Welche Bedeutung haben Medien in den ersten Lebensjahren?

Aus Philo Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche

Literaturliste:


Baacke, D. (1996). Medienkompetenz – Begrifflichkeit und sozialer Wandel. In: A. Von Rein (Hrsg.). Medienkompetenz als Schlüsselbegriff. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Baacke, D. (1999). Die 0-5jährigen. Einführung in die Probleme der frühen Kindheit. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.

Charlton, M. (2007). Das Kind und sein Startkapital. Medienhandeln aus der Perspektive der Entwicklungspsychologie. In H. Theunert (Hrsg.). Medienkinder von Geburt an. Medienaneignung in den ersten sechs Lebensjahren. München: kopaed.

Dornes, M. (2004). Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen. Frankfurt am Main: Fischer.

Flammer, A. (2003). Entwicklungstheorien. Psychologische Theorien menschlicher Entwicklung. Bern: Verlag Hans Huber.

Kübler, H.-D., Swoboda, W. H. (1998). Wenn die Kleinen fernsehen. Die Bedeutung des Fernsehens in der Lebenswelt von Vorschulkindern. Berlin: Vistas Verlag.

Lange, A. (2007). Das Kind in der Familie. Medienhandeln aus der Sicht der Familienforschung. In H. Theunert (Hrsg.). Medienkinder von Geburt an. Medienaneignung in den ersten sechs Lebensjahren. München: kopaed.

Nieswiodek-Martin, E. (2006). Kinder in der Mediengesellschaft. Fernsehen, Computer und Erziehung. Holzgerlingen: Hänssler Verlag.

Ostermann, S. (2007). Medienkompetent von Geburt an? Grundlagen für die Förderung von Medienkompetenz bei Kindern. In H. Theunert (Hrsg.). Medienkinder von Geburt an. Medienaneignung in den ersten sechs Lebensjahren. München: kopaed.

Schäfer, G. E. (2007). Das Kind in der Bildungswelt. Medienhandeln in der frühen Kindheit. In H. Theunert (Hrsg.). Medienkinder von Geburt an. Medienaneignung in den ersten sechs Lebensjahren. München: kopaed.

Schore, A. N. (2003). Zur Neurobiologie der Bindung zwischen Mutter und Kind. In: H. Keller (Hrsg.). Handbuch der Kleinkindforschung. Bern, Göttingen: Huber.

Spanhel, D. (2006). Medienerziehung. Erziehungs- und Bildungsaufgaben in der Mediengesellschaft. Handbuch Medienpädagogik. Bd. 3. Stuttgart: Klett-Cotta

Spanhel, D. (2007). Die Bedeutung von Medien in den ersten Lebensjahren. Der Aufbau grundlegender Medienkompetenzen. Medien und Erziehung. S.10-17.

Theunert, H./Demmler, K. (2007). Medien entdecken und erproben. Null- bis Sechsjährige in der Medienpädagogik. In H. Theunert (Hrsg.). Medienkinder von Geburt an. Medienaneignung in den ersten sechs Lebensjahren. München: kopaed





Seminar: Erziehung und Medien Sommersemester 2008

Lehrveranstaltungsleiter: Prof. Dr. Swertz


Seminararbeit

Die Bedeutung der Medien und der Prozess der Medienaneignung in den ersten Lebensjahren

Seminararbeit verfasst von Gertraud Keplinger (Matr.Nr.: 8640648, Studienkennzahl: A 297)




1.Einleitung

Im Zuge der Seminararbeit wird die Forschungsfrage behandelt, welche Bedeutung die Medien in den ersten Lebensjahren haben. Wie geht der Prozess der Medienaneignung vor sich und welche Herausforderungen ergeben sich für den Erwerb grundlegender Medienkompetenzen? Daraus resultieren eine Menge an Detailfragen bzw. –aspekten, die nachfolgend einer Klärung bedürfen, um schlussendlich mögliche offene Fragen zu beantworten.

Medien sind heutzutage allgegenwärtig und durchdringen von Anfang an die Lebenswelt der Kleinkinder. Bevor Aussagen über die Bedeutung von Medien im Kleinkindalter gemacht werden können, muss zuerst immer etwas über das Kind in Erfahrung gebracht werden. Zu beachten ist dabei, welche Fähigkeiten das Kind schon ausgeformt hat, was hinsichtlich seines Entwicklungsstandes bekannt ist und wie sich seine Lebensumstände gestalten. Isoliert kann das Kind nicht betrachtet werden, da es immer im familiären Zusammenhang gesehen werden muss. Die Familienstruktur hat gerade in dieser frühen Phase der Kindheit den entscheidenden Einfluss, welche Erfahrungen das Kind mit den Medien machen wird.

Den Beginn der Arbeit bildet die Begriffsklärung von Medienkompetenz. Dieser Begriff findet in der Literatur immer wieder Eingang als Schlüsselbegriff.

Der wesentliche Teil der Arbeit wird sein, wie sich die Bedeutung der Medien im Laufe der Entwicklung des Kindes verändert und ausdifferenziert. Dabei orientiert sich der Aufbau der Arbeit an einem wissenschaftlichen Artikel von Dieter Spanhel. Angefangen von den Medien als Reizquellen und Gegenstände der Aufmerksamkeit, als Wahrnehmungs-und Handlungsobjekte, bis hin zum Erwerb der Fähigkeit zum Zeichengebrauch als Vorstellungs- und Beziehungsherstellung und letztlich der Erwerb der Sprachfähigkeit für die Bedeutung als Kommunikationsmedien. (vgl. Spanhel 2007)

Der Prozess der Medienaneignung, der sich als Wechselspiel der Auseinandersetzung Kind und Medien in seiner sozialen Umwelt darstellt, wird im einem eigenen Kapitel behandelt.

Weiters bedarf es einer klaren Darstellung, wie sich die Integration der Medien in den Lebensalltag der Kinder gestaltet und welche Einflüsse das reichhaltige Medienangebot auf die Kleinen hat.

Den Abschluss der Arbeit bildet ein Resümee mit Schlussfolgerungen und möglichen Erkenntnissen, die durch die Betrachtungen gewonnen wurden, die auch mögliche medienpädagogische Konsequenzen beinhalten werden.

