Zweiter Frühling

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Ernst Tugendhat zu Heideggers Umweltanalyse

aus: Aufsätze 1992-2000 S. 118f, 126f.

Heideggers Versuch, das praktische Sich-Verhalten (zu »Zuhandenem«) vom theoretischen (zu »Vorhandenem«) zu isolieren, scheitert – es sei denn, man versteht praktisches Sich-Verhalten ausschließlich als Handeln in eingefahrenen Handlungsmustern; dies ist aber als selbständiges und »primär gegebenes« nicht denkbar. Das Ergebnis von (1), daß zu Welt immer auch Vorhandenes gehört, wird also unter (2) noch dadurch verstärkt, daß zumindest das umsichtige praktische Verhalten zu seinem eigenen Gegenstand sich auch überlegend, »theoretisch« verhält.

Die eben verwendeten Ausdrücke »Vorhandenes« und »Zuhandenes« waren ein Vorgriff. Das Wort »Zuhandenheit« wird in § 15, Abs. 6 eingeführt und, zwar nicht explizit an dieser Stelle, aber nachher durchweg, als Gegenbegriff zu »Vorhandenheit« verwendet. Von »Vorhandensein« war zuerst in § 9 die Rede; dort wurde der Terminus als angebliches Äquivalent des traditionellen Begriffs »existentia« eingeführt, als Gegenbegriff zu »Existenz« in Heideggers speziellem Sinn als dem spezifischen Sein des Daseins. Das Dasein existiere in der Weise, daß es ihm »um« sein Sein gehe und daß es sich zu diesem als seinem »Zu-sein« verhalte; als solches könne es nicht zugleich als vorhandenes gedacht werden (42).

Heidegger unterscheidet also drei Weisen von Sein von Seiendem: Existenz als Sein des Daseins Vorhandensein und Zuhandensein als Sein des »innerweltlichen Seienden«, und zwar soll das Sein des innerweltlichen Seienden, wie es primär begegnet, von der Welt her, als Zuhandenes erfahren werden: In seinem Um-zu begegnet es aus einer Verweisungsganzheit, die ihrerseits nur vom Worumwillen des Daseins her zu verstehen ist (86), während – wenn der Weltbezug zurücktritt – das innerweltliche Seiende als bloß Vorhandenes begegnet (61, vgl. auch §§ 16 und 33). Aber jetzt muß man sich fragen: Sind diese drei Worte verständlich? »Existenz« am ehesten. Hier haben wir einen der seltenen Fälle, in denen Heidegger zuerst eine Strukturbeschreibung gibt und dann sagt, er wolle das so beschriebene Sein mit diesem Wort bezeichnen (12). Die Worte »Vorhandensein« (42) und »Zuhandensein« hingegen führt Heidegger so ein, daß suggeriert wird, der Leser könne schon aus ihrem Klang oder ihrer Zusammensetzung entnehmen, was sie bedeuten.

Bei »Vorhandensein« kann man sich immerhin zurechtlegen, was das Wort bedeuten soll. Die angebliche Entsprechung zu »existentia« (42) stimmt natürlich nicht, denn auch bei anderen assertorischen Satzformen, wie z.B. der prädikativen, soll Sein den Sinn von Vorhandensein haben. (Selbst wenn die Entsprechung stimmte, würde das nicht weiterhelfen, denn was besagt »existentia«? Außerdem will Heidegger nicht »Vorhandensein« durch »existentia« erklären, sondern umgekehrt.) Vollends in die Irre führt natürlich Heideggers immer wiederkehrende Zusammenstellung von »Vorhandenheit« mit »Hinsehen«, »Nur-noch-Hinsehen«, »Begaffen«, »starres Begaffen«, Begegnen-lassen »nur noch in seinem puren Aussehen« (z. B. 61, 69). Erhellender ist die Zusammenstellung mit »Erkennen« (§ 13). Am ehesten läßt sich wohl, was Heidegger mit Vorhandensein meint, durch das erläutern, was ich in früheren Arbeiten als »veritatives Sein« bezeichnet habe, dasjenige »ist«, das sich auf eine ganze Proposition bezieht (»es ist so«). In diesem Sinn könnte man sagen: Mit Vorhandensein ist soviel wie Konstatierbarkeit gemeint.

Aber »Zuhandenheit«? Hier gibt Heidegger überhaupt keine Erklärung, und die Andeutungen, die er macht – als Zuhandenes »begegnet« das Seiende, so wird es »entdeckt«, wenn es nicht »als vorkommendes« »erfaßt« wird, sondern unmittelbar »im Umgang« selbst (69) –, geben wenig her. Die Frage wäre ja, wie es denn »im Umgang« begegnet. In gewöhnlicher Terminologie formuliert: Welche Art von Bewußtsein haben wir von den Dingen, während wir mit ihnen in eingefahrenen Handlungsmustern umgehen? Ich weiß nicht, was sich darauf antworten ließe, denn sobald das Handeln ein irgendwie explizites ist, sobald es auch nur im »ontischen Umgang« dem entspricht, wie Heidegger es in der ontologischen Analyse erklärt, sobald man also meint, der Hammer beispielsweise ist dazu da (oder das Hämmern erfolgt) »für ...« oder »um-zu ...«, haben wir eine Aussage, also ein »apophantisches« Sich-Verhalten zu Vorhandenem. Das spezifische Bewußtsein (»Entdecken«), das zum automatisierten Verhalten gehört, läßt sich nicht näher beschreiben, weil es vor-apophantisch und damit vorsprachlich ist. (Der Versuch, den Heidegger in § 33 gemacht hat, für das spezifische Bewußtsein dieser Umgangsweise Worte zu finden (»zu schwer, den anderen Hammer!«), ist natürlich verfehlt, da dieser Ausdruck aus einem elliptischen prädikativen Satz plus einem elliptischen Imperativ besteht.)

