Annäherungen (T)
Inhaltsverzeichnis
Krieg
Ein Beitrag aus der "Philosophie der Alltagssprache"
- von Gerhard Polt (Tipp von Jason Smith)
Kampfhähne/Kampfhennen
Carnivale
"Muslim Massacres"
und Frieden
Lessing
Ein Paradigma der Aufklärung. Eine rhetorisch-philosophische Strategie zur Lösung eines handgreiflichen Problems (Streit mit dem Hamburger Pastor Goeze). Die Argumentation beruht auf drei Voraussetzungen:
- Historisierung: Die geschichtliche Herkunft der Religionen invalidiert ihren Wahrheitsanspruch.
- Abstraktion: Religionen sind vergleichbar, d.h. es gibt eine Reflexionsstufe, in der sie nach denselben Kriterien beurteilt werden können.
- Vertagung: diese Entscheidung kann (und muss) verschoben werden.
Diese Strategie erweckt den Anschein der Neutralität und Friedfertigkeit. Sie ist ein hervorragendes Mittel zur Konfliktbewältigung und multikulturellen Sozialisation. Als solche wurde sie Teil des herrschenden liberalen Konsens. Angesichts dessen übersieht man leicht, dass es sich um eine dezidiert inhaltliche Position handelt: einzelne Religionen können keinen unbedingten Wahrheitsanspruch erheben. In einem Fragment aus dem Nachlass wird das so ausgeführt:
In Lessings Deismus wird ein abstrakter "Gott" als Überinstanz zu geschichtlichen Gottesbegriffen angesetzt. Er ist eine Art "Ding an sich" hinter den Offenbarungsreligionen. Wir müssen ihn annehmen, können ihn aber nicht direkt erkennen. Noch Dostojewskis "Wenn Gott nicht ist, ist alles erlaubt" bezieht seine Plausibilität aus dieser Konstruktion.
Die Position der Aufklärung erfüllt eine doppelte Funktion. Erstens erhebt sie sich über den Religionsstreit, zweitens platziert sie sich eine Stufe "höher". Damit entsteht eine überaus produktive Dynamik, die es der europäischen Zivilisation erlaubt hat, lokal etablierte Überzeugungssysteme zu relativieren und in globaler Perspektive zu expandieren. Dabei entsteht die Schwierigkeit, dass dieses Verfahren seine eigene (alt-europäische) Geschichte hat. Es ist mit all seiner Überparteilichkeit selbst Partei. Das wird angesichts der Folgen der imperialen Expansion des europäisch/US-amerikanischer Einflusses besonders deutlich.
Ein Text zum Verständnis des daraus entstehenden Konflikts zwischen Christentum und Islam:
- Lessings Ringparabel ist ein hilfreicher Bezugspunkt in der Auseinandersetzung über Absolutheitsansprüche. Es war einmal ein Ring, der von selbst Ansehen und Macht verlieh, doch heute sind mehrere nicht unterscheidbare Exemplare im Umlauf. Lessing empfiehlt unter diesen Umständen den Verzicht auf die Suche nach dem Original. Die Zeit möge entscheiden.
- Religiöser Fundamentalismus ist eine pointierte Gegenreaktion. Die Parabel löst das Problem des richtigen Lebens, indem sie den Rückgriff auf Ursprünge blockiert und den Fortschritt der Menschheit anvisiert. Aus integralistischer Sicht ist das ein Ablenkungsmanöver. Das Weichzeichnen ideologischer Differenzen ist eine bequeme Art, sich der Festlegung auf die eigene Herkunft zu entziehen.
- Beide Einstellungen existieren in historischen Konstellationen. Der Islamismus erhebt seinen Einspruch gegen die Ungläubigkeit im Rahmen der post-kolonialistischen Hegemonie westlicher Wirtschaft- und Militärmacht. Er ist keine traditionelle Doktrin, sondern eine Antwort auf die traumatische Dynamik des säkularistischen Erfolgsprinzips der europäischen Neuzeit. Fortschritt sollte für alle Menschen gelten, de facto reicht er nur für wenige.
- Im Einflußbereich von Marokko bis Pakistan treffen Königshäuser und Staatsparteien, die teilweise am neo-liberalistischen Waren- und Gedankenaustausch teilnehmen, auf islamisch geprägten Widerstand. Er greift auf die religiöse Tradition zurück, gewinnt seine Schärfe aber aus einer aktuellen Analyse der globalen Machtverhältnisse. Die zentrale Kritik betrifft den Anspruch des Westens, in Glaubensdingen neutral und im Hinblick auf die Weltordnung gerecht zu sein. Das sind für Islamisten leere Worte, hinter denen sich Herrschaftsinteressen verbergen. Der Kollaboration nationaler Führungsschichten in ihren Heimatländern setzen sie eine Art Selbstbehauptung entgegen. Scharia bedeutet "der rechte Weg zur Wasserstelle" -- unerläßlich in der Wüste.
