Falsches Wissen

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Falsches Wissen

Der traditionelle Schwerpunkt philosophischer Erörterungen über Wissen liegt auf der Verbürgtheit von Annahmen, die wir über die Welt treffen. Das Interesse entzündet sich am Unterschied zwischen Sätzen, die jemand in Debatten einbringen kann, und einem Zustand, der sie inhaltlich bestätigt. Gegenbegriffe zu Wissen sind Gerücht, Vormeinung, Hypothese; eine entscheidende Rolle in der Abgrenzung spielt die Wahrheit. In dieser Hinsicht muss Wissen wahres Wissen sein, das folgt einfach aus der Begriffsbestimmung. Natürlich gibt es Auffassungen, die als gesichert gelten und sich als falsch erweisen. Sie zählen nach dieser Sprachregelung nicht zum Wissen. („Ich habe mich getäuscht.“) Angenommen, wir definieren Verbrennungsmotoren in Abhebung von Elektromotoren und lagern sie nach diesem Prinzip im Depot. Wenn wir in der ersten Ansammlung ein Exemplar finden, das in die zweite gehört, gilt das nicht als „elektrischer Verbrennungsmotor“, sondern als Irrtum.

„Falsches, unwahres Wissen hat keinen Wert“, die These Manfred Füllsacks in der Tagungsankündigung, ist also erklärungsbedürftig. Offenbar handelt es sich um einen Sprachgebrauch, in welchem Wissen anders ausgezeichnet wird, als durch unumstößliche, konkludente Rechtfertigungsprozesse. Das Zitat verweist auf eine unkonventionelle Verhältnisbestimmung zwischen Wissen und Wahrheit, die den 2. Teil des Begriffspaares unkonventionell bestimmt. Einfach Wahrheit, so ist die Implikation, reicht nicht. Dazu ist der klassische Begriff zu problematisch geworden. Wahrheit ist zulässig, wenn sie einen Wert verbürgt (Verläßlichkeit, Kontengenzbewältigung, Ansehen ...). Wissen, das in diesem Sinn wertvoll ist, hängt eigentlich nicht an Wahrheit, sondern bloß am (Wahrheits-)Nutzen. Die Falschheit einer Auffassung disqualifiziert sie nicht vom Wissen, sondern bloß von diesen erwünschten Begleiterscheinungen. Wenn Wahrheit an der Zweckmäßigkeit hängt, ist Falschheit nicht mehr die Antipode zu Wissen, sondern Ausdruck für eine Behinderung von Erfolgsaussichten.

Die Formulierung Füllsacks ist unter diesem Gesichtspunkt keine Kontradiktion. „Falsches Wissen“ heißt dann so etwas wie: dieses Wissen ist hier nicht am Platz. Eine Elektromechanikerin hat das falsche Wissen zur Behebung eines Zylinderschadens. In dieser Interpretation ist der anstößige Ausdruck mit der konventionellen Wissensdefinition vereinbar. (Sprachanalytisch ist der Unterschied darin fassbar, dass „wahr“ im ersten Fall als Prädikat von Sätzen, im anderen als Adjektiv gebraucht wird. „Es ist wahr, dass p“ steht „die wahre N“ gegenüber. Noch spezifischer „,Helga weiß, dass die Erde rund ist‘ ist wahr“ gegen „die wahre Form der Erde“.) Die Zertifizierung einer Meinung ist weniger wichtig, als ihre Wirksamkeit, auch abgesehen von externer Bestätigung. Aus einem Pool von Wissen – das heißt intern kohärenter Überlebensstrategien auto-poietischer Lebewesen – wird wahren Wissen spezifiziert. Der Vorgang beruht auf der Prüfung einer gewissen Effektivität, wie sie in ökonomischen Zusammenhängen verbreitet ist. (Manfred Füllsack rekurriert auf die Arbeitsteilung. Für soziale Frühphasen gilt: „In der rudimentären Arbeitsteiligkeit solcher Gesellschaften stehen, anders gesagt, keine sozialen Teilbereiche oder Einrichtungen (dauerhaft) zur Verfügung, in deren Rahmen es Sinn machen könnte (in dem es ökonomisch rational wäre), falsches, sprich also vom allgemeinen Wissensstand abweichendes Wissen aufzubewahren und seine Relevanz zu behaupten.“) Ein einprägsames Beispiel effektiver Designation im Spätkapitalismus sind Markenzeichen, welche die Identität einer Firma im Konkurrenzfeld signalisieren. Ihr Wettbewerbsvorteil resultiert aus einem „Wissen“, das ohne die Perspektive der Wahrheit auskommt. Zum immateriellen Wert eines Unternehmens gehört der Wiedererkennungsfaktor seiner Erzeugnisse. „Er weiss, welches Katzenfutter er zu kaufen hat.“ „Er weiss es nicht“ heißt: es fehlt ihm an Wissen. (Oder sogar: Er kauft falsch.) Das ist kein Fall von klassischem Irrtum.

Eine eingehendere Studie: Griff und Begriff. Zur Logik von Logos.

Eine Entflechtung der unterschiedlichen Verwendungsweisen des Terminus ist sicher hilfreich. Andererseits macht sich der Bedeutungspluralismus die Sache allzu einfach. Wissen als eine Art Verankerung in der Welt und als eine kontextbezogene, sozio-ökonomische Orientierungskategorie („das Wissen der Schafzüchter“) fallen nicht unbezogen auseinander. Um die Verbindung abzutesten betrachte ich die Kontroverse über ein Markenzeichen. Sie schärft den Blick dafür, dass erkenntnistheoretische Reflexionen, die ausserhalb des Fachpublikums esoterisch scheinen mögen, eng mit dem weniger strikten Wissensbegriff verknüpft sind, den wir in Formulierungen wie „Sie weiß, dass dieses Logo für Qualität steht“ verwenden. In dieser Analyse wird sich der Unterschied zwischen Falschheit und „falschem Wissen“ klären.


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Besser Wissen (Vorlesung Hrachovec, 2006/07)</root>