Diskussion:Text zur Prüfung, WS 2005/06: "Die Parabel"

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Jene, die im Palast arbeiten, rekurrieren nicht auf eine syntaktische Metaebene.

Das kann man nun auffassen als einen neutralen Zug der Parabel, der bloß verdeutlicht, dass keine Strategie gefunden war, Konflikte zu bereinigen, als Hemmnis für eigentliche Toleranz etc. Insofern zeichnet sich diese Parabel im Unterschied zu der mit dem Ringen aus als eine, die -- fürs erste gesehen -- blind für eine Metaebene ist. Die Möglichkeit, Grundrisse des Königspalastes in einer Weise abzustimmen, die als Interpretationsgrundlage für alle diente, wäre primär gegeben. Tatsächlich stehen dem aber die Schwierigkeiten entgegen, die Sprachverwirrung, Verschiedenheit ...

Bei dieser Strategie ist die erste unbeantwortete Frage, warum denn niemand, der dem Palast zugehört, in den Konflikt eingreift.

Ich stimme zu und formuliere denselben Punkt in Anlehnung an die Hasen-Ente. Die Bleistiftstriche sind ein Grundriss, aus dem die einen ein Hasenbild, die anderen ein Entenbild machen. Man kann sich vorstellen, dass diese Gruppen nicht miteinander sprechen können. Aber dann gibt es auch diejenigen, welche den Schritt zurück vollziehen und die Zeichnung als Zeichnung betrachten. Das ist auch eine Einstellung zu dieser Vorlage, also eine Sichtweise wie die anderen - und eine Sichtweise gegen sie. Das Äquivalent zu Georgs Bemerkung ist nun dies: eine Metabetrachtung, die sich nicht um die Klärung von Konflikten auf der Objektebene bemüht, ist eigenartig blass. --anna 11:01, 12. Mär 2006 (CET)

Nun, man könnte auch sagen, dass die Stelle blass ist, wo der Text lautet: "Auch war da etwas, wovon man bei dem ersten Anblicke geglaubt hätte, daß es den Streit notwendig sehr leicht und kurz machen müsse". Von der Handlung zuvor verstanden sind die aufgetauchten Grundrisse, einheitlich betrachtet, eine (bewusst: syntaktische) Ebene. Der Rekurs auf sie trägt das Potential in sich, den Konflikt, der sich entzündet hat, nicht etwa zu beruhigen, sondern ihn kurzfristig aufzuheben.

De facto sind die syntaktischen Hilfsmittel aber das Kanonenfutter, in der Parabel. --Georg 22:03, 12. Mär 2006 (CET)


Die Parabel verfährt konsequent in ihrer Trennung von zwei Ebenen, von denen die eine die eigentlich moralische ist. In ihr bewegen sich die Mitarbeiter des Königs, diejenigen, die ihre Aufgabe erfüllen, und auf dieser Ebene steht auch der Palast samt seiner Durchdachtheit. (Es kann auch die Ebene sein, auf der sowohl Lessing als auch der Leser der Parabel stehen.) Der Konflikt, der beschrieben wird, spielt nicht auf dieser Ebene; zuletzt wird auch die Sphäre des Königs, zugleich des Göttlichen, als immun dargestellt. Wenn nun Streitigkeiten entstehen, so ist das auf Grund eines Abfalls von der positiv besetzten Dynamik, die sich im Wirken des Königs äußert.

Auf der Ebene der Dekadenz, der Halbgebildeten (und der Untätigen) wird der Streit eingeführt. Er entzündet sich künstlich, nicht natürlich, an einer Geschmacksfrage. Die Streitparteien werden als kleinlich, eigentlich blind für die wesentlichen Dinge dargestellt. Der Zustand, dass sie unaufgeklärt sind, führt sie in den Streit. Es steht sohin in der Parabel von vornherein fest, dass der Konflikt nicht rational vertretene Gründe hat, sondern korreliert damit sind mehr oder weniger blinde Mutmaßungen.

