Henrich

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(UK, 07.04.2004):

HENRICH,Dieter, Formen der Negation in Hegels Logik, in: Horstmann,Rolf-Peter(Hrsg.), Seminar:Dialektik in der Philosophie Hegels, Frankfurt/Main, 2.Aufl., 1989, S.213-229:


EINLEITUNG

»Das Negative, dieser abstrakte Ausdruck, hat sehr viele Bestimmungen«.1 Dieser Satz wird aus Hegels Interpretation der ägypti-schen Religion berichtet. Nimmt man ihn wörtlich im Sinne seiner eigenen Theorie, so sagt er, daß das Wort >das Negative< einen Zusammenhang bezeichnet, in dem verschiedene, auch einander entgegengesetzte Bedeutungen von >negativ< aufzuweisen sind, aber so, daß sie allesamt dafür unentbehrlich sind, daß sich die Einheit eines solchen Zusammenhanges ergibt. So könnte Hegels Satz ein Bewußtsein von der Vielfältigkeit des Sinnes von >negativ< anzeigen und darüber hinaus, daß diese Viel-falt nicht nur zufällig eintritt, sondern daß sie sich aus Gründen ergibt, die angegeben werden können. In Hegels Wissenschaft der Logik hat solches Bewußtsein aber keine auffälligen Spuren hinterlassen. Vergeblich sucht man in ihr nach ausdrücklichen Über-legungen über die Mannigfaltigkeit der Bedeutung der Rede vom >Negativen< und von >der Negation, Hegel ist kaum irgendwo über die elementarste Form der Erläuterung eines Sinnes von Negation hinausgekommen, die ihn dadurch interpretiert, daß sie ihn auf signifikante Weise erwähnt. Seinen Lesern bleibt also die Aufgabe überlassen, die Interpretation mit Argumenten zu entfalten. >Negation< ist unstreitig eine der bedeutendsten methodischen Grundoperationen der Logik Hegels. Ohne Bezug auf den Sinn von Negation läßt sich nicht verdeutlichen, was ihr Verfahren von allen anderen unterscheidet. Hegel erklärt sogar, daß die »Negation das wahrhaft Reale und Ansichsein«, »die abstrakte Grundlage aller philosophischer Ideen« sei, »von der man sagen kann, daß sie erst die neuere Zeit in ihrer Wahrheit aufzufassen begonnen hat« (A 77/8).2 So ist also jener abstrakte Ausdruck, der viele Bestimmungen hat, die einzige Basis für die Entfaltung einer philosophischen Theorie und jener Begriffsstruktur, der Hegel den Namen >Idee< gegeben hat und die seiner Meinung nach allein geeignet ist, Wirkliches in dem ihm eigenen Zusammenhang vollständig zu begreifen. Daraus folgt, daß eine Verständigung über die Weise, in der in Hegels Logik von der Negation Gebrauch gemacht wird, die Bedingung dafür ist - sei es in Nachfolge oder Kritik - in ein freies Verhältnis zu dieser Theorie zu kommen. Solche Verständigung steht noch aus. Denn die Theorien der Gegenwart, in deren Vorgeschichte Hegels philosophische Konzeption gehört, arbeiten immer noch nur mit einem abstrakten Ausdruck von Negation in irgendeinem von Hegel gedeckten Sinn. Sie gebrauchen nicht die Vielfalt der Bestimmungen, die von Hegel in Beziehung auf ihn teils abgeleitet, teils eingeführt worden sind. Auf der anderen Seite war es eines der wichtigsten und wirksamsten Argumente der Kritik an Hegel und an allen, die einem dialektischen Verfahren in seinem Sinne anhingen, daß sie mit einer vagen Vorstellung von Negation operieren, in der verschiedene Bedeutungen von >negativ< durcheinander gebracht sind, - sei es absichtlich, weil sie nur so dem dialektischen Fortschritt den Schein argumentativer Kraft geben konnten, sei es wider Willen, weil ihnen die begriffliche Kraft zur Unterscheidung verschiedener Negationssinne abging. Den Befund, von dem diese Kritik ausgeht, sollte man nicht bestreiten. Es wird sich zeigen, daß Hegels Logik wirklich verschiedene Weisen des Negationsgebrauchs kennt. Es spricht alles dafür, daß es nicht möglich ist, sie auf einen einzigen Negationssinn zu reduzieren. Dann ist es notwendig, Gründe zu erwägen, die Hegel dazu zwingen könnten, die Mannigfaltigkeit des Sinnes von Negation in der für seine logische Theorie charakteristischen Weise zu nutzen, aber auch verschiedene elementare Negations-formen zu neuen Formen der Negation zu konfundieren. Dies soll im Folgenden geschehen.


