Sonja Hödl über „Umweltschutz: Privateigentum und meritorische Gemeingüter” (Hans Lenk und Matthias Maring)

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Welche Umwelt ist schützenswert?

Lenk und Maring nähern sich im zehnten Kapitel ihres Buches Natur – Umwelt – Ethik dem Thema Umweltschutz über verschiedene Eigentumskonzepte. Das Thema Eigentum und Umweltschutz lässt schnell einen Konflikt zwischen „individueller Freiheit, sozialer Gerechtigkeit und Gemeinwohl“ aufkommen (Lenk/Maring 2003, 256). Die grundsätzliche ökonomische Frage ist, in welchem Verhältnis in einer Gesellschaft individueller und gemeinschaftlicher Nutzen stehen. Daran schließt sich die Frage an, ob und wie aus individuellem Nutzen ein gesamtgesellschaftlicher Nutzen entsteht.

Die Antwort der klassischen Ökonomie ist – seit Adam Smiths Theorie der unsichtbaren Hand des Marktes in seinem Werk An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations von 1776 – bekannt: Solange jede/r einzelne seinen/ihren individuellen Nutzen unter der Bedingung von rationalen Überlegungen maximiert, entsteht gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt. Nach der klassischen Theorie funktioniert dies durch unsichtbare Hand des Marktes, der als Regelungsmechanismus fungiert. Die soziale Marktwirtschaft stellt eine abgeschwächte Version dieses Modells dar, in der die Komponente des Gemeinwohls stärker betont und gefördert wird. Bezüglich des Privateigentums wird die Verfolgung des individuel-len Nutzens durch ein Konzept der Gemeinwohlorientierung erweitert und damit im Grunde auch eingeschränkt. Im deutschen Grundgesetz wird dies explizit festgehalten. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen“ wird dort festgehalten. Dabei kann Grundbesitz sogar in Gemeineigentum überführt werden. (Lenk/Maring 2003, 257f.)

Lenk und Maring setzen sich zunächst mit zwei Theorien zum Eigentum auseinander: jener von John Locke und jener von Immanuel Kant. Locke geht davon aus, dass Gott den Men-schen die Welt zu ihrem Nutzen gab, dass sie also nicht unkultiviert und nicht Gemeingut bleiben sollte. Jene, die so fleißig und fähig waren sie zu gebrauchen, sollten ein Recht an ihr haben. „Was jemand bebaute, erntete, lagerte und verbrauchte, ehe es verdarb, darauf hatte er ein besonderes Recht“, schreibt Locke in seinem Werk Über die Regierungen (Loc-ke 1960, Kapitel V, §38; zitiert von Lenk/Maring 2003, 258 f.). Für ihn ist es die Arbeit, die den Wert der Dinge ausmacht. Währenddessen liefern „die Natur und die Erde […] nur die an sich fast wertlosen Rohstoffe“ (Locke 1960, Kapitel V, § 43, zitiert bei Lenk/Maring 2003, 259). Dies impliziert, dass Locke voraussetzte, dass Boden ursprünglich frei verfügbar für alle ist und nur durch die Nutzung in privates Eigentum überführt wird. „Das Eigentumsrecht stützt sich sozusagen grundsätzlich ausschließlich auf die Nutzungsfähigkeit und die Nut-zungspflicht“ (Lenk/Maring 2003, 261). Einen Stück Natur nur einzuzäunen reicht somit nicht aus, um es in Besitz zu nehmen. Vielmehr gibt es eine Art „soziale Nutzungspflichtkeit des Bodens“ (Lenk/Maring 2003, 261) Zwei Thesen tauchen dabei bei Locke auf. Einerseits Ar-beit als Mittel sich Eigentum zu beschaffen, durch Arbeit erweitert „ein Individuum seinen Bereich ausschließlicher Verfügbarkeit über die Grenzen seines Körpers hinaus“ (Lenk/Maring 2003, 261). Die zweite These bezieht sich darauf, dass das Resultat der Arbeitsprozesse innerhalb der Gesellschaft auf die Produzierenden abhängig von ihrem Ar-beitsanteil zu verteilen ist. Da dieses Produkt aber nie nur aus Arbeit, sondern immer auch aus einem Rohstoff besteht, bleibt der „Naturanteil am Sozialprodukt“ immer gesellschaftlicher Gesamtbesitz, wobei diese Gesellschaft sowohl aus lebenden als auch aus zukünftigen Generationen besteht. Lockes Prämisse, dass man nur dann durch Arbeit Güter erwerben könne, wenn diese im Überfluss vorhanden sind, ist angesichts der Tatsache, dass es nicht erst heute knappe Güter gibt, sondern diese in den meisten Ländern diese schon vor Hunderten Jahren vorherrschend waren, kritisch zu betrachten.