2.Medienkompetenz als Schlüsselbegriff

In der Literatur wird der Begriff Medienkompetenz als Schlüsselbegriff bezeichnet. Er bezieht sich generell auf den Umgang mit Medien und wurde von Dieter Baacke in den medienpädagogischen Diskurs eingebracht. Neben der Vermittlung von technischen Inhalten stützt sich Baacke bei seinem Kompetenzbegriff auf die Fähigkeit zu kommunikativem Handeln und zur sprachlichen Kompetenz. (vgl. Ostermann 2007)

Die kommunikative Kompetenz (Sprachfähigkeit) ermöglicht eine aktive Teilhabe an der Umwelt, also ein „In-der-Welt-Sein“. (Baacke 1996, S. 119) Medienkompetenz ist ein Bestandteil, sozusagen eine Besonderheit von kommunikativer Kompetenz. Medien werden als Hilfsmittel eingesetzt und verändern und erweitern Kommunikationsprozesse. (vgl. Ostermann 2007)

Medienkompetenz „meint also grundlegend nichts anderes als die Fähigkeit, in die Welt aktiv aneignender Weise auch alle Arten von Medien für das Kommunikations- und Handlungsrepertoire von Menschen einzusetzen.“ (Baacke 1996, S. 119) Als Erweiterung der kommunikativen Kompetenz ist Medienkompetenz dahingehend zu sehen, indem Wirklichkeit über und mit Medien angeeignet und gestaltet wird. Der Mensch muss also fähig sein, sich über Medien auszudrücken. (vgl. Ostermann 2007) Für die Nutzung der Medien ist Medienkompetenz wichtig, um sich in der Angebotsvielfalt zurechtzufinden, selbstbestimmt zu handeln und die Dauer der Mediennutzung verantwortlich zu bestimmen. Dafür sind technische Grundkenntnisse über die entsprechenden Medien und deren Bedienung erforderlich. (vgl. Nieswiodek-Martin 2006) „Medienkompetenz bedeutet: Medien selbstbestimmt und verantwortungsvoll zu handhaben – zur Kommunikation, Information und Wissensvermittlung und auch zur Freizeitgestaltung.“ (Nieswiodek-Martin 2006, S.11)

Das Erlangen von Medienkompetenz ist ein fortlaufender Prozess, der sich über die gesamte Sozialisation eines Menschen erstreckt. Selbst ein Erwachsener ist nicht rundum medienkompetent. Bei den Kindern hängt die kompetente Nutzung der Medien, die nach ihren Bedürfnissen und Möglichkeiten ausgerichtet sein soll, wesentlich von ihrer sozial-kognitiven Entwicklung ab. (vgl. Ostermann 2007) Bei Kleinkindern ist der Aufbau von Medienkompetenz ein ´Lernen von Kontext`, das heißt, dass die Eltern im familiären Umfeld den Kindern überschaubare und verlässliche Handlungsrahmen bereitstellen müssen. Die Eltern sollten das eigene Medienhandeln reflektiert betrachten, um sich ihrer Vorbildwirkung bewusst zu sein. Nur so können sie mit ihren Kindern im familiären Zusammenleben grundlegende Gemeinsamkeiten, wie Wissen, Regeln, Erwartungshaltungen und Wertmaßstäbe gewinnen, die wichtig für den Aufbau von Medienkompetenz sind. (vgl. Spanhel 2006)

Medienkompetenz ist allgemein der Umgang mit Medien. Kleinkinder sind eingebettet in den familiären Rahmen, das heißt, dass die Familie bedeutenden Einfluss darauf hat, inwieweit das Medienangebot an die Kinder herankommt und somit die entscheidenden Weichen für den Aufbau von Medienkompetenz stellt.


3.Medien als Reizquelle

In den ersten sechs Monaten ist die Entwicklung an Sinnesreaktionen auf Umweltreize und anschließende motorische Verhaltensweisen gebunden. Auf der Grundlage ererbter Reflexe formen sich sensumotorische Schemata heraus. Diese werden in den ersten Wochen durch Wiederholung und Übung gefestigt und ausdifferenziert und zu komplexen Gefügen koordiniert. (vgl. Spanhel 2007)

Zwischen Individuum (Säugling) und Welt (Mutter bzw. Bezugsperson) geschieht jeglicher Austausch über Aktivitäten des Individuums. Die grundsätzliche Funktion des Verhaltens basiert auf der Anpassung zwischen Organismus und Umwelt durch Assimilation und Akkommodation. Motorische und sensorische Schemata bzw. sensumotorische Schemata sind die erste Klasse von Schemata, mit denen die Welt bewältigt und repräsentiert werden kann. Die Formen des Zusammenspiels dieser komplementären Mechanismen im Entwicklungsprozess hat Piaget unter dem Begriff „Kreisreaktionen“ beschrieben. (vgl. Flammer 2003)

Mit Hilfe der Assimilationsschemata kann der Säugling immer neue Objekte aus seiner unmittelbaren Umgebung aufnehmen. Er lernt nach und nach aus den Erfahrungen mit diesen Mustern, Handlungsergebnisse absichtlich auszulösen. (vgl. Spanhel 2007) Piaget beschreibt das als die sekundären Kreisreaktionen, bei denen ein Individuum ein einmal als lustvoll erlebtes Schema bei passender (oder auch vermeintlich passender) Gelegenheit wieder aktiviert. (vgl. Flammer 2003)

Der Säugling hat bereits vom Beginn seines nachgeburtlichen Lebens an ein elementares Selbstgefühl und ein Gefühl für die davon getrennte Objektwelt. (vgl. Flammer 2003) Das Selbstempfinden ist der zentrale Bezugspunkt und das organisierende Prinzip, aus dem der Säugling heraus sich selbst und die Welt erfährt und ordnet. Es beschreibt den Prozess, in dem die Erfahrung, die das Subjekt im Umgang mit sich selbst und der Objekte macht, ordnet, verarbeitet und organisiert. (vgl. Dornes 2004) Das ´Kern-Selbst` formt sich innerhalb von den ersten sechs Monaten heraus. Es basiert auf den Erfahrungen der eigenen Handlungsfähigkeit, der Empfindung einer abgegrenzten körperlichen Einheit und dem Erleben regelmäßiger innerer Gefühlswelten. (vgl. Spanhel 2007) Von Bedeutung ist das subjektive Erleben des Einsseins mit einem anderen Menschen, „dass die primäre Bezugsperson bestimmte regulierte, positive, emotionale Erfahrungen bereitstellt, auf deren Grundlage sich ein sicheres Band zwischen Baby und Bezugsperson formen und so einen Kanal für emotionale Kommunikation in beide Richtungen herstellen kann.“ (Schore 2003, S. 72) Beim Kern-Selbst-Empfinden (als Unterscheidung zu einem Kern-Anderen vgl. Flammer 2003) erkennen die Säuglinge, dass sie und das Andere getrennte Wesen sind, zwei Körper besitzen, die miteinander in Beziehung treten können ohne zu verschmelzen. (vgl. Dornes 2004)

