Fazit (W.Brown)

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Version vom 16. Juni 2006, 07:44 Uhr von Anna (Diskussion | Beiträge)
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Wenn Demokratie als allgemeine Partizipation und geteilte Macht bei der Gestaltung eines Gemeinwesens verstanden wird und nicht lediglich als ge­meinsame Mitgliedschaft, die sich in Wahlen und Rechten ausdrückt, legt das Gesagte nahe, daß die gegenwärtigen Praktiken der Toleranz zutiefst antidemokratische Dimensionen aufweisen. An dieser Stelle ist es wichtig, sich deut­lich auszudrücken. Ich trete keineswegs für eine Zurücknahme oder Veren­gung der Toleranzlehre in bezug auf Gesetze der Rede- und Religionsfreiheit ein; ich behaupte nicht, die freie Rede oder religiöse Überzeugungen sollten nicht geschützt werden. Meine Besorgnis gilt vielmehr den Folgen, die sich einstellen, wenn die Prämissen und Prinzipien der Toleranz, die sich bislang auf Überzeugungen und freie Rede bezogen, auf ein Ethos angewandt werden, welches den kulturellen und politischen Anforderungen heutiger kom­plexer Demokratien Rechnung tragen soll. Vor allem sollten sich Demokra­ten durch die Weise beunruhigen lassen, in welcher der Toleranzdiskurs (1) von inhärenten kulturellen, ethnischen und religiösen Feindschaften ausgeht (und sie damit erzeugt), daneben (2) uneingestandene normative Macht in Form kultureller, ethnischer, sexueller oder geschlechterspezifischer Normen enthält, anhand derer die Tolerierten gemessen und sodann geduldet werden; in der dieser Diskurs zudem (3) in bezug auf die gekennzeichneten Subjekte Überzeugung, Identität und Merkmal vermischt und hiermit die Aussichten auf eine Form kollektiver Deliberation — auf eine demokratische Argumenta­tion — verschlechtert, die ihren Ausgang nicht von der Identität oder »Sub­jektposition« nimmt und (4) Ungleichheit in Differenz umdeutet oder die Auswirkungen von Herrschaft als naturalisierte Differenz reifiziert.

Zusammengenommen lassen diese Elemente den Toleranzdiskurs in ver­schiedenen Hinsichten als antidemokratisch erscheinen — ein Problem, das durch den Umstand verschärft wird, daß die Toleranz sich als leuchtendes Kennzeichen einer demokratischen Kultur geriert. Wenn aber der Toleranz­diskurs nur sehr eingeschränkt zum Verständnis dessen beiträgt, wie man Gleichheit, Freiheit, Anerkennung und Solidarität in heterogenen und hi­storisch stratifizierten Gemeinwesen befördern kann, täten wir gut daran, ihn nur auf Überzeugungen und Praktiken anzuwenden, die in angemesse­ner Weise als privat konstruiert werden können — ganz gleich, wie proble­matisch und paradox diese Konstruktion auch immer sein mag. In der Neuzeit sind solche Praktiken und Überzeugungen typischerweise unter den Rubriken »Religion« und »Gewissen« geführt worden, was vermutlich noch eine beträchtliche Weile der Fall sein wird, auch wenn diese Kategori­en heutzutage sehr weit ausgelegt werden müssen. Um jedoch ökonomi­sche, kulturelle und politische Produktionen von Ungleichheit und Unge­rechtigkeit erkennen und beseitigen zu können, benötigen wir Sprachen der Macht — einen Begriff also, den die Toleranz unweigerlich verschleiert.


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