PROTOKOLLE - MuD09 - Gruppe1 - 10.11.

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Esther Guschall

Zusammenfassung der RV 5

Wissenschaftliche Laufbahn Dr. Elisabeth Nemeth (Auszug)

Ihr wissenschafliches Interesse nach der Dissertation wendet sich zu Beginn dem logischen Empirismus des Wiener Kreises zu, einer philosophischen Richtung, die in den 20er Jahren in Wien entwickelt wurde und die später nach dem 2. WK eine der wichtigsten Wurzeln für die Entwicklung der analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts wurde. Dass das so war, hängt damit zusammen, dass so gut wie alle Mitglieder des Wiener Kreises im Laufe der politischen Katastrophen aus Österreich emigrieren mussten. Erst in den Siebzigern kommt es wieder zu starken Aktivitäten; Ludwig Wittgenstein wird stark rezipiert, dann entstehen mehr und mehr Studien in diese Richtung. Das Interesse unter dem Gesichtspunkt inwiefern eine philosophische Richtung etwas zu tun hat mit der kulturellen sozialen und politischen Situation dieser Zeit wird weitaus stärker. Der logische Empirismus hat eine radikale Neubestimmung der Philosophie vorgeschlagen; eine Orientierung an den Errungenschaften der modernen empirischen Wissenschaften (Naturwissenschaftler: Mach, Boltzmann u.a.) und an der Entwicklung der modernen Logik in der Tradition von Frege, Russel und Wittgenstein.

Das Interesse Dr. Nemeths fokussiert sich darauf, wieso diese sehr abstrakt anmutenden Begründungen der Fragestellungen wissenschaftlichen Wissens und Fragen der formalen Logik und Mathematik, die alle unter eine Gruppe fallen, wieso sich also diese Gruppe sich sehr politisch verstanden und ihre Philosophie als einen wichtigen Beitrag zu einer politischen aufgeklärten Haltung verstanden hat. Was haben eine wissenschaftliche Tätigkeit, also eine abstrakte Fragestellung, und eine aufklärerische politische Tätigkeit dieser Gruppe gemeinsam? Und davon ausgehend, warum hat diese philosophische Richtung nach dem 2 WK diese politisch-kulturell aufklärerische Tätigkeit verloren? Wie ist eine bestimmte sehr theoretisch orientierte Philosophie eingebettet in kulturelle, soziale und politische Kontexte? Eine Reihe von Leuten arbeiten damals in eine ähnliche Richtung wie Elisabeth Nemeth. Dadurch entsteht an der Geschichte des logischen Empirismus starkes Interesse ihrerseits: viel interessantere Aspekte werden sichtbar als man beispielsweise in den 60ern geglaubt hatte. Außerdem wird auch der Typus von Fragestellungen verändert. Einbettung der Philosophie in die Gesellschaft wird starkes Forschungsfeld. Auf diese Weise wird diese Art von Forschung eine Art von „Rückgrad“ von dem, was Nemeth weiter philosophisch erarbeitete. Schwerpunkt: Interesse für andere Wissenschaftsphilosophien derselben Zeit, z.B. für Ernst Kassierer, der in seinen frühen Schriften die Philosophie der Wissenschaften und der Erkenntnis geliefert hat und die Philosophie der symbolischen Formen ausgearbeitet hat als eine Kulturphilosophie, die einen Rahmen abgeben soll, in dem klarer wird, wie die verschiedenen kulturellen Sphären Wissen, Kunst, Religion, Ethik (nicht unbedingt Wissenschaften an sich, sondern Verhältnisse des Menschen zu seiner Umwelt, die Wissenschaft ist nur eine davon) zueinander stehen und wie man ihre Relationen begreifen kann und wie sie ein Gesamtes bilden. Beides in einer Weise zusammengestellt: einerseits das Interesse an einem Philosophiebegriff, der sich orientiert an den modernen Wissenschaften und andererseits das Interesse am kulturellen Zusammenhang. Darüber hinaus beschäftigt sie sich intensiv mit Pierre Bourdieu, der mit seinen Studien zu den Bildungsinstitutionen und zur Uni im Speziellen ihr Interesse weckte. Der an der analytischen Philosphie orientierten philosophische Antropologie widmete sie sich in den letzten Jahren: z. B. den späten Schriften von Tugendhat. Dr. Nemeth kommentiert bzw. liest einen Artikel, den sie im Zuge der Uniproteste gegen das Sparpaket 1994 verfasst hat, frei und vergleicht ihn mit den heutigen Verhältnissen.

→ Der vollständige Text ist nachzulesen im wiki.


INSTITUTIONALISIERTE ILLUSIONEN: FORSCHUNG; BILDUNG UND AUSBILDUNG AN DER UNIVERSITÄT

Gemeinsamkeiten zwischen damals und heute: Es wird bei Bildung gespart; für Studierende und für Lehrende werden neue Bedingungen geschaffen. Studiengebühren und Mitversicherung bei den Eltern wird gebunden an die Mindeststudienzeit. Ökonomischer Druck, Ausgaben sollen reduziert werden, Lehrverpflichtungen werden angehoben, interne Lehrenden haben einen Vertrag, externen LektorInnen haben semesterweise einen Vertag, werden für eine LV beauftragt, schwierige Stituation entsteht, Strategie des Sparens damals und heute: „Interne“ bekommen mehr Lehraufträge, „Externe“ werden quasi eingespart, Verlust und Überbelastung. → Mehr Studierende, gleich viele Lehrende. Buch von Pierre Bourdieu: Homo Academicus = empirische Studie zum franz. Bildungssystem

~ Initialzündung für Nemeths Interesse an erkenntnistheoretischen Fragen der Sozialwissenschaften  

Uni = sozialer Raum innerhalb der Gesellschaft. Soziologische Gründe der 68er Bewegung: Warum war sie so stark? Warum zog sie eine so starke Veränderung nach sich? Nemeth war verblüfft, dass Bourdieus Analyse auch so hilft zu verstehen, was in den 90ern in Wien und auch heute passiert. Auch im Bezug: Immanuel Kant: Streit der Fakultäten (1798). Welchen Blick auf die Uni als sozialen Raum richtet Bordieu? Warum ist diese Studie in dem heutigen Bezug wichtig? Es zeigt sich, dass die Fächer, die wir als kulturwissenschaftlich, soziologisch, philosophisch, also geisteswissenschaftlich erachten, eine interessante Zone innerhalb der Uni sind. Das liegt daran, dass sie sich in einem Bereich befinden, in dem zwei gegensätzliche Aufgaben der Uni einander überlappen: ein Spannungszustand wird deutlich. Welche Aufgaben sind gemeint:

1. Aufgabe der Reproduktion von anerkanntem Wissen. Uni ist eine Institution höherer Bildung, d.h. dass in der Wissensweitergabe mehrere Dimensionen von Kenntnissen vermittelt werden. Fakten sind das am wenigsten wichtigste. In der Reproduktion werden bestimmte Haltungen und Fähigkeiten eingenommen. Insbesondere die Haltung, das, was als ausgewiesenes Wissen anerkannt ist und dessen Prozeduren der Erwerbung und Sicherung in einer Form zu rezipieren, exzerpieren und zu übernehmen, deren Ordnung durch die Institution vorgeben wird. Diese reproduktive Seite der Uni hat zu tun mit einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die die Uni innerhalb einer Gesellschaft zu erfüllen hat. Absolventen sollen befähigt sein, gesellschaftliche Aufgaben meist im oberen Bereich von Hierarchien einzunehmen. Ihre Fähigkeiten, ihr Wissen und ihre Qualifikation sollen sie dort einsetzen können. Aber auch eine Liebe zur Ordnung sollte da sein, die ebenso eine Vorraussetzung wie auch ein Ergebnis akademischer Bildung ist, wie Bordieu sagt. Also ohne die Bereitschaft, zur Übernahme von Wissen gibt es keine akademische Bildung. Universitätsgänge sind eine Einübung, stellen eine geordnete Übernahme von bereits Erkanntem dar. Demnach müssten aus den Uni personen hervorgehen, die die Anerkennung der Ordnung des gelehrten Wissens gleichsam in ihren Haltungen und Kenntnissen personifizieren. Und die für die gesellschaftliche Ordnung, in der akademische Bildung einen Wert darstellt, der Vorraussetzung für höhere Jobs ist, bereit sind, diesen Wert zu erfüllen bzw. für ihn einzustehen. Durch die Erfüllung dieser Aufgabe trägt die Uni zur Reproduktion der Gesellschaft und zur ökonomischen Verteilung von Macht bei.

2. Produktive Funktion: neues Wissen hervorbringen. Das begründet mit 1. einen Spannungszustand. Denn Teile des bereits erworbenen Wissens und der damit verbundenen Methoden müssen in Frage gestellt wenn nicht sogar über Bord geworfen werden, um neues Wissen hervorzubringen. Die Notwendigkeit steht der mit Reproduktion in Gegensatz, weil sie einen Konflikt zwischen sozialer und wissenschaftlicher Berechtigung vorschreibt. Wie sie zueinander stehen ist eine interessante soziologische Frage. Innerhalb der Uni ist jeder Schritt ein Platzeinnehmen in der Institution und eine Konfrontation mit zwei Prinzipien der Legimitation für den Einzelnen. Reproduktion muss aufrechterhalten werden, steht aber mit der Produktion in Konflikt. Ebene der Akteure: Spannung, andererseits: Gegensatz findet sich in einer Ungleichverteilung dargestellt, es dominiert immer das eine das andere.

Verteilung: Reproduktion (sozialer Wert): vor allem vertreten in der Jurisprudenz und der Medizin Hervorbringung neuen Wissens (Produktion): Mathematik und Naturwissenschaften. Bei beidem gibt es aber keines, wo wirklich nur das Dominierende Element vorkommt; auf beiden Seiten sind beide Aufgaben vertreten, nur eben ungleich. In der „Mitte“ befinden sich Geistes,-Kultur- und Sozialwissenschaften. In ihnen ist keine Dominanz gegeben. Es gibt zu beidem Strömungen.

