PROTOKOLLE - MuD09 - Gruppe1 - 03.11.: Unterschied zwischen den Versionen

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(Brunner, Michael)
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'''Martin Kusch: Philosophie und (Sozial)-Wissenschaft'''
 
'''Martin Kusch: Philosophie und (Sozial)-Wissenschaft'''
  
Mit Martin Kuschs Vortrag im Rahmen der dritten Ring-Vorlesung, wird das Auditorium nach den weitgreifenden Einblicken von Gerhart Gotz nun erstmals mit einer deutlich ausformulierten Blickrichtung der Philosophie konfrontiert. Und diese, so wird schnell deutlich, will „das Soziale und Politische in die Philosophie hineintragen“(Kusch)  ohne aber, wie sich zeigt, den Blickwinkel zu verengen, vielmehr sogar den Diskurs zu verbreitern. Neben den fachlichen Informationen wird Kusch den Studienanfängern auch mögliche Perspektiven darlegen, indem er sich seiner Laufbahn als Beispiel bedient.  Im ersten Programmpunkt des Vortrages spricht er also „Über die Zufälle, die mich zu meinen heutigen Interessen gebracht haben“, um darin keineswegs zu behaupten, dass philosophische Blickführung beliebig sei, sondern dass Einfluss und Interessensführung durch Erfahrung und Kontakt gelenkt wird, und dass die größtmögliche Verbreiterung des eigenen Horizontes notwendig ist, um in der Argumentation nicht an toten Winkeln des Blickfelds zu scheitern. So erklärt Martin Kusch, ausgehend von frühem Interesse an Marxismus und Psychoanalyse habe er begonnen in Berlin Philosophie zu studieren und sei dort maßgeblich von Ernst Tugendhat und seiner sprachanalytischen Philosophie beeinflusst worden. Der im Begriff des linguistic turn niedergeschlagene Neuanfang der Philosophie auf der Grundlage der Sprache habe ihn von nun an grundsätzlich interessiert, so  habe er sich mit Ludwig Wittgenstein und Georg Henrik von Wrigth beschäftigt. Als Kusch wie er berichtet,  seine Vita schon bald mit eine Verlegung seiner Studien nach Finnland bereichert, wendet sich sein Blick dem zu Zeiten hochaktuellen Philosophen Jürgen Habermas zu und er rezipiert intensiv dessen „Theorie des kommunikativen Handelns“. Habermas nämlich beziehe sich nicht unwesentlich auf marxistische wie psychoanalytische und sprachphilosophische Denkweisen, habe aber auch Kuschs Interessen um das der Wissenschaftsphilosophie und dort speziell der sozialwissenschaftlichen Anteile erweitert. Nach seiner Dissertation zur Sprache bei Husserl und Heidegger bei dem finnischen Philosophen Hintikka, mit dem ihn ein fruchtbares „Meister-Lehrling-Verhältnis“ verbunden habe, habe ihn die Lehrtätigkeit zu Michel Foucault entschieden bereichert. Denn mit Foucault begann ihn, wie berichtet wird, der Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Macht und Kontrolle zu interessieren, was Kusch in den Bereich der Wissenschaftssoziologie geführt habe. Entscheidend sei hier die Sociology of Scientific Knowledge gewesen, die Bloor, Collins und Shapin prägten. Zunehmend habe er den Glauben der Beantwortung aller philosophischen Fragen durch wissenschaftssoziologische Analysen aber nun vermeiden wollen, so habe nach verschiedenen Ländern und Institutionen wissenschaftlicher Tätigkeit seine Lehrtätigkeit in Cambridge den Boden geboten  „zur Philosophie zurückzukehren“ und die Wissenschaftssoziologie durch die Philosophie zu verteidigen. Der Leitgedanke des Hineintragens wissenschaftssoziologischer Fragen in die Sprach-und Wissenschaftsphilosophie unter anderem sei hier entstanden. Übergehend zu seinem zweiten Programmpunkt gibt der Vortragende bekannt, sich nun einer Soziologischen Geschichte der Philosophie widmen zu wollen. Hierfür bedient er sich der intensiven denkpsychologischen Debatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwischen dem Leipziger Wilhelm Wundt und der Würzburger Lehrmeinung um Oswald Külpe und Karl Bühler. Wilhelm Wundt unterscheide drei letztlich nicht mehr reduzierbare Fundamente des Bewusstseins, die Empfindungen, die wohl ähnlich den „seelischen Widerfahrnissen“ bei Aristoteles als sinnliche Beeindruckung gedacht werden, die Vorstellung, die Erinnerungsbilder einschließe, sowie die Gefühle. Die entscheidende Behauptung Wundts aber, sei die Überlegenheit des Gedankens mittels seiner Komplexität gegenüber den primitiveren Elementen, aus denen er mithilfe von Willensakten aufgebaut werde. Man könnte sagen, die Willensakte erst heben die primitiven Grundelemente auf das höhere Niveau des Gedankens. So entstehe auf dem Weg der psychologischen Introspektion bei Wundt die These, der Gedanke sei „das eigentlich Wertvolle am menschlichen Geist“. Die „Würzburger Gesinnung“ tritt dieser These auf unüberbrückbare Weise entgegen, indem man vier Grundelemente erkennt und den Gedanken eine Ebene mit Gefühlen, Vorstellungen und Empfindungen teilen lässt. Nun sei das Interessante, was aus einer Betrachtung dieser Debatte zu gewinnen sei nach Kusch die Frage, was eine soziologische Analyse der Konsequenzen jeweiliger Denkfiguren finden kann. Wenn man auf diese Weise Wundts Ideengebäude betrachte , sei ein ausgeprägtes Prinzip von Hierarchien zu finden. Schließlich könnten Gedanken aufgrund ihrer Komplexität nur kollektiv nicht individuell begriffen werden, denn „das Denken habe sich im Volk und seiner Sprache sedimentiert“. Weshalb eine Völkerpsychologie über die individuelle Experimentalpsychologie zu stellen sei, wie man Wundts These entnehmen könne. Die kompromisslose Dominanz des Kollektivs über das Individuum, dessen moralische Pflicht Wundt darin sieht, sich ohne Abschlag für den Staat zu opfern, führt  zum Ideal eines „völkisch reinen Staats“ und lasse sich nicht zuletzt an der Struktur des Wundtschen Instituts ablesen. Dieses nämlich habe den übrigen Lehrenden und Studenten die experimentelle Psychologie des Individuums zugestanden, während die Völkerpsychologie des Kollektivs, des Gedankens Chefsache gewesen sei. Dass nun in Würzburg Individualismus und Internationalismus propagiert wurde, die radikale Gegenposition, überrascht kaum noch. Und auch in konfessioneller Hinsicht teilte man sich in Lager auf, denn während Wundt ein „militanter Protestant“ gewesen sei, „waren die Würzburger zumeist Katholiken. Den Lagern entsprächen Voluntarismus auf protestantischer und Intellektualismus auf katholischer Seite. Nachdem nun exemplarisch Bezüge der Philosophie, hier spezifisch der Psychologie, zum Politische, Sozialen und Religiösen demonstriert wurden,  fährt der vortragende Martin Kusch mit seinem dritten angekündigten Ordnungspunkt fort um eine „Philosophie der Zeugnisse“ vorzustellen. Er schlägt vor vom Wissen als „gerechtfertigten, wahren Glauben“ auszugehen.  Es seien vier Quellen des Wissens zu unterscheiden, es seien die Wahrnehmung, das Logische Denken, die Erinnerung und das Zeugnis, das „Mitmenschen als Wissensquelle“ sehe. Eine bedeutende Debatte wird dem Auditorium hier jetzt eröffnet. Wahrnehmung und Logisches Denken werden demnach als generative also neues Wissen erschließende Quellen gehandelt, während dieses Generierungspotential  der Erinnerung und herkömmlicherweise auch dem Zeugnis abgesprochen werde. Daran entzünde sich eben die Debatte, man fragt: „Sind Zeugnisse je eine generative Wissensquelle?“, und „Lässt sich unser Vertrauen auf Zeugnisse rational rechtfertigen?