geschicktesten, denjenigen zugesellet zu werden, die innerhalb des Palastes arbeiteten und weder Zeit noch Lust hatten, sich in Streitigkeiten zu mengen, die für sie keine waren.

Dieser Pointe Lessings stehen nun die Behauptungen der Vorlesung entgegen. Zumindest für ein Toleranzproblem hat die Lösung, die vorgestellt wird, nicht Relevanz; das ist vielleicht nicht ganz überraschend, was diese Parabel betrifft. Für die Ringparabel schon eher.

Was ich nun sagen will, dass sich die Lösung mit dem Arbeiten besonders dadurch auszeichnet, dass diejenigen, welche (nach Lessing) besser mit dem Konflikt um die Baupläne umgehen, eine völlig andere 'Stellungnahme', wenn man so möchte abgeben, als das die eigentlichen Konfliktparteien tun. Die Reaktion der Palastarbeiter auf den Konflikt ist nämlich sehr verschieden davon, dass auch sie nun einen eigenen Bauplan hervorholen und davon ausgehen, dass er der richtige ist. Nach der Vorlesung erfüllen sie daher nicht die Voraussetzung der eigenen keimenden Intoleranz, werden daher auch nicht als 'tolerant' rubriziert werden können.

In Lessings Parabel sind die Palastarbeiter die "Sympathieträger", gegen die Intoleranz derjenigen, die sich um die Auslegung des ursprünglichen Bauplans streiten. Mein Kommentar dazu: das ist nicht Toleranz, sondern Indifferenz. Wenn ein Streit mich nicht tangiert, bin ich nicht tolerant, wenn ich in ihm keine Stellung nehme. In meinem (anspruchsvolleren) Begriff von Toleranz spielt der Wahrheitsanspruch eine Rolle. Also: die Person befindet sich in einem Streit und akzeptiert Gegenpositionen, obwohl sie ihnen "der Sache nach" widersprechen muss. Lessings Konzept der Neutralisierung der Konflikte durch Suspension des Urteils (Ringparabel) ist zwar eine Lösung des Religionskriegs, doch der Preis ist in der Parabel Pragmatismus, in der Ringparabel Agnostizismus. So entgeht man dem Problem, aber das "interessiert mich nicht" hat seine eigenen Probleme. --anna 16:07, 6. Mai 2006 (CEST)

Eine Frage, die ich nun stelle, ist die: Ob es für diese keimende Intoleranz in Bezug auf eine 'bestehende Konfliktsituation' (die darin bestehen soll, dass fünfzig Leute ihre inkommensurablen Meinungen abgegeben haben) notwendig ist, dass eine Person, die wir als Kandidatin für eine tolerante Person bezüglich dieses Konflikts ansehen werden, eine Stellungnahme abgibt, die von gleicher Form ist wie die fünfzig anderen. - Weder der Richter in der Ringparabel, noch die Palastarbeiter in der zweiten Parabel Lessings erfüllt diese Bedingung.

In Form des Kartenspiels wird das vereinfacht so ausgedrückt: Die These der Vorlesung ist, dass jemand, den man als tolerant bezeichnet, auch eine Karte ausspielen muss; spielt er also keine Karte aus, so kommt er für die Prädikation tolerant/intolerant gar nicht in Frage. Kann es auch sein, dass er zwar nicht 'eine' Karte ausspielt, sondern etwas anderes macht. Er könnte zum Beispiel zwei Karten ausspielen (und das könnte ebenso im Regelwerk des Spiels möglich sein); oder er könnte irgendetwas vermelden, was die augenblickliche Spielsituation gleichzeitig verändert, ihm aber nicht mehr erlaubt, eine Karte auszuspielen (auch das kann eine Regel des Spiels sein).

Den hier besprochenen Schritt habe ich so zu verdeutlichen versucht:

  1. bezahlt/nicht bezahlt; Hase oder Ente
  2. bezahlt/nicht bezahlbar; Tierdarstellung

Im ersten Fall zwei Gegenpositionen auf einer Ebene. Hier ist kein Platz für Toleranz. Im zweiten Fall eine eigenartige Distanz: eine Gegenposition ("nicht"), die gleichzeitig die Ebene wechselt. Aus dieser Sicht kann es gelingen, den Konflikt differenziert zu sehen. Man kann einsehen, inwiefern beide Seiten recht haben, aber das hängt an einem inhaltlichen Einsatz, nämlich der produktiven dritten Sicht. Sie ist mehr als "euer Streit interessiert mich nicht". Das wollte ich mit der These ansprechen, dass auch die tolerante Person eine Karte ausspielen muss. --anna 16:10, 6. Mai 2006 (CEST)