I. DIE SUBSTANTIVIERTE AUSSAGEFORM

Hegels Logik ist, wie bekannt, in Wahrheit eine ontologische Theorie. Das zeigt sich auch daran, daß sie aus den Lehrbüchern zur Logik und Metaphysik, an denen sie sich beinahe ebenso sehr wie an Spinoza, Kant und Fichte orientiert, gerade aus der Ontologie r der Metaphysik einige wichtige Begriffszuordnungen übernommen hat. Der erste Abschnitt der Logik des Seins hat den Titel >Bestimmtheit< (determinatio). Er behandelt das >Etwas< überhaupt und faßt es als Realität und Negation in einem. Darin folgt er Vorlagen der Wolff-Schule, welche die gleiche Zuordnung stereotyp aufweisen. Hegel hat aber die Bedeutung dieser Terme auf signifikante Weise verschoben. In den Vorlagen ist >Etwas< als ein Einzelding aufgefaßt, über das Aussagen gemacht werden, und zwar so, daß ihm kraft solcher Aussagen Eigenschaften zukommen oder abgehen. Dabei bleibt es ganz unausgemacht, wie es denn verstanden werden kann, daß das Einzelding einerseits in dem, was es rein für sich ist, betrachtet werden soll, daß es aber andererseits von vornherein als dasjenige erscheint, auf das nur in Aussagen Bezug zu nehmen ist. Hegel dagegen kann - zufolge seiner strikteren Kriterien für die Einfachheit von Prinzipien einer ontologischen Theorie - weder das Einzelding als Referent einer unbestimmten Anzahl von Prädikationen noch auch die Form der Aussage qua Medium der Erkenntnis als vorgängige Evidenz in Anspruch nehmen. Man könnte deshalb auch mutmaßen, daß Hegel gar nicht umhin könne, von einem anderen Negationssinn als dem der negativen Aussageform auszugehen. Als Alternativen zu ihr hätten das Verhältnis der Unvereinbarkeit zwischen Prädikaten oder auch das ontologische Prinzip zur Verfügung gestanden, demzufolge jedes Seiende kraft dessen, daß und was es ist, anderes Seiendes aus seinem Dasein ausschließt. Nun läßt es sich aber leicht zeigen, daß diese beiden Gedanken kaum weniger voraussetzungsreich sind als die Bezugnahme auf Einzelnes in Aussagen. Der wirkliche Gedanke Hegels beruht deshalb auch auf einer ganz anderen Oberlegung - in der von der Form der negativen Aussage gerade nicht abgesehen ist: Ist es so, daß alles Dasein nur als Realität und Negation in einem zu begrei-fen ist, und kann man den Begriff dieser Einheit nicht dadurch gewinnen, daß man das Seiende von vornherein als Thema einer Aussage, also der Erkenntnis ins Auge faßt, so muß man ihm, dem Seienden an ihm selbst, als ein Prinzip seiner Konstitution, die Eigenschaft zusprechen, Negation zu sein. Es muß eine Eigenschaft aufweisen, die den Eigenschaften der Absprechung in der Aussage vollständig entspicht, und die zugleich in gar keinem Sinne Aussage oder vom Urteilen des erkennenden Subjekts als deren Gegenstand abhängig ist. Dasein ist somit in ihm selbst eine >Verneinung<.3 Mit dieser Überlegung stellt sich Hegel allen Evidenzen des normalen philosophischen Bewußtseins entgegen. Die Paradoxie seines Raisonnements wird noch augenfälliger, wenn man erwägt, daß sie nicht etwa darauf abzweckt, den Begriff des Geistes zu fassen, - ein Unternehmen, bei dem man spekulative Gedankenbildungen ohnehin erwartet, sondern daß sie zunächst nur den einfachsten Gedanken von Irgendetwas elementar definieren will. Um ihn zu denken, muß die Operation der Negation in der Aussage verselbständigt und aller Beziehung auf irgend etwas, das sich negieren ließe, voran zu einem Konstituens von allem gemacht werden, was >Dasein< hat. Diese Auffassung der Grundoperation allen Diskurses, und zwar so, daß sie in Gedanken von Etwas transformiert wird, das gerade nicht als Diskursoperation oder als Thema eines Diskurses aufgefaßt wird, ist nur Hegels Theorie eigen. Unser Urteil über diese Theorie muß vor allem davon abhängen, ob man diese Auffassung als natürlich oder als unvermeidlich oder zumindest als die Folge einer wohlmotivierten theoretischen Anstrengung auffaßt oder ob man sie für illegitim und willkürlich hält. Auch schon der erste Gedanke in Hegels Logik, der offenkundig in die Klasse der negativen Ausdrücke gehört und der der »Bestimmtheit« noch vorangeht, - die Kategorie des »Nichts«, die sich sprachlich aus der Substantivierung des Adverbs herleitet, ist