Freud: Zur Dynamik der Übertragung und Bemerkungen zur Übertragungsliebe

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Aus der Einleitung zur Seminarsitzung

Einige Bemerkungen zur Geschichte der Übertragung vor Freud: Die Übertragung ist ein ubiquitäres Phänomen, auf das die Psychoanalyse keinen speziellen Anspruch hat. Neyraut (1976) betont den großen Rahmen des Begriffs: „Wenn jeder Mensch die unfehlbare Kraft hat, allem, was ihm begegnet, die Spuren dessen aufzudrücken, was er geliebt hat, so ist nicht einzusehen, daß dieses Privileg sich auf so besondere Umstände wie die einer Analyse beschränken soll“ (Neyraut 1976, 105). Dieser weite Rahmen des Begriffs gilt auch für seine Herkunft. Neyraut setzt 1895, Breuers und Freuds Studien über Hysterie, als Geburtsjahr des Freudschen Begriffs der Übertragung an. Und Freud schafft den Begriff nicht aus dem Nichts, sondern bezieht sich auf gängige wissenschaftliche Modelle seiner Zeit. Ein solches Modell, das Modell des animalischen Magnetismus, der Individuen ebenso wie den Kosmos erfüllt, stammt von Franz Anton Mesmer, einem Arzt, der durch die Erzeugung von Krisen eine gleichmäßige Verteilung des sogenannten Fluidums und damit eine Heilung seiner PatientInnen zu erreichen trachtete. Wie haben wir uns das vorzustellen? „Der Magnetiseur setzt sich, mit dem Rücken zum Norden, der Person gegenüber, Auge in Auge. Bald legt er die Hände auf die Weichen, die Daumen zum Hypochondrium gewandt, bald zeigt sein Daumen oder Zeigefinger zur Herzgrube. Entweder verharrt er reglos in dieser Stellung, oder er beschreibt mit den Fingern, bei ruhendem Daumen, links und rechts einen Halbkreis. Schließlich legt er die Hände auf die Lendengegend, in Sonderheit, wenn es sich um Frauen handelt“ (nach Neyraut 1976, 107). Mesmer wird von der königlichen Kommission verurteilt, muss fliehen. Vielleicht auch deshalb, weil er große Erfolge hatte mit seiner selbst entwickelten Methode und zu einem Vorläufer der Hypnose im Sinne Breuers wurde.

Freud bestätigt Mesmer im Nachhinein (Neyraut 1976, 110). Zwar wird bei Freud nichts Materielles, das dem Fluidum entsprechen würde, bearbeitet. Aber die Umstände bleiben gleich – eine erotisch gefärbte Situation mit zwei Teilnehmern, die heftige Reaktionen auslöst. Und der Gedanke, dass es eine dunkle Kraft gibt, mit Hilfe derer es Menschen möglich ist, andere zu beeinflussen (Neyraut 1976, 128). Von Maine de Biran stammt ein anderer Gedanke, der später Teil der psychoanalytischen Theorie werden soll: Statt des Descarteschen Cogitos, des Ich-denke, betont Maine de Biran ein Ich-will. Dieses Ich-will stößt an zweierlei Grenzen – eine äußere, an den Anderen als eine undurchdringliche fremde Instanz, und eine innere, an die Opazität der eigenen inneren Organe. Das Ich-will ist getragen vom Bewusstsein, und es stößt an das Unbewusste, das hier wie an so vielen Stellen (etwa in Freuds spätem Abriß der Psychoanalyse) mit dem Somatischen, dem Körperlichen gleichgesetzt wird. Wir machen uns Bilder über andere und über unser eigenes Inneres. Neyraut zieht eine Linie, die von Maine de Biran über Sandor Ferenczi zu Melanie Klein reicht (Neyraut 1976, 118 ff.). Diese Linie befasst sich mit dem Imaginären im Verhältnis zum Anderen, mit dem phantasiegeleiteten, fixierenden Moment unserer Übertragung von Bedeutungen.

Die andere Linie, welche dem zuerst beschriebenen Messmerismus näher steht, gehört in das Feld der Praxis. Auf ihr geht es darum, das Unbewusste zu manipulieren. Hier werden Materialitäten übertragen, und es stellt sich die Frage nach der Berührung, die Frage nach dem Druck auf den Kopf während einer hypnotischen Behandlung, jenen Druck, den auch Freud lange Zeit für unverzichtbar gehalten hat.

Lit.:

Neyraut, Michel (1976): Die Übertragung. Literatur der Psychoanalyse (orig. franz. ders.: Le Transfer, Etude psychanalytique, Paris: Presse Universitaire de France 1974), Frankfurt: Suhrkamp.


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