Zu Kants Streit der Fakultäten: Auch für Kant sind die Unis charakterisiert durch einen irreversiblen Spannungszustand zwischen den beiden Aufgaben. Erste Aufgabe: Reproduktion. Auch bei Kant sind das Jus, Medizin und hier auch Theologie (diese sind die sog. oberen Fakultäten). Sie bringen Prediger, Rechtsbeamte und Ärzte hervor, stehen der philosophischen Fakultät (sog. untere Fakultät) gegenüber. Mit letzterer sind alle Fakultäten gemeint, die Neues hervorbringen (Mathematik, Astronomie, Botanik usw.). Aufgabe der Unteren Fakultät ist es, der Oberen Fakultät Einwürfe zu stellen und die verbreiteten Auffassungen in Zweifel zu ziehen. Sie stellt die kritische Kraft der Vernunft dar, die laut Kant das Recht hat, durch Einwürfe und Zweifel die Rechtfertigung jedes Wissensanspruches vor dem Gerichtshof der Vernunft einzufordern. Soziologische Deutung der Autonomie der Vernunft. Die Uni ist ein gesellschaftl. Ort, an dem der Streit ums Volk geführt wird, und dieser Streit kann nicht endgültig beigelegt werden, weil er um die Frage geht, in welcher Weise gelehrtes Wissen gesellschaftl. wertvoll sein soll. Die Oberen Fakultäten bringen Kant nach Leute hervor, die bereit sind, jederzeit wie Wundermänner aufzutreten und dabei sehr problemtaische Wirkungen zu erzielen. Das Volk wiederrum hat die Tendenz, Wunderdinge zu erwarten und sie haben die Tendenz, diese zu versprechen. Die Uni sei laut Kant nun der Ort, an dem einer Fakultät, nämlich der philosophischen, erlaubt ist, den „eingesetzten Geschäftsleuten öffentlich entgegenzuarbeiten, um der „magischen Kraft die ihnen und den damit verbudenen Observanzen das Publikum beilegt, zu widersprechen […].“ Sie ist der Ort, an dem die magische Kraft des Wissens sowohl gepflegt, als auch ihr entgegengearbeitet wird. 3 Fakultäten stehen also gegen 1. Die Oberen werden von der Regierung überwacht, können aber auch selbst befehlen, haben gesellschaftliche Macht. Die Philosophie dagegen hat keine andere Verpflichtung als „nach der Autonomie, d.i. frei, Prinzipien des Denkens überhaupt gemäß zu urteilen“. Vermutung Dr. Nemeth: Philosophie wird immer wieder bedroht durch die Oberen. In Europa besteht eine Auseinandersetzung um die Unis; eine Frage, wie man das , was sie leisten, umgestalten kann. These Dr. Nemeth: Wenn wir eine lebendige Uni wollen, brauchen wir nicht nur die unabhängige Kraft des Denkens (und die ist als solche autonom), sondern man braucht auch eine Etablierung des immer neuen Überlegens, woraus der oben genannte Spannungszustand besteht. Es braucht beides, primär die Reproduktion, denn die Vernunft kann den universitären Raum nicht dominieren, denn sie spaltet. Gesamtgesellschaftl. Ist sie nur dann wirksam, wenn sie in einem Konsens der Reproduktion des Wissens primär dient, aber auch Zweifel und Einwände gegen sie erhebt. Eine Koppelung zwischen den beiden Prinzipien sollte politisch garantiert werden. Produktion kann nur mit Reproduktion existieren, allerdings nur, wenn öffentliche Zweifel gezogen werden können.

Bordieu: Die doppelte Aufgabe, die Kant den Fakultäten zugewiesen hat, findet sich in allen Fakultäten wieder. Jedes einzelene Individuum ist bei beiden gefordet. Laut Bourdieu wird der Streit nicht mehr zwischen den einzelnen Fakultäten, sondern innerhalb der einzelnen Fakultäten, ja sogar zwischen den einzelnen Individuen ausgetragen. Denn jeder weiß sich beidem verpflichtet.

Diskussion: Heutiger Kontext: Die Uni soll ein Raum freier Bildung sein, freie Bildung hat aber nichts zu tun mit ökonomischer Verwertbarkeit. Laut Nemeth also eine Illusion. Alle akademischen Fähigkeiten tragen zu wesentlich besseren sozialen Chancen bei. Die Illusion ist außerdem gefährlich, weil die Idee der freien Bildung, die einem gesellschaftlichem Status entzogen ist, den Blick für politische Aufklärung der Idee Kants nach verstellt. Reproduktive Aufgaben (Fakultäten) werden in ihrem Bereich konfrontiert, wie die Wissenserwerbung keineswegs gesichert ist, sondern immer wieder in Frage gestellt wird, → Koppelung, somit Spannung geht verloren. Bordieu beobachtet soziologisierte Form der Vernunft im 20. Jahrhundert. Spannungszustand in mittlerer Zone (Geisteswissenschaften) gegenüber Rändern (z.B. Mathematik) hat mehr Dimensionen, bewusste und konkrete Erfahrungen sind dort gegeben, wo keine Seite der Spannung eindeutig dominiert, insbesondere spezifische situationsbedingte Erkenntnisse. Sie müssen in die Dominanz einzutreten. Überlegungen zu heute: man sollte die Uni mit einem Ort der Spannung zu assoziieren, die Sozialwissenschaften (Ort der Mitte) sollen sich nicht als einen reinen Hort des freien Denkens und durch keine äußeren Bedingungen beeinflusst fühlen, sondern sollen immer die Spannung in Betracht ziehen.

Drei Punkte von Dr. Nemeth als persönliche Anmerkungen beigefügt:

1. Wenn es um die Spannung geht, dann ist Vieles von den Neustrukturierungen ein Angriff auf die Disziplinen selbst. Ohne Reproduktion gibt es auch kein freies Denken und keine Erneuerung von Wissen.

2. Eine Trennung von Lehre und Forschung an der Uni ist auch problematisch, weil sie organisatorisch die Forschung und Lehre getrennt hat, was früher nicht denkbar war. Diese sollten verbunden sein. Bologna sieht im BA Verschulung vor, in der Spannung nicht auferhalten werden kann. Der BA mag zu einer Art Einführung in bestehende Standards werden, auf die im MA aufgebaut werden kann.

3. UB: Pluspunkt: Zugang zu internationaler Forschungsliteratur wurde erleichtert. Minuspunkt: „Einbuchpolitik“ (wenn es ein Buch in der UB gibt, dieses Buch nicht noch einmal zu kaufen). Zugang zum Buch wird dadurch erschwert. ____________________________________________________________________________________________________________

Anschließend werden in der RV noch andere Gesichtspunkte von Studenten eingebracht, Diskussionen geführt und Aspekte in einer offenene Diskussion betrachtet.


Steinwendner, Wolfgang

Zu Nemeth für 10. 11. 09

Aktualitätsbezogen nimmt E. Nemeth im Rahmen der VO zu den Forderungen der „Aktivisten“ Stellung. Stichworte: Ökonomisierung und Verschulung der Universitäten. Sie schickt voraus, dass sie zu einigen Schlagworten und Aussagen „quer liegt“.

Vorweg Curriculum Nemeth: Zunächst klassische Ausbildung (…Kant …Fichte …Hegel …Kierkegaard …Heidegger…), dann Hinwendung zum logischen Empirismus des Wiener Kreises, der ab den 20er Jahren hohen Stellenwert hatte, nach dem zweiten Weltkrieg zunächst an „Punch“ verloren und ab den 70er Jahren wieder an Bedeutung gewonnen hat.

Der Wiener Kreis (Wittgenstein, Mach, Bolzmann) orientiert Philosophie stark an den empirischen Wissenschaften - im besonderen an der mathematischen Logik - und steht damit gegen metaphysische Vorgaben. Damit verbunden die Fragestellung, auf welche Weise diese philosophische Richtung einen Beitrag zur politischen Aufklärung leisten kann. Seit den 80 Jahren ist die Fragestellung, „wie diese sehr theoretische philosophische Richtung in aktuelle kulturelle, soziale und politische Konzepte eingebunden werden kann“ zu einem wichtigen Forschungsfeld geworden. Etwa „Wie stehen Wissenschaft, Kultur, Religion zueinander“. In den letzten Jahren hat die philosophische Anthropologie an Bedeutung gewonnen (Tugendhat).

Nemeth leitet ihre Einschätzung der aktuellen universitären Situation von einem Artikel ab, den sie 1996 – einer damals ähnlichen Situation in Reaktion auf das Sparpaket der Regierung geschrieben hat. Der Artikel „Institutionalisierte Illusionen“ zur Ausbildung an den Universitäten ist in einer Fachpublikation erschienen.

Die damaligen Rahmenbedingungen: Sparprogramm; ökonomischer Druck für Studierende weil Bindung der Studienbeihilfe an Mindeststudienzeit; Anhebung der Zahl er Lehrverpflichtungen bei gleich bleibendem internem Lehrpersonal und mehr extern temporär enaggiertem Lehrpersonal. Daraus resultierende Verschulung. Dies galt damals vor allem für genau jene Studienrichtungen, um die es auch heute geht.

Nemeth hat ihrem Artikel zwei Texte zugrunde gelegt:

         a) Pierre Bordieu, „Homo Academicus“
         b) I. Kant, „Der Streit der Fakultäten“Der Artikel aus den 90er Jahren  hat aus ihrer Sicht in seiner Aktualität verblüffende Parallelen zur gegenwärtigen Situation. Dies gilt auch für ihre damaligen 
         c) Schlussfolgerungen Nemeth

Zu a) Bordieu: Die Studie von Bordieu unter soziologischen Gesichtspunkten geht über zwanzig Jahre und untersucht das franz. Bildungssystem bzw. den sozialen Raum Universität bis 1968.