von Hegel so gefaßt worden, daß er sich vielmehr als rudimentäre Form der von der Aussage und zugleich von irgendeinem bestimmten negierten Prädikat abgelösten Form der Verneinung verstehen läßt. Im >Nichts< ist es zu tun um »die abstrakte, unmittelbare Negation«, um die »beziehungslose Verneinung, - was man, wenn man will, auch durch das bloße Nicht ausdrücken kann« (I, 68/f, 84). Solche Passagen des Textes der Logik gerade in der zweiten Auflage zwingen also zu der Schlußfolgerung, daß Hegel mit einigermaßen ausdrücklichem Bewußtsein verlangt, die einfachsten Gedanken der Ontologie als strukturelle Korrelate der negativen Aussageform zu denken, - als Aussageform allen Sätzen und allem denkbaren Aussagegebrauch sozusagen voraus. Ist Bestimmtheit erst einmal als Verneinung gedacht, so ergibt sich daraus sogleich auch grundsätzlich die Rechtfertigung, alle weiteren Eigenschaften. die der Bestimmtheit zugesprochen werden mögen, mit jenem Negationssinn in Beziehung zu setzen, der sich aus der Transposition der abstrakten Verneinung zum ontologischen Prinzip ergeben hatte. >Bestimmtheit< ist zunächst nur der Gedanke von >Etwas überhaupt, ohne daß schon die Voraussetzung von irgendeiner Mannigfaltigkeit gemacht wäre. Ist dann aber einmal eine Pluralität des >Etwas<, von mehreren Etwas oder von einer inneren Differenz des Etwas, eingeführt, dann ergibt sich aus der ursprünglichen Definition des Etwas als noch unbezogener Verneinung, daß nunmehr diese Verneinung in eine Beziehung gebracht werden kann. Das heißt aber, daß das Etwas nun wirklich damit beginnt, Anderes >auszuschließen<, >aufzuheben< und ähnliche, den Leistungen von Sätzen analoge Prozesse zu generieren. Solche Gedanken sind bekanntlich für Hegels philosophische Sprache geradezu stilbildend. Auch weitere Eigenschaften, die der Negation in der Aussage durch ihre Beziehung zu anderen wahrheitsfunktionalen Operationen zugesprochen werden können, lassen sich so nun im Prinzip in den ontologischen Grundsachverhalt der >Bestimmtheit< hineindenken. Diese Konsequenz gewinnt dann grundsätzliche Bedeutung, wenn man bedenkt, daß Hegels Negationstheorie gar nicht in dem theoretischen Vorgang kulminiert, in dem die Form der negativen Aussage substantiviert und in ein ontologisches Prinzip verwandelt wird. Hegels Theorie kommt zu ihren eigentlichen Thesen durch die Art und Weise, in der er von dem Gedanken der doppelten Negation Gebrauch macht. Die »negative Beziehung auf sich« ist »der innerste Quell aller Tätigkeit, lebendiger und geistiger Selbstbewegung, die dialektische Seele, die alles Wahre an ihm selbst hat, durch die es allein Wahres ist« (II, 4y6/6, 563). Man kann viele Bedeutungen von >Negation< auf vielerlei Weise voneinander unterscheiden. Daß aber die Möglichkeit, die Negation selber zu negieren, so daß die erste Negation dein gleichen Typ wie die zweite zugehört, ausschließlich der Form der negativen Aussage eigentümlich ist, kann als allgemein zugestanden gelten. Man wird also vermuten dürfen, daß auch Hegel die Form der negierten Negation im Satz vor Augen hatte, als er die doppelte Negation in die Ontologie einführte. Das wird entscheidend dadurch bestätigt, daß er die Gleichung, derzufolge die doppelte Negation mit der Affirmation identisch sei, auch für die ontologisierte doppelte Negation in Anspruch nimmt. »Affirmation« ist sicherlich ein Ausdruck, dessen Bedeutung sich überhaupt nur durch die Beziehung auf die Form der positiven Aussage verständlich machen läßt. Hegel erwähnt selber seine Quelle, wenn er das Prinzip, demzufolge »duplex negatio affirmatio« sei, eine »bekannte grammatische Regel« nennt.4 Soll die Affirmation, die das Resultat der verdoppelten Negation ist, als ein Gedanke in der Domäne der Ontologie fungieren können, so wie es Hegels Erklärung über die Quelle aller Tätigkeit und Selbstbewegung verlangt, so setzt das doch wohl voraus, daß die Negation, aus deren Verdoppelung die Affirmation folgt, selber zuvor schon als ontologisches Prinzip etabliert worden ist. Daß dies bereits am Anfang von Hegels >Wissenschaft der Logik< geschah, ist mit Beziehung auf seine Definition von Nichts und von Bestimmtheit gezeigt worden.


