Haben wir einen freien Willen?

Aus Philo Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche

Textgrundlage

Benjamin Libet: Wie das Gehirn Bewusstsein produziert. Frankfurt 2005. S. 159ff

Inhaltsverzeichnis


Benjamin Libet: Handlungsabsicht

1. Die Versuchsanordnung
2. Zwei Gruppen von Anfangszeiten des BP
3. Die Ereignisfolge in der "Jetzt-Handeln"-Situation
4. Das bewusste Veto
5. Haben wir einen freien Willen?

Auszug

Die Frage nach der Willensfreiheit geht an die Wurzel unserer Ansichten über das Wesen des Menschen und darüber, welche Beziehungen wir zum Universum und zu den Naturgesetzen un­terhalten. Sind wir vollständig durch die deterministische Natur physikalischer Gesetze bestimmt? Sind wir im Wesentlichen raf­finierte Automaten, wobei unsere bewussten Gefühle und Absichten als Epiphänomene ohne kausale Kraft aufgesetzt wären? Oder haben wir eine gewisse Unabhängigkeit beim Treffen von Entscheidungen und beim Handeln, die nicht vollständig von den bekannten physikalischen Gesetzen bestimmt sind.

Die am weitesten verbreitete, volkstümliche Ansicht ist, dass der einzelne Mensch eine von Gott gegebene Fähigkeit hat, zu wählen oder zu entscheiden, was er tun will, und dass diese Fähig­keit nicht vollständig deterministischen Einschränkungen durch die physikalischen Naturgesetze unterliegt. Eine solche Sichtweise wurde von vielen Weltreligionen unterstützt. Ohne diese Ansicht wird es schwierig, eine Ethik der individuellen Verant­wortlichkeit für die eigenen Willenshandlungen zu befürworten. Die traditionelle und vorherrschende Sicht der Willensfreiheit nimmt außerdem an, dass der Wille einer Person bewusst ausgeübt wird. Wenn man sich der eigenen Handlungsentscheidun­gen gar nicht bewusst ist und die entsprechenden Handlungen unbewusst vollzieht, neigt die Gesellschaft zu der Ansicht, dass man eine verminderte Verantwortlichkeit für seine Handlungen hat.

Die Schlüsselfrage: lückenloser Determinismus oder Freiheitsspielräume. Wenn man das als glatte Opposition aufbaut, entsteht die Frage, ob es "Lücken" in Naturgesetzen geben kann. Vergleiche: Entweder der Beweis ist gültig, oder er enthält irgendwo einen Fehler.
Zweifellos gibt es eine lückenlose Kette physikalischer Ereignisse, die in bestimmten Raum-Zeit-Segmenten ablaufen, in denen sich Menschen aufhalten. Fraglich ist, wie die Vorgänge in solchen Segmenten beschrieben werden können/sollen und wie die Beschreibungen sich zueinander verhalten. Jeder Beweis ist in irgendeiner Weise physisch kodiert, daraus wird nicht gefolgert, die (unentbehrliche) Notation sei der Beweis. Das sich Abläufe in einem Raum-Zeit-Segment als Vorfälle oder Handlungen beschreiben lassen, impliziert nicht, dass sich die Elemente dieser unterschiedlichen Beschreibungen 1:1 zuordnen lassen.
Ein Zimmer mit vier Tischen, 15 Personen sitzen um die Tische, sprechen, bewegen sich. So kann es vom Fenster des gegenüberliegenden Hauses wahrgenommen werden. Angenommen, das Ereignis läßt sich auch als Sitzung einer Berufungskommission beschreiben. Dann wird es Beschreibungselemente geben ("Gutachten"), die (vielleicht) in beiden Sichtweisen auftauchen können und dennoch nicht aufeinander reduzierbar sind. Man kann ein Schriftstück "Gutachten" nennen, aber in einem zweiten Sinn wird es das nur durch den erweiterten Kontext.