Die Studie zeigt, dass die phil./ soziol./ geisteswissenschaftlichen Fächer eine besonders interessante - weil spannungsgeladene – Zone innerhalb der Universität sind.

 Auf der eine Seite des universitären Spektrums stehen Aufgaben (und Disziplinen), die vor allem durch Weitergabe

       ausgewiesenen Wissens Fakten, Fähigkeiten, Haltungen… wesentliche gesellschaftspolitische Bedeutung haben. Es sind dies 
       z.B. Jus, Medizin,… : Die Uni „produziert“ Individuen, die später (in der Regel) in gehobenen Funktionen für das Gelernte 
       einstehen sollen. Die Uni trägt folglich zur Reproduktion von Wissen im Interesse der Gesellschaft bei.

 Auf der anderen Seite des Spektrums stehen Disziplinen, die mehr produktive

       Funktionen haben, also mit der Produktion neuen Wissens befasst sind. Es sind dies     
       z.B. Naturwissenschaften.

Zwischen produzierenden und reproduzierenden Bereichen kann es rivalisierenden Situationen zwischen neuem Wissen und reproduziertem (höherem) Wissen, Werterhaltung kommen.

 Zwischen den beiden Polen des Spektrums ist dieser Spannungszustand besonders ausgeprägt: Es sind dies die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften wo Wissen aus beiden Richtungen gesammelt wird.

Zu b) Kant: Kant hat diesen Spannungszustand schon 1798 im „Streit der Fakultäten“ dargestellt. Er etikettiert vorrangig reproduzierende Wissenschaften wie Medizin und Theologie als

 obere Fakultäten, die geeignet sind, „Geschäftsleute des Wissens“ zu produzieren, die mit ihrem quasi gesicherten, von

       Staat und Kirche gesicherten Wissen in gehobenen Positionen das Wohl von Staat und Staatsdienern sicherstellen. Die 
       Gelehrten der oberen Fakultäten sind also der gesellschaftlichen Machtauübung verpflichtet.

Der gewollte, fruchtbare Spannungszustand entsteht mit den

 unteren Fakultäten, mit dem Gelehrtenwissen der Philosophen (Math.,

       Naturwissensch., Biologie). Sie sollen „Einwürfe machen“, - das Wissen der oberen
       Fakultäten in Frage stellen, neue Erkenntnisse einbringen.

Der Spannungszustand wird zu einem virtuellen Ort, wo in Wahrheit der Streit um den Einfluss auf das Volk geführt wird. Kant sieht in den unteren Fakultäten jene Instanz, die „Gerichtshof der Vernunft“ ist und sich unter dem Vorzeihen „Habe den Mut, dich deiner Vernunft zu bedienen“ aufklärend einbringt.

Zu c) Schlussfolgerungen Nemeth: Lebendige Universitäten brauchen nicht nur Autonomie sdn. auch den oben dargestellten Spannungszustand. Die reproduzierende Funktion der Universitäten ist von höchster Bedeutung, ohne Standards gibt es keine Erneuerung, es gibt keine Disziplinen ohne Reproduktion. Ausbildung ist Reproduktion der sozialen Ordnung, Ausbildung ist nicht nur an ökonomische Interessen (Wirtschaft) orientiert. Die von Bordieu dargestellte „mittlere Zone“ setzt Kants Aussagen im „Streit der Fakultäten“ in modernen Sinn um.


Aus dem Spannungsfeld heraus muss Richtung „Handelnde“ die „Reproduktion der sozialen Ordnung“ immer wieder von Grund auf in Frage gestellt werden („Streit“). Bordieu spricht von „sozialisierter Form der Vernunft“. Diese müsse an den Universitäten verankert sein. Dieser „aufklärerische Streit“ findet aber nicht nur zwischen produzierenden und reproduzierenden Fakultäten statt sdn. auch innerhalb der Fakultäten und sogar „innerhalb der Individuen“.

Besonders die Geistes- Kultur- und Sozialwissenschaften sollten „ihre Zone“ als besonders spannende Zone zwischen den beiden Polen erkennen im Sinne von a) was heißt es, Forschungsorientierung zu verstärken und b) was ist gesellschaftlich verwertbar. Für Lehrende und Forschende ist es gleichermaßen wichtig - dieses Spannungsverhältnis zu verteidigen und auszubauen - zu berücksichtigen, dass es keine Disziplin ohne Reproduktion gibt - sich dessen bewusst zu sein, dass es ohne Standards keine Erneuerung gibt

Die schon vor längerem (nicht erst Bologna, Bachelor) durchgeführte Trennung zwischen Studienprogrammleitung und Institutsleitung sieht Nemeth negativ (weil gegen die gewollte bzw notwendige Verbindung zwischen Forschung und Lehre).

stw

Buchberger, Agnes

Nach einem kurzen Überblick über ihre bisherige Laufbahn geht die Vortragende Elisabeth Nemeth auf Wunsch einiger StudentInnen auf die aktuellen Vorgänge an den Universitäten Österreichs ein. Wie sich bald herausstellt hat sie sich ohnehin schon seit längerem intensiv mit diesem Thema beschäftigt – sie engagierte sich u.a. bei den Protesten 1996 und ist auch generell universitätspolitisch eingebunden.

Sie weist die Studierenden gleich anfangs darauf hin, dass sie „das ganze Thema“ von einer etwas anderen Sichtweise angeht. Im Folgenden behandelt sie vor allem einen Text, den sie nach den Protesten 96 schrieb.


Zuerst betont sie einige Gemeinsamkeiten der Bewegung von 1996 und der jetzigen.

z.B. Ein zentrales Anliegen der Studierenden und Lehrenden damals wie heute stellt ihr Widerwillen gegen die Einsparungen der Regierung im Bildungssektor dar.

Anschließend geht sie auf die Studien Pierre Bourdieus („homo academicus“, 1984) ein. Sie meint, diese Studie ist für das Nachdenken über Universitäten höchst relevant. Im Folgenden erörtert sie die Gründe dafür.

Pierre Bourdieu stellt zwei große Aufgaben der Universität gegenüber: die Reproduktion anerkannten Wissens und die Produktion neuen Wissens. Diese beiden Ziele stehen sich in einem Spannungsverhältnis gegenüber. Daraufhin erläutert sie die damit verbundenen Probleme und Chancen.

Im Weiteren geht Nemeth auf einen Aufsatz von Immanuel Kant („Der Streit der Fakultäten“, 1798) ein. Das bereits erwähnte Spannungsverhältnis war schon bei ihm ein großes Thema.

Besonders wichtig hierbei ist es, zu bedenken, dass es nicht darum geht, sich für eine Seite zu entscheiden, sondern, dass eine lebendige Universität gerade auf diesem Spannungsverhältnis baut!


Während der Besprechung von Teilen ihres Textes von 1996 geht sie immer wieder auf die Relevanz für unsere jetzige Situation ein und erörtert anhand verschiedener Argumente, was sie von bestimmten Forderungen der Studierenden hält (bspw. „Freie Bildung für alle!“, „Bildung statt Ausbildung!“, „Mehr Geld für Lehrende!“, etc.).

Die anschließende Diskussion wird wohl lebhaft in den Übungen fortgesetzt werden.

Hannah Weinhardt

In Ihrer Vorlesung kam Prof. Nemeth der Aufforderung nach, in ihrer Vorlesung auf die laufenden Protestaktionen an der Universität einzugehen. Dazu wies sie zunächst auf ähnliche Protestaktionen im Jahr 1996 hin, an denen sie beteiligt gewesen war. Die Auslöser für den damaligen Unmut der Studierenden und Lehrenden waren die Koppelung der Mitversicherung für Studenten bei deren Eltern an eine Regelstudienzeit und die Einsparungen bei externen Lehrkräften, die zu einer Verschulung der Hochschulbildung führten. Auch die Betreuungsverhältnisse zwischen Professoren und Studenten wurden schlechter. Diese Problematiken sind zumindest teilweise mit den heutigen vergleichbar.

Rückblickend auf diese Zeit des Protestes schrieb Prof. Nemeth einen Bericht, in dem sie ausgehend von zwei Texten (Bourdieu - Homo academicus und Kant - Streit der Fakultäten) die Aufgaben und Strukturen universitärer Einrichtungen erörterte. Passagen dieses Textes mit Kommentaren zur heutigen Situation waren der Aufbau des Vortrages:

Bourdieu, der in seinem Werk die Universitäten in Frankreich als soziale Räume analysiert und dabei vorallem auf die Geschehnisse in den späten 60er Jahren eingeht, sieht in den Sozial- und Geisteswissenschaften einen besonderen Raum: In ihnen herrscht ein ständiger Spannungszustand zwischen der reproduktivem und produktivem Wissen. Die Universität hat wesentliche Aufgaben: Sie ist zum einen eine „Institution höherer Bildung“, was bedeutet, dass sie anerkanntes Wissen lehrt und die Studierenden dieses verinnerlichen und wiedergeben sollen. Zum anderen ist die Universität eine „Institution wissenschaftlicher Forschung“, also ein Ort an dem anerkanntes Wissen infrage gestellt wird und neue Erkenntnisse und Meinungen hervorgebracht werden. Hier entsteht ein politischer und sozialer Konflikt.

Auch für Kant wohnt dieser Dualismus dem Prinzip der Universität inne. Er wird noch konkreter und schreibt die Fächer Jura, Medizin und Theologie der „Institution höherer Bildung“, also der Seite des reproduzierenden Wissens zu. Diese Fachbereiche nennt er die „oberen Fakultäten“. Das Gegenstück dazu ist die „untere Fakultät“, die alle anderen Fachbereiche unter dem Begriff „philosophisch“ zusammenfasst. Die Vertreter der oberen Fakultät, werden im Streit um den Einfluss auf das Volk immer versuchen, die untere Fakultät zu unterdrücken. Während sie eine Art „Wissensmonopol“ haben, ist es die notwendige Aufgabe der unteren Fakultät, an die Vernunft zu appellieren, jeden Wissensanspruch zu hinterfragen und gegebenenfalls Rechtfertigung einzufordern. Sie hat eine ethische Funktion, ist gleichsam das „Gewissen der Wissenschaft“.