II. ANDERSSEIN UND DAS ANDERE SEINER SELBST

Aus solchen Überlegungen muß sich nun die Vermutung entwickeln, die Zahl der Bedeutungen von Negation in Hegels Logik reduziere sich schließlich doch auf eins. Sind die elementarsten Thesen der Logik, die über Nichts und über Bestimmtheit, ebenso wie ihre entwickeltsten, über geistige Selbstbewegung, aus der Substantivierung der negativen Aussageform zu deuten, so ist man geneigt, durch sie und nur durch sie auch die Bedeutung der >dialektischen< Negation zu definieren. Doch diese Vermutung kommt in der Interpretation von Hegels Logik zu schnell zur abschließenden Konklusion. Denn die Ent-wicklungen dieser Theorie sind weithin von einem anderen Negationssinn beherrscht. Er ergibt sich dort, wo die Bestimmtheit des Etwas als Anderssein gefaßt wird. Der Begriff des Andersseins ist wiederum nicht als Unvereinbarkeit von Prädikaten verstanden, da er ja ein Gedanke vom daseienden Etwas sein soll. Auch ist >Anderssein< nicht der Ausschluß von jeglichem, was nicht dieses Daseiende ist, durch seine Position oder Realität. Denn dieser Ausschluß betrifft Beliebiges, während Anderssein mit der Inkompatibilität und übrigens auch mit der Form der negativen Aussage die Zweistelligkeit gemeinsam hat: Etwas kann nur das Andere von je einem Anderen sein, wie oft sich auch jedes Etwas von anderem Etwas unter irgendwelchen Gesichtspunkten unter-scheiden läßt. Von der negativen Aussageform ist der Gedanke der Andersheit5 bekanntlich dadurch unterschieden, daß in ihm nicht nur das Setzen und Aufheben von je einem, sondern diejenige negative Beziehung gedacht ist, in der zwei oder mindestens zwei zueinander stehen. Hegel hat - übrigens erst in der zweiten Auflage der Logik6 - den Gedanken der Bestimmtheit als das Zusammen von bloßem Setzen und bloßem Aufheben eingeführt. Da >Bestimmtheit< in dieser Fassung von der Voraussetzung der Denkbarken einer Mannigfaltigkeit von Bestimmtem noch ganz unabhängig gehalten ist, ergibt sich für Hegel die Notwendigkeit, von dem Gedanken der ontologisierten Aussageform zu dem des Andersseins überzuleiten, Er tut das mit Argumenten, wie sie sich schwächer kaum irgendwo in der Logik finden.7 Es mag hier offenbleiben, ob sich bessere geben lassen oder ob Hegel eingestehen müßte, daß Andersheit gegenüber der aus der substantivierten Aussageform verstandenen Bestimmtheit eine neue, nicht reduzierbare Bedeutungskomponente aufweist. In jedem Falle wird durch Andersheit die aus der negativen Aussageform interpretierte Bestimmtheit allererst in eine Korrelation mit anderer Bestimmtheit, mit >ihrem< Anderen gebracht. Es ist bekannt, daß Hegel den wichtigsten Anstoß zur Formulierung des elementaren Gedankens der Andersheit von Platons Sophistes erhalten hat. Hegel hat aber auf diesen Gedanken alsbald die Regel der möglichen Verdoppelung angewendet, deren Paradigma aus der Aussagenlogik kommt: Die Negation kann in Beziehung auf die Negation selber gesetzt werden. Dementsprechend kann also das Andere, da es doch auch ein Gedanke vom Negativen ist, nicht nur in Beziehung auf Etwas gedacht werden, sondern in Beziehung auf das, was in ihm selbst gedacht ist: Das andere ist dann das Andere dessen, was es ist, das »Andere seiner selbst«. Dieser Gedanke hat Platon gänzlich ferngelegen. Man sieht das daran, daß Platon dort, wo seine eigene Lehre es geradezu verlangt, den Gedanken einer Teilhabe der Andersheit an sich selbst zu vollziehen, dieser Konsequenz ausweicht. In Hegels Lehre hat aber die Verdoppelung der Andersheit aufgrund des Vorbilds der doppelten Aussagenegation bedeutende Konsequenzen. Zunächst muß man beachten, daß sie in einem Gedanken von Negation zum ersten Male Selbstbezüglichkeit herstellt. Die Negation der Negation in der Aussage darf nämlich keineswegs als Selbstbeziehung der ersten Negation gedeutet werden. Im Urteilen ist die Negation eine Operation, die wiederholt auf denselben atomaren Satz angewendet werden kann, die also vom zweiten Fall an auf eine Negation anzuwenden ist. In jedem Anwendungsfall ist aber etwas anderes negiert; im ersten irgendeine Aussage, im zweiten deren Negation usw. Man kann die Negationen durch ihre Stellen in einer Reihe als verschiedene eindeutig voneinander unterscheiden. Wenn aber >Andersheit< nicht als Beziehung zwischen Daseienden, sondern als Beziehung von Andersheit auf den Gedanken des Anderen selber verstanden wird, so ergibt sich daraus, daß Andersheit nunmehr zu sich selber in Beziehung steht. Diesen strikten Selbstbezug von Negation im Sinne eines Anderen seiner selbst hat Hegel zum wichtigsten Operationsmittel seiner Logik gemacht. Unter verschiedenen Namen - als >Gleichgültigkeit gegen sich< (z. B. I, 397/5, 456) als >Abstoßen von sich< (z. B. II, 240/6, 274), als >bestimmte Bestimmtheit< (II, 252/6, 288), als >Unverträglichkeit mit sich< (z. B. I, 397/5, 456) oder als >Gegenteil seiner selbst< (z. B. II, 238/6, 272) ergeben sich aus dieser Operation entscheidende Übergänge im gesamten Verlauf dieser Wissenschaft. Erst durch sie gewinnt die Logik ihre charakteristische Form spekulativer Erkenntnis. Denn die Ununter-scheidbarkeit von Sein und Nichts, die an ihrem Anfang behauptet wurde, stellt sich auf eine Weise her, die in den folgenden Deduktionen nirgends wiederkehrt. Die Einheit von Sein und substantivierter Negation, welche den folgenden Gedanken der Bestimmtheit ausmacht, ist für sich noch kein spekulativ-dialektischer Gedanke, wie sehr er sich auch daraus ergibt, daß von natürlichen Vorstellungsweisen abgewichen wird. Erst der Gedanke der Andersheit an sich nennt das Konstitutionsprinzip aller Grundbegriffe der folgenden Teildisziplinen der Logik. Es sind nun Implikationen des Gedankens des an ihm selbst Anderen zu betrachten. Sein spekulatives Potential ergibt sich daraus, daß in ihm Selbstbeziehung und negative Beziehung in einem gedacht sind, nicht nur als Aspekte an einer Sache, sondern als ein und derselbe Sachverhalt. Daraus ergibt sich dann auch zwingend, daß jenes Andere, indem es nur zu sich selbst sich verhält, zu einem solchen in ein Verhältnis tritt, das als ein von ihm unterschiedenes erscheint. Denn es ist das Anderssein, und so kann es sich zu sich selber auch nur als ein Anderes verhalten. Das heißt aber, daß es überhaupt nur für sich selber sein kann, indem es erstens gegenüber dem, zu dem es sich verhält, ein Anderes ist, und damit auch zweitens zu dem, zu dem es sich verhält, als zu einem Anderen Bezug hat. In diesem Sinne macht es sich also selber durch seine Selbstbeziehung zu einem Anderen von einem Anderen. Und so ist es sinnvoll zu sagen, daß es sich >entzweit<. Das Selbstverhältnis der Andersheit ist nur als externes Verhältnis, ist nur als Fremdverhältnis denkbar. Diese Entzweiung ließe sich als reiner Selbstverlust deuten, so daß die Selbstbeziehung der Andersheit alsbald in reine Äußer-lichkeit zurückfiele. Dabei bliebe außer acht, daß die Beziehung der beiden Anderen, die aus der Selbstbeziehung hervorgehen, überhaupt nur kraft dieser Selbstbeziehung Bestand hat. Die eine Andersheit ist zweimal Anderes gerade dadurch und darum, weil sie sich auf sich selber bezieht. So ist zu fragen, wie sich Selbstbezüglichkeit, welche eines mit der Andersheit war, auch noch in der Doppelung festgehalten und festgestellt werden kann, die sich instantan aus ihr ergab. Der Fortschritt in der Folge der Versuche, diese Frage zu beantworten, macht den Fortschritt von Hegels Logik insgesamt aus.8 Es ist wichtig, sich über die Mittel Klarheit zu verschaffen, die Hegel dabei aufbietet, und ebenso wichtig zu erwägen, inwieweit sie hergeleitet oder inwieweit sie nur in Gebrauch genommen worden sind. Im gegenwärtigen Zusammenhang kann aber sogleich zu einer Beobachtung über die Mannigfaltigkeit des Negationssinnes in Hegels Logik übergegangen werden.