- Die innere Stimmigkeit ihres Glaubenssystems ist für die Vertreter der islamischen Erneuerung dem Taktieren des Westens und seiner Erfüllungsgehilfen in der 3. Welt vorzuzuziehen. Persönliche Integrität, soziales Engagement und Erfüllung der religiösen Gebote bieten den Orientierungsrahmen. Anständigkeit ist nicht immer gewaltfrei. Sie eignet sich als Waffe gegen Fremde, besonders wenn sie als Bedrohung empfunden werden. Der Abstecher zum echten Ring führt über Opfer und Tod.
Interkulturell
Eine aktuelle Verwendung des Toleranzbegriffes ist das US-amerikanische ,,zero tolerance``-Prinzip. Die Polizei schreitet beim geringsten Anlaß ein. Diese Entwicklung wirft ein schiefes Licht auf das Ideal des verständnisvollen Umgangs mit Andersartigkeit und Grenzverletzung, wie es im Repertoire der aufgeklärten Bildungselite vorzufinden ist. Die für den Polizeieinsatz vorgebrachte Begründung besagt, daß halbherzige Maßnahmen Verwirrung stiften und letztlich sogar den Gewaltpegel steigern. Wie dem auch sei, eines ist sicher richtig: Toleranz ist eine Kompromißform, ein Zwischending aus Überzeugung und dem Verzicht auf Überzeugung. Franz Wimmers Einleitung in einer IWK-Publikation zum Thema spiegelt die milde Schizophrenie der betreffenden Einstellung.
- "Abstrakt genommen müßten Menschen, die unterschiedliche Religionen vertreten, einander notwendig tolerieren, weil keiner von ihnen etwas anderes als die innere Überzeugung für die Richtigkeit seiner Glaubenswahl anführen kann ... Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Sprache, Ethnie oder Tradition ist für den einzelnen theoretisch natürlich genau sowenig ein Argument, andere zu verachten oder deren Anders sein nicht zu tolerieren." (F.M. Wimmer)
Schön ist zu sehen, wo der Hebel angelegt wird. Gesetzt, Herkunft und Überzeugung jeder Person seien prinzipiell relativierbar. Dann fehlt die theoretische Basis des Hegemonieanspruches; Toleranz ist die plausible Konsequenz. Aber diese Voraussetzung ist fragwürdig. Der gewünschte Effekt wird teuer bezahlt. Wenn alles gleich gut ist, fehlt überall ein Schwerpunkt.
Darum fährt Franz Wimmer fort:
- "Doch geraten wir hier in ein Dilemma: das Eigene, mit dem wir uns identifizieren, können wir nicht leichthin relativieren. Doch kann, um der leidigen Alternative der Intoleranz zu entgehen, der Dialog gesucht und wo immer möglich praktiziert werden."
Diese Zeilen geben die Halbherzigkeit wieder, mit der sich die Mehrzahl der europäischen Intellektuellen in Wahrheitsfragen eingerichtet hat. Sicher, jede Stellungnahme kommt aus einer ganz spezifischen Position. Das ist schon darum wichtig, weil die Sprecherinnen nicht in der Masse untergehen wollen. Doch andererseits herrscht Toleranz: jede soll sagen können, was sie denkt und keiner kann dem anderen das Recht auf seine Sache absprechen. Leben und leben lassen, ein durchaus angenehmer Zustand. Nur leider: das gilt nur bei gutem Wetter. Das Leben ist auch ein Verdrängungswettkampf und die Personen, die sich nicht an ihre Hausmacht halten, sind oft die Dummen. Die Kritik des Toleranzgestus geht noch tiefer. Die eben heraufbeschworene Dummheit erweist sich, bei näherer Prüfung, in vielen Fällen als die überlegene Einstellung. Offenheit und Lernfähigkeit übertrumpfen Dogmatismus. Und darin kann man erst recht ein Gegenargument gegen die Fürsprecher der Toleranz machen. Nur wenn es mir nicht an den Kragen geht, eröffnet sich die Freiheit, vom Andersartigen zu profitieren. Toleranz ist ein Erfolgsrezept für Besserverdienende, denen eine normverbürgte Leitkultur eher als Hindernis erscheint.
Demokratie, Relativismus, Glauben
Literatur
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- Belegstellen für Vorlesungstexte
- Rudolf Carnap: Logische Syntax der Sprache. Wien 1934
- Rudolf Carnap: Mein Weg in die Philosophie. Stuttgart 1993 (Reclam 8844)
- Donald Davidson: Wahrheit und Interpretation. Frankfurt/M 1990 (stw 896)
- W.v.O. Quine: Word and Object. Cambridge, Mass. 1960
- W.v.O. Quine: Ontologische Relativität und andere Schriften. Stuttgart 1975 (Reclam 9804)
- Anna Elisabetta Galeotti: Zu einer Neubegründung liberaler Toleranz. Eine Analyse der "Affaire du foulard". In: Rainer Forst (Hg.): Toleranz. Philosophische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis einer umstrittenen Tugend. Frankfurt 2000. S. 231-256.
- Wendy Brown: Reflexionen über Toleranz im Zeitalter der Identität. In: Rainer Forst (Hg.): Toleranz. Philosophische Grundlagen und gesellschaftliche Praxis einer umstrittenen Tugend. Frankfurt 2000. S. 257-281
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