In den Geistes-, Kultur-, und Sozialwissenschaften ist das Ziel zunächst unklar, sie befinden sich in einem Raum in der Mitte, im Konflikt zwischen Anwendbarkeit und reiner Wissensproduktion. Genau hier jedoch, so Nemeth, liege die Stärke und das Potential universitärer Bildung. Dieses Spannungsverhältnis sei notwendig, um zu einer soziologisch verankerte Vernunft zu fördern. Bestand dieses Spannungsverhältnis zu Kants Zeit zwischen den Fakultäten, so sei es heute in jedem Institut, sogar in jedem Individuum vorhanden, denn jeder Studierende habe eine soziale und eine wissenschaftliche Verpflichtung.

Eine von Allgemeinnutz und ökonomischer Verwertbarkeit abgekoppelte Bildung ist für Nemeth eine gefährliche Illusion. Vielmehr solle man gerade in den Geistes- und Sozialwissenschaften das Spannungsfeld als eigentlichen Raum begreifen und sich nicht in „Freigeistlichkeit“ isolieren.

Clara Maier, Kim Dinh, Alexandra Vogt

„Methoden und Disziplinen der Philosophie Ring-Vo“ vom 5.11.2009, Prof. Nemetz

Elisabeth Nemeth charakterisierte Pierre Bourdieus Verständnis der Aufgaben der Universität (Grundlage Pierre Bourdieu: „Homo academicus“ 1988) und verglich damit Kants Ausführungen über diese Aufgaben (Immanuel Kant: „Der Streit der Fakultäten“ 1798).

Nach Bourdieu hat die Universität zwei in ewiger Spannung zueinanderstehende Aufgaben: die Reproduktion bekannten Wissens und die Produktion neuen Wissens. Alle Individuen an einer Universtät sind diesem Spannungsfeld unterworfen, jedoch unterschiedlich stark von den in Spannung stehenden Positionen betroffen. Einige Fakultäten (wie das Juridicum oder die Medizinische Fakultät) sind stark nach der Reproduktion, andere (Naturwissenschaften, Mathematik) stark nach Produktion ausgerichtet. Der erfüllt durch ihren Lehrauftrag gesamtgesellschaftliche Aufgaben.

Hier ist die Frage unvermeidlich, ob Universitäten wirklich nur als Lehranstalten ihre gesamtgesellschaftliche Aufgabe erfüllen, oder ob die Forschung nicht genauso berechtigt als der Gemeinschaft zuträglich gesehen werden kann.

Kant erkennt dieselbe Spaltung der Aufgabenbereiche der Universität, wobei für ihn neben Jura und Medizin auch die Theologie stärker im Bereich der Reproduktion tätig sind, während, wie auch Bourdieu feststellt, die Naturwissenschaften und Mathematik schwerpunktmäßig an der Produktion von Wissen arbeiten. Kant geht zusätzlich auf die besondere Rolle der Philosophie in dem Spannungsfeld an der Universität ein. Er bezeichnet die Philosophie als untere Fakultät, deren Aufgabe es ist, die Lehren der anderen, oberen Fakultäten (besonders der in der Reproduktion tätigen) in Zweifel zu ziehen. Die Philosophie als kritische Vernunft darf die Rechtfertigung jedes (!) Wissens vor der Vernunft einfordern. Kant betont auch die Ungleichstellung der Fakultäten an Universitäten, dass die Philosophie als einzige untere Fakultät mehreren oberen Fakultäten alleine gegenüber steht. Trotz dieser Ungleichstellung ist Kant aber der Meinung, dass das Spannungsfeld, wenn auch nicht ausgeglichen, dennoch wichtig für den universitären Raum ist, da die Vernunft ihrem aufklärerischen Auftrag innerhalb dieses Spannungsfeldes am Besten nachgehen kann.

Nemeth arbeitete zuletzt einige eigene Standpunkte bezüglich der Aufgaben von Universitäten aus:

Die Universität als von gesellschaftlichen Aufträgen losgelöste Institution sei eine Illusion, die den Blick für soziologische Vernunft verstelle.

Die Universität soll, wie von Kant und später Bourdieu beschrieben, als „Spannungsort“ gedacht werden, nicht als Freiraum für Bildung. Besonders sozialwissenschaftliche Fächer müssten ihr Selbstverständnis als „Hort für freie Bildung“ überdenken und ihre Position im Spannungsfeld konstruktiv nutzen. Die Reibungsflächen unter dem Gesichtspunkt welches ihres Wissens für die gesamte Gesellschaft nützlich ist neu untersuchen.

Lehrende und Forschende sollen das Spannungsfeld sogar aktiv fördern, die Umstrukturierung, wie sie jetzt statt findet, ist jedoch ein Angriff auf selbiges, die interdisziplinäre Vision werde aber auf Dauer nicht zu halten sein. Besonders soll das Spannungsfeld während der gesamten Dauer des Studiums präsent sein, die Bolognastruktur fördert jedoch eine sehr einseitige Aufteilung: stark auf Reproduktion gestützten ersten Teil des Studiums (Bachelor) und einen stark auf Produktion gestützten zweiten Teil (Master).


Fedja Pivodic

Ringvorlesung: Methoden und Disziplinen der Philosophie WS 09/10

5. Einheit am 5.11.2009: Elisabeth Nemeth:

In einer kurzen persönlichen Vorstellung zu Beginn des Vortrags, bezeichnet Elisabeth Nemeth ihre Ausbildung als sehr klassisch und erklärt ihr Interesse am logischen Empirismus des Wiener Kreises. Dabei war für Nemeth insbesondere die Frage, inwiefern diese philosophische Richtung mit der kulturellen, sozialen und politischen Richtung dieser Zeit zu tun hatte. Weiters gehören andere Wissenschaftsphilosophien zu ihrem Forschungsbereich, wie zum Beispiel die Philosophie Ernst Cassirer oder die Wissenschaftssoziologie Bourdieus. Der Artikel, den Nemeth darauf folgend skizzierte erschien 1996 im Zusammenhang mit der damaligen Protestbewegung (Artikel zum Vortrag). Gemeinsamkeiten zwischen der damaligen Situation, waren die Tatsache, dass unter dem Vorzeichen des notwendigen Sparens auch an der Bildung gespart wurde. Auch damals gab es ein großes Anwachsen der Studierendenzahlen, wobei auch damals schon dieselben Fächer exakt die gleichen Probleme der schlechten Betreuungsverhältnisse hatten wie heute. Grundlage für den Artikel waren 2 Texte. Zum einen der Text „Homo Academicus“ von Bourdieu, wobei Nemeth verblüfft davon war, wie eine Analyse aus Frankreich aus den 60er Jahren ihr helfen konnte, die Situation in Wien in den 90er Jahren zu verstehen. Der andere Text ist „Streit der Fakultäten“ von Kant.

Bourdieu

Es zeigt sich in dieser soziologischen Studie, dass die Fächer die wir als geisteswissenschaftlich bezeichnen, eine sehr interessante Zone innerhalb der Uni einnehmen. Allgemein gesagt befinden sie sich ein einem Bereich in dem 2 gegensätzliche Aufgaben die an die Uni gestellt werden, sich überlappen und einen Spannungszustand hervorrufen.

1. Reproduktion von anerkanntem Wissen:

In dieser Reproduktion werden bestimmte Haltungen und Fähigkeiten eingeübt und übernommen, die von der Institution vorgegeben sind. Die außeruniversitäre Funktion dieser Aufgabe liegt darin, dass Absolventen vorbereitet werden sollen hierarchisch höhere Positionen in der Gesellschaft einzunehmen.

2. Produktion von akademischem Wissen:

Die Universität ist beauftragt neues akademisches Wissen hervorzubringen. Das Hervorbringen von neuem Wissen bedeutet, dass Teile des schon vorhandenen Wissens in Frage gestellt und unter Umständen abgetreten werden müssen. Dies erzeugt ein Spannungsfeld gegenüber der ersten Funktion.

Innerhalb der Institution Uni, nimmt jede Person einen Platz ein und ist dadurch mit 2 rivalisierenden Prinzipien der Legitimation konfrontiert. Zum einen ist das Reproduzieren von anerkanntem Wissen ein Wert der aufrechterhalten werden muss. Zum anderem steht das Produzieren von neuem Wissen mit dem ersten in einer Konkurrenz. Die schafft einen Konflikt auf der Ebene der Akteure. Die beiden rivalisierenden Bereiche können lt. Bourdieu nicht in einem ausgeglichenen, ruhigen Verhältnis zueinander stehen. Bourdieu zeigt, dass für bestimmte Fakultäten, der soziale Wert des Wissens stärker zählt wie z.B. Jus und Medizin und dass für andere Fakultäten das Hervorbringen von neuem Wissen stärker zählt, wie z.B. Mathematik und die Naturwissenschaften. Die Legitimierung für das was auf den Fakultäten passiert, ist davon geprägt welchen Wert es für die Gesellschaft hat. In der Mitte, zwischen diesen beiden dominanten Legitimierungsprinzipien befinden sich die für uns interessanten Fakultäten, die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaftlichen Wissenschaften.

Zu Kants „Streit der Fakultäten“

Schon bei Kant ist die Uni durch eine Spannung zwischen diesen beiden Bereichen der Universität gekennzeichnet. 3 Fakultäten erfüllen für Kant insbesondere soziale Aufgaben. Das sind Jus, Medizin und Theologie. Diese 3 oberen Fakultäten stehen einer unteren gegenüber, der philosophischen Fakultät. Die Aufgabe der unteren Fakultäten ist es den oberen Einwürfe zu machen und das was die oberen weitergeben in Zweifel zu ziehen. Der Streit geht um den Einfluss auf das Volk, um die magische Kraft, die das Publikum und die Geschäftsleute des Wissens (die offiziell eingesetzten Gelehrten) dem gelehrten Wissen gerne beireden in Frage zu stellen. Kant macht auf ein Ungleichgewicht aufmerksam. 3 Fakultäten stehen einer gegenüber, die Obrigen der Unteren.

