PROTOKOLLE - MuD09 - Gruppe1 - 10.11.: Unterschied zwischen den Versionen

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(Buchberger, Agnes)
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Die anschließende Diskussion wird wohl lebhaft in den Übungen fortgesetzt werden.
 
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==Nachname, Vorname==
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==Esther Guschall==
Text
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Zusammenfassung der RV 5
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Wissenschaftliche Laufbahn Dr. Elisabeth Nemeth (Auszug)
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Ihr wissenschafliches Interesse nach der Dissertation wendet sich zu Beginn dem logischen Empirismus des Wiener Kreises zu, einer philosophischen Richtung, die in den 20er Jahren in Wien entwickelt wurde und die später nach dem 2. WK eine der wichtigsten Wurzeln  für die Entwicklung der analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts wurde. Dass das so war, hängt damit zusammen, dass so gut wie alle Mitglieder des Wiener Kreises im Laufe der politischen Katastrophen aus Österreich emigrieren mussten.
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Erst in den Siebzigern kommt es wieder zu starken Aktivitäten; Ludwig Wittgenstein wird stark rezipiert, dann entstehen mehr und mehr Studien in diese Richtung. Das Interesse unter dem Gesichtspunkt inwiefern eine philosophische Richtung etwas zu tun hat mit der kulturellen sozialen und politischen Situation dieser Zeit wird weitaus stärker. Der logische Empirismus hat eine radikale Neubestimmung der Philosophie vorgeschlagen; eine Orientierung an den Errungenschaften der modernen empirischen Wissenschaften (Naturwissenschaftler: Mach, Boltzmann u.a.) und an der Entwicklung der modernen Logik in der Tradition von Frege, Russel und Wittgenstein.
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Das Interesse Dr. Nemeths fokussiert sich darauf, wieso diese sehr abstrakt anmutenden Begründungen der Fragestellungen wissenschaftlichen Wissens und Fragen der formalen Logik und Mathematik, die alle unter eine Gruppe fallen, wieso sich also diese Gruppe sich sehr politisch verstanden und ihre Philosophie als einen wichtigen Beitrag zu einer politischen aufgeklärten Haltung verstanden hat. Was haben eine wissenschaftliche Tätigkeit, also eine abstrakte Fragestellung, und eine aufklärerische politische Tätigkeit dieser Gruppe gemeinsam? Und davon ausgehend, warum hat diese philosophische Richtung nach dem 2 WK diese politisch-kulturell aufklärerische Tätigkeit verloren? Wie ist eine bestimmte sehr theoretisch orientierte Philosophie eingebettet in kulturelle, soziale und politische Kontexte?
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Eine Reihe von Leuten arbeiten damals in eine ähnliche Richtung wie Elisabeth Nemeth. Dadurch entsteht an der Geschichte des logischen Empirismus starkes Interesse ihrerseits: viel interessantere Aspekte werden sichtbar als man beispielsweise in den 60ern geglaubt hatte. Außerdem wird auch der Typus von Fragestellungen verändert. Einbettung der Philosophie in die Gesellschaft wird starkes Forschungsfeld. Auf diese Weise wird diese Art von Forschung eine Art von „Rückgrad“ von dem, was Nemeth weiter philosophisch erarbeitete. Schwerpunkt: Interesse für andere Wissenschaftsphilosophien derselben Zeit, z.B. für Ernst Kassierer, der in seinen frühen Schriften die Philosophie der Wissenschaften und der Erkenntnis geliefert hat und die Philosophie der symbolischen Formen ausgearbeitet hat als eine Kulturphilosophie, die einen Rahmen abgeben soll, in dem klarer wird, wie die verschiedenen kulturellen Sphären Wissen, Kunst, Religion, Ethik  (nicht unbedingt Wissenschaften an sich, sondern Verhältnisse des Menschen zu seiner Umwelt, die Wissenschaft ist nur eine davon) zueinander stehen und wie man ihre Relationen begreifen kann und wie sie ein Gesamtes bilden.
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Beides in einer Weise zusammengestellt: einerseits das Interesse an einem Philosophiebegriff, der sich orientiert an den modernen  Wissenschaften und andererseits das Interesse am kulturellen Zusammenhang. Darüber hinaus beschäftigt sie sich intensiv  mit Pierre Bourdieu, der mit seinen Studien zu den Bildungsinstitutionen und zur Uni im Speziellen ihr Interesse weckte.