Kant beschäftigt sich in seiner Metaphysik der Sitten ausführlich mit der „Inbesitznahme des Eigentums an Boden“ (Lenk/Maring 2003, 262). Auch Kant geht von einem Urzustand aus, in dem der Boden allen Menschen gehört, allerdings bezeichnet dies eine fiktive Urgesellschaft und nicht die realen Verhältnisse in einer Frühgesellschaft. Die Inbesitznahme von Eigentum findet „durch erklärte Okkopation“ statt, „soweit das betreffende Stück Boden beispielsweise noch nicht im Besitz eines anderen ist“ (Lenk/Maring 2003, 263). Die Eigentumsbegründung durch Arbeit wie sie Locke vertritt, lehnt Kant ab. Er vertritt eine Verteidigungskonzeption. Jenen Bereich, den man verteidigen könne, könne man nach Kant auch besitzen, im Grunde soweit die Kanonen reichen. „Diese Begründung gerät im Zeitalter der Interkontinentalraketen […] natürlich zur Absurdität“ (Lenk/Maring 2003, 265). Zusammenfassend sind also nach Kants Auffassung „Eigentumsrechte nicht Nutzungsrechte, sondern Verteidigungsrechte“ (Lenk/Maring 2003, 266).

Obwohl unterschiedlich ausgeformt vertreten Locke und Kant beide individualistische Eigentumskonzepte. Formen es kollektiven Eigentums – beispielsweise das gemeinsame Eigentum an Land in Form der Allmende – wie sie in früheren Zeiten vorherrschend waren, wurden durch den Privatkapitalismus als primäre Eigentumsform abgelöst. Die Natur wurde dabei als frei, kostenlos und wertneutral aufgefaßt, was dazu führte, dass sie geschädigt statt geschützt wurde wie es eigentlich im Allgemeininteresse wäre.

Es hat sich gezeigt, dass „eine völlige privatrechtliche Zuordnung […] der Umwelt weder möglich noch sinnvoll ist“ (Lenk/Maring 2003, 268). Beispielsweise Luft zu privatisieren ist weder praktisch durchführbar noch gesellschaftlich erstrebenswert. Umweltmedien wie Luft, Wasser, Boden, Pflanzen- und Tierwelt können und sollen daher nicht unter dem Konzept individualistischer Eigentumskonzepte gehandelt werden, da „das Eigentum in rechtlicher Sicht kein geeignetes Mittel zum Schutz vor ökologischen Schäden“ ist (Lenk/Maring 2003, 270). (Lenk/Maring 2003, 268 ff.)


b.) Womit kann die Schützenswürdigkeit der Umwelt begründet werden?

Lenk und Maring vertreten die Ansicht, dass Natur bzw. Umwelt den Charakter eines meritorischen Gemeinguts hat und aus diesem Grund schützenswürdig ist. Um diese Argumentation zu erläutern sollen zunächst die Begriffe meritorisches Gut und kollektives Gut definiert werden.