International kann in Europa eine starke Auseinandersetzung um die Uni beobachten. Wenn wir eine lebendige Uni wollen, können wir nicht nur sagen, dass wir die Kraft des Denkens brauchen, sondern es geht auch um die Aufklärung der Universität die sich in diesem Spannungszustand zeigt. Die Uni kann den Raum nicht dominieren, sie ist in der Rolle des Kritisieren und des in Zweifels ziehen, sie kann gesamtgesellschaftlich nur wirksam werden, wenn sie in den Raum in dem es um das reproduktive Wissen geht, Einspruch erhebt. Kant zeigt, dass es so etwas wie autonome Vernunft nur dann geben kann, wenn ein Raum existiert in dem die magische Wirkung des „magischen Wissens“ in Zweifel gezogen werden kann.

Aktuelle Entwicklungen

Es gibt eine eigentümliche Einhelligkeit von sehr unterschiedlichen Gruppierungen, die alle sagen, die Uni ist ein Raum von freier Bildung, die nichts mit den Motiven der gesellschaftlichen Verwertbarkeit zu tun haben und auch der ökonomischen Verwertbarkeit. Nemeth hält dies für falsch, denn Personen mit akademischem Hintergrund haben viel höhere Chance für eine superiore berufliche Laufbahn. Sie können in der Gesellschaftshierarchie höhere Plätze einnehmen. Nemeth hält dies auch für eine gefährliche Illusion. Auch die Personen die mit den reproduktiven Aufgaben der Gesellschaft ausgestatten sind, damit konfrontiert werden, dass die Weise wie Wissen erworben wird nicht gesichert ist, sondern von anderen Instanzen (untere Fakultäten) kritisiert und in Zweifel gewogen wird.

Nemeth will die Uni also in dieser Art denken, wo eine solche Spannung herrscht und nicht als Freiraum. Geisteswissenschaften sollen ihr Selbstverständnis revidieren. Sie sind kein Hort von freiem Denken, der ungestört von äußeren Einwirkungen neue Theorien entwickeln soll. Sie sollen ihre Position im Spannungsfeld zwischen den beiden Polen begreifen. Dieser Spannungszustand soll als der eigentlich Produktive verstanden werden.

Früher waren Forschung und Lehre vollkommen getrennt. Das ist ein völliger Gegensatz zu dem was nun überall steht, dass nämlich Forschung und Lehre überall verbunden werden. Bologna sieht in den ersten Jahren eine sehr starke Verschulung vor, wo es schwierig ist wie dieses Spannungsverhältnis sich auswirken soll. Nemeth weiß nicht ob Bologna besser ist. Die Studien werden auf 3 Jahre heruntergefahren und damit sinkt das allgemeine Niveau. Nemeth könnte sich vorstellen, dass Bologna in die reproduktiven Standards einführen soll und der Master dann in die produktive Funktion einführen soll. Sie ist also nicht sicher ob Bologna hält, was dann herauskommen soll, als Beispiel dafür nennt sie den heutigen Zugang zu wissenschaftlicher Literatur.

Diskussion

Nemeth sagt, dass eine falsche Ansicht ist zu sagen, dass Abschlüsse die nicht direkt ökonomisch verwertbar sind, keinen gesellschaftlichen Wert haben. Das was man an den Universitäten erwerben kann verleit einem die Fähigkeit sich an Positionen zu etablieren die gesellschaftlich sehr anerkannt sind.

Im Aufklärungsmodell steckt drinnen, dass eine Person die den akademischen Weg gegangen ist, jedenfalls eine Bereicherung für die Gesellschaft ist. Frage ist, ob eine Massenuniversität auch dasselbe leisten kann wie eine Uni im kantschen Sinne.

Das konfliktreiche Feld wird als geschützte Zone wahrgenommen in der man tun und treiben kann, was man will. Das ist lt. Nemeth eine falsche Sichtweise. Das Potential liegt ihrer Meinung nach gerade in dieser konfliktreichen Zone.


Hentschke Hannes, Baerwald Tom

Elisabeth Nemeth hat, wie auch Kusch es tat, eingangs einige frühere Interessensfelder und sich selbst vorgestellt. Sie führt den Philosophen und Soziologen Pierre Bourdieu als wichtige Figur und „Erwecker“ ihrer philosophischen Regsamkeit an und lässt sein Schaffen, speziell die Darlegungen in seinem Werk „homo academicus“, in ihren Vortrag einfließen. Sie bezieht sich auch auf Immanuel Kant der bereits 1798 die hybride Rolle der Institution Universität in „Streit der Fakultäten“ dargestellt hat. Anlässlich der momentanen Proteste an den Universitäten hat sich Nemeth dazu entschlossen, die von ihr gehaltene Veranstaltung, mit zugrundegelegten Gedankenmodellen von Bourdieu und Kant, unter dem Zeichen der derzeitig prekären Situation abzuhalten. Die Dozentin präsentiert ein Modell der Institution Universität, das sich nach Bourdieu und Kant als sozialer Raum innerhalb einer Gesellschaft etabliert und in einem auf sich rückbezogenem Spannungsverhältnis zur Öffentlichkeit steht. Der Spannungszustand kommt aus zwei Leistungen, die die Universitäten für das Gemeinwesen erbringen sollen, zustande. Auf der einen Seite sind die Universitäten dazu beauftragt Reproduktion von anerkanntem Wissen zu betreiben und unter die Menschen zu bringen, um somit die bereits bestehenden Normen zu stützen. Andererseits hat die Institution Universität auch die Aufgabe der produktiven Funktion nachzukommen, was bedeutet, dass gegen gelebte Erkenntnisse und Regeln aufbegehrt werden und produktive Kritik geübt werden soll. Zur besseren Nachvollziehbarkeit subtiler Verbindungen und der Vermehrung eigener Denkansätze zu komplexen Kopplungen zwischen Institution und breiter Öffentlichkeit ist es hilfreich die Modelle von Bourdieu und Kant als Basis heranzuziehen. Denen zufolge gibt es zwei rivalisierende Pole innerhalb der Universität, nämlich das Institut für wissenschaftliche Forschung als den einen Pol und als Gegensatz dazu das Institut höherer Bildung. Trotz des bestehenden Antagonismus der zwei Pole bestreben beide eine höchstmögliche Legitimierung ihrer Werte in der allgemeinen Umsetzbarkeit/Lebbarkeit deren Indikator die Zufriedenheit jedes Individuums ist. In der Bestrebung ein feinmaschiges, funktionierendes soziales Netz zu knüpfen, treffen und versöhnen sich die kontrahierenden Pole, um in Wechselwirkung ein akzeptables Miteinander aller Einzelpersonen zu gestalten. Das sieht nach Kant so aus, dass der dominantere Teil (Reproduktion anerkannten Wissens) die oppositionelle, kritische Arbeit benutzt, um bestätigt und wenn gerechtfertigt auch sublimiert zu werden. Natürlich wird das bestehende Wissen sich nicht wehrlos von seinem Thron stoßen lassen und alles daran setzen erhalten zu bleiben, was den forschenden Bereich umso mehr couragieren wird progressiv fortzuschreiten. So wie bestehendes Wissen zwecks Selbstbestätigung und Verbesserung in Abhängigkeit zur kritischen Vernunft steht, so verhält sich auch die Forschung abhängig zur Dominanz höherer Bildung. Der forschende Antrieb der Universität benötigt die Normen als Gegenstand an dem er sich abarbeiten kann. Bourdieu und Kant klassifizieren auch einzelne Fakultäten und ordnen sie dem Institut der wissenschaftlichen Forschung, dem Institut der höheren Bildung und dem oszillierenden Feld, welches zwischen den beiden Polen entsteht, zu . In der Kategorisierung der Fakultäten lassen sich Differenzen von Bourdieus` und Kants` Auffassung entdecken. Bourdieu teilt dem wissenschaftlichen Institut die Naturwissenschaften zu, womit Kant noch konform geht. Dem Spannungsfeld zwischen Forschung und höherer Bildung werden die Geistes-Kultur und- Sozialwissenschaften zugesprochen. In der Zuordnung zum Institut höherer Bildung scheiden sich die Geister Bourdieus` und Kants`. Bourdieu zufolge wird Jus und Medizin diesem Institut zugesprochen, wohingegen bei Kant auch noch die Theologie in dieses Feld hineinkommt. Wenn man Kant folgt, so sind Jus, Medizin und Theologie als obere Fakultäten zu achten. Der überbleibende Rest an Fakultäten wird unter einen Hut „gepackt“ und als untere oder philosophische Fakultäten definiert. Die oberen Fakultäten sollen die Rolle der Reproduktion bestehender staatlicher und gesellschaftlicher Werte übernehmen. Sie sind sozusagen ein Bestätigungsinstrument ökonomischer, sozialer und politischer Traditionen und dienen zur Weitergabe derselben. Die philosophischen Fakultäten hingegen haben die Aufgabe (wie schon vorhin angeführt) die oberen, diejenigen Fakultäten mit tatsächlich praktischem/r Nutzen/Verwertbarkeit, zu kontrollieren und eventuell Verbesserungsprozesse einzuleiten. Sie sind die treibende Kraft zur Weiterentwicklung. Ich habe mich soeben des heiklen Begriffs der praktischen Verwertbarkeit bedient, welcher nicht zu eng gefasst und auf die kontextuell gebrauchte Anwendung reduziert werden darf. Praktische Verwertbarkeit ist in erster Linie den Fakultäten der höheren Bildung zuzuschreiben, weil diese Berufssparten forcieren, welche direkt auf die Gemüter der Individuen, aus welchen die Gesellschaft beschaffen ist, einwirkt. Die Direktheit dieser Fächer setzt jedoch keineswegs voraus, dass indirekte Einflüsse auf Menschen nicht ebenso akzentuell und folgenreich sein können. Um dem Ende des Protkolls entgegen zu schreiten, will ich mich auf Kant beziehen wenn er sagt, dass es eine Illusion sei zu glauben es funktioniere einen Raum innerhalb einer Gesellschaft zu schaffen, an dem unabhängiges, weltfremdes und autonomes Denken praktiziert werden könne ohne, noch bevor dieses Denken fruchten könnte, von pragmatischer Getriebenheit eingeholt zu werden. Sogar das freie Denken ist auf Maßstäbe, zur besseren Orientierung angewiesen. Solche Maßstäbe können erreicht, wie auch überstiegen werden. Angenommen sie werden überstiegen, so ist logisch gefolgert das freie Denken die einzige Kraft, die Zugang zu den neu etablierten Maßstäben hat, was wiederum bedeutet, dass der gesamte Schaffungsprozess einer Gemeinschaft in eine Atmosphäre des freien Denkens verlagert werden müsste. Nüchtern betrachtet ist solch eine Utopie nicht umsetzbar, weil sie vermutlich ein in Frieden gebettetes Weltreich zufolge hätte, welches in Wirklichkeit nicht andeutungsweise vorzufinden ist.