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Der an der analytischen Philosphie orientierten philosophische Antropologie widmete sie sich in den  letzten Jahren: z. B. den späten Schriften von Tugendhat.
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Dr. Nemeth kommentiert bzw. liest einen Artikel, den sie im Zuge der Uniproteste gegen das Sparpaket  1994 verfasst hat, frei und vergleicht ihn mit den heutigen Verhältnissen.
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→ Der vollständige Text ist nachzulesen im wiki. 
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INSTITUTIONALISIERTE  ILLUSIONEN: FORSCHUNG; BILDUNG UND AUSBILDUNG AN DER UNIVERSITÄT
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Gemeinsamkeiten zwischen damals und heute: Es wird bei Bildung gespart; für Studierende und für Lehrende werden neue Bedingungen geschaffen. Studiengebühren und Mitversicherung bei den Eltern wird gebunden an die Mindeststudienzeit. Ökonomischer Druck, Ausgaben sollen reduziert werden, Lehrverpflichtungen werden angehoben, interne Lehrenden haben einen Vertrag, externen LektorInnen haben semesterweise einen Vertag, werden für eine LV beauftragt, schwierige Stituation entsteht, Strategie des Sparens damals und heute: „Interne“ bekommen mehr Lehraufträge, „Externe“ werden quasi eingespart, Verlust und Überbelastung. → Mehr Studierende, gleich viele Lehrende.
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Buch von Pierre Bourdieu: Homo Academicus = empirische Studie zum franz. Bildungssystem
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~ Initialzündung für Nemeths Interesse an erkenntnistheoretischen Fragen der Sozialwissenschaften 
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Uni = sozialer Raum innerhalb der Gesellschaft. Soziologische Gründe der 68er Bewegung: Warum war sie so stark? Warum zog sie eine so starke Veränderung nach sich? Nemeth war verblüfft, dass Bourdieus Analyse auch so hilft zu verstehen, was in den 90ern in Wien und auch heute passiert. Auch im Bezug: Immanuel Kant: Streit der Fakultäten (1798)
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Welchen Blick auf die Uni als sozialen Raum richtet Bordieu? Warum ist diese Studie in dem heutigen Bezug wichtig? Es zeigt sich, dass die Fächer, die wir als kulturwissenschaftlich, soziologisch, philosophisch, also geisteswissenschaftlich erachten, eine interessante Zone innerhalb der Uni sind. Das liegt daran, dass sie sich in einem Bereich befinden, in dem zwei gegensätzliche Aufgaben der Uni einander überlappen: ein Spannungszustand wird deutlich.
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Welche Aufgaben sind gemeint:
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1. Aufgabe der Reproduktion von anerkanntem Wissen. Uni ist eine Institution höherer Bildung, d.h. dass in der Wissensweitergabe mehrere Dimensionen von Kenntnissen vermittelt werden. Fakten sind das am wenigsten wichtigste. In der Reproduktion werden bestimmte Haltungen und Fähigkeiten eingenommen. Insbesondere die Haltung, das, was als ausgewiesenes Wissen anerkannt ist und dessen Prozeduren der Erwerbung und Sicherung in einer Form zu rezipieren, exzerpieren und zu übernehmen, deren Ordnung durch die Institution vorgeben wird. Diese reproduktive Seite der Uni hat zu tun mit einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die die Uni innerhalb einer Gesellschaft zu erfüllen hat. Absolventen sollen befähigt sein, gesellschaftliche Aufgaben meist im oberen Bereich von Hierarchien einzunehmen. Ihre Fähigkeiten, ihr Wissen und ihre Qualifikation sollen sie dort einsetzen können.  Aber auch eine Liebe zur Ordnung sollte da sein, die ebenso eine Vorraussetzung wie auch ein Ergebnis akademischer Bildung ist, wie Bordieu sagt. Also ohne die Bereitschaft, zur Übernahme von Wissen gibt es keine akademische Bildung. Universitätsgänge sind  eine Einübung, stellen eine geordnete Übernahme von bereits Erkanntem dar. Demnach müssten aus den Uni personen hervorgehen, die die Anerkennung der Ordnung des gelehrten Wissens gleichsam in ihren Haltungen und Kenntnissen personifizieren. Und die für die gesellschaftliche Ordnung, in der akademische Bildung einen Wert darstellt, der Vorraussetzung für höhere Jobs ist, bereit sind, diesen Wert zu erfüllen bzw. für ihn einzustehen.  Durch die Erfüllung dieser Aufgabe trägt die Uni zur Reproduktion der Gesellschaft und zur ökonomischen Verteilung von Macht bei.