Man würde jetzt glauben, dass er klarerweise damit nicht mehr tolerant/intolerant sein kann. Der Grund wäre der, dass das Toleranz-Spiel gerade aus der strikten Regelfolge besteht, dass jeder einmal 'eine' Karte ausspielen 'muss', und dann passiert irgendetwas nicht näher Angebbares. Obige Ausnahmeregeln wären dann einfach per definition vom Toleranz-Spiel ausgeschlossen. - Dagegen kann man sich aber doch vorstellen, vielleicht nicht im Modell des Kartenspiels, aber auf einer abstrakteren Ebene: Dass, gesetzt es gibt einen Konflikt auf der Ebene A (auf der Ebene A werden, sagen wir vereinfacht, 'je zwei' Karten ausgespielt, von den jeglichen Konfliktparteien), und weiters gesetzt, dass sich dieser Konflikt durch irgendeine Transformation auf eine Ebene B bewegt, wo sämtliche Konfliktparteien dazu bestimmt sind, gemäß ihrer früheren Wahl nunmehr 'eine' weitere Karte auszuspielen, es jetzt so aussieht, als wäre der Konflikt auf Ebene B entstanden. Man würde jetzt annehmen, nur wer auf Ebene B dazukommt und 'eine' Karte hinzufügt, kann überhaupt die Bedingung der keimenden Intoleranz erfüllen. Das würde man also oberflächlich annehmen. Damit würde man verkennen, dass jemand auf der Ebene A eintritt, zwei Karten ausspielt, und damit unter der Bedingung jener eigenen keimenden Intoleranz in den ursprünglichen Konflikt eintritt. (Es könnte nun auch die Regel des Spiels sein, dass durch diese weitere Meldung zweier Karten die Ebene B außer Kraft gesetzt wird, und auf der Ebene A sich der Konlfikt weiter entwickelt.) Auf der Ebene B sieht man nicht, dass er die Bedingung der Intoleranz erfüllt, wohl auf der Ebene A. Die Palastarbeiter wären ein Beispiel, die auf der Ebene A operieren.

Das sollte sich doch gut am Beispiel der Herz-Asse diskutieren lassen (vgl. Ein Gott für alle Menschen ?).

Verschiedene Akteure ("Götter") spielen das Herz-As aus. Dann kommt ein weiterer Teilnehmer T, spielt ebenfalls das Herz-As aus und weist die anderen zurecht: sie sollen nicht blödeln, sondern ernsthaft spielen. T okkupiert die Ebene A und B gleichzeitig. Er will spielen und die Regeln des Spiels festlegen. --anna 18:20, 7. Mai 2006 (CEST)


Kann es also sein, dass jemand auf einer anderen Ebene eintritt (zumindest könnte es auf den ersten Blick eine andere Ebene sein), und ein Kandidat für die Rubrizierung tolerant/intolerant ist? Die Person könnte sehr massiv mit einer eigenen Position auftreten, aber in gewisser Hinsicht würde diese eigene Meinung sehr unscheinbar wirken.

Zwei Beispiele. Das eine des Kaisers mit dem Toleranzpatent. Aus einer heutigen laizistischen Perspektive erscheint er als indifferent der Religionsfrage gegenüber. Vermutlich wird er in den meisten Schriften als solcherart indifferent geschildert. Er tritt aber auf einer anderen Sphäre in ein Problemfeld ein (zum Beispiel hat er eine sehr starke wirtschaftliche Meinung, die er sehr massiv zur Geltung bringt durch das Toleranzpatent. Es könnte überdies durch eine neue Theorie schlagend erwiesen werden, dass die Sphäre des Religiösen und die Sphäre des Wirtschaftlichen gerade in Wertfragen eine gewisse Isomorphie aufweisen, etwas Ähnliches hatte man schon infolge Calvin. Dann wären in gewisser Hinsicht die wirtschaftlichen Motivationen nicht inkommensurabel mit den religiösen Glaubensfragen und den kulturellen Gepflogenheiten).

Das andere Beispiel mit der Donau, in der Gebräu fließt. Schon in der Vorlesung wurde der alternative Rahmen angegeben, dass es sich um lyrische Strophen handelt; und auch hier könnte jemand in den Konflikt eintreten mit der Meinung, dass es aus ästhetischen und subjektiven Gründen besser sei, wenn man vielmehr ausdrücke: Dass in der Donau grauer Schnaps fließt. Es ist auch hier die Frage, was man überhaupt primär voraussetzt. Man könnte sich denken, dass man am Anfang gar nicht realisiert, dass es sich um eine ästhetische Fragestellung handelt. Man könnte zuerst annehmen, dass man sich mit einer unhaltbaren Aussage konfrontiert sieht; und man würde intolerant sein (im Keim). Doch dann entwickelt sich plötzlich das Gefühl, dass man anders kontern muss. Man könnte in einem dritten Zug kommen, dass selbst die ästhetische Fragestellung dumm ist, und dass die Indifferenz die Lösung ist.

Was sind hier die Kriterien, die in der Vorlesung entwickelt wurden? Wie bestimmt man in diesem Fall, was tolerant/intolerant ist/sein kann?


Nachbemerkung/Weiterentwicklung einer Frage Die Beispiele sind gerade schlecht gewählt. Aber es ist natürlich einzugestehen, dass der ganze Witz, ein Dokument das Toleranzpatent zu nennen, wenn es in Opposition zu einer intoleranten Haltung gestellt werden kann. Sonst hatte es historisch keinen Sinn, so etwas wie den Toleranzbegriff einzuführen. Gleichzeitig klargemacht scheint mir mit diesem Gedanken aber ebenso, dass es in diesem Fall nicht einer persönlich-subjektiven intoleranten Haltung, oder einer persönlich schwelenden Intoleranz bedarf. Was ich also sage: Damit das Wort Toleranz seinen historischen Witz bewahrt, muss es gegen eine Intoleranz gestellt werden können; aber für den Witz ist es nicht erforderlich, dass man sich selbst irgendeiner Art der Intoleranz bezichtigen kann. Es kann, das meine ich, auch vor dem Hintergrund einer allgemein intoleranten Gesellschaft geschehen, dass das Reden von der Toleranz ihren Sinn besitzt. Nachdem das aber wieder ein wenig anders als die Argumente um Davidson liegt, muss eine Erläuterung noch angekündigt werden. --Georg 21:28, 11. Mai 2006 (CEST)



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