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Angela Strohberger, Marian Weingartshofer, Hubert Rieger, Helmut Eder

Ringvorlesung am 5. 11. 2009-11-06 Prof. Nemeth

Elisabeth Nemeth gestaltet ihre Vorlesung anlässlich der Studierendenproteste um und möchte "Schlagworte" aus der Bewegung mit Thesen Pierre Bourdieus und Immanuel Kants "in einem anderen Licht erscheinen lassen". Nemeth selbst hat sich nach ihrem sehr an der klassischen deutschsprachigen Philosophie orientierten Studium insbesondere für den logischen Empirismus des Wiener Kreises. Entgegen der bestehenden Tradition beschäftigte sich der logische Empirismus mit empiristischen (Natur-)wissenschaftlichen Zugängen sowie der modernen Logik (Frege, Russel, Wittgenstein). Nemeth interessierte sich vor allem für die Bedeutung dieser philosophischen Richtung in Bezug auf den sozialen, kulturellen und politischen Kontext dieser Zeit.

Außerdem nennt Nemeth folgende Interessensschwerpunkte:

- Ernst Cassirer: Philosophie der Wissenschaften und der Erkenntnis, Philosophie der symbolischen Formen (Wie hängen Wissen, Kunst, Religion und Ethik zusammen?)

- Pierre Bourdieu: französischer Soziologe und Philosoph: Studien zu Bildungsinstitutionen und zur Universität

- An der analytischen Philosophie orientierte philosophische Anthropologie (Ernst Tugenhart)

Sie ist Vorstandsmitglied des Instituts Wiener Kreis (IVC), Mitglied der Society for the History of Philosophy of Science (HOPOS), der Österreichischen Gesellschaft für Philosophie und des Wiener Philosophinnen Clubs.

Nemeths Perspektive basiert auf Überlegungen von Kant, publiziert in „Der Streit der Fakultäten“ aus dem Jahre 1798 und mehr rezent auf einer Publikation von Nemeth mit dem Titel „Institutionalisierte Illusionen: Forschung, Ausbildung und Bildung an der Universität“, in Universität, Bildung und Politik, 1996, Nr 4, S 26 - 35, in der sie sich auch auf soziologische Studie von Pierre Bourdieu stützt, der in seinem Buch „Homo academicus“ (franz. 1984), dt. Übersetzung Frankfurt/Main: Suhrkam0p 1988, die Resultate einer großen empirischen Studie über das höhere, französische Bildungssystem publizierte. Bourdieu wirft in seiner Studie einen „soziologsichen“ Blick auf die Universitäten der 60 Jahre als sozialen Raum in der Gesellschaft.

Obwohl sich der Artikel von Nemeth sich auf die Protestbewegungen in Österreich in den 90er Jahren bezieht, ist die u. a. darin eingenommene Perspektive, wie sich das sich zwingend ergebende Spannungsfeld zwischen Lehre und Forschung an universitären Bildungseinrichtungen zweckmäßig zu organisieren ist, aus Ihrer Sicht auch heute relevant. Das heißt, Nemeth nimmt nicht notwendigerweise auf bestimmte rezente Inhalte der derzeit stattfindenden Protestbewegung Stellung, sondern möchte zur Diskussion damit beitragen, dass sie quasi auf einer allgemeinen Ebene das sich notwendigerweise ergebene Spannungsverhältnis beleuchtet und mögliche Problemlösungen diskutiert. Das „naturgegebene“ Spannungsverhältnis“ zwischen Lehre und Forschung auf einer Universität, in dem es per definitionem ein Ungleichgewicht geben kann bzw. wird, beschreibt Nemeth wie folgt:

Einerseits muss jede Universität ihre Aufgabe als Reproduktion von anerkanntem Wissen erfüllen (d. h. Faktenvermittlung, bestimmte Haltungen und Fähigkeiten, ins besonders die gesellschaftliche Komponenten erfüllen, damit Absolventen die notwendige Qualifikation zur Ausübung einer „höheren“ Position in der Gesellschaft mitbringen) und andererseits muss im Bereich Forschung eine produktive Funktion erfüllt werden, und zwar in der Hinsicht, dass gegebene Verfahrensweisen und etabliertes Wissen in Frage gestellt werden, und damit die Wissenschaft zu neuen Ergebnissen kommt.

Das ergibt laut Nemeth ein system-inhärentes Spannungsverhältnis zwischen der Institution Universität als Stätte der Ausbildung und als Institution für wissenschaftliche Forschung, die der Universität vom Staat und der Gesellschaft gestellt sind, in dem es kein (permanentes – Einfügung von mir) Equilibrium geben kann. Auf Grund des Inhaltes der einzelnen Fakultäten/Studienrichtungen sind laut Nemeth manche eher für die Reproduktion bestimmt, wie z. b. Jus, Theologie, vielleicht auch Medizin und den Fakultäten wie z. Beispiel Mathematik und den Naturwissenschaften, die naturgemäß auch der Forschung zugeneigt sind. Die Sozial-, Geistes-, und Kulturwissenschaften würden sich in diesem Modell, laut Nemeth, eher in der Mitte des Kontinuums befinden. Dies würde diesen Fakultäten eher erlauben, die Magie der Gelehrsamkeit lange Zeit ziemlich pur zu überleben, und sich quasi von den veränderten gesellschaftlichen und ökonomischen Anforderungen abzuschotten.

Kant, der dieses Problem ebenfalls adressiert hat, sprach in diesem Zusammenhang von den sog. „oberen Fakultäten“ wie Medizin, Jus, und Theologie, die primär für die Reproduktion von Wissen und damit für die Aufrechterhaltung der gesellschaftlichen Ordnung zu sorgen haben. Diesen gegenüber steht die philosophische Fakultät (Mathematik, Naturwissenschaften, etc) als einer „unteren Fakultät“, deren primäre Aufgabe es war, Einwürfe zu machen und das produktive Wissen der oberen Fakultäten der kritischen Vernunft zu unterziehen. Die Lehren der „oberen Fakultäten“ waren sozusagen von der Regierung sanktioniert und legitimisiert, und der unteren Fakultät war es erlaubt, den oberen Fakultäten „entgegenzuarbeiten“. In anderen Worten, die oberen Fakultäten sind der Regierung unterstellt, die unteren der Vernunft. Dieses angesprochene Spannungsverhältnis wurde durch das mengenmäßige Missverhältnis von 3 : 1 noch verschärft.

Die doppelte Aufgabe, die Kant noch verschiedenen Fakultäten zugewiesen hat, findet Bourdieu in seiner Analyse der französischen Universität auf alle Fakultäten - freilich ungleichmäßig - verteilt vor. Der Streit findet im 20.Jahrhundert nicht mehr in erster Linie zwischen den Fakultäten statt, er wird vielmehr innerhalb der Fakultäten, innerhalb der einzelnen Fächer, ja sogar innerhalb der einzelnen Individuen ausgetragen. Nemeth hält fest, dass Ihrer Meinung nach die in den letzten Jahren vorgenommene Spaltung zwischen Lehre und Forschung nicht nur diesem Modell zu wider läuft, sondern dass gerade dieses Spannungsverhältnis im Interesse von Forschung und Lehre verteidigt werden solle, wenn auch dieses Spannungsverhältnis gestaltet werden muss. Um hier eine Querverweis auf die derzeit stattfindende Protestaktion zu machen, findet Nemeth den Slogan „mehr Bildung statt Ausbildung“ im Kontext des vorher gesagten nicht zielführend. Sie plädiert dafür, dass die Universitäten auch aus der Perspektive des vorher beschriebenen Modells zu denken sind und damit das „entweder/oder“ durch ein „sowohl als auch“ zu ersetzen ist, wie wohl man sich in diesem Zusammenhang darüber Gedanken machen soll, wie dieses gegebene Spannungsverhältnisses am besten zu gestalten ist. Ihrer Meinung nach ist es eine gefährliche Illusion, wenn man die Forschung den gesellschaftlichen und ökonomischen Zwänge quasi entzöge, denn dieses Spannungsverhältnis ist für alle Akteure auf der Universität von Vorteil, und auch für die Gesellschaft in allgemeinen.


Persönliche Anmerkungen:

_Wir können die system-inhärente Spannung zwischen Lehre und Forschung nachvollziehen.

_Für uns bleibt jedoch offen, wie Nemeth begründet, dass sich die Geisteswissenschaften in der Mitte des angesprochenen Kontinuums befinden. Weiters bezweifeln wir, dass die Medizin primär auf die Reproduktion konzentriert.