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2. Produktive Funktion: neues Wissen hervorbringen. Das begründet mit 1. einen Spannungszustand. Denn Teile des bereits erworbenen Wissens und der damit verbundenen Methoden müssen in Frage gestellt wenn nicht sogar über Bord geworfen werden,  um neues Wissen hervorzubringen. Die Notwendigkeit steht der mit Reproduktion in Gegensatz, weil sie einen Konflikt zwischen sozialer und wissenschaftlicher Berechtigung vorschreibt. Wie sie zueinander stehen ist eine interessante soziologische Frage. Innerhalb der Uni ist jeder Schritt ein Platzeinnehmen in der Institution und eine Konfrontation mit zwei Prinzipien der Legimitation für den Einzelnen.                Reproduktion muss aufrechterhalten werden, steht aber mit der Produktion in Konflikt.
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Ebene der Akteure: Spannung, andererseits: Gegensatz findet sich in einer Ungleichverteilung dargestellt, es dominiert immer das eine das andere.
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Verteilung: Reproduktion (sozialer Wert): vor allem vertreten in der Jurisprudenz und der Medizin Hervorbringung neuen Wissens (Produktion): Mathematik und Naturwissenschaften. Bei beidem gibt es aber keines, wo wirklich nur das Dominierende Element vorkommt; auf beiden Seiten sind beide Aufgaben vertreten, nur eben ungleich. 
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In der „Mitte“ befinden sich Geistes,-Kultur- und Sozialwissenschaften. In ihnen ist keine Dominanz gegeben. Es gibt zu beidem Strömungen.
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Zu Kants Streit der Fakultäten: Auch für Kant sind die Unis charakterisiert durch einen irreversiblen Spannungszustand zwischen den beiden Aufgaben. Erste Aufgabe: Reproduktion. Auch bei Kant sind das Jus, Medizin und hier auch Theologie (diese sind die sog. oberen Fakultäten). Sie bringen Prediger, Rechtsbeamte und Ärzte hervor, stehen der philosophischen Fakultät (sog. untere Fakultät) gegenüber.  Mit letzterer sind alle Fakultäten gemeint,  die Neues hervorbringen (Mathematik, Astronomie, Botanik usw.).
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Aufgabe der Unteren Fakultät ist es, der Oberen Fakultät  Einwürfe zu stellen und die verbreiteten Auffassungen in Zweifel zu ziehen. Sie stellt die kritische Kraft der Vernunft dar, die laut Kant das Recht hat, durch Einwürfe und Zweifel die Rechtfertigung jedes Wissensanspruches vor dem Gerichtshof der Vernunft einzufordern. Soziologische Deutung der Autonomie der Vernunft. Die Uni ist ein gesellschaftl. Ort, an dem der Streit ums Volk geführt wird, und dieser Streit kann nicht endgültig beigelegt werden, weil er um die Frage geht, in welcher Weise gelehrtes Wissen gesellschaftl. wertvoll sein soll. Die Oberen Fakultäten bringen Kant nach Leute hervor, die bereit sind,  jederzeit wie Wundermänner aufzutreten und dabei sehr problemtaische Wirkungen zu erzielen. Das Volk wiederrum hat die Tendenz, Wunderdinge zu erwarten und sie haben die Tendenz, diese zu versprechen.
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Die Uni sei laut Kant nun der Ort, an dem einer Fakultät, nämlich der philosophischen, erlaubt ist, den „eingesetzten Geschäftsleuten öffentlich entgegenzuarbeiten, um der „magischen Kraft die ihnen und den damit verbudenen  Observanzen das Publikum beilegt, zu widersprechen […].“  Sie ist der Ort, an dem die magische Kraft des Wissens sowohl gepflegt, als auch ihr entgegengearbeitet wird. 3 Fakultäten stehen also gegen 1. Die Oberen werden von der Regierung überwacht, können aber auch selbst befehlen, haben gesellschaftliche Macht. Die Philosophie dagegen hat keine andere Verpflichtung als „nach der Autonomie, d.i. frei, Prinzipien des Denkens überhaupt gemäß zu urteilen“.  Vermutung Dr. Nemeth: Philosophie wird immer wieder bedroht durch die Oberen. In Europa besteht eine Auseinandersetzung um die Unis; eine Frage, wie man das , was sie leisten, umgestalten kann.