“. Man könne nun die individualistische Sichtweise, welche die erste Frage verneint und auf der rationalen Rechtfertigung besteht, sowie die kommunitaristische, welche die erste Frage bejaht und die zweite als irrelevant bewertet, da unsere Abhängigkeit von den Zeugnisse zu tief reiche, unterscheiden. Kusch bekennt sich nun zum Kommunitarismus, für den er fortan argumentiert. Er wolle den Akt der Mitteilung als bedeutenden Faktor der Wissensbildung beweisen. Er beginnt mit der Feststellung , dass sich das Zeugnis als Wissensquelle, wie die Erinnerung, gegenüber den Anderen durch seinen temporalen Aspekt auszeichne. Kusch fährt fort, man müsse zeigen, dass es möglich ist, dass ein Zeuge einem Hörer ein Wissen zuführen kann, das er nicht weiß oder ,und hier möchte ich kommentieren, dessen er nicht gewahr ist.  Denn es bleibt zu klären, so meine ich als Kritiker auftretend, ob ein Wissen, das potentiell vorhanden ist, deren Nutzung das Subjekt aber momentan nicht fähig ist, kein Wissen mehr ist. Es werden nun zwei  illustrierende Beispiele nach J.Lackey angeführt, die, und das ist subjektiv, nur eingeschränkt zu überzeugen wissen. Ich möchte mir  erneut erlauben meine  Zweifel knapp darzulegen. Der Gedanke des Generierungspotentials von Mitteilung und Zeugnis ist, so finde ich, sehr gerechtfertigt, doch der Ansatz des Beweises ist meiner Meinung nach keiner, der sich mit blinden Gewahrlosen und Evolutionskritikern befassen sollte, wie in erwähnten Beispielen geschehen, sondern vielmehr, und dies erkenne ich auch in den weiteren Ausführungen Kuschs, mit der Funktions-und Arbeitsweise von Wissenschaft, und um den roten Faden des Vortragenden aufzunehmen, auch mit Wissenschaftsgeschichte oder Soziologie. Denn die Generierung von Wissen durch Mitteilung ist wohl auf einer Ebene der Beeinflussung, des Aufbaus aufeinander, der Inspiration, des womöglich sogar willkürlichen Gedankenbads als Quelle neuer Gedanken zu entdecken. Um zum Inhalt des Vortrags zurückzukehren: Der zweite Aspekt des Kommunitarismus ist nun zu behandeln und in diesem Sinne verhandelt Kusch nun zwei historische Positionen zur Frage, ob sich das Vertrauen auf Zeugnisse rational rechtfertigen lasse. Hier sei zunächst David Hume zu nennen, der in seiner „reduktiven globalen Rechtfertigung“ einfach schließe, die Menge an mitgeteiltem Wissen, welches durch eigenes Wissen erster Hand bestätigt wird, sei sehr viel größer, als solches, welches eigenem Wissen erster Hand widerspricht oder zu dem es kein eigenes Wissen gebe. So sei es gerechtfertigt Berichten zunächst zu vertrauen. Diese Sichtweise lasse sich, so Kusch, sofort kritisieren, denn die Menge des mitgeteilten Wissen, zu dessen Thema ich keinerlei eigenes Wissen erster Hand besitze, muss als die größte erkannt werden.  Da auch die fundamentalistische Erklärung Thomas Reids keinen Beleg für eine rationale Rechtfertigung des Vertrauens auf Zeugnisse gibt, folgert Kusch vorläufig, dass erstens dem Zeugnis durchaus ein generativer Charakter zugeschrieben werden könne, und zweitens durch unsere Abhängigkeit und unüberwindbare Verstrickung in Zeugnisse eine genannte Rechtfertigung nicht möglich sei. Um fortzufahren und den „Problemen von Wahrheit, Wissenschaft, Fortschritt und Gemeinschaft“, die den Vortrag prägten, näher zu kommen, bedient sich Martin Kusch nun einem idealisierten wissenschaftlichen Modell, dessen grundsätzliche Bedeutung für die Philosophie er außerdem heraushebt, und stellt dem Publikum die Spiele Risto-Suche und Seppo-Suche vor. Diese Modelle sollten ihn abschließend zu einer Kritik der Theorie des Finitismus führen. Im Spiel Risto-Suche werden eine bestimmte Anzahl von Gegenständen unter anderen verdeckt gestempelt, diese muss ein nicht eingeweihter Spieler finden. Es ist zu bemerken dass die Menge der Ristos eine Extension hat. Die Ristos sind physikalisch gekennzeichnet und durch Wahrnehmung identifizierbar, sie besitzen eine Identität. In Bezug auf Wahrheit  ist ein Risto eindeutig, es ist nämlich genau dann wahr , wenn es einen Stempel besitzt, ist also erkennungs-unabhängig. Da der suchende Spieler der Wahrheit der eindeutigen Extension wegen immer näher kommen kann, ist es möglich Fortschritt zu erkennen. Dieses Modell schreibt Kusch der konventionellen  Einordung von Wissenschaft und ihrer historischen Relevanz zu. Die Idee,  die Wissenschaft könne Fortschritt erzielen, durch eine Annäherung an Wahrheit, durch ein Erstreben einer größtmöglichen Wahrheit ist offensichtlich defizitär und als fortschrittsbejahender Finitismus  zu kritisieren. Dies ist mit Hilfe des Spiels Seppo-Suche als Modell möglich. Hier wird ein Gegenstand durch Verhandlung mehrerer Spieler  in eine Reihe eingeordnet, die vorher bestimmte Ähnlichkeiten der erlaubten Gegenstände bestimmt. Der unbeteiligte Spieler muss nun die Analogien der Gegenstände entschlüsseln und in argumentativer Diskussion die anderen Spieler überzeugen. Hat man sich auf einen Gegenstand geeinigt, fällt der älteste aus der Reihe heraus. Ein Seppo kann also nur im Kollektiv identifiziert werden, die Menge der Seppos besitzt keine definierte Extension. Da die Wahrheit hier alles andere als erkennungs-unabhängig ist, ist eine Annäherung an die Wahrheit nicht gegeben, Fortschritt findet im Sinne eines einem Ziel Näherkommens nicht statt. Kusch schließt nun final, dass der Begriff der Wahrheit absurd sei und im Erkenntnisfaktor der Verhandlung sich wesentlich die soziale Dimension der Wissenschaft offenbare.  ''Als abschließende Kritik des Protokollanten, möchte ich kurz meine Kommentierung den generativen Charakter des Zeugnisses betreffend hier einweben. Denn das Problem eines dem Fortschritt verpflichteten kollektiven Wissens, wie es sich im Missionseifer wissenschaftlicher Theorien und Erkenntnisse immer schon niederschlägt, lässt sich gerade mit der Feststellung der Generierung von Wissen durch Zeugnisse und der gleichzeitigen, dass neues Wissen, im Sinne eines Wissen, das bisher nicht vorhanden ,oder dessen potenzieller Träger diesem bisher nicht gewahr war, schlichtweg –und nichts Anderes sagt Seppo- nicht generiert werden kann, kaum vereinbaren. Wenn überhaupt kann die Menge an potentiellem Wissen, oder um im Modell zu bleiben der möglichen Gegenstände, ausgenutzt werden und der beste Fortschritt, wäre der, sich alles potenziellen Wissens zur gleichen Zeit gewahr zu sein. Natürlich eine völlig theoretische Idee. Man müsste also sagen, der Begriff eines generativen Wissens ist grundsätzlich ein widersinniger.  Neues Wissen entsteht nämlich nur auf der Ebene des Subjekts, offenbar niemals des Kollektivs. Denn das Kollektiv hat womöglich ein ewig stagnierendes potentielles Wissen zu verwalten, in dem sich je nach Gegebenheit und Interesse, von Verhandlung bestimmt, der Blick einmal hierhin, bald dorthin wenden kann. Dieses Wissen muss durch ständige Argumentation balanciert werden, um nicht im Gewahrlosen zu versinken. Und als letzte Wortmeldung möchte ich anfügen, dass die Erkenntnis durch Verhandlung, in der sich allmählich ein Wissen verfertigt, gestützt auf Kommunikation durch Sprache mit ihren mögliche Verlusten, im Bad des immer gleichen potentiellen Wissens mit all seinen zu erahnenden Defiziten, doch vielleicht gerade erst darauf hinweist, dass die Kollektivität des Wissens, die immer in jeder vermeintlichen Wissensbildung als Ziel mitschwingt, gerade das Neue im Wissen, die Generierung verdeckt. Das Zeugnis also, welches immer schon Horizonte doch weiter machte, hat womöglich ein potentielles Wissen generiert, aus dessen Grenzen es auf selbem Weg  kein Ausweg mehr ist.