_Auch, dass alle Beteiligten von diesem Spannungsverhältnis (Lehrende, Studenten, System-Erhalter) betroffen sind und von einer zweckmäßigen Gestaltung durch einen entsprechenden Interessensausgleich, profitieren.

_Wir wissen persönlich zu wenig die in den letzten Jahren vorgenommenen organisatorischen, strukturellen, und finanziellen Änderungen und die damit verbundenen Konsequenzen, um konkret darauf Stellung nehmen zu können

_Daher beziehen sich all unsere Kommentare auf das „prinzipielle“ und nicht das konkrete, weil entsprechende Information und Daten uns fehlen

_Unserer Meinung nach findet man das angesprochene Spannungsverhältnis im allgemeinen in vielen Organisationen bzw. Gesellschaften (in Teilbereichen bzw. in der Gesellschaft per se). Intuitiv wie auch empirisch nachzuvollziehen, gilt es primär dieses Spannungsverhältnis zu gestalten, als zu versuchen, es zu eliminieren.

_Dies kann prinzipiell durch strukturelle, organisatorische als auch finanzielle Maßnehmen gehandhabt werden, ähnlich der Rolle, die eine Verfassung/Gesetze für einen Staat spielt, wo es um einen Interessenausgleich geht und um Regeln, wie im Einzelfall unterschiedliche Interessen ausgeglichen werden sollen.

_In der derzeitigen politischen, ökonomischen, und demographischen Situation (wir beziehen uns im besonderen auf die Finanzkrise, die sich in der ökonomischen Krise manifestiert, dem derzeit vorherrschenden Wirtschaftssystem; den politischen Willen, Resourcen in den kommenden Jahren einzusparen, die auf Grund der wirtschaftlichen Situation zur Stützung zusätzlich zum Budget zur Verfügung gestellt wurden; und dem Stellenwert der Bildung im allgemeinen in der Gesellschaft und last but not least, die durch die Länge der Legislaturperioden gegebenen kurzfristige Fokus der politischen Klasse) wird es sich vor allem um ein sog. „Null-Summen-Spiel handeln“. Das heißt, dass mit großer Wahrscheinlichkeiten finanzielle Mittel zwischen den Ressorts umgeschichtet werden müssen. In diesem Zusammenhang wird es notwendig sein, Allianzen für einen höheren Stellenwert der Bildung/Ausbildung in der Gesellschaft zu formen, um eine entsprechende Umverteilung der vorhandenen Mittel zu erreichen. Dies scheint derzeit noch nicht gelungen zu sein.

Thomas Haidvogel, Philipp Lombardini

Die Frau Institutsvorstand Prof. Nemeth hatte ihre VO auf Grund des Aktionstages der Protestbewegung unter ein anderes Thema gestellt. Im wesentlichen ging es darum die Protestbewegung in einem anderen Licht zu beleuchten auf Grund ihrer Erfahrungen mit den Studierenden- und Lehrendenprotesten aus dem Jahre 1996. Nach diesem Protest hatte sie einen Artikel verfasst welcher sich auf eine sozialwissenschaftliche und empirische Forschung des Franzosen Bourdieu („Homo academicus“) und auf einen Text von Kant (Der Streit der Fakultäten) bezieht.

Beiden Schriften liegt das gleiche Problem zu Grunde. Der Zwiespalt zwischen:

1. Der Reproduktion von anerkanntem Wissen (= das beinhaltet eine Funktion für die Gesellschaft in ökonomischer und politischer Hinsicht)

2. Die Hervorbringung von neuem Wissen (Hier besteht das Problem dass anerkanntes Wissen angezweifelt werden muss)


Daraus ergibt sich der Konflikt zwischen sozialer und wissenschaftlicher Berechtigung der Fakultäten. Frau Prof. Nemeth veranschaulicht das in einem Organigramm in welchem beide Aufgaben der Universität institutionalisiert werden die in einer wechselwirkenden Spannung stehen. Bourdieu sieht die Fakultäten Jus und Medizin als eindeutig reproduktiv und die Naturwissenschaften als eindeutig neu produzieren die Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften liegen in der Mitte. Bei Kant erfolgt die Einteilung in die Oberen Fakultäten (=Jus, Medizin und Theologie; reproduktiv) und die untere Fakultät entsprechend der Philosophischen Fakultät (=alle Fakultäten außer der oberen).


Beide sind der Ansicht dass eine Balance nicht zu erreichen ist. Bourdieu meint dass immer eine Institution abwechselnd vorherrschend ist. Kant hingegen sieht die oberen und die untere Fakultät immer nur auf einer Seite. Denn er meint dass die untere Fakultät nur die Aufgabe besäße das reproduzierende Wissen der Oberen Fakultäten in Zweifel zu ziehen mittels der kritischen Vernunft. Die obere Fakultät hingegen sieht er nur genötigt Wissen für den Staat und die Gesellschaft zu reproduzieren. Dem entsprechend ist laut Kant die Universität der Ort für Pflege des Wissens und gleichzeitig der Ort ihres öffentlichen Entgegenwirkens.

Brunner, Michael

Protokoll der IV. Ringvorlesung am 5.11.2009, Elisabeth Nemeth

Das vorliegende Protokoll ist ein solches nicht ausschließlich, da es sich neben der Vortragsmitschrift des Protokollanten aus nahe liegenden Gründen auch auf den Artikel „Institutionalisierte Illusionen: Forschung, Ausbildung und Bildung an der Universität“ von Elisabeth Nemeth bezieht.