Der Säugling entwickelt aus den Erfahrungen in den Mutter-Kind-Interaktionen ein bedeutsames „Wissen“ über seine eigenen und über die innerlichen Zustände der Mutter und lernt, wie sie reguliert werden können. Dieses „Wissen“ ist im Bereich der sensumotorischen Schemata angesiedelt, welche das erste „Medium“ der Weltaneignung des Säuglings darstellt. Darauf baut die primäre emotionale Kommunikation im familiären Umfeld auf. (vgl. Spanhel 2007)

In dieser ersten Entwicklungsphase haben technische Medien keine Bedeutung für den Säugling. Auf dem Bildschirm des Fernsehens sehen Kinder unter einem Jahr nur bunte Bilder, die vor sich hinflimmern. (vgl. Nieswiodek-Martin 2006)

Sie registrieren die akustische und optische Reizquelle Medien zwar und wollen sie auch kontrollieren, in dem sie sich etwa dem Fernsehbildschirm zuwenden, wenn von dort Geräusche oder starke optische Signale ausgehen. (vgl. Theunert/Demmler 2007) Wenn dem Kleinkind die Reize zu viel werden, kann es die Augen schließen, den Kopf abwenden, vielleicht schreien oder wimmern. Schon der Säugling zeigt eine Reaktion auf mediale Wahrnehmungsreize und versucht diese auszugleichen. Angenehmen Eindrücken wendet er sich zu und meidet unangenehme Reize oder versucht durch sein Handeln (z.B. Schreien) auf die Situation Einfluss zu haben. Dadurch können sich bereits erste Handlungsmuster festigen. Es finden sich jedoch zu möglichen Wirkungen medialer Reizquellen bislang keine aussagekräftigen Untersuchungen. (vgl. Spanhel 2007)

In dieser Entwicklungsphase haben Medien also nur als Reizquellen Bedeutung. Der Säugling reagiert auf Wahrnehmungsreize und versucht durch sein Handeln, beispielsweise hinwenden oder wegdrehen des Kopfes, wimmern oder schreien, die Situation zu kontrollieren.


4.Medien als Wahrnehmungs- und Handlungsobjekte

Die Interaktionen des Kindes mit der Umwelt verändern sich in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres. Das Kleinkind entwickelt die Fähigkeit, Schemata oder Mittel zur Erreichung bestimmter Ergebnisse einzusetzen. Der Aufbau von Objektpermanenz und das Verstehen von Kausalbeziehungen sind wichtige Bedingungen dafür. (vgl. Spanhel 2007) Piaget bezeichnet das als sensumotorische Intelligenz, die in die frühe Kindheit fällt. Sie gliedert sich in verschiedene Inhaltsbereiche, wie Objektpermanenz, Raumbeziehungen, Ursache-Wirkung und Mittel-Zweck-Beziehungen. (vgl. Baacke 1999) Der Aufbau dieser Fähigkeiten sind wichtige Voraussetzungen für die weitere Entwicklung des Kindes. „Das Kind abstrahiert aus den Reaktionen auf ähnliche Situationen ein Handlungsmuster; es lernt vom Kontext. Diese praktische Intelligenz bildet sich auf der Grundlage sinnlicher und emotionaler Erfahrungen in den Beziehungen zur Umwelt heraus.“ (Spanhel 2007, S. 12) In diesem Zusammenhang spricht Schäfer vom aisthetischen Denken. Das ist eine Ordnung der sinnlichen Wahrnehmung. Aus der Gewinnung ihrer sinnlichen Erfahrungen in Alltagszusammenhängen bildet sich das Erfahrungswissen der Kinder. Sie erfassen, wie die Dinge zusammenhängen, in welchen Kontexten sie sich im Allgemeinen befinden, wie sie normalerweise geformt und wozu sie gebraucht werden können. Daraus entsteht in ihren Köpfen eine sinnliche Ordnung der Wirklichkeit, mit der die Kinder denken, noch bevor sie überhaupt sprechen. (vgl. Schäfer 2007)

Die Medien, mit denen das Kleinkind in seinem Alltag in Berührung kommt, bekommen in dieser Phase eine Bedeutung als Wahrnehmungs- und Handlungsobjekte. Medieninhalte haben noch keine oder kaum eine Bedeutung. (vgl. Spanhel 2006) „Im Kleinkindalter versucht das Kind die Medien im Wortsinn zu be-´greifen`“. (Theunert/Demmler 2007, S. 100) Die Geräte werden untersucht, indem das Kind sie ertastet und erschmeckt, beobachtete Funktionen wie auf dem Computer zu ´schreiben` werden nachgeahmt oder das Kind versucht Kontakt aufzunehmen, wenn es Menschen auf dem Fernsehbildschirm entdeckt. (vgl. Theunert/Demmler 2007)

Im Zusammenhang mit ersten Fernseherfahrungen von Kleinkindern lässt sich sagen, dass akustische Darstellungsmittel wie lebhafte Musik, Toneffekte, Kinderstimmen, ungewöhnliche Stimmen und häufige Sprecherwechsel die Aufmerksamkeit wecken. Wechsel von Szenen und Figuren oder auch ein hohes Maß an physischer Aktivität oder Aktion erregt Aufmerksamkeit und übt eine wahrnehmungsmäßige Faszination auf Kleinkinder aus. Dies geht aus internationalen Forschungsbefunden hervor. (vgl. Kübler/Swoboda 1998)

Als Handlungsobjekte sind die Medien für die Kleinen nur dann interessant, wenn sie damit hantieren dürfen. Die Fernbedienung des Fernsehers, die Tastatur des Computers, das Telefon oder ein Taschenrechner bieten Anlass zu lustvollem Spiel. (vgl. Spanhel 2006) „Das Kind übt auf spielerische und lustvolle Weise im Umgang mit Medien Handlungsmuster in Form sensumotorischer Schemata ein.“ (Spanhel 2006, S. 123) Schon das Kleinkind in dieser frühen Entwicklungsphase baut stabile Beziehungsmuster, die mit positiven Gefühlen verbunden sind, zu den einzelnen technischen Medien als Wahrnehmungs- und Handlungsobjekte auf. (vgl. Spanhel 2006)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in dieser Entwicklungsphase die Medien einerseits als Handlungsobjekte interessant sind, indem sie ertastet, erschmeckt und als ´begreifbar` erfahren werden und als Anlass zu lustvollem Spiel genommen werden. Andererseits gewinnen sie an Bedeutung als Wahrnehmungsobjekte. Die formalen Züge des Fernsehens beispielsweise, wie lebhafte Musik, Toneffekte, häufige Sprecherwechsel, Wechsel von Szenen und Figuren, usw. üben eine wahrnehmungsmäßige Faszination auf die Kleinkinder aus. Medieninhalte hingegen haben noch kaum Bedeutung.