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These Dr. Nemeth: Wenn wir eine lebendige Uni wollen, brauchen wir nicht nur die unabhängige Kraft des Denkens (und die ist als solche autonom), sondern man braucht auch eine Etablierung des immer neuen Überlegens, woraus der oben genannte Spannungszustand besteht. Es braucht beides, primär die Reproduktion, denn die Vernunft kann den universitären Raum nicht dominieren, denn sie spaltet. Gesamtgesellschaftl. Ist sie nur dann wirksam, wenn sie in einem Konsens der Reproduktion des Wissens primär dient, aber auch Zweifel und Einwände gegen sie erhebt. Eine Koppelung zwischen den beiden Prinzipien sollte politisch garantiert werden. Produktion kann nur mit Reproduktion existieren, allerdings nur, wenn öffentliche Zweifel gezogen werden können.
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Bordieu: Die doppelte Aufgabe, die Kant den Fakultäten zugewiesen hat, findet sich in allen Fakultäten wieder.  Jedes einzelene Individuum ist bei beiden gefordet. Laut Bourdieu wird der Streit nicht mehr zwischen den einzelnen Fakultäten, sondern innerhalb der einzelnen Fakultäten, ja sogar zwischen den einzelnen Individuen ausgetragen. Denn jeder weiß sich beidem verpflichtet.
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Diskussion: Heutiger Kontext: Die Uni soll ein Raum freier Bildung sein, freie Bildung hat aber nichts zu tun mit ökonomischer Verwertbarkeit. Laut Nemeth also eine Illusion. Alle akademischen Fähigkeiten tragen zu wesentlich besseren sozialen Chancen bei. Die Illusion ist außerdem  gefährlich, weil die Idee der freien Bildung, die einem gesellschaftlichem Status entzogen ist, den Blick für politische Aufklärung der Idee Kants nach verstellt. Reproduktive Aufgaben (Fakultäten) werden in ihrem Bereich konfrontiert, wie die Wissenserwerbung keineswegs gesichert ist, sondern immer wieder in Frage gestellt wird, → Koppelung, somit Spannung geht verloren.
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Bordieu beobachtet soziologisierte Form der Vernunft im 20. Jahrhundert. Spannungszustand in mittlerer Zone (Geisteswissenschaften) gegenüber Rändern (z.B. Mathematik) hat mehr Dimensionen, bewusste und konkrete Erfahrungen sind dort gegeben, wo keine Seite der Spannung eindeutig dominiert, insbesondere spezifische situationsbedingte Erkenntnisse. Sie müssen in die Dominanz einzutreten.
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Überlegungen zu heute: man sollte die Uni mit einem Ort der Spannung zu assoziieren, die Sozialwissenschaften (Ort der Mitte)  sollen sich nicht als einen reinen Hort des freien Denkens und durch keine äußeren Bedingungen beeinflusst fühlen, sondern sollen immer die Spannung in Betracht ziehen.
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Drei Punkte von Dr. Nemeth als persönliche Anmerkungen beigefügt:
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1. Wenn es um die Spannung geht, dann ist Vieles von den Neustrukturierungen ein Angriff auf die Disziplinen selbst. Ohne Reproduktion gibt es auch kein freies Denken und keine Erneuerung von Wissen.
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2. Eine Trennung von Lehre und Forschung an der Uni ist auch problematisch, weil sie organisatorisch die Forschung und Lehre getrennt hat, was früher nicht denkbar war. Diese sollten verbunden sein. Bologna sieht im BA Verschulung vor, in der Spannung nicht auferhalten werden kann. Der BA mag zu einer Art Einführung in bestehende Standards werden, auf die im MA aufgebaut werden kann.
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3. UB: Pluspunkt: Zugang zu internationaler Forschungsliteratur wurde erleichtert. Minuspunkt: „Einbuchpolitik“ (wenn es ein Buch in der UB gibt, dieses Buch nicht noch einmal zu kaufen). Zugang zum Buch wird dadurch erschwert.
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Anschließend werden in der RV noch andere Gesichtspunkte von Studenten eingebracht, Diskussionen geführt und  Aspekte in einer offenene Diskussion betrachtet. 
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Version vom 8. November 2009, 04:47 Uhr