Am 5.11.2009 reagiert die Vorlesende Elisabeth Nemeth spontan auf die Bitte einer Studierendengruppe, die sich eine wissenschaftliche Betrachtung und Fundierung der aktuellen „Protestbewegung“ wünschte. Die offenen Ohren, die man Nemeth für ein solches Unternehmen wohl unterstellte, sind, wie der Hörer bald erfährt, in einer philosophischen Analyse der vormaligen Universitätsproteste begründet, welche 1996 unter dem Titel „Institutionalisierte Illusionen“ in „Mitteilungen des Instituts für Wissenschaft und Kunst, 1996, Nummer 4“ von Elisabeth Nemeth erschienen sei. Und so kündigt die Vortragende an, dass sie aus eben diesem Text vorlesen werde, woraus sich interessante Perspektiven und Parallelen ergäben, die institutionalisierte Wissenschaft im Allgemeinen und deren politische Verzweigungen im Besonderen betreffend. Zunächst aber wolle sie, wie das Programm des Ringvorlesungs-Projekts vorgebe, ihre persönliche akademische Laufbahn und deren Arbeitsfelder umreißen. Die Vortragende berichtet, dass zu Zeiten ihres Studiums das wissenschaftliche Augenmerk der Philosophie in Wien deutlich auf der von ihr so vorgestellten „klassischen deutschsprachigen Philosophie“ gelegen habe, welche mit den Namen Kant, Fichte, Hegel, Heidegger und auch Kierkegaard verbunden gewesen sei. Ihr frühes täglich‘ Brot als angehende Philosophin sei also die genaue Kenntnis und Analyse derer Texte gewesen. Doch spätestens ab ihrer Dissertation habe sie sich intensiv einem missachteten Forschungsfeld der Philosophie des 20. Jahrhunderts zugewendet. Dies sei der logische Empirismus des Wiener Kreises gewesen. Diesen habe sie und neben ihr eine ganze Forschungsströmung jedoch endlich als wichtige Grundlage der analytischen Philosophie erkannt. Diese Trendwende verbindet Nemeth mit einer intensiven Wittgenstein-Rezeption zum Ende der 60er Jahre. Die Explizite Fragestellung, die sich die Forschende nun selbst zum Programm gemacht habe, habe sich nach den Beziehungen der Tradition des Wiener Kreises zu sozialer, kultureller und politische Aktualität erkundigt. Denn wie eine Philosophie des logischen Empirismus, die im Strome der modernen Wissenschaftsempirie und logischen Objektivität mit Frege, Russell und Wittgenstein sich bewege, wissenschaftliches Wissen begründen wolle, ihren abstrakten Charakter mit einer politisch aufklärerischen Rolle verbunden habe, sei ein heller Entzündungspunkt des forschenden Interesses gewesen. So habe sich die Wissenschaftlerin Nemeth mit dem Forschen nach der „Einbettung einer theoretischen Philosophie in soziale Kontexte“ ein philosophisches „Rückgrat“ gebaut. Als weitere Einflussgeber werden Ernst Cassirer genannt, dessen Wissenschaftsphilosophie zum Einen und seine Kulturphilosophie zum Anderen interessierten, sowie Pierre Bourdieu, der im Themengebiet der Vorlesung einen wichtigen Bezugspunkt bilden sollte. Bei Bourdieu sei besonders sein „Homo academicus“ Anstoß gewesen, Bildungsinstitutionen in sozial-philosophischen Blickwinkeln zu betrachten. So sei ein eigenes universitätspolitisches Engagement nahe gelegen. Auch Ernst Tugendhats spätere Schriften zur analytischen Philosophie wollte sie die Liste der Einflüsse abschließend nicht unterschlagen. Nun kündigt Elisabeth Nemeth an sich im Rückgriff auf besagten wissenschaftlichen Artikel, welcher seine Aktualität im Allgemeinen noch immer behalte, den „Institutionalisierten Illusionen“ zu widmen, deren Entzauberung im Auditorium jedoch nicht vollends gelang, wie die abschließende Diskussion offenbaren sollte. Zunächst seien die Sachpunkte der einst zum Artikel die Vorlage liefernden und der heutigen Situation zu benennen. In Folge einer reformierten Besteuerungspolitik seien damals wesentliche Einsparungen im Bildungsbereich in Aussicht gestanden. Um Kosten zu sparen habe man auf den ökonomischen Druck gesetzt, die Studenten zu raschem Abschluss des Studiums zu bewegen. Einschneidend seien die Ausgabenbeschränkungen in der Lehre gewesen. Die Lehrverpflichtung der internen Lehrenden wurde demnach drastisch erhöht, um sich die Verpflichtung vieler externer Lektoren zu ersparen. Die Lehre sei durch den fehlenden Austausch, den die Mobilität im Lektorenbereich gewährleistete, einerseits und die leidende Forschungstätigkeit der internen Lehrenden andererseits also zur Stagnation verurteilt gewesen. Strukturale Veränderungen, wie die strikte organisatorische Trennung von Forschung und Lehre, welche durch „Lippenbekenntnisse“ verschleiert werde, hätten nachhaltig Schaden angerichtet. Neben der Verschulung, die nun benannte Faktoren betrieben hätten, wurde der Zuwachs an Studierenden nicht mit einer Erhöhung der Lehrkapazitäten beantwortet. So hätte sich schon seit den frühen 90ern Problemfächer wie Publizistik, Politikwissenschaft und ähnliche erwiesen, die exemplarisch die Gradwanderung universitärer Bildung demonstrierten, deren höchste Kunst es schon immer gewesen ist aus wenig das Beste zu machen. „Beide (Studierende und Lehrende) sehen in der Forderung, die Studienpläne nach Verwendungsprofilen auszurichten, eine Zumutung, gegen die man die Universität als Raum des Denkens, Forschens und Bildens verteidigen müsse“, analysiert Nemeth in besagtem Artikel über die zentrale Flamme des Protests. Der im „Hintennachdenken“ einer homogenen Bewegung aus Lehrenden und Studierenden entstandene Artikel stütze sich, wie Nemeth nun expliziert, auf zwei wesentliche Quellen. Pierre Bordieus schon genannter „Homo academicus“ ,1984,und Immanuel Kants „Streit der Fakultäten“ ,1798, nämlich. Bourdieus Schrift sei als „großangelegte empirische Studie zu Bildungssystemen“ vorzustellen und scheue sich demnach nicht mit Tabellen und Statistiken ebenso zu beweisen wie mit methodischen Überlegungen. Die Universität verstehe Bourdieu als „sozialen Raum innerhalb der Gesellschaft“. Das strukturelle des Problems sei sein Interesse. Die Geistes-und Kulturwissenschaften seien nun eine besonders interessante Zone universitärer Sozialität, dort überlappten sich universitäre Aufgaben, eine Zone des Spannungszustands, eine „Neuralgische Zone“ wie Nemeth im Paragraph II des vorgelesenen Artikels formuliert. Worin sich die Geistes-und Kulturwissenschaftlichen Institute gerade als Spannungsfeld auszeichnen, lasse sich unmittelbar erkennen, wenn man die beiden Aufgaben des universitären akademischen Betriebs als Reproduktion anerkannten Wissens und Produktion von Neuem Wissen feststelle. Diese Einteilung stütze sich auf Bourdieu, der auch die „philosophischen und sozialwissenschaftlichen“ Fächer als Gegenstand mit spezifischer Ausprägung der akademischen Wissenssphären kennzeichnet. Die Reproduktion anerkannten Wissens meine hier sowohl Weitergabe und Verwaltung von Kenntnissen , Fakten und dem Wissen über die Prozeduren ihrer Sicherung, als auch das Erlernen der bereitschaftlichen Haltung selbst, eine geordnete Wissensverarbeitung in des Jeweiligen Organon zu übernehmen. Diese Haltung sei als eine Fähigkeit sowohl Voraussetzung, als auch Ergebnis einer akademischen Bildung , und lasse sich als „Liebe zur Ordnung überhaupt“ umschreiben. Mit Hilfe von Individuen mit dieser quasi nun personifizierten Haltung, die die Universität hervorbringe, trage diese wesentlich zur Reproduktion der Gesellschaft selbst und ihrer sozialen, kulturellen und ökonomischen Machtverteilung bei. Einen spannungsreichen Gegensatz erzeuge nun die Produktion neuen Wissens im Gegensatz dazu, die sich je schon mit ihrer Freiheit zu Kritik und dem Infragestellen des Anerkannten als angriffsfähige Kraft der Unerwünschtheit ja der Unterdrückung durch die Gesellschaft erwehren muss, und nun „einen Konflikt zwischen sozialer und wissenschaftlicher Berechtigung ihrer Tätigkeit(der handelnden Individuen nämlich) vorschreibt.“ Die „Dominanz des Einen durch das Andere“ sei immer gegeben, die Balance ein ausgeschlossenes Ideal, und das Dominierte immer die Forschung, die Neuproduktion. Die Produktion neuen Wissens, das Vorantreiben des Gelehrten, werde nun an unterschiedlichen akademischen Gebieten gegenüber dem sozialen Faktor der Reproduktion und Einordnung unterschiedlich bewertet. So dominiere im Bereich der Naturwissenschaften die „wissenschaftliche Hierarchie“, die ihre Rangordnung in der wissenschaftlichen Fachwelt erkämpfe, während der juristische wie der medizinische Sektor vom sozialen Faktor beherrscht werde, welcher die „Akkumulierung von[…] Machtattributen“ durch Einordnung in Reproduktion von Anerkanntem erstrebe. Die Ausgewogenheit der entsprechenden Kräfte, die die „sozial-human-und geisteswissenschaftlichen Fakultäten“ präge, erklärt nun endlich warum dieser Bereich besagter steter Kampfplatz, ein Spannungsfeld oder eine Neuralgische Zone sei. Und gerade an diesem Punkt werde es interessant Kants „Streit der Fakultäten“ einzubeziehen. Denn schon 1798 diagnostiziert der Philosoph , dass „ein irreduzibler Spannungszustand zwischen den beiden Aufgaben, die dieser Institution vom Staat und der Gesellschaft gestellt sind“ vorliege. Kant teilt nun kontextbedingt ein wenig anders, doch nicht weniger plausibel ein, indem er der theologischen, juristischen und medizinischen Fakultät, welche konkrete Berufsfelder bedienen, die Absolventen also bestimmten Positionen der Gesellschaft zuführen, durch die sie zur Reproduktion gesellschaftlicher Ordnung beitragen könnten, den Namen der „Oberen Fakultäten“ gebe. Während die Philosophie als alleinige Macht des Zweifels als deren „untere“ gelten solle. Diese „untere“ sei beauftragt „die Rechtfertigung jedes Wissensanspruchs vor dem Gerichtshof der Vernunft einzufordern.“ Sie sei also die „Kraft der Vernunft“ im akademischen Raum. Die Universität etabliere Kant so als „Ort des Streits“, welcher sich vollzieht dadurch, dass den „sanktionierten Geschäftsleuten der Regierung“ den Juristen, Predigern und Medizinern also, öffentlich entgegengearbeitet werden dürfe, ja müsse. Dies solle jedoch nicht des reinen Stürzens von Lehrmeinungen wegen geschehen, sondern um diesen ihre „Magische Kraft“ der abergläubischen Wahrheit zu entziehen. Die Versuchung die faktische Macht gegen jene, sich nur durch Autonomie und Vernunft erhebende einzusetzen, lasse ahnen, „dass die Oberen immer wieder versucht sein werden, die Untere zu verdrängen.“ Auf den konkreten Anlass übertragen könne man fürchten, dass die Ressourcen eines selbstständigen kritischen Faktors zur Überprüfung von Wissensansprüchen „im Namen der ökonomischen und sozialen Verwertbarkeit“ geopfert würden. Das Maximale was die kritische Kraft der Vernunft je leisten könne, sei zwar sowieso die ständige Neu-Etablierung besagten Spannungszustandes, denn so wenig wie die Gesellschaft könne institutionalisierte Zweifel die Universität regieren, doch diese stete Kritik müsse sie unbedingt leisten, die Investitionen dafür seien nötig. Boudieu trage nun, so die Vortragende Nemeth, die oft erwähnte Spannung im 20. Jahrhundert in jede einzelne Fakultät, sogar in jedes Individuum , welches akademisch arbeitet, hinein. Die Notwendigkeit des Neuüberdenkens, Vorantreibens, Andersbeleuchtens sei also untrennbar mit einer sozialen Notwendigkeit verbunden. Im Einzelnen schon konkurrieren zwei Ziele, zwei Forderungen, um ihren Vollzug. Nemeth spricht hierbei von Spielen, welche gerade im Bereich der Geisteswissenschaften ihre Rangordnung nicht preisgeben, in jenen man seine Kräfte zu effizienten Zügen nützen müsse, um zumindest auf einer der Leitern zu klettern. In jedem Fall sei das Studium ein Prozess der Orientierung über die Regeln, „ nach denen die Auseinandersetzung um die Dominanz der wissenschaftlichen oder der sozialen Hierarchie verlaufen.“ Die Illusion, dass sich gerade die Geisteswissenschaft und ihre Studenten, dem sozialen Faktor entziehen könnte, indem sie eine Dimension der expliziten Spannung ignoriert und sich als ideeller Raum des freien Denkens begreift, ist nun im Erlöschen begriffen. Vielmehr müsse dieser Spannungszustand als der produktive Charakter des universitären Arbeitens gerühmt werden. Hier nun endet Elisabeth Nemeth ihren Vortrag, der längst nicht alle Gedanken des zu Grunde liegenden Artikels behandelte. Sie eröffnet eine abschließende Diskussion, indem sie sich selbst zur Kritik der Trennung von Forschung und Lehre qua Gesetz bekennt und dem gefürchteten Bolognasystem ein Ultimatum gewährt, denn seine Folgen seien noch nicht zu prüfen. Dass sich die Forschungsbedingungen verschlechtern, gebe Anlass zu ernster Sorge, hier sei anzusetzen. Als Beispiel wird das „Ein-Buch-Prinzip“ zur Ressourcenschonung mit maoistischer Ein-Kind-Politik verglichen. In der schwachen Diskussion zum Ende offenbart das Auditorium, die Erschütterung der „Illusionen“ nicht verdaut zu haben, das erwartete Schlagwortgewitter zieht dann schnell vorüber.