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Mit Martin Kuschs Vortrag im Rahmen der dritten Ring-Vorlesung, wird das Auditorium nach den weitgreifenden Einblicken von Gerhart Gotz nun erstmals mit einer deutlich ausformulierten Blickrichtung der Philosophie konfrontiert. Und diese, so wird schnell deutlich, will „das Soziale und Politische in die Philosophie hineintragen“(Kusch)  ohne aber, wie sich zeigt, den Blickwinkel zu verengen, vielmehr sogar den Diskurs zu verbreitern. Neben den fachlichen Informationen wird Kusch den Studienanfängern auch mögliche Perspektiven darlegen, indem er sich seiner Laufbahn als Beispiel bedient.  Im ersten Programmpunkt des Vortrages spricht er also „Über die Zufälle, die mich zu meinen heutigen Interessen gebracht haben“, um darin keineswegs zu behaupten, dass philosophische Blickführung beliebig sei, sondern dass Einfluss und Interessensführung durch Erfahrung und Kontakt gelenkt wird, und dass die größtmögliche Verbreiterung des eigenen Horizontes notwendig ist, um in der Argumentation nicht an toten Winkeln des Blickfelds zu scheitern. So erklärt Martin Kusch, ausgehend von frühem Interesse an Marxismus und Psychoanalyse habe er begonnen in Berlin Philosophie zu studieren und sei dort maßgeblich von Ernst Tugendhat und seiner sprachanalytischen Philosophie beeinflusst worden. Der im Begriff des linguistic turn niedergeschlagene Neuanfang der Philosophie auf der Grundlage der Sprache habe ihn von nun an grundsätzlich interessiert, so  habe er sich mit Ludwig Wittgenstein und Georg Henrik von Wrigth beschäftigt. Als Kusch wie er berichtet,  seine Vita schon bald mit eine Verlegung seiner Studien nach Finnland bereichert, wendet sich sein Blick dem zu Zeiten hochaktuellen Philosophen Jürgen Habermas zu und er rezipiert intensiv dessen „Theorie des kommunikativen Handelns“. Habermas nämlich beziehe sich nicht unwesentlich auf marxistische wie psychoanalytische und sprachphilosophische Denkweisen, habe aber auch Kuschs Interessen um das der Wissenschaftsphilosophie und dort speziell der sozialwissenschaftlichen Anteile erweitert. Nach seiner Dissertation zur Sprache bei Husserl und Heidegger bei dem finnischen Philosophen Hintikka, mit dem ihn ein fruchtbares „Meister-Lehrling-Verhältnis“ verbunden habe, habe ihn die Lehrtätigkeit zu Michel Foucault entschieden bereichert. Denn mit Foucault begann ihn, wie berichtet wird, der Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Macht und Kontrolle zu interessieren, was Kusch in den Bereich der Wissenschaftssoziologie geführt habe. Entscheidend sei hier die Sociology of Scientific Knowledge gewesen, die Bloor, Collins und Shapin prägten. Zunehmend habe er den Glauben der Beantwortung aller philosophischen Fragen durch wissenschaftssoziologische Analysen aber nun vermeiden wollen, so habe nach verschiedenen Ländern und Institutionen wissenschaftlicher Tätigkeit seine Lehrtätigkeit in Cambridge den Boden geboten  „zur Philosophie zurückzukehren“ und die Wissenschaftssoziologie durch die Philosophie zu verteidigen. Der Leitgedanke des Hineintragens wissenschaftssoziologischer Fragen in die Sprach-und Wissenschaftsphilosophie unter anderem sei hier entstanden. Übergehend zu seinem zweiten Programmpunkt gibt der Vortragende bekannt, sich nun einer Soziologischen Geschichte der Philosophie widmen zu wollen. Hierfür bedient er sich der intensiven denkpsychologischen Debatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwischen dem Leipziger Wilhelm Wundt und der Würzburger Lehrmeinung um Oswald Külpe und Karl Bühler. Wilhelm Wundt unterscheide drei letztlich nicht mehr reduzierbare Fundamente des Bewusstseins, die Empfindungen, die wohl ähnlich den „seelischen Widerfahrnissen“ bei Aristoteles als sinnliche Beeindruckung gedacht werden, die Vorstellung, die Erinnerungsbilder einschließe, sowie die Gefühle. Die entscheidende Behauptung Wundts aber, sei die Überlegenheit des Gedankens mittels seiner Komplexität gegenüber den primitiveren Elementen, aus denen er mithilfe von Willensakten aufgebaut werde. Man könnte sagen, die Willensakte erst heben die primitiven Grundelemente auf das höhere Niveau des Gedankens. So entstehe auf dem Weg der psychologischen Introspektion bei Wundt die These, der Gedanke sei „das eigentlich Wertvolle am menschlichen Geist“. Die „Würzburger Gesinnung“ tritt dieser These auf unüberbrückbare Weise entgegen, indem man vier Grundelemente erkennt und den Gedanken eine Ebene mit Gefühlen, Vorstellungen und Empfindungen teilen lässt. Nun sei das Interessante, was aus einer Betrachtung dieser Debatte zu gewinnen sei nach Kusch die Frage, was eine soziologische Analyse der Konsequenzen jeweiliger Denkfiguren finden kann. Wenn man auf diese Weise Wundts Ideengebäude betrachte , sei ein ausgeprägtes Prinzip von Hierarchien zu finden. Schließlich könnten Gedanken aufgrund ihrer Komplexität nur kollektiv nicht individuell begriffen werden, denn „das Denken habe sich im Volk und seiner Sprache sedimentiert“. Weshalb eine Völkerpsychologie über die individuelle Experimentalpsychologie zu stellen sei, wie man Wundts These entnehmen könne. Die kompromisslose Dominanz des Kollektivs über das Individuum, dessen moralische Pflicht Wundt darin sieht, sich ohne Abschlag für den Staat zu opfern, führt  zum Ideal eines „völkisch reinen Staats“ und lasse sich nicht zuletzt an der Struktur des Wundtschen Instituts ablesen. Dieses nämlich habe den übrigen Lehrenden und Studenten die experimentelle Psychologie des Individuums zugestanden, während die Völkerpsychologie des Kollektivs, des Gedankens Chefsache gewesen sei. Dass nun in Würzburg Individualismus und Internationalismus propagiert wurde, die radikale Gegenposition, überrascht kaum noch. Und auch in konfessioneller Hinsicht teilte man sich in Lager auf, denn während Wundt ein „militanter Protestant“ gewesen sei, „waren die Würzburger zumeist Katholiken. Den Lagern entsprächen Voluntarismus auf protestantischer und Intellektualismus auf katholischer Seite. Nachdem nun exemplarisch Bezüge der Philosophie, hier spezifisch der Psychologie, zum Politische, Sozialen und Religiösen demonstriert wurden,  fährt der vortragende Martin Kusch mit seinem dritten angekündigten Ordnungspunkt fort um eine „Philosophie der Zeugnisse“ vorzustellen. Er schlägt vor vom Wissen als „gerechtfertigten, wahren Glauben“ auszugehen.  Es seien vier Quellen des Wissens zu unterscheiden, es seien die Wahrnehmung, das Logische Denken, die Erinnerung und das Zeugnis, das „Mitmenschen als Wissensquelle“ sehe. Eine bedeutende Debatte wird dem Auditorium hier jetzt eröffnet. Wahrnehmung und Logisches Denken werden demnach als generative also neues Wissen erschließende Quellen gehandelt, während dieses Generierungspotential  der Erinnerung und herkömmlicherweise auch dem Zeugnis abgesprochen werde. Daran entzünde sich eben die Debatte, man fragt: „Sind Zeugnisse je eine generative Wissensquelle?“, und „Lässt sich unser Vertrauen auf Zeugnisse rational rechtfertigen?