III. ANDERSSEIN UND AUSSAGEFORM

Die Negation als Andersheit war auf die von ihr verschiedene Form der negativen Aussage gefolgt, die zuvor substantiviert und zu einem Moment von Dasein als ontologisches Prinzip etabliert worden war. Man kann also davon ausgehen, daß die Bestimmtheit, die sodann als Andersheit gefaßt wird, das Moment der negativen Aussageform schon in ihrem elementaren Begriff einschließt. Danach war die Andersheit aber auch noch zu sich selber in Beziehung gesetzt worden; und diese Beziehung mußte notwendig eine Exklusionsbeziehung sein. Nach dieser Entwicklung kann Hegel nicht umhin, noch einen weiteren Schritt zu tun: Er muß innerhalb des Gedankens selbstbezüglicher Andersheit auch die andere Negationsform der Aussage geltend machen. Er muß, anders gesagt, den Bestimmtheit definierenden Negationssinn in Beziehung auf die Ausschlußbeziehung der Andersheit an sich in Operation setzen. Das geschieht, indem auch der Andersheit die Fähigkeit zugesprochen wird, Prozesse zu initiieren, welche nicht dem ursprünglichen Negationssinn der Andersheit, sondern dem der negativen Aussageform entsprechen. In anderen Worten: Hegel hat den Negationsbegriff der Andersheit mit dem der negativen Aussage konfundiert. Der Zwang dazu ergibt sich aus der Selbstbezüglichkeit der Andersheit, die Möglichkeit aus der vorgängigen Definition von Bestimmtheit. Daß diese Konfundierung unausweichlich ist, zeigt die folgende Uberlegung: Die Selbstbeziehung der Andersheit war der Grund dafür, daß sie aus und in sich selbst eine Differenz gegen sich produzierte, in der die Selbstbeziehung gerade entfiel. Nun muß aber diese Differenz selber noch als Folge der Selbstbeziehung dargestellt werden, und zwar so, daß das Entfallen der Selbstbe-ziehung durchaus davon abhängig bleibt, daß die Selbstbeziehung besteht. Die Anderen in der Andersheit, die in Beziehung auf sich steht, haben überhaupt nur durch das Bestehen der Selbstbeziehung Bestand. Somit muß die Differenz in der Andersheit so gedacht werden, daß sie die Selbstbeziehung nicht definitiv zerstört. Das kann nur dadurch geschehen, daß die beiden Anderen in der Differenz noch als dieselben, als das Eine Andere in der Andersheit an sich gedacht werden. In diesem Sinne muß also ihre Differenz, die sich aus dem Gedanken der Andersheit an sich zwangsläufig ergibt, zugleich auch .aufgehoben< werden - sie ist zu >negieren<. Dieser Negationsakt ist zweifellos von der Struktur der negativen Aussage. Der Gedanke der Andersheit meint Differenz, schließt aber nicht den Vollzug von solchen Akten wie Absprechen oder Eliminieren ein. Es hat sich zwar gezeigt, daß Andersheit, wenn sie erst einmal als Andersheit an sich gefaßt wurde, den Vollzug eines solchen Aktes verlangt. Aber daß er als Postulat aus ihr folgt, heißt noch gar nicht, daß ein solcher Akt durch sie erbracht werden kann. Daß die Andersheit ihre Selbstdifferenzierung zugleich aufhebt und sich somit in ihrem eigenen Anderen affirmativ zu sich verhält, kann nur angenommen werden, wenn zuvor Andersheit an sich, und zwar kraft dessen, daß sie Bestimmtheit ist, mit dein Moment aussagenlogischer Negation zu einem neuen Negationssinn zusammengenommen wurde. Sieht man auf die Unterscheidungen, die für den natürlichen Negationsgebrauch unerläßlich sind, so kann man den neuen Negationssinn nur als ein Konglomerat ansehen. Sieht man aber auf die Gründe, aus denen dieses Konglomerat zustandekam, so stellt sich der neue Negationssinn wirklich als Resultat einer spekulativen Gedankenentwicklung dar.