Bitte posten Sie hier Ihr Protokoll zur Vorlesung vom 05.11.09 - Elisabeth Nemeth!


Buchberger, Agnes

Nach einem kurzen Überblick über ihre bisherige Laufbahn geht die Vortragende Elisabeth Nemeth auf Wunsch einiger StudentInnen auf die aktuellen Vorgänge an den Universitäten Österreichs ein. Wie sich bald herausstellt hat sie sich ohnehin schon seit längerem intensiv mit diesem Thema beschäftigt – sie engagierte sich u.a. bei den Protesten 1996 und ist auch generell universitätspolitisch eingebunden.

Sie weist die Studierenden gleich anfangs darauf hin, dass sie „das ganze Thema“ von einer etwas anderen Sichtweise angeht. Im Folgenden behandelt sie vor allem einen Text, den sie nach den Protesten 96 schrieb.


Zuerst betont sie einige Gemeinsamkeiten der Bewegung von 1996 und der jetzigen.

z.B. Ein zentrales Anliegen der Studierenden und Lehrenden damals wie heute stellt ihr Widerwillen gegen die Einsparungen der Regierung im Bildungssektor dar.

Anschließend geht sie auf die Studien Pierre Bourdieus („homo academicus“, 1984) ein. Sie meint, diese Studie ist für das Nachdenken über Universitäten höchst relevant. Im Folgenden erörtert sie die Gründe dafür.

Pierre Bourdieu stellt zwei große Aufgaben der Universität gegenüber: die Reproduktion anerkannten Wissens und die Produktion neuen Wissens. Diese beiden Ziele stehen sich in einem Spannungsverhältnis gegenüber. Daraufhin erläutert sie die damit verbundenen Probleme und Chancen.

Im Weiteren geht Nemeth auf einen Aufsatz von Immanuel Kant („Der Streit der Fakultäten“, 1798) ein. Das bereits erwähnte Spannungsverhältnis war schon bei ihm ein großes Thema.

Besonders wichtig hierbei ist es, zu bedenken, dass es nicht darum geht, sich für eine Seite zu entscheiden, sondern, dass eine lebendige Universität gerade auf diesem Spannungsverhältnis baut!


Während der Besprechung von Teilen ihres Textes von 1996 geht sie immer wieder auf die Relevanz für unsere jetzige Situation ein und erörtert anhand verschiedener Argumente, was sie von bestimmten Forderungen der Studierenden hält (bspw. „Freie Bildung für alle!“, „Bildung statt Ausbildung!“, „Mehr Geld für Lehrende!“, etc.).

Die anschließende Diskussion wird wohl lebhaft in den Übungen fortgesetzt werden.

Esther Guschall

Zusammenfassung der RV 5

Wissenschaftliche Laufbahn Dr. Elisabeth Nemeth (Auszug)

Ihr wissenschafliches Interesse nach der Dissertation wendet sich zu Beginn dem logischen Empirismus des Wiener Kreises zu, einer philosophischen Richtung, die in den 20er Jahren in Wien entwickelt wurde und die später nach dem 2. WK eine der wichtigsten Wurzeln für die Entwicklung der analytischen Philosophie des 20. Jahrhunderts wurde. Dass das so war, hängt damit zusammen, dass so gut wie alle Mitglieder des Wiener Kreises im Laufe der politischen Katastrophen aus Österreich emigrieren mussten. Erst in den Siebzigern kommt es wieder zu starken Aktivitäten; Ludwig Wittgenstein wird stark rezipiert, dann entstehen mehr und mehr Studien in diese Richtung. Das Interesse unter dem Gesichtspunkt inwiefern eine philosophische Richtung etwas zu tun hat mit der kulturellen sozialen und politischen Situation dieser Zeit wird weitaus stärker. Der logische Empirismus hat eine radikale Neubestimmung der Philosophie vorgeschlagen; eine Orientierung an den Errungenschaften der modernen empirischen Wissenschaften (Naturwissenschaftler: Mach, Boltzmann u.a.) und an der Entwicklung der modernen Logik in der Tradition von Frege, Russel und Wittgenstein.

Das Interesse Dr. Nemeths fokussiert sich darauf, wieso diese sehr abstrakt anmutenden Begründungen der Fragestellungen wissenschaftlichen Wissens und Fragen der formalen Logik und Mathematik, die alle unter eine Gruppe fallen, wieso sich also diese Gruppe sich sehr politisch verstanden und ihre Philosophie als einen wichtigen Beitrag zu einer politischen aufgeklärten Haltung verstanden hat. Was haben eine wissenschaftliche Tätigkeit, also eine abstrakte Fragestellung, und eine aufklärerische politische Tätigkeit dieser Gruppe gemeinsam? Und davon ausgehend, warum hat diese philosophische Richtung nach dem 2 WK diese politisch-kulturell aufklärerische Tätigkeit verloren? Wie ist eine bestimmte sehr theoretisch orientierte Philosophie eingebettet in kulturelle, soziale und politische Kontexte? Eine Reihe von Leuten arbeiten damals in eine ähnliche Richtung wie Elisabeth Nemeth. Dadurch entsteht an der Geschichte des logischen Empirismus starkes Interesse ihrerseits: viel interessantere Aspekte werden sichtbar als man beispielsweise in den 60ern geglaubt hatte. Außerdem wird auch der Typus von Fragestellungen verändert. Einbettung der Philosophie in die Gesellschaft wird starkes Forschungsfeld. Auf diese Weise wird diese Art von Forschung eine Art von „Rückgrad“ von dem, was Nemeth weiter philosophisch erarbeitete. Schwerpunkt: Interesse für andere Wissenschaftsphilosophien derselben Zeit, z.B. für Ernst Kassierer, der in seinen frühen Schriften die Philosophie der Wissenschaften und der Erkenntnis geliefert hat und die Philosophie der symbolischen Formen ausgearbeitet hat als eine Kulturphilosophie, die einen Rahmen abgeben soll, in dem klarer wird, wie die verschiedenen kulturellen Sphären Wissen, Kunst, Religion, Ethik (nicht unbedingt Wissenschaften an sich, sondern Verhältnisse des Menschen zu seiner Umwelt, die Wissenschaft ist nur eine davon) zueinander stehen und wie man ihre Relationen begreifen kann und wie sie ein Gesamtes bilden. Beides in einer Weise zusammengestellt: einerseits das Interesse an einem Philosophiebegriff, der sich orientiert an den modernen Wissenschaften und andererseits das Interesse am kulturellen Zusammenhang. Darüber hinaus beschäftigt sie sich intensiv mit Pierre Bourdieu, der mit seinen Studien zu den Bildungsinstitutionen und zur Uni im Speziellen ihr Interesse weckte. Der an der analytischen Philosphie orientierten philosophische Antropologie widmete sie sich in den letzten Jahren: z. B. den späten Schriften von Tugendhat. Dr. Nemeth kommentiert bzw. liest einen Artikel, den sie im Zuge der Uniproteste gegen das Sparpaket 1994 verfasst hat, frei und vergleicht ihn mit den heutigen Verhältnissen.