5.Medien als Mittel zur Vorstellungsbildung und Beziehungsherstellung

In der direkten Interaktion zwischen Mutter und Kind werden bereits ab dem sechsten Lebensmonat erste Zeigehandlungen erkennbar. Eine Spieluhr in Form eines Clowns ist beispielsweise über dem Kinderbettchen aufgehängt. Die Mutter fordert das Kind auf, auf den Clown zu schauen, zeigt auf ihn und zieht an der Schnur, um die Spieluhr zum Laufen zu bringen. Dabei handelt es sich um den ersten Schritt in der Unterscheidung zwischen einem Objekt und einem Zeichen als Stellvertreter. (vgl. Spanhel 2006)

Das Erkennen von Anzeichen ist dann der nächste Schritt zum eigentlichen Zeichengebrauch. Ein Kind in der Küche beispielsweise hört den Fernseher im Wohnzimmer und krabbelt hin, um sich das Bild anzuschauen. (vgl. Spanhel 2007) „In zahlreichen Alltags- und Spielsituationen dieser Art lernt das Kind nicht nur den Kontakt zu den Medien herzustellen, sondern es lernt als weitere Grundvoraussetzung für jeden Zeichen- und Mediengebrauch die Ausrichtung und Konzentration der Aufmerksamkeit auf den nachfolgenden Wahrnehmungsprozess.“ (vgl. Spanhel 2006, S. 124)

Bei den Kindern differenziert sich der Zeichengebrauch bis zum Ende des ersten Lebensjahres aus. Bereits im zweiten Lebensjahr lernen sie nebeneinander indexalische Zeichen (Anzeichen, insbesondere Laute, Gestik und Mimik) und ikonische Zeichen (Bilder) sowie auch sprachliche Symbole anzuwenden. Diese Entwicklungen erfolgen auf der Grundlage triadischer Interaktionen, wobei Mutter und Kind ihre Aufmerksamkeit gemeinsam auf einen Gegenstand richten. Diese gemeinsame Aufmerksamkeit ist eine Möglichkeit, wie Kinder Beziehungen mit ihrer Welt aufbauen. (vgl. Spanhel 2007) Die Kinder erwerben Können und Wissen in und durch Alltagszusammenhänge in Form von körperlich-sinnlichen Erfahrungen. Diese Alltagserfahrungen bzw. -situationen werden im Gedächtnis als szenische Ereignisrepräsentationen gespeichert, damit die Kinder eine Situation wieder erkennen, wenn diese in ähnlicher Weise wieder auftaucht. Das ermöglicht den Kleinen zwischen Ereignissen zu unterscheiden, die sich außerhalb oder innerhalb ihres Körpers abspielen. (vgl. Schäfer 2007)

In diesem Zusammenhang ist das „kulturelle Lernen“ für Kinder sehr wichtig. Sie lernen nicht einfach von, sondern durch andere Personen, „ indem sie deren Perspektive in einer Situation übernehmen, um die gleiche intentionale Handlung aktiv nutzen zu können.“ (Spanhel 2007, S. 13) Das bildet die Grundlage für imitatives Lernen im zweiten Lebensjahr, dadurch eignen sich Kinder alle Arten von Werkzeugen, Zeichen und Symbolen an. (vgl. Spanhel 2007)

Medieninhalte werden zum Objekt gemeinsamer Aufmerksamkeit, sobald das Kind krabbeln und laufen lernt und seine weitere Umgebung zu erkunden beginnt. Die Kindermedien, wie Bilder- und Liederbücher oder Hörkassetten stellen einen unerschöpflichen Vorrat an Bildern, Tönen, Mimik und Gesten dar, die Mutter (oder Vater bzw. andere Bezugsperson) und Kind gemeinsam entdecken und wechselseitig nachahmen. (vgl. Spanhel 2007)

Medien sind in das alltägliche Leben in unterschiedlichster Weise integriert. Die Kinder können sich noch vor einem differenzierten Gebrauch der Sprache eine Welt der Bilder und Töne erschließen, da sie ikonische Zeichen nicht lernen müssen. Die Kleinen können bildhafte Darstellungen angesichts ihrer Ähnlichkeit mit dem bezeichneten Gegenstand verstehen. Sie müssen hingegen aber lernen, die Schemata zur Wahrnehmung der natürlichen Umwelt auf die ikonischen Zeichen zu übertragen. (vgl. Spanhel 2006) Die Vorstellungsbildung und Fantasietätigkeit wird durch die Bilder angeregt und in der Nachahmung indexalischer Zeichen eignen sich die Kleinen an, ihre Emotionen differenzierter auszusprechen und situationsadäquate Beziehungsbotschaften auszudrücken. (vgl. Spanhel 2007) In diesen Beziehungen wird das Kleinkind selbstständiger. Es entwickelt und festigt ein subjektives Selbst und entdeckt, dass es ein Seelenleben hat und das auch für andere Personen gilt. Diese Affektabstimmung, d. h. die Begründung einer Gemeinsamkeit, die auf einer Außen- und Innen-Unterscheidung beruht, ermöglicht den Kleinkindern, die Erfahrung zu machen, dass es die eigene Subjektivität mit anderen teilen kann. (vgl. Flammer 2003) Durch diese Erfahrung und durch den erlernten Zeichengebrauch kann das Kind das Verhalten der Mutter oder anderer Bezugspersonen schon steuern. (vgl. Spanhel 2007)

Kleinkinder begeistern sich vor allem für lebendige Objekte, Tiere und Personen in den Medien. Deren Verhalten wird von den Kindern im Sinne indexalischer Zeichen gedeutet. (vgl. Spanhel 2006) „D.h. sie ´verstehen` die Körpersprache, Gestik, Mimik, Tonfall, Lautstärke beim Sprechen als Ausdruck von und Reaktion auf Eindrücke und Erfahrungen in sozialen Beziehungen, wie sie sie selbst täglich erleben.“ (Spanhel 2006, S. 126) Die Kinder können direkt mitempfinden und ihre Erfahrungen mit sozialen Beziehungen sowohl bestätigen als auch weiter ausbauen. Anhand solcher impliziter Beziehungsbotschaften knüpfen sie teilweise sehr intensive emotionale Beziehungen zu Medienfiguren. Die Kinder sind für diese Botschaften empfänglicher als für die Bilder selbst. Das dürfte auch ein Grund für ihre Vorliebe für Bilderbücher, Hörkassetten und Zeichentrickfilme sein. (vgl. Spanhel 2007)

Wenn man die frühkindliche Mediennutzung betrachtet, spielt die Mehrfachvermarktung von Medienprodukten in diesem Zusammenhang auch eine Rolle. Diverse Medienfiguren in Form von Kuscheltieren, Spielzeug und Gebrauchsgegenständen sind im Lebensalltag der Kinder vom ersten Tag an vorhanden. Diese Figuren entdecken sie in medialen Präsentationen wieder, beispielsweise im Bilderbuch, bei einer Hörkassette oder in der Fernsehsendung, entsprechend groß ist daher auch die Vertrautheit. Die Vorliebe für ein Stofftier kann möglicherweise auch den Konsum der Hörkassette, indem diese Figur die Hauptrolle spielt, steigern. (vgl. Theunert/Demmler 2007)