“. Man könne nun die individualistische Sichtweise, welche die erste Frage verneint und auf der rationalen Rechtfertigung besteht, sowie die kommunitaristische, welche die erste Frage bejaht und die zweite als irrelevant bewertet, da unsere Abhängigkeit von den Zeugnisse zu tief reiche, unterscheiden. Kusch bekennt sich nun zum Kommunitarismus, für den er fortan argumentiert. Er wolle den Akt der Mitteilung als bedeutenden Faktor der Wissensbildung beweisen. Er beginnt mit der Feststellung , dass sich das Zeugnis als Wissensquelle, wie die Erinnerung, gegenüber den Anderen durch seinen temporalen Aspekt auszeichne. Kusch fährt fort, man müsse zeigen, dass es möglich ist, dass ein Zeuge einem Hörer ein Wissen zuführen kann, das er nicht weiß oder ,und hier möchte ich kommentieren, dessen er nicht gewahr ist.  Denn es bleibt zu klären, so meine ich als Kritiker auftretend, ob ein Wissen, das potentiell vorhanden ist, deren Nutzung das Subjekt aber momentan nicht fähig ist, kein Wissen mehr ist. Es werden nun zwei  illustrierende Beispiele nach J.Lackey angeführt, die, und das ist subjektiv, nur eingeschränkt zu überzeugen wissen. Ich möchte mir  erneut erlauben meine  Zweifel knapp darzulegen. Der Gedanke des Generierungspotentials von Mitteilung und Zeugnis ist, so finde ich, sehr gerechtfertigt, doch der Ansatz des Beweises ist meiner Meinung nach keiner, der sich mit blinden Gewahrlosen und Evolutionskritikern befassen sollte, wie in erwähnten Beispielen geschehen, sondern vielmehr, und dies erkenne ich auch in den weiteren Ausführungen Kuschs, mit der Funktions-und Arbeitsweise von Wissenschaft, und um den roten Faden des Vortragenden aufzunehmen, auch mit Wissenschaftsgeschichte oder Soziologie. Denn die Generierung von Wissen durch Mitteilung ist wohl auf einer Ebene der Beeinflussung, des Aufbaus aufeinander, der Inspiration, des womöglich sogar willkürlichen Gedankenbads als Quelle neuer Gedanken zu entdecken. Um zum Inhalt des Vortrags zurückzukehren: Der zweite Aspekt des Kommunitarismus ist nun zu behandeln und in diesem Sinne verhandelt Kusch nun zwei historische Positionen zur Frage, ob sich das Vertrauen auf Zeugnisse rational rechtfertigen lasse. Hier sei zunächst David Hume zu nennen, der in seiner „reduktiven globalen Rechtfertigung“ einfach schließe, die Menge an mitgeteiltem Wissen, welches durch eigenes Wissen erster Hand bestätigt wird, sei sehr viel größer, als solches, welches eigenem Wissen erster Hand widerspricht oder zu dem es kein eigenes Wissen gebe. So sei es gerechtfertigt Berichten zunächst zu vertrauen. Diese Sichtweise lasse sich, so Kusch, sofort kritisieren, denn die Menge des mitgeteilten Wissen, zu dessen Thema ich keinerlei eigenes Wissen erster Hand besitze, muss als die größte erkannt werden.  Da auch die fundamentalistische Erklärung Thomas Reids keinen Beleg für eine rationale Rechtfertigung des Vertrauens auf Zeugnisse gibt, folgert Kusch vorläufig, dass erstens dem Zeugnis durchaus ein generativer Charakter zugeschrieben werden könne, und zweitens durch unsere Abhängigkeit und unüberwindbare Verstrickung in Zeugnisse eine genannte Rechtfertigung nicht möglich sei. Um fortzufahren und den „Problemen von Wahrheit, Wissenschaft, Fortschritt und Gemeinschaft“, die den Vortrag prägten, näher zu kommen, bedient sich Martin Kusch nun einem idealisierten wissenschaftlichen Modell, dessen grundsätzliche Bedeutung für die Philosophie er außerdem heraushebt, und stellt dem Publikum die Spiele Risto-Suche und Seppo-Suche vor. Diese Modelle sollten ihn abschließend zu einer Kritik der Theorie des Finitismus führen. Im Spiel Risto-Suche werden eine bestimmte Anzahl von Gegenständen unter anderen verdeckt gestempelt, diese muss ein nicht eingeweihter Spieler finden. Es ist zu bemerken dass die Menge der Ristos eine Extension hat. Die Ristos sind physikalisch gekennzeichnet und durch Wahrnehmung identifizierbar, sie besitzen eine Identität. In Bezug auf Wahrheit  ist ein Risto eindeutig, es ist nämlich genau dann wahr , wenn es einen Stempel besitzt, ist also erkennungs-unabhängig. Da der suchende Spieler der Wahrheit der eindeutigen Extension wegen immer näher kommen kann, ist es möglich Fortschritt zu erkennen. Dieses Modell schreibt Kusch der konventionellen  Einordung von Wissenschaft und ihrer historischen Relevanz zu. Die Idee,  die Wissenschaft könne Fortschritt erzielen, durch eine Annäherung an Wahrheit, durch ein Erstreben einer größtmöglichen Wahrheit ist offensichtlich defizitär und als fortschrittsbejahender Finitismus  zu kritisieren. Dies ist mit Hilfe des Spiels Seppo-Suche als Modell möglich. Hier wird ein Gegenstand durch Verhandlung mehrerer Spieler  in eine Reihe eingeordnet, die vorher bestimmte Ähnlichkeiten der erlaubten Gegenstände bestimmt. Der unbeteiligte Spieler muss nun die Analogien der Gegenstände entschlüsseln und in argumentativer Diskussion die anderen Spieler überzeugen. Hat man sich auf einen Gegenstand geeinigt, fällt der älteste aus der Reihe heraus. Ein Seppo kann also nur im Kollektiv identifiziert werden, die Menge der Seppos besitzt keine definierte Extension. Da die Wahrheit hier alles andere als erkennungs-unabhängig ist, ist eine Annäherung an die Wahrheit nicht gegeben, Fortschritt findet im Sinne eines einem Ziel Näherkommens nicht statt. Kusch schließt nun final, dass der Begriff der Wahrheit absurd sei und im Erkenntnisfaktor der Verhandlung sich wesentlich die soziale Dimension der Wissenschaft offenbare.  ''Als abschließende Kritik des Protokollanten, möchte ich kurz meine Kommentierung den generativen Charakter des Zeugnisses betreffend hier einweben. Denn das Problem eines dem Fortschritt verpflichteten kollektiven Wissens, wie es sich im Missionseifer wissenschaftlicher Theorien und Erkenntnisse immer schon niederschlägt, lässt sich gerade mit der Feststellung der Generierung von Wissen durch Zeugnisse und der gleichzeitigen, dass neues Wissen, im Sinne eines Wissen, das bisher nicht vorhanden ,oder dessen potenzieller Träger diesem bisher nicht gewahr war, schlichtweg –und nichts Anderes sagt Seppo- nicht generiert werden kann, kaum vereinbaren. Wenn überhaupt kann die Menge an potentiellem Wissen, oder um im Modell zu bleiben der möglichen Gegenstände, ausgenutzt werden und der beste Fortschritt, wäre der, sich alles potenziellen Wissens zur gleichen Zeit gewahr zu sein. Natürlich eine völlig theoretische Idee. Man müsste also sagen, der Begriff eines generativen Wissens ist grundsätzlich ein widersinniger.  Neues Wissen entsteht nämlich nur auf der Ebene des Subjekts, offenbar niemals des Kollektivs. Denn das Kollektiv hat womöglich ein ewig stagnierendes potentielles Wissen zu verwalten, in dem sich je nach Gegebenheit und Interesse, von Verhandlung bestimmt, der Blick einmal hierhin, bald dorthin wenden kann. Dieses Wissen muss durch ständige Argumentation balanciert werden, um nicht im Gewahrlosen zu versinken. Und als letzte Wortmeldung möchte ich anfügen, dass die Erkenntnis durch Verhandlung, in der sich allmählich ein Wissen verfertigt, gestützt auf Kommunikation durch Sprache mit ihren mögliche Verlusten, im Bad des immer gleichen potentiellen Wissens mit all seinen zu erahnenden Defiziten, doch vielleicht gerade erst darauf hinweist, dass die Kollektivität des Wissens, die immer in jeder vermeintlichen Wissensbildung als Ziel mitschwingt, gerade das Neue im Wissen, die Generierung verdeckt. Das Zeugnis also, welches immer schon Horizonte doch weiter machte, hat womöglich ein potentielles Wissen generiert, aus dessen Grenzen es auf selbem Weg  kein Ausweg mehr ist.''
  