IV. FORMEN DER DOPPELTEN NEGATION

Daraus, daß Akte des Absprechens und Eliminierens in den Gedanken der Andersheit an sich aufgenommen werden, ergibt sich eine Erweiterung des Sinnes dieser eigentümlich Hegelischen Form der doppelten Negation. In Hegels Logik findet sich aber auch noch eine andere Form der doppelten Negation. Sie dient zur Definition dessen, was ursprünglich >Insichsein<, dann >Fürsichsein< und schließlich >Subjektivität< genannt wird. In diesen Begriffen ist ein relationaler Sachverhalt gedacht, in dem zunächst einmal eine Beziehung von Einem zu einem Anderen vorausgesetzt ist, die nicht vom Typ der >Andersheit an sich, sondern die einfache Beziehung verschiedener Relata ist. Weiter aber bedeutet Insichsein, daß das Eine in einer Beziehung von der Art des Aufhebens zu seiner Beziehung auf das Andere steht: In ihm ist zugleich seine Relation zu von ihm Verschiedenen negiert. Durch diese Negation etabliert sich die Beziehung des Einen nur auf sich. Dieser Gedanke der doppelten Negation unterscheidet sich ersichtlich von der >Andersheit an sich< dadurch, daß in ihm keine Selbstbezüglichkeit der Negation als solcher konstatiert werden kann. Die negierte Negation ist die Beziehung einfacher Anders-heit. Die zweite Negation, die auf diese Negation geht, ist ganz der Form der negativen Aussage nachgebildet: Sie eliminiert die Beziehung auf Anderes. So bleibt das Eine, kraft dieses Ausschlusses der Andersheit, allein mit sich zurück. Im Insichsein ergibt sich also die Selbstbeziehung des Einen aus der Negation der Andersheit. Die Negation selber ist dabei aber ganz ohne Selbstbeziehung. Die Beziehung des Einen auf Anderes wird nur ausgeschlossen, ohne daß gesagt werden könnte, der Ausschluß sei ein Ausschluß durch sich. Er ist Ausschluß vom Einen. So wenig wie Hegel irgendwo Anstrengungen machte, verschiedene Negationstypen ausdrücklich voneinander zu unterscheiden, so wenig hat er dafür gesorgt, daß diese beiden Typen der doppelten Negation auseinander gehalten werden. Überall spricht er so, daß es so nahe wie nur möglich liegt, sie als ein und dieselbe Negationsform anzusehen. Den Grund dafür hat man aber nicht nur in Sorglosigkeit und mangelnder Kunst in der analytischen Behandlung von Begriffen zu suchen. Hegel ist nämlich darauf aus, den Gedanken, der sein System abschließt, aus einer Kombination beider Typen der doppelten Negation miteinander zu gewinnen.9 Dieser Gedanke des Abschlusses ist formal so zu beschreiben: Es ist der Gedanke von Einem, das in sich oder das für sich ist (N-N2), das aber ebenso wohl ursprünglich sich von sich selber unterscheidet und sich ein Anderes wird (N-N1), darum aber auch nur in der Identifikation seiner selber mit seinem Andern in Wahrheit für sich sein kann (N-N2 über N-N1). Erst diese Sequenz ergibt den vollen Sinn der für Hegel charakteristischen Rede von der absoluten Negativität. Sie ist die Weise der Selbstbeziehung, die zunächst Andersheit an sich ist, dadurch absolute Differenz wird, in dieser Differenz aber die Selbigkeit der Anderen festhält und dadurch schließlich alle Andersheit von sich ausschließt, ein Fürsichsein ohne Grenzen, unendliches Fürsichsein wird. Hier kann nicht dargelegt werden, auf welche Weise Hegel dieses Resultat zu gewinnen und zu sichern sucht. Um aber seinen Versuch von bloß metaphorischem Sprechen überzeugend zu unterscheiden, ist es zumindest notwendig, differente Bedeutungen der Negation und auch der doppelten Negation festzustellen und die Bedingungen zu erwägen, unter denen sie zusammengebracht, sei es kombiniert oder sogar konfundiert werden können. Ziel dieser Untersuchung war es, auf diese Aufgabe dadurch hinzuweisen, daß die Grundzüge solcher Unterscheidungen angegeben wurden.