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die erste, bereits sehr früh erworbene, Medienkompetenz in der Fähigkeit zum variablen Gebrauch indexalischer und ikonischer Zeichen besteht. Diese wird im Rahmen der direkten familiären Beziehungen angeeignet und durch das gemeinsame Sich-Beziehen auf die Bilder in den Kindermedien in unterschiedlichster Weise geübt und erweitert. Von Bedeutung sind vor allem die Aufnahme und Interpretation von Beziehungsbotschaften, welche auf einem flexiblen Zusammenwirken der grundlegenden Zeichentypen beruhen. (vgl. Spanhel 2006) Medieninhalte bekommen in dieser Entwicklungsphase eine Bedeutung. Die Kleinkinder finden in den Kindermedien, wie Bilderbücher oder Hörkassetten einen unerschöpflichen Vorrat an Bildern, Tönen, Mimik und Gesten, die sie sich durch den differenzierten Zeichengebrauch erschließen und somit eine Beziehung herstellen können.

6.Medien als Kommunikationsmedien

Die Kinder machen sich noch vor dem Gebrauch der Sprache eine wachsende Welt der Bilder und Töne in den Medien zu nutze. Komplexe Bilder oder Bildgeschichten, beispielsweise Comicserien im Fernsehen, können aber ohne Sprachfähigkeit nicht interpretiert und verstanden werden. Das bedeutet, dass ikonische Zeichen, wie Bilder, Töne oder Musik nicht als Kommunikationsmittel im direkten Kontakt tauglich sind. Die Eindrücke dieser Symbole und Beziehungsbotschaften sprechen das Unbewusste der Kinder an, rufen Emotionen hervor und regen die Fantasie an. (vgl. Spanhel 2007) Die Kleinen sind auf Hilfen in Form von sprachlicher Kommunikation mit den Eltern, mit älteren Geschwistern oder mit anderen Bezugspersonen angewiesen, um diese Symbole zu bearbeiten und zu ordnen, um eine Beziehung herzustellen oder sich mitzuteilen und zu artikulieren. (vgl. Spanhel 2006)

Die medienvermittelte Kommunikation ist wesentlich auf allgemeinverständliche, sprich konventionelle Symbole angewiesen, während die Kommunikation von Angesicht zu Angesicht (zwischen Personen, die Raum und Zeit miteinander teilen) nur dann funktioniert, wenn die Empfänger der kindlichen Äußerungen anwesend und mit dem kind-gemachten Symbolvorrat vertraut sind. In diesem Zusammenhang stellt das gemeinsame Bilderbuchlesen einen wichtigen Lernort für den Erwerb der Muttersprache und für die Erweiterung des Symbolverständnisses dar, was durch viele internationale Untersuchungen gezeigt werden konnte. (vgl. Charlton 2007) „Im Fall des Bilderbuchlesens ergänzen sich die Eltern-Kind-Dialoge (Individualkommunikation) und die Mediennutzung (Massenkommunikation) daher in den ersten zwei bis drei Lebensjahren wechselseitig in ihrem fördernden Einfluss auf die kindliche Kompetenzentwicklung.“ (Charlton 2007, S. 28)

Die schon erwähnten triadischen Interaktionen, die beim gemeinsamen Anschauen von Bilderbüchern entstehen, sind in klar gekennzeichnete familiäre Handlungsrahmen eingebettet. Diese regen besonders die Ausbildung und Differenzierung der Sprachfähigkeit an. (vgl. Spanhel 2007) „Mit einem Sprachsymbol lernen die Kinder nicht nur die kognitive Repräsentation einer Wahrnehmung, sondern auch die damit verbundene menschliche Perspektive und sie lernen die spezifische Verwendung des Symbols in einer bestimmten Situation.“ (Spanhel 2007, S. 15) Der Erwerb der verbalen Kommunikationsfähigkeit bedeutet für das Kind, dass es Beziehungen zu seiner Umwelt und zu sich selbst herstellen kann. (vgl. Spanhel 2007) Das Kind beginnt, Erfahrungen und Objekte in Vorstellungen zu repräsentieren und kann sich dann in der sozialen Interaktion mit Worten darauf beziehen. Durch die Ausbildung des verbalen Selbst wächst die persönliche und gemeinschaftliche Verfügbarkeit über die Welt- und Selbsterfahrung enorm. (vgl. Flammer 2003)

Das Kind ist nun fähig, in diesen familiären Handlungsrahmen aktiv am Aufbau gemeinsamer Erkenntnisse und Regeln, Werte und Überzeugungen, Gefühle und Erwartungshaltungen teilzunehmen. Bei der Übernahme seiner sozialen Rolle entwickelt das Kind seine Sprachfähigkeit. (vgl. Spanhel 2007)

„Dagegen sind Fernsehbilder für die Entwicklung der Sprachkompetenz weniger bedeutsam und geeignet, da wegen ihrer Flüchtigkeit das Kind keine festen Beziehungen zwischen Bild und Sprachsymbol aufbauen und stabilisieren kann.“ (Spanhel 2006, S. 127) Die Kinder lernen durch Fernsehsendungen Sprache kennen, aber sie lernen nicht sprechen. Sie ahmen zwar einiges nach, die Sprachentwicklung hängt aber davon ab, wie viel und was mit dem Kind gesprochen wird. Eine bedeutende Rolle spielen dabei natürlich die Eltern, die im Regelfall die ersten Bezugspersonen sind. (vgl. Nieswiodek-Martin 2006)

Verschiedene Medien sind heutzutage sozusagen selbstverständlich in das Alltagsleben der Familie eingebunden. Je nachdem wie sich der Gebrauch der Medien gestaltet, erlangen sie für das Kind ihre spezifische Bedeutung. (vgl. Spanhel 2007)