→ Der vollständige Text ist nachzulesen im wiki.


INSTITUTIONALISIERTE ILLUSIONEN: FORSCHUNG; BILDUNG UND AUSBILDUNG AN DER UNIVERSITÄT

Gemeinsamkeiten zwischen damals und heute: Es wird bei Bildung gespart; für Studierende und für Lehrende werden neue Bedingungen geschaffen. Studiengebühren und Mitversicherung bei den Eltern wird gebunden an die Mindeststudienzeit. Ökonomischer Druck, Ausgaben sollen reduziert werden, Lehrverpflichtungen werden angehoben, interne Lehrenden haben einen Vertrag, externen LektorInnen haben semesterweise einen Vertag, werden für eine LV beauftragt, schwierige Stituation entsteht, Strategie des Sparens damals und heute: „Interne“ bekommen mehr Lehraufträge, „Externe“ werden quasi eingespart, Verlust und Überbelastung. → Mehr Studierende, gleich viele Lehrende. Buch von Pierre Bourdieu: Homo Academicus = empirische Studie zum franz. Bildungssystem

~ Initialzündung für Nemeths Interesse an erkenntnistheoretischen Fragen der Sozialwissenschaften  

Uni = sozialer Raum innerhalb der Gesellschaft. Soziologische Gründe der 68er Bewegung: Warum war sie so stark? Warum zog sie eine so starke Veränderung nach sich? Nemeth war verblüfft, dass Bourdieus Analyse auch so hilft zu verstehen, was in den 90ern in Wien und auch heute passiert. Auch im Bezug: Immanuel Kant: Streit der Fakultäten (1798) Welchen Blick auf die Uni als sozialen Raum richtet Bordieu? Warum ist diese Studie in dem heutigen Bezug wichtig? Es zeigt sich, dass die Fächer, die wir als kulturwissenschaftlich, soziologisch, philosophisch, also geisteswissenschaftlich erachten, eine interessante Zone innerhalb der Uni sind. Das liegt daran, dass sie sich in einem Bereich befinden, in dem zwei gegensätzliche Aufgaben der Uni einander überlappen: ein Spannungszustand wird deutlich. Welche Aufgaben sind gemeint:

1. Aufgabe der Reproduktion von anerkanntem Wissen. Uni ist eine Institution höherer Bildung, d.h. dass in der Wissensweitergabe mehrere Dimensionen von Kenntnissen vermittelt werden. Fakten sind das am wenigsten wichtigste. In der Reproduktion werden bestimmte Haltungen und Fähigkeiten eingenommen. Insbesondere die Haltung, das, was als ausgewiesenes Wissen anerkannt ist und dessen Prozeduren der Erwerbung und Sicherung in einer Form zu rezipieren, exzerpieren und zu übernehmen, deren Ordnung durch die Institution vorgeben wird. Diese reproduktive Seite der Uni hat zu tun mit einer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe, die die Uni innerhalb einer Gesellschaft zu erfüllen hat. Absolventen sollen befähigt sein, gesellschaftliche Aufgaben meist im oberen Bereich von Hierarchien einzunehmen. Ihre Fähigkeiten, ihr Wissen und ihre Qualifikation sollen sie dort einsetzen können. Aber auch eine Liebe zur Ordnung sollte da sein, die ebenso eine Vorraussetzung wie auch ein Ergebnis akademischer Bildung ist, wie Bordieu sagt. Also ohne die Bereitschaft, zur Übernahme von Wissen gibt es keine akademische Bildung. Universitätsgänge sind eine Einübung, stellen eine geordnete Übernahme von bereits Erkanntem dar. Demnach müssten aus den Uni personen hervorgehen, die die Anerkennung der Ordnung des gelehrten Wissens gleichsam in ihren Haltungen und Kenntnissen personifizieren. Und die für die gesellschaftliche Ordnung, in der akademische Bildung einen Wert darstellt, der Vorraussetzung für höhere Jobs ist, bereit sind, diesen Wert zu erfüllen bzw. für ihn einzustehen. Durch die Erfüllung dieser Aufgabe trägt die Uni zur Reproduktion der Gesellschaft und zur ökonomischen Verteilung von Macht bei.

