Gewinnstrategien im Kulturkampf (bpb)

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Die begriffliche Figur, der gemäß sich die Verhandlung des Bildungsangebotes abspielt, blieb bisher weitgehend abstrakt. Ein Blickwechsel bezieht sie nun auf real existierende Interventionen zum Thema Bildung und Universitäten. Bisher ist es bei Andeutungen geblieben, doch Kennerinnen (m/w) der deutschsprachigen humanistischen Tradition haben es sicherlich durchgehört: Der skizzierte Spagat zwischen Abstoßung und Auftrag ist der Gestus aufgeklärter Emanzipation, die Bewegung der selbstverantworteten Menschwerdung, deren Verlauf in der kritischen Auseinandersetzung mit Überlieferungen beginnt und – vermittelt durch suggestive Wertprojektionen – in der Identifikation mit einem Wissens- und Verhaltenskodex endet, der das Tagesgeschäft einer Gesellschaft als identitätsstiftende Sphäre umhüllt. Viele schöne Worte sind über die Befähigung zur vernünftigen Selbstbestimmung gesagt worden. Das sei dahingestellt. Ich will stattdessen einen Werbeslogan in Erinnerung rufen, an dem sich die Bedrängnis der noch immer wortgewaltigen Kommentatoren paradigmatisch ablesen läßt.

Eine Kette von Drogeriemärkten wirbt mit dem Slogan „Hier bin ich Mensch, hier kauf ich ein“. Seine Erläuterung enthält alles, was über den prekären Status klassischer Bildung zu sagen ist. Die Formel ist das Echo eines Goethe-Zitats Dr. Faust spricht es im Osterspaziergang, als er sich unter das Volk mischt: „Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein.“ Die Szene erfasst genau den Verhaltens- und Prestigeunterschied zwischen dem Gelehrten und der gewöhnlichen Umgebung. Faust setzt, für diesen Moment, die Trennung des Projekts geistiger Selbstverwirklichung vom Erholungsausflug ausser Kraft. In kecker Respektlosigkeit und Ironie nimmt ihn das Echo beim Wort. Sein Ausschmuck schmückt die Plakate und Plastikbeutel, sein „Menschsein“ ist ein Konsumentsein geworden. Einkaufen können ist das zentrale Charakteristikum der Person. Die Werbeagentur hat den Gebrauch des Goethe-Spruchs zum Aufputz des Humanismus dekonstruiert und dabei auch – das macht die Sache besonders eindringlich – für die Erinnerung Platz gelassen, der entsprechend die Leutseligkeit hervorgehobener Forschungspersönlichkeiten eine Sonntagsstimmung zwischen ansonsten deutlich voneinander abgehobenen Bildungsniveaus war. Auf diese Erinnerung verlegen sich eine Reihe von Kollegen, die sich der „Ökonomisierung“ des Universitätsbetriebes - „hier kauf ich ein“ - entgegenstellen.

Die allgemeinste Devise lautet, das Leben um seiner selbst willen zu führen. Der nächste Schritt zur Konkretion erreicht „wesentliche Dinge wie Gerechtigkeit und Moral, wie Literatur und Musik, wie bildende Kunst und Architektur“ (Otfried Höffe) Die Ausmünzung in einen „Kulturauftrag“ ist die abschließende Konsequenz. Höffes Plädoyer für den „Nutzen der Nutzlosigkeit“ hat Literaturpreise und nicht Gebrauchsanweisungen, den Konzertsaal und nicht den iPod im Auge. Nach seiner Diagnose verstärkt sich die Tendenz, die Stufenordnung zwischen dem Selbstzweck humanistischer Ideale und der Zweckwidmung disponibler Leitbilder zu applanieren. Dagegen treten Fürsprecher des Unterschieds auf den Plan. Sie versuchen, die ehemalige Verteilung zumindest plastisch ins Gedächtnis zu rufen. Jochen Hörisch exemplifiziert es mit rhetorischem Flair an Hand des Universitätslebens:

Professoren: das waren die, die in Ruhe gelassen werden wollten und in Ruhe gelassen wurden, weil sie in Ruhe forschen, editieren, sammeln, herausgeben, lesen, schreiben und lehren wollten. Keine Gremieninflation, keine E-Mail-Flut, keine übervollen Seminarräume, keine Deputatserhöhungen, kein Drittmitteleinwerbungszwang, keine Verwaltungspflichten, keine Klausurberge, kein Verordnungsüberschwang, keine Dauerreform, keine Kommissionitis, kein Kongreßhype, kein publish-or-perish-Imperativ, keine Massen-Gutachten-Pflichten ...