 
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Version vom 1. November 2009, 17:20 Uhr

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Bitte posten Sie hier Ihr Protokoll der Vorlesung vom 29.10.09 - Martin Kusch!

Buchberger, Agnes

Martin Kuschs Vortrag besteht aus vier Teilen (Titelbezeichnungen von ihm übernommen):

  • (1) À la recherche du temps perdu: über die Zufälle, die mich zu meinen heutigen Interessen gebracht haben.
  • (2) Soziologische Geschichte der Philosophie: was hat die Philosophie der Psychologie mit Macht zu tun?
  • (3) Erkenntnistheorie und Gemeinschaft: Die Rolle der Anderen in meinem Wissen und meiner Erkenntnis.
  • (4) Risto-Suche und Seppo-Suche: zwei Spiele zum Thema Gemeinschaft, Wahrheit, Fortschritt und Wissenschaft.


Zum besseren Verständnis ist es unverzichtbar, sich die Folien (http://homepage.univie.ac.at/~kuschm3/Kusch.Ringvorlesung.Folien.pdf) zur Vorlesung genauer anzusehen (Abbildungen, Detailinformationen zu den Spielen, etc. etc.).


  • (1) À la recherche du temps perdu: über die Zufälle, die mich zu meinen heutigen Interessen gebracht haben.

An dieser Stelle erläutert Martin Kusch kurz die Eckdaten seiner persönlichen Laufbahn. Wichtig ist hierbei, einige seiner Einflüsse und Interessen zu nennen. Diese wären da der Marxismus, die Psychoanalyse, Ernst Tugendhat (bei dem er in Berlin Student war), folglich sprachanalytische Philosophie, Ludwig Wittgenstein, Georg Henrik von Wright, Jürgen Habermas, Foucault, usw. usf.

Martin Kuschs vorwiegendes Interesse liegt bei der Verknüpfung von Sozialem (in diesem Zusammenhang auch: Politik, Sprache, etc.) und der Philosophie.


  • (2) Soziologische Geschichte der Philosophie: was hat die Philosophie der Psychologie mit Macht zu tun?

In diesem Teil weist der Vortragende auf, wie Philosophie und Macht zusammenhängen können. Zur Veranschaulichung nimmt der das Beispiel der Kontroverse zwischen Wilhelm Wundt (1832 – 1920; Leipzig) und Oswald Külpe (1862 - 1915) und Karl Bühler (1879 – 1963; Würzburg).

Wilhelm Wundt unterschied drei Typen von unreduzierbaren Bewusstseinselementen: die Empfindungen, die Vorstellungen und die Gefühle. Diese sind primitiv und nicht weiter analysierbar; sie sind die Bestandteile von Gedanken, welche folglich komplexe Verbindungen von den dreien sind. Gedanken werden durch Willensakte, welche selbst komplizierte Kombinationen von Empfindungen, Vorstellungen und Gefühlen sind, aufgebaut. (Folien 10 und 11)

Die Gedanken stehen also über den Bewusstseinselementen, sind wertvoller und hochwertig.

Oswald Külpe und Karl Bühler (von nun an: „die Würzburger“) jedoch fochten diese Struktur des Bewusstseins an; bei ihnen bildeten die Gedanken ein viertes Bewusstseinselement. Im Gegensatz zur hierarchischen Struktur Wundts sahen sie das Bewusstsein als eine Ebene. (Folien 12 und 13)

An dieser Stelle weist Kusch auf, warum so eine Debatte neben philosophischer durchaus auch soziale, politische und theologische Relevanz haben kann. (Folien 16 bis 18)

Überträgt man nämlich die hierarchische Struktur von Wundt auch die Psychologie (welcher zu jener Zeit noch eng mit der Philosophie verbunden war), so kommt man zu dem Schluss, dass die Psychologie des Individuums (äquivalent zu den Empfindungen, Vorstellungen und Gefühlen) als minderwertig verstanden wird. Die Völkerpsychologie/ Psychologie des Kollektivs (äquivalent zu den Gedanken) jedoch als hochwertig angesehen wird. Überträgt man dies wiederum auf soziale Gefüge, so lässt sich daraus schließen, dass der Staat über dem Individuum steht. Daraus ergibt sich ein sehr strenger Nationalismus.

Die Würzburger hingegen vertraten den Individualismus und Internationalismus. In diesem Fall müssen sich Staat und Kollektiv vor den Individuen rechtfertigen, legitimieren.

Dieser Konflikt lässt sich auch auf den Katholizismus-Protestantismus-Konflikt übertragen. Wundt vertrat die Protestanten und den Voluntarismus. Die Würzburger den Katholizismus und den Intellektualismus.


  • (3) Erkenntnistheorie und Gemeinschaft: Die Rolle der Anderen in meinem Wissen und meiner Erkenntnis.

In Teil (3) lässt uns Kusch mit der Überschrift „Erkenntnistheorie – Philosophie der Zeugnisse“ stutzen. Er erklärt in der Folge, warum er es für gerechtfertigt hält, Zeugnisse als generative Wissensquelle einzustufen.

Er bedient sich während dieses Teils folgender Definition von Wissen: Wissen ist gerechtfertigter wahrer Glaube. Generell spricht er von vier Wissensquellen: der Wahrnehmung (a), dem logischen Denken (b), der Erinnerung (c) und dem Zeugnis (d). Herkömmlicher Weise werden (a) bis (c) als individuelle Wissensquellen angesehen, (a) und (b) als generative Wissensquellen und (c) und (d) als nicht-generative „Wissensquellen“ (die Anführungszeichen daher, weil wenn nicht generativ, dann noch „Quelle“ des Wissens?).

Um einen sozialen Faktor in die Erkenntnistheorie zu bringen, will Kusch nun (d) als teilweise generative Wissensquelle darstellen. (Folien 22 bis 29)

Hierbei treffen zwei verschiedene Ansichten aneinander. Der „Individualist“ meint, neues Wissen kann nur durch Wahrnehmung und logischem Denken entstehen. Der „Kommunitarist“ (wie Kusch ihn nennt) meint, auch Zeugnisse seien generativ. Im Folgenden führt er zwei Beispiele („Lehrerin Schmidt“ und „Maria“) von Jennifer Lackey an, um seinen Standpunkt zu untermauern. Diese beweisen, dass auch Zeugnisse generativ sein können.