Das zentrale Medium in Kinderzimmern ist aber noch immer das Bilderbuch. Wie Untersuchungen bestätigen, liegt die Ausstattungsquote bei 97,3% und stellt somit das am meisten genutzte Medium dar. Zu 86% befassen sich Dreijährige täglich mit dem Bilderbuch, bei den Sechsjährigen sind es immer noch über 50%, die sich täglich mit dem Bilderbuch beschäftigen. Bei den Kleinkindern erfolgt eine entscheidende Förderung im Umgang mit Medien im aktiven Kommunizieren mit den Eltern und mit anderen Bezugspersonen. (vgl. Baacke 1999) Bilderbücher fördern den Kontakt mit den Eltern und begünstigen das Erlernen der Sprache. Zuerst haben die Kinder die Gelegenheit, mit dem Buch zu hantieren und darin zu blättern. Im Anschluss daran beginnt das eigentliche Vorlesen. Der Erwachsene zeigt auf die Bilder und benennt sie mit den entsprechenden Begriffen. Dazu wird auch eine Geschichte erzählt, die meist einen Bezug zur kindlichen Erlebniswelt aufweist. Erst später liest der Erwachsene die kleinen Texte vor, die den Bildern beigegeben sind. (vgl. Charlton 2007) Die Identifizierung mit einzelnen Figuren, Geschichten oder Büchern wird möglich und dadurch können sich eigene Vorlieben und Interessen ausbilden. Das Kind wird mit Handlungsfolgen vertraut und kann verschiedene Skripts und Erzählformen unterscheiden. Ab einem Alter von etwa drei Jahren beginnen die Kinder selbst zu erzählen und ihre Vorstellungen und Fantasien zu artikulieren. Das sind maßgebliche Bedingungen für die Aneignung von komplexeren Inhalten bzw. Inhaltsabläufen in den Massenmedien, wie beispielsweise Hörkassetten, Videofilme oder Fernsehsendungen. (vgl. Spanhel 2007)

Abschließend lässt sich feststellen, dass erst ein differenzierter Umgang mit dem Symbolsystem Sprache eine angemessene Be- und Verarbeitung von medialen Eindrücken ermöglicht. Die Sprachfähigkeit entwickelt sich nur in direkten sozialen Kontakten, meist bietet die Familie den passenden Handlungsrahmen dafür. Förderlich wirkt sich dabei eine frühe Mediennutzung in Form von Bilderbüchern auf die Sprachentwicklung und auch auf die Ausbildung grundlegender Medienkompetenzen aus. (vgl. Spanhel 2006)

In dieser Entwicklungsphase bekommt das Bilderbuch als Medium eine entscheidende Bedeutung. Es fördert den direkten Kontakt zu den Bezugspersonen im familiären Rahmen und begünstigt die Sprachentwicklung. Andere Medien, wie Fernsehen, Videofilme oder Hörkassetten spielen noch eine untergeordnete Rolle.

7.Der Prozess der Medienaneignung

Die Kinder kommen von Beginn an mit Medien in Berührung und kennen noch bevor sie in die Schule kommen den Großteil des verfügbaren Medienangebotes und haben ihn auch in Gebrauch. Die Medienwelten, die sie darüber erreichen, haben Relevanz für ihr Denken und Handeln. (vgl. Theunert/Demmler 2007)

Die Medienaneignung stellt einen Prozess dar, der sich auf die aktive Auseinandersetzung der Rezipienten (Kind und Familie) mit den Medien und deren Inhalte bezieht. Daraus resultiert eine typische Abfolge von Entscheidungssituationen, in die das Kind bei seiner Auseinandersetzung mit Medien immer wieder kommt. (vgl. Spanhel 2006)

„Mit dem Begriff Medienaneignung wird der im Dreieck Subjekt – Medien – Umwelt angesiedelte Prozess der subjektiv variierenden und aktiv variierten Integration der Medien in die alltäglichen Lebensvollzüge gefasst.“ (Theunert/Demmler 2007, S. 92) Einerseits beinhaltet der Prozess der Medienaneignung die Nutzungsstrukturen, sprich die Häufigkeit bzw. den situationsbedingten Rahmen der Medienzuwendung. Andererseits umfasst er die qualitativen Handlungen der Wahrnehmung, Bewertung und Verarbeitung von Medieninhalten und –aktivitäten. Mediale Anmutung und eigene Wirklichkeit werden in individueller Deutung aufeinander bezogen und der Mehrwert medialer Angebote wird für die eigenen Lebensvollzüge ermittelt. Gelenkt wird der Prozess der Medienaneignung von persönlichen Umständen und Lebensverhältnissen, von kulturellen Zuordnungen und vom Sozial- und Bildungsmilieu. (vgl. Theunert/Demmler 2007)

Medien sind Umweltgegebenheiten, deren Inhalte und Formen vom ersten Tag an die Kinder umgeben. Sie versuchen diese zu sich und ihrem Alltag in Beziehung zu setzen. Medien sind aber auch Interpretationshilfen und Handlungsinstrumente. Die Kinder machen sie sich zur Orientierung in der Umwelt und zur Interaktion mit dieser Umwelt zu nutze. Medien in Gebrauch zu nehmen beinhaltet gleichzeitig mehrere Faktoren. Es ist wichtig, die enthaltenen Bedeutungsgehalte zu verstehen, eigene reale Erfahrungen an ihren Inhalten abzuprüfen und über sie in Wechselwirkung zu treten. (vgl. Theunert/Demmler 2007)

Das Wechselspiel zwischen den drei Größen Kind, soziales Umfeld und Medien, die am Prozess der Medienaneignung beteiligt sind, sind ausschlaggebend dafür, welche Bedeutung die Medien in den ersten sechs Lebensjahren gewinnen. Der Entwicklungsstand des Kindes, d. h. die kognitiven, sozial- moralischen und emotionalen Voraussetzungen, sind maßgeblich dafür, wie Kinder Medien in Gebrauch nehmen, wie weit das Medienverständnis reicht und welche Formen des Medienhandelns realisierbar sind. (vgl. Theunert/Demmler 2007) Dazu kommen noch die handlungsleitenden Themen mit denen sich das Kind aufgrund seiner aktuellen Lebenssituation, Interessen und Vorlieben beschäftigt. Das Kind entwickelt Strategien, mit deren Hilfe es das Ausmaß der Konfrontation mit dem Thema kontrollieren und regeln kann, wie sehr es sich emotional darauf einlässt. (vgl. Spanhel 2006) Die Kinder lassen erkennen, wann es ihnen zu viel wird und setzen dafür unterschiedliche Steuerungsmittel ein. Sie werden bei zu großer Spannung zappelig, manche laufen sogar aus dem Zimmer oder beginnen sich mit einem kleinen Spiel (Nebenhandlung) abzulenken. (vgl. Nieswiodek-Martin 2006) Das Kind in seinem sozialen Umfeld, vor allem mit seinen direkten Bezugspersonen in der Familie, ist ein weiterer bedeutender Faktor im Prozess der Medienaneignung. „Der soziale Kontext Familie bestimmt (beeinflusst) die Medienrezeption, und die Formen der Medienrezeption wirken strukturierend auf diesen Rahmen zurück.“ (Spanhel 2006, S. 137) Der soziale Rahmen, der von der Familie gesetzt wird, ist ausschlaggebend dafür, mit welchen Medien das Kind in Berührung kommt, wie präsent diese Medien im Alltag sind und ab wann das Medienangebot genutzt werden darf. Von großer Bedeutung in diesem Zusammenhang ist der soziokulturelle Hintergrund der Familie, wie soziale und ethnische Herkunft und auch die kulturelle Orientierung. Einfluss auf den Mediengebrauch haben in späterer Folge auch Gleichaltrige aus Nachbarschaft oder Kindergarten, die als Impulsgeber für eigene Medienwünsche an Bedeutung gewinnen. (vgl. Theunert/Demmler 2007)

Medienaneignung lässt sich abschließend als Prozess beschreiben, bei dem das Kind im Zusammenhang seiner sozialen Umwelt, vor allem in der Familie, auf die Medien aufmerksam wird, sich mit ihnen auseinandersetzt und diese schließlich selbst in Gebrauch nimmt.