2. Produktive Funktion: neues Wissen hervorbringen. Das begründet mit 1. einen Spannungszustand. Denn Teile des bereits erworbenen Wissens und der damit verbundenen Methoden müssen in Frage gestellt wenn nicht sogar über Bord geworfen werden, um neues Wissen hervorzubringen. Die Notwendigkeit steht der mit Reproduktion in Gegensatz, weil sie einen Konflikt zwischen sozialer und wissenschaftlicher Berechtigung vorschreibt. Wie sie zueinander stehen ist eine interessante soziologische Frage. Innerhalb der Uni ist jeder Schritt ein Platzeinnehmen in der Institution und eine Konfrontation mit zwei Prinzipien der Legimitation für den Einzelnen. Reproduktion muss aufrechterhalten werden, steht aber mit der Produktion in Konflikt. Ebene der Akteure: Spannung, andererseits: Gegensatz findet sich in einer Ungleichverteilung dargestellt, es dominiert immer das eine das andere.

Verteilung: Reproduktion (sozialer Wert): vor allem vertreten in der Jurisprudenz und der Medizin Hervorbringung neuen Wissens (Produktion): Mathematik und Naturwissenschaften. Bei beidem gibt es aber keines, wo wirklich nur das Dominierende Element vorkommt; auf beiden Seiten sind beide Aufgaben vertreten, nur eben ungleich. In der „Mitte“ befinden sich Geistes,-Kultur- und Sozialwissenschaften. In ihnen ist keine Dominanz gegeben. Es gibt zu beidem Strömungen.

Zu Kants Streit der Fakultäten: Auch für Kant sind die Unis charakterisiert durch einen irreversiblen Spannungszustand zwischen den beiden Aufgaben. Erste Aufgabe: Reproduktion. Auch bei Kant sind das Jus, Medizin und hier auch Theologie (diese sind die sog. oberen Fakultäten). Sie bringen Prediger, Rechtsbeamte und Ärzte hervor, stehen der philosophischen Fakultät (sog. untere Fakultät) gegenüber. Mit letzterer sind alle Fakultäten gemeint, die Neues hervorbringen (Mathematik, Astronomie, Botanik usw.). Aufgabe der Unteren Fakultät ist es, der Oberen Fakultät Einwürfe zu stellen und die verbreiteten Auffassungen in Zweifel zu ziehen. Sie stellt die kritische Kraft der Vernunft dar, die laut Kant das Recht hat, durch Einwürfe und Zweifel die Rechtfertigung jedes Wissensanspruches vor dem Gerichtshof der Vernunft einzufordern. Soziologische Deutung der Autonomie der Vernunft. Die Uni ist ein gesellschaftl. Ort, an dem der Streit ums Volk geführt wird, und dieser Streit kann nicht endgültig beigelegt werden, weil er um die Frage geht, in welcher Weise gelehrtes Wissen gesellschaftl. wertvoll sein soll. Die Oberen Fakultäten bringen Kant nach Leute hervor, die bereit sind, jederzeit wie Wundermänner aufzutreten und dabei sehr problemtaische Wirkungen zu erzielen. Das Volk wiederrum hat die Tendenz, Wunderdinge zu erwarten und sie haben die Tendenz, diese zu versprechen. Die Uni sei laut Kant nun der Ort, an dem einer Fakultät, nämlich der philosophischen, erlaubt ist, den „eingesetzten Geschäftsleuten öffentlich entgegenzuarbeiten, um der „magischen Kraft die ihnen und den damit verbudenen Observanzen das Publikum beilegt, zu widersprechen […].“ Sie ist der Ort, an dem die magische Kraft des Wissens sowohl gepflegt, als auch ihr entgegengearbeitet wird. 3 Fakultäten stehen also gegen 1. Die Oberen werden von der Regierung überwacht, können aber auch selbst befehlen, haben gesellschaftliche Macht. Die Philosophie dagegen hat keine andere Verpflichtung als „nach der Autonomie, d.i. frei, Prinzipien des Denkens überhaupt gemäß zu urteilen“. Vermutung Dr. Nemeth: Philosophie wird immer wieder bedroht durch die Oberen. In Europa besteht eine Auseinandersetzung um die Unis; eine Frage, wie man das , was sie leisten, umgestalten kann. These Dr. Nemeth: Wenn wir eine lebendige Uni wollen, brauchen wir nicht nur die unabhängige Kraft des Denkens (und die ist als solche autonom), sondern man braucht auch eine Etablierung des immer neuen Überlegens, woraus der oben genannte Spannungszustand besteht. Es braucht beides, primär die Reproduktion, denn die Vernunft kann den universitären Raum nicht dominieren, denn sie spaltet. Gesamtgesellschaftl. Ist sie nur dann wirksam, wenn sie in einem Konsens der Reproduktion des Wissens primär dient, aber auch Zweifel und Einwände gegen sie erhebt. Eine Koppelung zwischen den beiden Prinzipien sollte politisch garantiert werden. Produktion kann nur mit Reproduktion existieren, allerdings nur, wenn öffentliche Zweifel gezogen werden können.