Unter einem meritorischen Gut versteht man in der Wirtschaftswissenschaft ein Gut, das einen großen Nutzen für die Gemeinschaft stiftet, das aber in der freien Marktwirtschaft nicht ausreichend nachgefragt wird. Meritorische Güter sind also „sozial gewünschte Gü-ter“ (Lenk/Maring 2003, 268). Die private Nachfrage nach ihnen ist allerdings geringer als sie im Allgemeininteresse sein sollte. Beispiele für meritorische Güter wären Bildung (beispielsweise in Form der Schulpflicht) oder Gesundheitsvorsorge (beispielsweise die Pflichtimpfung), aber auch Biodiversität. Ein hoher Bildungsgrad der Bevölkerung ist für die wirtschaftliche Entwicklung eines Landes bewiesener Maßen von großem Vorteil. Für Eltern ist aber beispielsweise der individuelle Nutzen – zumindest kurzfristig – höher, wenn ihre Kinder bei-spielsweise in der Landwirtschaft mithelfen als wenn sie auch noch dafür zahlen müssen, dass die Kinder in die Schule gehen können. Aus diesem Grund werden meritorische Güter oftmals von staatlichen Instanzen zur Verfügung gestellt oder zumindest vom Staat subven-tioniert. Theoretisch ist es bei meritorischen Gütern jedoch möglich einzelne von der Nutzung auszuschließen, also beispielsweise einigen Kindern die Schulausbildung nicht zukommen zu lassen. Anders verhält es sich bei Kollektivgütern. Sie haben zwar den meritorischen Charakter „sozial gewünschte Güter“ zu sein, bei ihnen besteht aber eine Nicht-Ausschließbarkeit. Das beste Beispiel hierfür ist saubere Luft. Jede/r hat Bedarf nach ihr und es ist nicht möglich einzelne von ihr auszuschließen. Das Problem, das der Schutz der Umwelt als meritorisches Gemeingut mit sich bringt, lässt sich ebenfalls gut am Beispiel der Luft illustrieren. Luftverschmutzung entsteht zumeist als kumulativer Effekt, wenn viele AkteurInnen lediglich eigenverantwortlich handeln. Im Sinne des „individuellen marktrationalen Nutzenkalküls“ mag es sinnvoll sein Emissionen zu produzieren (beispielsweise, wenn es kostengünstiger ist in einer Fabrik keinen teuren Schadstoff-filter zu verwenden), gesamtgesellschaftliche Wohlfahrt bringt es jedoch keineswegs. Die einzelnen Komponenten für sich, in unserem Beispiel die Emissionen einer einzelnen Fabrik oder eines einzelnen Autos, wären oftmals zumindest relativ harmlos, durch die Kumulation jedoch kann es „zum Verlust von hochgeschätzten Gemeinschaftsgütern“, beispielsweise der sauberen Luft zum Atmen, kommen (Lenk/Maring 2003, 269).

Für die Umweltschäden kann in der Regel niemand zur Verantwortung gezogen werden. Da sie keine Vermögensschäden sind, haftet niemand. Vielfach kann auch nicht ausreichend nachgewiesen werden wer den Schaden verursacht hat. Da die Umwelt als meritorisches Kollektivgut dennoch geschützt werden soll, ist es sinnvoll das Grundgesetz um das Staatsziel Umweltschutz erweitern. Dabei soll Umweltschutz nicht auf einzelne, sondern immer auf alle Umweltmedien bezogen sein. Dementsprechend kann es auch zu keinem isolierten Ein-satz von Mitteln des Umweltschutzes kommen, sondern Teilbereiche wie Verkehrsplanung, Energie- und Ressourcenplanung, Wasser-, Abfall- und Lufteinhalteplanung und Umweltver-träglichkeitsplanung sollen integriert werden. Um die Problematik, welche ein Verursacherprinzip mit sich bringt, zu vermeiden, soll nach einem Vorsorgeprinzip gehandelt werden. Die moralische Präventionsverantwortung soll also auch bei Umweltschädigungen Vorrang ha-ben. (Lenk/Maring 2003, 269 ff.)


Literatur:

Lenk, Hans und Maring, Matthias: Natur – Umwelt – Ethik. Münster [u.a.]: Lit 2003. Kapitel 10: „Umweltschutz: Privateigentum und meritorische Gemeingüter.” S.256-274