Die Rede von Zuhandenheit ist also nicht nur von Heidegger nicht geklärt worden; sie läßt sich gar nicht klären.



Hat es damit seine Richtigkeit? Zunächst bestätigt der § 16 meine Interpretation, daß Heidegger mit der Zuhandenheit das, wie er sagt, störungsfreie und d. h., wie ich interpretierte, eingefahrene Umgehen mit den Dingen meinte. Folgt dann aber nicht, daß die Bewußtseinsänderung, die durch Störungen – oder auch schon, wie ich hinzufügen möchte, durch das umsichtige Wachsein für die Möglichkeit von Störungen – stattfindet, sich gar nicht als Heraustreten aus dem Praxisbezug verstehen läßt? Es ist vielmehr, meine ich, der Praxisbezug selbst, der aus einem unthematischen zu einem expliziten (und so auch eigentlich erst jetzt umsichtigen) wird. Gewiß erscheinen jetzt die Dinge, wie Heidegger sagt, als vorhandene, aber sie tun das einfach, weil sie allemal, wenn sie explizit bewußt werden, als vorhandene wahrgenommen werden, aber in eins damit treten ihre (tatsächlichen, gestörten oder möglichen) »Verweisungszusammenhänge« (»Zweckbezüge«) thematisch ins Bewußtsein. Daß auch das Praktische (die »Verweisung«) ausdrücklich wird, kann dann nicht, wie Heidegger es tut, so erklärt werden, daß es bewußt wird, weil es sich »verabschiedet«, sondern die Zweckbezüge werden bei einer Störung des eingefahrenen Handelns (oder auch schon im für Störungen wachen Umgang) in der gleichen Weise themmatisch wie die theoretischen Komponenten, die zu gehörten. Bezeichnenderweise hat Heidegger die Störung wie eine Momentaufnahme gesehen – wenn die Verweisung sich verabschiedet, wäre sie ja danach weg – und hat nicht danach gefragt, wie das Bewußtsein aussieht, das nun explizit auf den gestörten Verweisungszusammenhang eingeht, indem es z. B. den beschädigten Gegenstand repariert oder verbessert. Geht das Bewußtsein auf die Dinge nun als vorhandene oder als zuhandene ein? Gewiß nicht als Zuhandene, wenn man Zuhandenheit als Automatismus versteht, und doch als solche, wenn man unter Zuhandenheit die Zweckzusammenhänge versteht, und auf diese kann man sich nur so explizit beziehen, daß man die kausalen Mittel-Zweck-Fragen stellt, die Heidegger nachträglich in § 69 b (oben S. u6) als charakteristisch für die Umsicht zugestanden hat und die, richtig verstanden, die Dinge allemal als theoretisch erkennbare berücksichtigt.

Was folgt daraus für die Frage nach dem »Aufleuchten« von Welt? Die Voraussetzungen, unter denen Heidegger diese Frage stellt, könnten ihre Beantwortung fast aussichtslos erscheinen lassen: Einerseits bedeute die thematische, theoretische Bezug auf die Dinge als vorhandene eine »Entweltlichung des Zuhandenen« (75), andererseits gehöre zum umsichtigen Umgang mit dem Seienden wegen seiner Unausdrücklichkeit »das Sich-nicht-melden der Welt« (ebd.). Heidegger löst dieses Dilemma durch die so ingeniös erscheinende These vom Aufleuchten der Welt im Moment der »Verabschiedung« der Zuhandenheit der Dinge. Läßt sich nun das durch eine Verweisungsstörung (oder das Bewußtsein ihrer Möglichkeit) bedingte Übergehen ins Thematische nicht als Verabschiedung des Praxisbezugs verstehen, entfällt diese Konstruktion. Ohnehin wird sie von Heidegger merkwürdig beschrieben: Inwiefern soll, wenn eine Mittel-Zweck-Beziehung gestört wird, also z. B. ein Werkzeug sich als beschädigt erweist, über diese Verweisungsbeziehung hinaus »die ganze Werkstatt« »in die Sicht« kommen?

Darüber hinaus kann man Heideggers Annahme, daß es besondere ontische Situationen geben muß, in denen Welt »aufleuchtet«, überhaupt merkwürdig finden. Welt ist vielleicht wesensmäßig ein Hintergrundphänomen. Heidegger war von einer allgemeinen methodischen Überzeugung ausgegangen, daß alles, was man ontologisch thematisieren kann, auch schon vorontologisch thematisch gegeben sein muß. Dieselbe methodische Funktion hat im § 39 die Angst, als ontische Erfahrung der Ganzheit des In-der-Welt-Seins als Grundlage für die dann im § 40 folgende ontologische Analyse der Sorge. In beiden Fällen, bei der Erörterung der Welt in § 18 wie dann auch bei Angst und Sorge wirkt sich die vorausgehende Analyse dessen, was im Ontischen dem Ontologischen entsprechen soll, auf die nachfolgende Analyse des Ontologischen gar nicht aus.


H.Hrachovec zu Welt und Sein in der Umweltanalyse

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Besser Wissen (Vorlesung Hrachovec, 2006/07)</root>