8.Integration der Medien in den Alltag

Nun sind die Kinder schon in der Lage, Medien und Themen aus ihrer Lebenswelt eigenständig auszusuchen, meistens solche, die einen Bezug zu ihrer eigenen Erfahrungswelt haben. Durch die Weiterentwicklung der sprachlichen Fähigkeit bieten sich ihnen bessere Möglichkeiten, die familiären Handlungsrahmen aktiv mit zu gestalten. Dadurch werden sie immer selbstständiger und können so ihre eigenen Handlungsrahmen als Spiel oder Medienhandeln organisieren. (vgl. Spanhel 2007) „Beide Handlungsrahmen gehen fließend ineinander über, denn das Spiel ist ein wichtiges Medium des Ausdrucks und der produktiven Gestaltung von Welt und die Medien können als eine Form der spielerischen Weltaneignung betrachtet werden.“ (Spanhel 2007, S. 16) Mediale Spielrahmen lassen sich einfach und überall einrichten. Im Spiel mit den Symbolwelten der Medien ist es möglich, dass die ganze Welt zum Spiel wird, ohne großen Anstrengungen oder Risiken ausgesetzt zu sein. Wichtige körperliche und soziale Dimensionen und das tätige Handeln werden dadurch vernachlässigt. Die Widerständigkeit der Wirklichkeit können die Kinder kaum mehr erfahren und so auch die Grenzen des Spiels nicht ausloten. Somit entfallen auch wichtige Herausforderungen und Anreize für die Entfaltung der kindlichen Kräfte und Fähigkeiten. Zusätzlich fehlen Bewährungsmöglichkeiten zur Steigerung des Selbstwertgefühls. Die technischen Medien und viele Medieninhalte animieren aber geradezu zu einem spielerischen Umgang. Medienangebote können beliebig ausgewählt, aber auch jederzeit abgeschaltet werden. Je nach den individuellen Vorstellungen und Vorlieben, Bedürfnissen und Wünschen, Hoffnungen und Ängsten können sie entsprechend ausgelegt werden. Die digitalen Medien gewinnen an Bedeutung, da sie immer leichter zugänglich für die Kinder werden und gleichzeitig wenden sich die Kleinen immer früher von den materiellen Spielsachen ab. Der Computer wird als ´Spielmaschine` verwendet. Die gestaltbaren Erfahrungsräume von Internet und Handy dienen als neue spielerische Kommunikationsformen. (vgl. Spanhel 2006)

Das Medienverständnis der Kinder entwickelt und formt sich immer mehr aus. Dadurch werden die medialen Angebote für die Kinder zum Erlebnis und dienen als Quelle der Weltaneignung. Es werden starke Vorlieben entwickelt, dadurch wissen Kinder schon genau, was ihnen gefällt und Wünsche geäußert, diesen nachgehen zu können. Medientätigkeiten werden neben dem Hinhören und Hinschauen immer bedeutsamer. Edutainmentangebote, wie Computerlernprogramme oder einfache Computerspiele erweitern das Medienensemble, von dem die Kinder zunehmend Besitz ergreifen oder zum Teil schon selbst damit ausgestattet sind.

Bereits im Kindergartenalter oder zumindest im Vorschulalter werden Medien zu einer regelmäßigen Freizeitgestaltung, wobei Fernsehen die häufigste Medienaktivität darstellt. Eine Studie belegt, dass bereits zwei Drittel der Zwei- bis Fünfjährigen täglich fernsehen. (vgl. Theunert/Demmler 2007)

„Außerdem avancieren die Medien zu einer zentralen Unterhaltungsquelle, einer geschätzten Wissensinstanz, in ersten Ansätzen zu einer Orientierungsquelle, die Anschauungsmaterial für Alltagsfragen bietet, und ebenfalls in ersten Ansätzen zu einem Handlungsfeld, sofern es spielerisch und kreativ akzentuiert ist.“ (Theunert/Demmler 2007, S. 102)

Zu den Einzelmedien kommen auch die damit verbundenen Angebote der divergenten Medienwelt dazu. Beispielsweise zählen die CD-Rom zum Vorschulmagazin, die Internetseite des Kindersenders oder das Computerspiel zum Kinofilm dazu. Kinder können Medienfiguren bzw. –geschichten in verschiedenartiger medialer Gestalt konsumieren und so das Medienleben intensivieren. (vgl. Theunert/Demmler 2007)

Sobald Erwartungen an Medien gerichtet und Vorlieben ausgeprägt werden, werden sie nach und nach zu wichtigen Erlebens-, Erfahrungs- und Handlungsräumen und damit zu Orten informellen Lernens, aus denen Kinder schon im Vorschulalter Wissen sowie Orientierung für die Alltagsbewältigung und für die eigenen Lebensperspektiven beziehen. (vgl. Theunert/Demmler 2007)

In diesem Zusammenhang ist noch zu erwähnen, dass die Medien nicht nur zur Bildung und Unterhaltung von Vorschulkindern dienen, sondern auch Teil der Strategien zur Bewältigung der alltäglichen Lebensführung geworden sind. Die Kinder werden vor den Fernseher gesetzt, schauen eine DVD oder hören die Lieblingskassette. Eltern setzen also das Medienensemble ein, um dann in relativer Ruhe den Haushalt zu erledigen oder ähnliches. Von Seiten der Eltern werden Medien aber auch dahingehend genutzt, um die Kinder in einem sicheren und geschützten Handlungsraum zu wissen. (vgl. Lange 2007)

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass das gesamte Medienensemble in zunehmendem Maße in den Alltag der Kinder integriert ist und in vielfältiger Weise Verwendung findet und somit ein eigenständiger Gebrauch gegeben ist.