Einen zweiten Punkt, den Kusch in diesem Zusammenhang erwähnt, ist die Frage, ob sich unser Vertrauen auf Zeugnisse rational rechtfertigen lässt. Hier stehen sich wieder „Individualist“ (Vertrauen auf Zeugnisse muss sich rational rechtfertigen lassen) und „Kommunitarist“ (Nein, denn unsere Abhängigkeit von Zeugnissen reicht zu tief; man müsste eher fragen warum sollte man misstrauen?) gegenüber. An dieser Stelle widerlegt er zwei wichtige Ansätze. Den von David Hume, der von reduktiver globaler Rechtfertigung sprach und den von Thomas Reid, der von fundamentalistischer globaler Rechtfertigung sprach. (Folien 30 bis 33)


  • (4) Risto-Suche und Seppo-Suche: zwei Spiele zum Thema Gemeinschaft, Wahrheit, Fortschritt und Wissenschaft.

Im letzten Teil des Vortrags stellt Kusch kurz zwei Spiele vor, mit denen er veranschaulicht, was unterschiedliche Herangehensweisen bewirken können und was deren Konsequenzen für Gemeinschaft, Wahrheit, Fortschritt und Wissenschaft sein können.

Er vereinfacht in diesem Fall, um zu zeigen, dass es bei dem Versuch, sich an den Kern eines Problems anzunähern, zuerst nötig ist, Komplikationen einfach wegzulassen – zu idealisieren. Hat man sich in der Folge mit den zentralen Punkten auseinandergesetzt, ist der nächste Schritt die „De-Idealisierung“, der Weg zurück zur Wirklichkeit. Denn solche Idealbedingungen wie man sie bei Spielen vorfindet, sind ja in den seltensten Fällen auch in der Realität gegeben, darum ist es nötig, sich zuerst aufs Wesentliche zu konzentrieren und erst im nächsten Schritt „wirklichkeitsnah“ zu agieren. (Folien 37 bis 44)


Der Vortrag von Martin Kusch lässt sehr viele Fragen und Diskussionspunkte zu; sich diesen zu widmen ist Aufgabe der Übung.

Rubbert, Johannes

Prof. Martin Kusch (Laufbahn)

Interessen als Jugendlicher:
Marxismus und Psychoanalyse

leider harmonieren diese 2 Richtungen nicht

dann Kibbuz

Studium in Westberliner (ab1979)
Ernst Tugendhat: Sprachanalyse (Wittgenstein, von Wright)

finnische Freundin wollte zu ihren 1000 Seen -> ab 81 Studium in Finnland

Klassiker zu langweilig
Habermann's Theorie des kommunaktiven Handelns“ erschien
1200Seiten/6Monate=200Seiten/Monat

Marxismus-Psychologie-Sprachanalyse 89 Doktorarbeit (Sprachphilosophie bei Hussserl und Heidegger) bei Hintikka
dann kurzfristig als Vertretung für im hohen Norden:
Studenten wollten Foucault (Wissen und Macht/Kontrolle)
Untersuchungen zu Macht/Kontrolle bei Psychoanalyse, Psychiatrie, Polizei (mit der Zeit zu langweilig, weil als Thema zu gewöhnlich/naheliegen), daher
Wissenschaft und Macht bei der Mathematik

1992-1997: Edinburgh (Wissenschaftssoziologie, Zentrum für) Bloor, Collins, Shapin

seit 1997 in Wien Soziologische Geschichte der Philosophie:

Was hat die Philosophie der Psychologie mit Macht zu tun

Philosopenematch Leipzig gegen Würzburg, das ist Brutalität im Sinne einer politisch/weltanschaulichen Auseinandersetzung:

Wilhelm Wundt: (Leipziger Auffassung)
3 Typen von Bewustseinselementen
1. Empfindung
2. Vorstellung
3. Gefühl

Gedanken sind Komplizierte Verbindungen aus 1-3.
Willensakt baut Gedanken auf

Külpe,Bühler (Würzburger)
4 Elemente: die 3 + Gedanken Gedanken sind genauso primitiv wie 1-3

große öffentliche Diskussion

Würzburger:

  Psychologie des Individuums

Wundt:

  Psychologie des Kollektivs (Völkerpsychologie, Einzelner muss für Kollektiv geopfert werden)
Wundt erklärt Völkerpsychologie in seinem Institut zur Chefsache, subalterne Mitarbeiter dürfen nur den Rest der Psychlogie bearbeiten


Wundt: Volk und Staat Protestantismus, Deutschtum und Voluntarismus

Würzburger: Individualismus und Internationalismus Intellektualismus und Katholizismus (Thomas von Aquin), Internationalismus

Erkenntnistheorie:

Definition des Wissens: gerechtfertigter wahrer Glaube

4 Quellen des Wissens 1 Wahrnehmung 2 logisches denken 3 Erinnerung 4 Zeugnis (testimony)

1-3 individuell 1-2 generativ 3-4 nicht generativ 4 PROBLEMATISCH

a) kann 4 generativ sein?
b) lässt sich Vertrauen auf 4 rechtfertigen?

Individualist:
nur 1 und 2 generativ
4 muss rational gerechtfertigt sein


Kritik des Kommunaristen: Zeugnisse

Lehrerin A ist Kreationistin
Sie erklärt Schülern Evolutionstheorie
->Schüler glauben Evolutionstheorie, A nicht

Maria:
Arzt sagt fälschlich, daß Ms Farbsehen beeinträchtigt ist
Sie sagt ihrem Freund, daß die Ampel grün ist
->Freund weiss, dass Ampel grün ist

Hume: reduktive globale Rechtfertigung

3 Arten von Wissen 1. aus erster Hand bestätigt
2. eigenes Wissen widerspricht
3. weiss nix

1 größer als 2
rational gesehen auch bei 3 grösser

Kritik 3 viel grösser als 1 und 2

Reid: fundamentale globale Rechtfertigung Gott wird durch Bibel bewiesen Bibel wird durch Gott bewiesen

Kritik: zirkularer Beweis


Risto und Seppo

a, b und ein Stempel
a geht weg
b stempelt dinge an nicht gleich sichtbarer stelle (ristos)
a kehrt zurück und soll ristos finden

Ristos eindeutig identifizierbar durch Extension
Fortschritt klar


a,b und c
a geht weg
b und c nennen 3 ähnliche Gegenstände Seppos
a werden Seppos gezeigt, er muss neue Seppos finden argumentieren
nach der Abstimmung/Einigung auf einen neuen seppo, scheidet der älteste seppo aus
(es gibt immer 3 seppos)

Abstimmung
Wahrnehmung und Verhandlungen
a alleine kann keine seppos finden
seppo hat keine Extension


ein risto ist WAHR wenn gestempelt (erkennungsunabhängig)
vs.
ein seppo WAHR wenn Gruppe so entscheidet (Ähnlichkeitsurteil) Wahrheit nicht erkennungsabhängig

risto: stempler ist Gott/Natur/Evolution a ist Wissenschaft

seppo: a, b und c (wir) sind Wissenschaft ohne eines stempelnden Gottes

die meiste Philosophen sind Ristoianer

Kusch ist Seppoianer

meine folgerung/kritik am seppoismus:
wahrheit ist ergebniss einer (demokratischen?)abstimmung?
wer ist denn da überhaupt abstimmungsberechtigt, ...?
machen wir das basisdemokratisch oder in einer representativen demokratie
oder ist wahrheit, was mit gewalt/repression etc. den massen verkauft wird?

erinnert mich an angebliche letzte Worte Einsteins:
es gibt 2 Dinge die unendlich sind
das Universum und die menschliche Dummheit
nur beim Universum bin ich mir nicht mehr so sicher