Bordieu: Die doppelte Aufgabe, die Kant den Fakultäten zugewiesen hat, findet sich in allen Fakultäten wieder. Jedes einzelene Individuum ist bei beiden gefordet. Laut Bourdieu wird der Streit nicht mehr zwischen den einzelnen Fakultäten, sondern innerhalb der einzelnen Fakultäten, ja sogar zwischen den einzelnen Individuen ausgetragen. Denn jeder weiß sich beidem verpflichtet.

Diskussion: Heutiger Kontext: Die Uni soll ein Raum freier Bildung sein, freie Bildung hat aber nichts zu tun mit ökonomischer Verwertbarkeit. Laut Nemeth also eine Illusion. Alle akademischen Fähigkeiten tragen zu wesentlich besseren sozialen Chancen bei. Die Illusion ist außerdem gefährlich, weil die Idee der freien Bildung, die einem gesellschaftlichem Status entzogen ist, den Blick für politische Aufklärung der Idee Kants nach verstellt. Reproduktive Aufgaben (Fakultäten) werden in ihrem Bereich konfrontiert, wie die Wissenserwerbung keineswegs gesichert ist, sondern immer wieder in Frage gestellt wird, → Koppelung, somit Spannung geht verloren. Bordieu beobachtet soziologisierte Form der Vernunft im 20. Jahrhundert. Spannungszustand in mittlerer Zone (Geisteswissenschaften) gegenüber Rändern (z.B. Mathematik) hat mehr Dimensionen, bewusste und konkrete Erfahrungen sind dort gegeben, wo keine Seite der Spannung eindeutig dominiert, insbesondere spezifische situationsbedingte Erkenntnisse. Sie müssen in die Dominanz einzutreten. Überlegungen zu heute: man sollte die Uni mit einem Ort der Spannung zu assoziieren, die Sozialwissenschaften (Ort der Mitte) sollen sich nicht als einen reinen Hort des freien Denkens und durch keine äußeren Bedingungen beeinflusst fühlen, sondern sollen immer die Spannung in Betracht ziehen.

Drei Punkte von Dr. Nemeth als persönliche Anmerkungen beigefügt:

1. Wenn es um die Spannung geht, dann ist Vieles von den Neustrukturierungen ein Angriff auf die Disziplinen selbst. Ohne Reproduktion gibt es auch kein freies Denken und keine Erneuerung von Wissen.

2. Eine Trennung von Lehre und Forschung an der Uni ist auch problematisch, weil sie organisatorisch die Forschung und Lehre getrennt hat, was früher nicht denkbar war. Diese sollten verbunden sein. Bologna sieht im BA Verschulung vor, in der Spannung nicht auferhalten werden kann. Der BA mag zu einer Art Einführung in bestehende Standards werden, auf die im MA aufgebaut werden kann.

3. UB: Pluspunkt: Zugang zu internationaler Forschungsliteratur wurde erleichtert. Minuspunkt: „Einbuchpolitik“ (wenn es ein Buch in der UB gibt, dieses Buch nicht noch einmal zu kaufen). Zugang zum Buch wird dadurch erschwert. ____________________________________________________________________________________________________________

Anschließend werden in der RV noch andere Gesichtspunkte von Studenten eingebracht, Diskussionen geführt und Aspekte in einer offenene Diskussion betrachtet.


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