FOLGERUNGEN

1. Es wurde gezeigt, daß sich Hegels Logik, obwohl sie eine Theorie von Kategorien der Ontologie ist, an der Form der negativen Aussage orientiert. Das heißt nicht, daß man ihren Negationsbegriff einzig aus der Aussagenegation interpretieren kann. >Andersheit< ist vielmehr die Grundlage der meisten ihrer Definitionen. Aber der Gedanke der Andersheit ist doch so gefaßt, daß er nur dadurch verständlich zu machen ist, daß Bedeutungsmomente der negativen Aussage in seine Entwicklung einbezogen werden. Auch seine selbstbezügliche Verdoppelung kommt in Analogie zur doppelten Negation zustande. Sie erzwingt dann weiter, daß in der Andersheit zugleich auch ein Absprechen zu denken ist. 2. Hegels Logik benutzt verschiedene Typen von Negation. Sie hat die Zahl der Bedeutungen von Negation im natürlichen Denken noch dadurch vergrößert, daß sie die Aussageform als solche ontologisierte und daß sie eine eigentümliche Form selbstbezüglicher Negation ausbildete und in ihr schließlich zwei Bedeutungen von Negation konfundierte. Mit diesem Arsenal von Negationsbegriffen arbeitet die Logik, ohne sie ausreichend analysiert zu haben und vor allem ohne anders als rudimentär das Problem zu erörtern, unter welchen Bedingungen und in welcher Folge diese Negationsbegriffe zu gebrauchen sind. Daraus erklärt sich zum guten Teil das, was an dieser Logik als die >Flexibilität ihrer Methode< und die >Flüssigkeit ihrer Begriffe< hervorgehoben worden ist. Es kann wohl kaum bestritten werden, daß Hegels Theorie in keinem Falle eine deduktive Form im strikten Sinne hätte annehmen können. Immer müßte sie auch auf eine Folgeordnung von Grundbegriffen Bezug nehmen, die sich faktisch einstellen und die sich auf die Weise semiotischer Prozesse fortbestimmen. Eine entwickelte Negationstheorie, die in sich selbst der Verfassung einer deduktiven Theorie näher kommen muß, würde aber eine ziemlich weitgehend spezifizierte Anweisung dafür enthalten, welche Sequenzen von Gedankenbestimmungen erwartet werden können. Sie würde den Aufbau der Logik sehr viel weitergehend determinieren, als es Hegels allgemeines Programm der Ineinssetzung von Selbstbeziehung und Negativität ohnehin tut. 3. Der Gedanke der Selbstbezüglichkeit ist formal die Voraussetzung dafür, Andersheit an sich, also selbstbezügliche doppelte Negation zu denken. Beziehung nur auf sich, also reine Selbstbeziehung, definiert aber nach Hegel das, was das Wort >Sein< und was ganz im allgemeinen >Unmittelbarkeit< heißt. So scheint Selbstbeziehung der erste und ursprüngliche Gedanke der Logik zu sein. Wirklich erklärt Hegel oft und ausnahmslos, daß die Negativität nur ein Moment am Absoluten sei. Das könnte bedeuten, daß es der eigentlich grundlegende Gedanke der Logik Hegels zwar verlangt, mit dem Gedanken der Negativität zusammengebracht zu werden, daß er aber zunächst unabhängig von ihr zu denken ist und daß dies auch die Voraussetzung dafür ist, daß der Gedanke einer Negativität überhaupt eingeführt werden kann, die absolut und das heißt selbstbezüglich ist. Doch dein ist entgegenzuhalten, daß der einfachste Gedanke >Sein< eben deswegen als bloße Beziehung auf sich gefaßt sein könnte, weil er nur in dieser Fassung sich dazu eignet, mit Strukturen der selbstbezüglichen Negation identifiziert zu werden. Der Gedanke vom Sein, der dem von der beziehungslosen Negation vorausgeht, wäre dann schon mit Rücksicht auf eine Negation gebildet, die verdoppelte und die selbstbezüglich verdoppelte werden kann. So sehr also die Verdoppelung des Negativen in der Andersheit aufgrund des Gedankens von Selbstbezüglichkeit erfolgt, der vorab schon zur Verfügung steht, so sehr ist auch der Aufstieg dieses Gedankens zur einzigen Bedeutung der Rede von >Sein< auch schon im Blick auf die Identifikation des Seins mit der Negativität erfolgt. Versteht man Hegels bekannten Satz über die Selbigkeit von Sein und Nichts aus der Perspektive der Theorie der Negation, so antizipiert er in ganz unentwickelter Form die These, daß vollständige Selbstbeziehung und negative Selbstbeziehung ein und dieselbe Sache sind. 4. Hat man erkannt, in wie hohem Maße in Hegels Logik Rücksicht genommen ist auf die Form der negativen Aussage, aber so, daß sie zugleich als ein Gedanke vom Dasein aufgefaßt ist, und übersieht man die vielfältigen Konsequenzen dieses Grundzuges seiner Theorie, so wird man die Selbstinterpretation, die Hegel ihr gegeben hat, nicht mehr ohne weiteres übernehmen können. Was sich aus übersehbaren Gründen durch die Verschiebung der Bedeutung natürlicher Operationen und Begriffe gewinnen läßt, das hat seinen Ursprung offenbar in dem konstruktiven Willen eines Theoretikers. Es kann nicht geradezu als Selbstdarstellung einer objektiven Vernunft gelten. 5. Darum ist es ebenso legitim wie dringlich, danach zu fragen, welche Erkenntnisabsichten dazu geführt haben, gerade diese Theorie zu entwickeln. Im Rahmen einer universalen Theorie lassen sich Erkenntnisabsichten allerdings nur dann verwirklichen; wenn sich Evidenzen aufweisen lassen, und wenn sie zahlreich sind, die dieser Theorie ganz unabhängig von dein, was sie zu ihren grundlegenden Konstruktionen veranlaßt hat, Überzeugungskraft geben. Auch auf diese Evidenzen muß man also zurückkommen, wenn man das philosophische Recht von Hegels spekulativ-dialektischer Methode beurteilt. Man darf aber nicht aus dem Auge verlieren, daß alle ihre Grundbegriffe ihre Bedeutung ganz allein aus dem konstruktiven Zugriff der Theorie gewinnen. Vorzüglich gilt das für den Gebrauch, den sie von Typen der Negation und der verdoppelten Negation macht. Ein bekanntes, häufig geübtes Verfahren bleibt somit notwendigerweise unergiebig, das aus Hegels Logik irgendwelche Gesetze der Dialektik herleiten will, in denen doch zugleich das Spezificum von Hegels Theorieprogramm und logischem Konstruktionsverfahren außer acht gelassen werden soll. Verfährt man so, so hat man am Ende bestenfalls solche Sätze gewonnen, in Beziehung auf die sich Hegels Theorieprogramm auf irgendeine Weise bestätigt fand, ohne daß sie noch spezifisch zu diesem Programm und seiner Durchführung gehören. Ein solcher Satz ist zum Beispiel der vom Übergang der Quantität in die Qualität durch Umschlag. Aber nicht dadurch schon, daß es erlaubt, auf solche Sätze zu kommen, kam Hegels Theorieprogramm zu seiner Bedeutung und zu seiner Stellung in der Theoriegeschichte unseres Zeitalters. Man kann viele dieser Sätze aufstellen und man kann die Prozesse analysieren, auf die sie sich beziehen, ohne sich dadurch zum eigentlichen Hegel in irgendeine theoretische Beziehung zu bringen. Dieser Zusammenhang erklärt dann auch, warum die meisten der sogenannten dialektischen Gesetze gegenüber dem wirklichen Gebrauch der von Hegel entwickelten Begriffe der Dialektik als extreme Verdünnungen erscheinen müssen.