-> daher bin ich dzt. eher ristoianer

Brunner, Michael

Martin Kusch: Philosophie und (Sozial)-Wissenschaft

Mit Martin Kuschs Vortrag im Rahmen der dritten Ring-Vorlesung, wird das Auditorium nach den weitgreifenden Einblicken von Gerhart Gotz nun erstmals mit einer deutlich ausformulierten Blickrichtung der Philosophie konfrontiert. Und diese, so wird schnell deutlich, will „das Soziale und Politische in die Philosophie hineintragen“(Kusch) ohne aber, wie sich zeigt, den Blickwinkel zu verengen, vielmehr sogar den Diskurs zu verbreitern. Neben den fachlichen Informationen wird Kusch den Studienanfängern auch mögliche Perspektiven darlegen, indem er sich seiner Laufbahn als Beispiel bedient. Im ersten Programmpunkt des Vortrages spricht er also „Über die Zufälle, die mich zu meinen heutigen Interessen gebracht haben“, um darin keineswegs zu behaupten, dass philosophische Blickführung beliebig sei, sondern dass Einfluss und Interessensführung durch Erfahrung und Kontakt gelenkt wird, und dass die größtmögliche Verbreiterung des eigenen Horizontes notwendig ist, um in der Argumentation nicht an toten Winkeln des Blickfelds zu scheitern. So erklärt Martin Kusch, ausgehend von frühem Interesse an Marxismus und Psychoanalyse habe er begonnen in Berlin Philosophie zu studieren und sei dort maßgeblich von Ernst Tugendhat und seiner sprachanalytischen Philosophie beeinflusst worden. Der im Begriff des linguistic turn niedergeschlagene Neuanfang der Philosophie auf der Grundlage der Sprache habe ihn von nun an grundsätzlich interessiert, so habe er sich mit Ludwig Wittgenstein und Georg Henrik von Wrigth beschäftigt. Als Kusch wie er berichtet, seine Vita schon bald mit eine Verlegung seiner Studien nach Finnland bereichert, wendet sich sein Blick dem zu Zeiten hochaktuellen Philosophen Jürgen Habermas zu und er rezipiert intensiv dessen „Theorie des kommunikativen Handelns“. Habermas nämlich beziehe sich nicht unwesentlich auf marxistische wie psychoanalytische und sprachphilosophische Denkweisen, habe aber auch Kuschs Interessen um das der Wissenschaftsphilosophie und dort speziell der sozialwissenschaftlichen Anteile erweitert. Nach seiner Dissertation zur Sprache bei Husserl und Heidegger bei dem finnischen Philosophen Hintikka, mit dem ihn ein fruchtbares „Meister-Lehrling-Verhältnis“ verbunden habe, habe ihn die Lehrtätigkeit zu Michel Foucault entschieden bereichert. Denn mit Foucault begann ihn, wie berichtet wird, der Zusammenhang zwischen wissenschaftlicher Macht und Kontrolle zu interessieren, was Kusch in den Bereich der Wissenschaftssoziologie geführt habe. Entscheidend sei hier die Sociology of Scientific Knowledge gewesen, die Bloor, Collins und Shapin prägten. Zunehmend habe er den Glauben der Beantwortung aller philosophischen Fragen durch wissenschaftssoziologische Analysen aber nun vermeiden wollen, so habe nach verschiedenen Ländern und Institutionen wissenschaftlicher Tätigkeit seine Lehrtätigkeit in Cambridge den Boden geboten „zur Philosophie zurückzukehren“ und die Wissenschaftssoziologie durch die Philosophie zu verteidigen. Der Leitgedanke des Hineintragens wissenschaftssoziologischer Fragen in die Sprach-und Wissenschaftsphilosophie unter anderem sei hier entstanden. Übergehend zu seinem zweiten Programmpunkt gibt der Vortragende bekannt, sich nun einer Soziologischen Geschichte der Philosophie widmen zu wollen. Hierfür bedient er sich der intensiven denkpsychologischen Debatte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zwischen dem Leipziger Wilhelm Wundt und der Würzburger Lehrmeinung um Oswald Külpe und Karl Bühler. Wilhelm Wundt unterscheide drei letztlich nicht mehr reduzierbare Fundamente des Bewusstseins, die Empfindungen, die wohl ähnlich den „seelischen Widerfahrnissen“ bei Aristoteles als sinnliche Beeindruckung gedacht werden, die Vorstellung, die Erinnerungsbilder einschließe, sowie die Gefühle. Die entscheidende Behauptung Wundts aber, sei die Überlegenheit des Gedankens mittels seiner Komplexität gegenüber den primitiveren Elementen, aus denen er mithilfe von Willensakten aufgebaut werde. Man könnte sagen, die Willensakte erst heben die primitiven Grundelemente auf das höhere Niveau des Gedankens. So entstehe auf dem Weg der psychologischen Introspektion bei Wundt die These, der Gedanke sei „das eigentlich Wertvolle am menschlichen Geist“. Die „Würzburger Gesinnung“ tritt dieser These auf unüberbrückbare Weise entgegen, indem man vier Grundelemente erkennt und den Gedanken eine Ebene mit Gefühlen, Vorstellungen und Empfindungen teilen lässt. Nun sei das Interessante, was aus einer Betrachtung dieser Debatte zu gewinnen sei nach Kusch die Frage, was eine soziologische Analyse der Konsequenzen jeweiliger Denkfiguren finden kann. Wenn man auf diese Weise Wundts Ideengebäude betrachte , sei ein ausgeprägtes Prinzip von Hierarchien zu finden. Schließlich könnten Gedanken aufgrund ihrer Komplexität nur kollektiv nicht individuell begriffen werden, denn „das Denken habe sich im Volk und seiner Sprache sedimentiert“. Weshalb eine Völkerpsychologie über die individuelle Experimentalpsychologie zu stellen sei, wie man Wundts These entnehmen könne. Die kompromisslose Dominanz des Kollektivs über das Individuum, dessen moralische Pflicht Wundt darin sieht, sich ohne Abschlag für den Staat zu opfern, führt zum Ideal eines „völkisch reinen Staats“ und lasse sich nicht zuletzt an der Struktur des Wundtschen Instituts ablesen. Dieses nämlich habe den übrigen Lehrenden und Studenten die experimentelle Psychologie des Individuums zugestanden, während die Völkerpsychologie des Kollektivs, des Gedankens Chefsache gewesen sei. Dass nun in Würzburg Individualismus und Internationalismus propagiert wurde, die radikale Gegenposition, überrascht kaum noch. Und auch in konfessioneller Hinsicht teilte man sich in Lager auf, denn während Wundt ein „militanter Protestant“ gewesen sei, „waren die Würzburger zumeist Katholiken. Den Lagern entsprächen Voluntarismus auf protestantischer und Intellektualismus auf katholischer Seite. Nachdem nun exemplarisch Bezüge der Philosophie, hier spezifisch der Psychologie, zum Politische, Sozialen und Religiösen demonstriert wurden, fährt der vortragende Martin Kusch mit seinem dritten angekündigten Ordnungspunkt fort um eine „Philosophie der Zeugnisse“ vorzustellen. Er schlägt vor vom Wissen als „gerechtfertigten, wahren Glauben“ auszugehen. Es seien vier Quellen des Wissens zu unterscheiden, es seien die Wahrnehmung, das Logische Denken, die Erinnerung und das Zeugnis, das „Mitmenschen als Wissensquelle“ sehe. Eine bedeutende Debatte wird dem Auditorium hier jetzt eröffnet. Wahrnehmung und Logisches Denken werden demnach als generative also neues Wissen erschließende Quellen gehandelt, während dieses Generierungspotential der Erinnerung und herkömmlicherweise auch dem Zeugnis abgesprochen werde. Daran entzünde sich eben die Debatte, man fragt: „Sind Zeugnisse je eine generative Wissensquelle?“, und „Lässt sich unser Vertrauen auf Zeugnisse rational rechtfertigen?