Ich beschränke mich im Folgenden auf diesen Teilbereich. Bildung als Ideal evoziert, was Hörisch als die besten Potenziale der Hochschulen hervorhebt: „ihre Unzeitgemäßhiet, ihre enthusiastische Gelassenheit und ihre Unbedingtheit“. Bildung als Polemik wendet sich gegen „hektische Betriebsamkeit, ja Hyperaktivität“. Datenhäufung verdeckt die Angst vor der Selbstanalyse, Barbaren sind in das Refugium des Geistes eingedrungen.

Jeder Berufsgruppe steht frei, für günstige Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Unter dieser Voraussetzung ist die Mischung von Kritik und Kulturkampf, die nicht selten von Bildungsaposteln zu hören ist, nachvollziehbar. Weder politisch, noch bildungswissenschaftlich, soll hier daran gerüttelt werden. Der Beitrag hat damit begonnen, eine Akzentverlagerung im Strukturgefüge des Begriffs „Bildung“ anzuregen. Er ist nicht ohne Unzeitgemäßheit und Unbedingtheit (J. Hörisch) denkbar. „ ... nichts braucht eine lebendige Universität ... so sehr wie Wissenschafterinnen und Wissenschafter, die die kollektiven Erwartungen an den Gang ihrer Disziplinen eben dadurch erfüllen, dass sie sie enttäuschen.“ „... sie schreiben an Texten, von denen sie noch nicht wissen können, wie sie ausfallen werden.“ (Martin Seel) Prägnant gesagt. Mein Einwand gegen die Praxis der Fürsprecher von Bildung knüpft direkt an. Sie produzieren – im Gegensatz dazu – weitgehend vorhersehbare Texte. Ihr Repertoire besteht aus wenigen Formeln, mit deren Hilfe sie die Diskussion polarisieren.

Bildung steht gegen Wissen als Rohstoff, Denken gegen Datenablagerung, Ursprünglichkeit gegen Verfall, Geist gegen Bildungsverzicht, Freiheit des Denkens gegen vermeintliche Effizienz. Die Liste der Oppositionspaare ist lang und immer nach demselben Muster gestrickt. Konrad P. Liessmann schreckt nicht davor zurück, krasse Schlagworte gegen den Ungeist der Marktorientierung antreten zu lassen. Er reklamiert „invariante Wissensbestände“ und beklagt den „Verzicht auf verbindliche geistige Traditionen und klassische Bildungsgüter“. Dass solche „Bestände“ praktisch Datenbanken, von denen er nichts wissen will, gleichkommen und dass der Ausdruck „Bildungsgüter“ die abgewehrte ökonomische Schlagseite in sich trägt, scheint er nicht zu bemerken. Die Invektive gegen die „Irrtümer der Wissensgesellschaft“ ist nur soweit phantasievoll, wie sie die Gegenseite in dieser abgesteckten Arena mit kunstvollen Verbalattacken bedenkt. Für eine Überlegung dazu, welchen Reiz-Reaktionsmustern diese Strategie ihrerseits entspricht, ist in der Streitschrift kein Platz. Zugegeben, das ist die Logik von Streitschriften. Als Beitrag zu einer theoretischen Auseinandersetzung ist das Ergebnis dürftig.

Was läuft verkehrt? Die Wissenschaftler halten sich in ihrer Praxis nicht an die Einsicht, die sie selber häufig verkünden, dass nämlich Bildung weniger Resultat und mehr der Prozess ist, der zu (unerwarteten) Resultaten führt. Die verräterische Rede von „invarianten Wissensbeständen einer kulturellen Tradition“ belegt, wie leicht eine Menge von Ergebnissen mit den Vorgängen verwechselt werden kann, die den Ergebnissen erst ihre Prominenz verleihen. Die Bezugspunkte, welche der Öffentlichkeit durch die Verfechter der Bildungsidee vorgehalten werden, sind die „alma mater“, der unbehelligte Professor (J. Hörisch), „ein Kopf zum Denken“, „reflexive Distanz“ (K. Liessmann). Die Proklamation dieser Formeln ist kein Risiko, sondern Strategie der Bestandssicherung einer Berufsgruppe und ihrer Sympathisanten. Ein Reflex, keine Reflexion. Die Alarmglocken läuten, das ist die eine Sache. Und dann? Noch mehr Kulturikonen ins Fernsehen?



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