Anmerkungen

1 Vorlesungen über die Philosophie der Religion, Theorie Werkausgabe 16, 419.

2 Die Wissenschaft der Logik wird zitiert nach Lasson I, II und Seitenzahl, die erste Auflage des ersten Bandes in der Originalpaginierung mit vorangestelltem >A.

3 Der Gedanke, daß >Bestimmtheit< >Sein< (Beziehung auf sich) und >Verneinung< sei, verlangt, daß >Bestimmtheit< ohne jeden Bezug auf Erkennen als ein reiner Sachverhalt ebenso zu denken sei, wie sie als Gegenstand der Erkenntnis ohnehin gedacht wird, bevor es noch zu wirklicher Erkenntnis der Eigenschaften irgendeines Bestimmten gekommen ist, - nämlich als eines, dessen Gegebenheit festgestellt und dem auch Prädikate abgesprochen werden können. Noch ist nichts vorzustellen, das diese Gegebenheit charakterisiert oder das ihr abgeht. Bestimmtheit meint somit nicht das, was in jeder Hinsicht ein schon vollständig Unterschiedenes ist, sondern das, in Beziehung auf das Absprechungen möglich und unabweisbar begründet sind. Abstrahiert man davon, daß in dieser Erläuterung die Fähigkeit zum verständigen Diskurs vorausgesetzt ist und definiert man seine Implikationen bewußt als ontologische Prinzipien, so kommt man schnell in die Nähe von Hegels Kategorie >Bestimmtheit<. Deren Leere und noch ganz abstrakter Charakter erklärt sich auf diese Weise. Eine solche Erklärung - das ist wichtig zu sehen - läuft nicht notwendig auf eine Destruktion dieser Kategorie und eine Widerlegung der >Logik< durch den Nachweis der Sinnlosigkeit hinaus. Es bleibt möglich zu sagen, daß solche Abstraktion (1.) notwendigerweise erfolgt oder daß (2.) das Bewußtsein vom verständigen Diskurs selber stets schon eine solche ontologische Voraussetzung gemacht hat oder schließlich (3.) daß der konstruktive Schritt, der zur Verlagerung der Bedeutung von >Verneinung< führt, wohl begründet ist. Welche dieser Positionen man bezieht, entscheidet über das theoretische Verhältnis zu Hegels Logik, indem so deren Status als Theorie definiert wird.

4 W. W. hrsg. v. Glockner XIX, 383 (Theorie Werkausgabe Suhrkamp Verlag: 20, 171). Zu vergleichen ist auch die Jenenser Logik (Gesam-melte Werke VII, 34). Hier erwähnt Hegel das Theorem der doppelten Negation in lateinisch und spielt damit zumindest auf logisch-gramma-tische Literatur im allgemeinen, vielleicht aber auch auf eine noch nicht identifiziere Vorlage an.

5 >Andersheit< wird hier in derselben Bedeutung wie Anderssein< gebraucht.

6 Die erste Auflage der Logik und (wenn auch weniger auffällig) die drei Auflagen der Enzyklopädie machen nicht den Unterschied zwischen Bestimmtheit und Anderssein. Hegel hat also nach 1830 vorher unbeachtete Differenzierungen in seinen Negationsgebrauch eingebracht.

7 I, 103 (5, 124), 3. Abschnitt. Der Rückgriff auf >Werden< und die willkürliche Verschiebung in der Bedeutung dieser Kategorie indizieren ebenso Hegels gewachsenes Unterscheidungsvermögen wie seine Nachlässigkeit bei der Suche nach einem Übergang, der wenigstens zwingend erscheinen könnte.

8 In diesem Zusammenhang gehört auch Hegels These, dass nur in der Beziehung zweier Fälle von verdoppelter Negation aufeinander der Selbstbezug im Anderssein aufrecht erhalten werden kann.. Auf sie gehe ich ein in >Autonomous Negation<, Review of Metaphysics XXVII, December 1974.

9 Im Folgenden wird die doppelte Negation, die sich aus der Selbstbeziehung der Andersheit ergibt, >N-N1< und die zweifache Negation, die nur den Ausschluss von einer Andersheit zur Folge hat, die selber ohne Selbstbeziehung ist, >N-N2< genannt.



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