“. Man könne nun die individualistische Sichtweise, welche die erste Frage verneint und auf der rationalen Rechtfertigung besteht, sowie die kommunitaristische, welche die erste Frage bejaht und die zweite als irrelevant bewertet, da unsere Abhängigkeit von den Zeugnisse zu tief reiche, unterscheiden. Kusch bekennt sich nun zum Kommunitarismus, für den er fortan argumentiert. Er wolle den Akt der Mitteilung als bedeutenden Faktor der Wissensbildung beweisen. Er beginnt mit der Feststellung , dass sich das Zeugnis als Wissensquelle, wie die Erinnerung, gegenüber den Anderen durch seinen temporalen Aspekt auszeichne. Kusch fährt fort, man müsse zeigen, dass es möglich ist, dass ein Zeuge einem Hörer ein Wissen zuführen kann, das er nicht weiß oder ,und hier möchte ich kommentieren, dessen er nicht gewahr ist. Denn es bleibt zu klären, so meine ich als Kritiker auftretend, ob ein Wissen, das potentiell vorhanden ist, deren Nutzung das Subjekt aber momentan nicht fähig ist, kein Wissen mehr ist. Es werden nun zwei illustrierende Beispiele nach J.Lackey angeführt, die, und das ist subjektiv, nur eingeschränkt zu überzeugen wissen. Ich möchte mir erneut erlauben meine Zweifel knapp darzulegen. Der Gedanke des Generierungspotentials von Mitteilung und Zeugnis ist, so finde ich, sehr gerechtfertigt, doch der Ansatz des Beweises ist meiner Meinung nach keiner, der sich mit blinden Gewahrlosen und Evolutionskritikern befassen sollte, wie in erwähnten Beispielen geschehen, sondern vielmehr, und dies erkenne ich auch in den weiteren Ausführungen Kuschs, mit der Funktions-und Arbeitsweise von Wissenschaft, und um den roten Faden des Vortragenden aufzunehmen, auch mit Wissenschaftsgeschichte oder Soziologie. Denn die Generierung von Wissen durch Mitteilung ist wohl auf einer Ebene der Beeinflussung, des Aufbaus aufeinander, der Inspiration, des womöglich sogar willkürlichen Gedankenbads als Quelle neuer Gedanken zu entdecken. Um zum Inhalt des Vortrags zurückzukehren: Der zweite Aspekt des Kommunitarismus ist nun zu behandeln und in diesem Sinne verhandelt Kusch nun zwei historische Positionen zur Frage, ob sich das Vertrauen auf Zeugnisse rational rechtfertigen lasse. Hier sei zunächst David Hume zu nennen, der in seiner „reduktiven globalen Rechtfertigung“ einfach schließe, die Menge an mitgeteiltem Wissen, welches durch eigenes Wissen erster Hand bestätigt wird, sei sehr viel größer, als solches, welches eigenem Wissen erster Hand widerspricht oder zu dem es kein eigenes Wissen gebe. So sei es gerechtfertigt Berichten zunächst zu vertrauen. Diese Sichtweise lasse sich, so Kusch, sofort kritisieren, denn die Menge des mitgeteilten Wissen, zu dessen Thema ich keinerlei eigenes Wissen erster Hand besitze, muss als die größte erkannt werden. Da auch die fundamentalistische Erklärung Thomas Reids keinen Beleg für eine rationale Rechtfertigung des Vertrauens auf Zeugnisse gibt, folgert Kusch vorläufig, dass erstens dem Zeugnis durchaus ein generativer Charakter zugeschrieben werden könne, und zweitens durch unsere Abhängigkeit und unüberwindbare Verstrickung in Zeugnisse eine genannte Rechtfertigung nicht möglich sei. Um fortzufahren und den „Problemen von Wahrheit, Wissenschaft, Fortschritt und Gemeinschaft“, die den Vortrag prägten, näher zu kommen, bedient sich Martin Kusch nun einem idealisierten wissenschaftlichen Modell, dessen grundsätzliche Bedeutung für die Philosophie er außerdem heraushebt, und stellt dem Publikum die Spiele Risto-Suche und Seppo-Suche vor. Diese Modelle sollten ihn abschließend zu einer Kritik der Theorie des Finitismus führen. Im Spiel Risto-Suche werden eine bestimmte Anzahl von Gegenständen unter anderen verdeckt gestempelt, diese muss ein nicht eingeweihter Spieler finden. Es ist zu bemerken dass die Menge der Ristos eine Extension hat. Die Ristos sind physikalisch gekennzeichnet und durch Wahrnehmung identifizierbar, sie besitzen eine Identität. In Bezug auf Wahrheit ist ein Risto eindeutig, es ist nämlich genau dann wahr , wenn es einen Stempel besitzt, ist also erkennungs-unabhängig. Da der suchende Spieler der Wahrheit der eindeutigen Extension wegen immer näher kommen kann, ist es möglich Fortschritt zu erkennen. Dieses Modell schreibt Kusch der konventionellen Einordung von Wissenschaft und ihrer historischen Relevanz zu. Die Idee, die Wissenschaft könne Fortschritt erzielen, durch eine Annäherung an Wahrheit, durch ein Erstreben einer größtmöglichen Wahrheit ist offensichtlich defizitär und als fortschrittsbejahender Finitismus zu kritisieren. Dies ist mit Hilfe des Spiels Seppo-Suche als Modell möglich. Hier wird ein Gegenstand durch Verhandlung mehrerer Spieler in eine Reihe eingeordnet, die vorher bestimmte Ähnlichkeiten der erlaubten Gegenstände bestimmt. Der unbeteiligte Spieler muss nun die Analogien der Gegenstände entschlüsseln und in argumentativer Diskussion die anderen Spieler überzeugen. Hat man sich auf einen Gegenstand geeinigt, fällt der älteste aus der Reihe heraus. Ein Seppo kann also nur im Kollektiv identifiziert werden, die Menge der Seppos besitzt keine definierte Extension. Da die Wahrheit hier alles andere als erkennungs-unabhängig ist, ist eine Annäherung an die Wahrheit nicht gegeben, Fortschritt findet im Sinne eines einem Ziel Näherkommens nicht statt. Kusch schließt nun final, dass der Begriff der Wahrheit absurd sei und im Erkenntnisfaktor der Verhandlung sich wesentlich die soziale Dimension der Wissenschaft offenbare. Als abschließende Kritik des Protokollanten, möchte ich kurz meine Kommentierung den generativen Charakter des Zeugnisses betreffend hier einweben. Denn das Problem eines dem Fortschritt verpflichteten kollektiven Wissens, wie es sich im Missionseifer wissenschaftlicher Theorien und Erkenntnisse immer schon niederschlägt, lässt sich gerade mit der Feststellung der Generierung von Wissen durch Zeugnisse und der gleichzeitigen, dass neues Wissen, im Sinne eines Wissen, das bisher nicht vorhanden ,oder dessen potenzieller Träger diesem bisher nicht gewahr war, schlichtweg –und nichts Anderes sagt Seppo- nicht generiert werden kann, kaum vereinbaren. Wenn überhaupt kann die Menge an potentiellem Wissen, oder um im Modell zu bleiben der möglichen Gegenstände, ausgenutzt werden und der beste Fortschritt, wäre der, sich alles potenziellen Wissens zur gleichen Zeit gewahr zu sein. Natürlich eine völlig theoretische Idee. Man müsste also sagen, der Begriff eines generativen Wissens ist grundsätzlich ein widersinniger. Neues Wissen entsteht nämlich nur auf der Ebene des Subjekts, offenbar niemals des Kollektivs. Denn das Kollektiv hat womöglich ein ewig stagnierendes potentielles Wissen zu verwalten, in dem sich je nach Gegebenheit und Interesse, von Verhandlung bestimmt, der Blick einmal hierhin, bald dorthin wenden kann. Dieses Wissen muss durch ständige Argumentation balanciert werden, um nicht im Gewahrlosen zu versinken. Und als letzte Wortmeldung möchte ich anfügen, dass die Erkenntnis durch Verhandlung, in der sich allmählich ein Wissen verfertigt, gestützt auf Kommunikation durch Sprache mit ihren mögliche Verlusten, im Bad des immer gleichen potentiellen Wissens mit all seinen zu erahnenden Defiziten, doch vielleicht gerade erst darauf hinweist, dass die Kollektivität des Wissens, die immer in jeder vermeintlichen Wissensbildung als Ziel mitschwingt, gerade das Neue im Wissen, die Generierung verdeckt. Das Zeugnis also, welches immer schon Horizonte doch weiter machte, hat womöglich ein potentielles Wissen generiert, aus dessen Grenzen es auf selbem Weg kein Ausweg mehr ist.


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