Viele glauben außerdem, dass Gott Allmacht bei der Steue­rung des Menschen und der Natur besitzt. Das hat zu der ver­wandten Überzeugung geführt, dass das eigene »Schicksal« vor­herbestimmt ist und dass alle Handlungen einer Person jenseits ihrer Einflussmöglichkeiten liegen. Wenn Gott im Voraus weiß, was man tun wird, dann wurden offenbar die Handlungsent­scheidungen schon getroffen, bevor man selbst unabhängig eine freie Entscheidung oder Wahl bezüglich einer Handlung getrof­fen hätte. (Ironischerweise ist die Wirkung dieser Auffassung von Schicksal und von Gottes Macht dieselbe wie die von mate­rialistischen Deterministen, die durchaus Atheisten sein kön­nen.)

Die Theologen haben sich im Lauf der Jahrhunderte verschie­dene Philosophien ausgedacht, um die Existenz des freien Wil­lens auf eine Weise zu ermöglichen, die mit der Idee eines uni­versalen und allwissenden Gottes vereinbar ist. Beispielsweise hat eine jüdische mystische Sekte, die Kabbalisten, behauptet, dass Gott selbst seine Macht, im Voraus zu wissen, was die Men­schen tun werden, freiwillig aufgegeben hat. Das würde die menschliche Willensfreiheit ermöglichen, eine Eigenschaft, von der Gott wollte, dass der Mensch sie besitzt.


Die zeitlichen Charakteristika von Gehirnprozessen und dem bewussten Willen

In unseren Experimenten hoben wir alle Einschränkungen der Handlungsfreiheit auf; die Versuchspersonen machten eine einfache Schnippbewegung oder Beugung des Handgelenks zu ei­ner beliebigen Zeit, zu der sie den Drang oder Wunsch danach hatten. Diese Willenshandlungen sollten auf unberechenbare Weise und frei von äußeren Einschränkungen oder Begrenzun­gen vollzogen werden. Wir haben bereits gesehen, dass der freie Wille nicht als Initiator eines solchen freien Willensprozesses angesehen werden kann. Wir fanden eindeutig, dass die Einleitung der Vorbereitung, die in einer freien Willkürbewegung kulmi­nieren soll, im Gehirn unbewusst entsteht und das Bewusstsein des Wollens oder der Handlungsabsicht, »jetzt zu handeln«, um etwa 400 ms oder mehr vorausgeht.

Handlungsfreiheit ist Freiheit innerhalb eines Möglichkeitsraums. Die Freiheit, irgend etwas zu tun, ist nichts wert. Dieser Gebrauch des Freiheitsbegriffs liegt am Rand des Begriffsspektrums. In den Libet-Experimenten gibt es den Möglichkeitsspielraum sehr wohl - er wird durch die Versuchsanordnung definiert. Die Probanden sind nicht frei, ein Lied zu singen oder mit der Zehe zu wackeln. Das Experiment bestimmt, worin die Möglichkeiten bestehen. Die Intuition, dass alles schon ab dem Zeitpunkt entschieden sei, zu dem sich jemand kooperationsbereit auf den Stuhl setzt, hängt mit dieser Prädetermination durch die Versuchsanordnung zusammen. Innerhalb dieses Settings können wir in einem Sinn davon sprechen, dass keine Vorschriften gemacht werden - das ist dann Libets Freiheitsbegriff.

Die Steuerungsfunktion des bewussten Willens

Was sollen wir mit unserem Gefühl tun, dass wir Willenshandlungen einleiten?

Hat das bewusste Veto einen vorausgehenden unbewussten Ursprung?

Welche Bedeutung haben unsere Befunde für Willenshandlungen im Allgemeinen?

Ethische Implikationen der Funktion des freien Willens

Wann macht man sich schuldig oder begeht eine Sünde?

Determinismus und Willensfreiheit

<root><br /> <h level="2" i="1">== Kontext ==</h>

Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)

<div class="nowiki2scorm">Valid XHTML</div></root>