9.Resümee und Schlussfolgerungen

Heutzutage wird das Kind in eine Welt hineingeboren, in der es von Anfang an mit der ganzen Bandbreite der Medien in Berührung kommt. Die Medien haben von Anfang an eine Bedeutung für das Kind, jedoch in unterschiedlicher Weise und Intensität, wie bereits ausgeführt wurde. In der familiären Alltagswelt des Kindes ist es schon ganz normal geworden, dass viele unterschiedliche Medien in Gebrauch sind und so in das Familienleben integriert sind, dass die Medien den Alltag in der Familie zu einem maßgeblichen Teil auch mitbestimmen.

Das Kind erlebt von klein auf im Familienverband alle diese Medien und ihre Nutzung durch die Erwachsenen oder ältere Geschwister zugleich nebeneinander. Dadurch wächst es vermehrt in einer zeichenhaften und symbolischen Unwelt heran, wie sie anfangs in dieser Form nicht für Kinder geschaffen und gestaltet wurde. Durch das heutige Medienensemble in der Familie wird das Kleinkind in hohem Maße in Verhältnisse verwickelt, denen es von seinen Fähigkeiten her betrachtet noch gar nicht gewachsen ist. Die Kleinkinder können zwar die Medienbotschaften noch nicht verstehen, aber sie nehmen die Medien auf jeden Fall wahr. (Vgl. Spanhel 2006) Es liegt nun im Bereich der Familie einen Schonraum zu schaffen, in dem sich das Kind entwickeln und nach und nach die Fähigkeiten ausformen kann, damit es sich in dieser Medienwelt zurechtzufinden vermag.

Wenn die Kinder früher oder später die unterschiedlichen Medien für sich entdecken, gilt es, sie zu unterstützen, ihnen Kompetenzen hinsichtlich der Mediennutzung, der Bedeutung der Medien und der Einsatzmöglichkeiten zu vermitteln. Die Kinder sollten lernen, sich mit ihren Inhalten kritisch auseinanderzusetzen und durch die Mediennutzung sinnliche, kreative und soziale Fähigkeiten erlernen. (vgl. Ostermann 2007) Wie bereits ausgeführt wurde, ist die Entwicklung in der frühen Kindheit an eine be´greifbare` Umwelt und an die direkte Interaktion mit den Bezugspersonen gebunden. Auf dieser Grundlage können sich die basalen Kommunikationsfähigkeiten ausbilden, die wiederum unumgängliche Bedingungen für den verständigen Umgang mit Medien sind und als notwendig für die Ausformung von Medienkompetenz gelten.

Es liegt an den Eltern, inwieweit die Medien in das Kinderzimmer hineindürfen und das Leben der Kinder von den Medien begleitet, geleitet oder beeinflusst wird. Den Eltern kommt daher die Aufgabe zu, bereits sehr früh den selbstständigen Mediengebrauch ihrer Kinder kritisch zu begleiten. Je mehr die Kinder an Selbstständigkeit gewinnen und ihr Medienhandeln eigenständiger wird, desto häufiger werden sie mit einer kaum noch überschaubaren Fülle an unterschiedlichen, teilweise sie überfordernden oder problematischen Medienangeboten konfrontiert. (vgl. Spanhel 2007) Hier ist nun ein Anknüpfungspunkt für die Medienpädagogik, welche die Eltern unterstützen sollte. Sie sind auf professionellen Rat und auf Hilfe und Anregungen bei der Gestaltung der Medienwelten ihrer Kinder angewiesen. Pädagogische Einrichtungen wie der Kindergarten können hier auch wertvolle Hilfe leisten, indem sie die Kleinen zu einem verantwortungsvollen Umgang mit Medien heranführen. Als Ziel der Medienerziehung kann gelten, dass Kinder einen selbstständigen und eigenverantwortlichen Umgang mit dem medialen Angebot erlernen.

10.Literaturliste

Baacke, D. (1996). Medienkompetenz – Begrifflichkeit und sozialer Wandel. In: A. Von Rein (Hrsg.). Medienkompetenz als Schlüsselbegriff. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Baacke, D. (1999). Die 0-5jährigen. Einführung in die Probleme der frühen Kindheit. Weinheim und Basel: Beltz Verlag.

Charlton, M. (2007). Das Kind und sein Startkapital. Medienhandeln aus der Perspektive der Entwicklungspsychologie. In H. Theunert (Hrsg.). Medienkinder von Geburt an. Medienaneignung in den ersten sechs Lebensjahren. München: kopaed.

Dornes, M. (2004). Der kompetente Säugling. Die präverbale Entwicklung des Menschen. Frankfurt am Main: Fischer.

Flammer, A. (2003). Entwicklungstheorien. Psychologische Theorien menschlicher Entwicklung. Bern: Verlag Hans Huber.

Kübler, H.-D., Swoboda, W. H. (1998). Wenn die Kleinen fernsehen. Die Bedeutung des Fernsehens in der Lebenswelt von Vorschulkindern. Berlin: Vistas Verlag.

Lange, A. (2007). Das Kind in der Familie. Medienhandeln aus der Sicht der Familienforschung. In H. Theunert (Hrsg.). Medienkinder von Geburt an. Medienaneignung in den ersten sechs Lebensjahren. München: kopaed.

Nieswiodek-Martin, E. (2006). Kinder in der Mediengesellschaft. Fernsehen, Computer und Erziehung. Holzgerlingen: Hänssler Verlag.

Ostermann, S. (2007). Medienkompetent von Geburt an? Grundlagen für die Förderung von Medienkompetenz bei Kindern. In H. Theunert (Hrsg.). Medienkinder von Geburt an. Medienaneignung in den ersten sechs Lebensjahren. München: kopaed.

Schäfer, G. E. (2007). Das Kind in der Bildungswelt. Medienhandeln in der frühen Kindheit. In H. Theunert (Hrsg.). Medienkinder von Geburt an. Medienaneignung in den ersten sechs Lebensjahren. München: kopaed.

Schore, A. N. (2003). Zur Neurobiologie der Bindung zwischen Mutter und Kind. In: H. Keller (Hrsg.). Handbuch der Kleinkindforschung. Bern, Göttingen: Huber.

Spanhel, D. (2006). Medienerziehung. Erziehungs- und Bildungsaufgaben in der Mediengesellschaft. Handbuch Medienpädagogik. Bd. 3. Stuttgart: Klett-Cotta

Spanhel, D. (2007). Die Bedeutung von Medien in den ersten Lebensjahren. Der Aufbau grundlegender Medienkompetenzen. Medien und Erziehung. S.10-17.

Theunert, H./Demmler, K. (2007). Medien entdecken und erproben. Null- bis Sechsjährige in der Medienpädagogik. In H. Theunert (Hrsg.). Medienkinder von Geburt an. Medienaneignung in den ersten sechs Lebensjahren. München: kopaed.




Startseite des Seminars | Literatur | Abstracts