Schon an diesem Punkt ist klar, dass ein solcher Konflikt nicht ein propositionales Gefüge ist, dass man den Konflikt nicht wirklich als Konflikt von Meinungen, oder Aussagen ("Das ist eine Ente.") beschreiben kann. Was freilich deutlich wird, ja fast thematisiert wird, ist die Tatsache, dass ein Konflikt abseits der Ebene des Königs entsteht. Die Parabel gibt einige Bedingungen an, die gleichsam als hinreichend für die Konfliktfreiheit erscheinen: Arbeiten für den gemeinsamen und allgemeinen Wohlstand, sich dessen erfreuen. --

Wenn nun die Parabel zu ihrer Pointe kommt mit der Einführung der syntaktischen Grundrisse (die Parallele zu den Schriftreligionen lässt sich nicht abschlagen), so ist klargemacht, dass diese Grundrisse eigentlich zum gütigen Leben nichts beitragen (zumindest ist dergleichen nicht impliziert). Vielmehr werden sie gleich von den Streitparteien an sich gerissen. Freilich sind die Grundrisse in Verbindung mit der königlichen Palastordnung; diese hat aber eine Dimension, die den bloßen Architekturkennern nicht zugänglich ist. Ebendasselbe Problem ergibt sich mit den Plänen selbst, die nicht nur alt sind, sondern auch nicht in einheitlicher Sprache sprechen. (Man kennt das Problem vom Turmbau in Babylon her.) Die Dimension, die Dokumente (Zeugnisse) richtig zu verstehen, ist den Menschen zwar potentiell möglich (u. a. sind sie sprachlich vermittelbar), doch sehr schwierig. Das letzte Wort über diese Grundrisse ist ja auch noch nicht gesprochen, allerdings wird als adäquate Reaktion diejenige der Arbeiterklasse vorgestellt. Diese Reaktion ist, wenn man so sagen möchte, auf einer Metaebene situiert: der schon angesprochenen. Die Reaktion speist sich aus dem bisherigen Handeln, das zu Erfolg geführt hat; es ist gleichzeitig eine Gegenposition zur Streitebene überhaupt (aber eben nicht nur sprachliche Position, Meinung: so etwas wie eine korrekte Haltung).

Aber: es ist nicht die Ebene des Konfliktes selbst (die wie gesagt auch etwas umfassender dargestellt wird als die Konterposition von Aussagen), auf die rekurriert wird. Und auf dieser Ebene spielt sich die Auseinandersetzung mit den Grundrissen eben ab. Man kann es sich nicht leicht vorstellen, wie im Kontext dieser Geschichte die Palastarbeiter selbst eingreifen sollten und dadurch den Streit lösen könnten. Von der Geschichte würde in diesem Fall eher nahegelegt, dass wiederum Deutung über Deutung gelegt würde, und dass eine Übereinstimmung nicht einmal in gewissen Urteilen gefördert würde. --

Die Stellung der königlichen Mitarbeiter als eine "Bodenlosigkeit" zu deuten, die sich auf merkwürdige Weise vom Konflikt distanziert, liegt also nicht unbedingt nahe. Der moralische Gehalt der Parabel könnte vielleicht darin liegen, dass gerade sie auf keinen Sand gebaut haben. Wenn Anna sagt: "In der Parabel werden auch die Deisten dem Urteil (Feuer) unterzogen. Dabei wird sichtbar, daß ihre Antwort fehlt." -- so ist natürlich zuzustimmen, dass sie unmittelbar nichts darauf zu sagen haben. (Ihre Reaktion ist: lachender Mut.) Das Motiv, allerdings in einer brenzligeren Situation, ist von der Kreuzigung Christi bekannt. Die Parabel endet nicht zufällig mit der Entlarvung des Fehlalarms; zufällig ist sie innerhalb der basalen Konfliktebene. Auf der Metaebene hingegen ist die Handlung konsequent (göttlich). (In den heiligen Schriften gibt es ja Ähnliches.) Es äußert sich darin natürlich ein Mysterium (es scheint menschlich nicht fassbar), allerdings äußert sich der Optimismus hier.--Georg 12:36, 16. Mär 2006 (CET)


Von der bisherigen Vorlesung und dem einprägsamen Hasen-Enten-Beispiel ergibt sich dabei das Paradoxe, dass was hier als Lösung präsentiert ist, in der Parabel auf der Ebene des Streits liegt. Dass man, abstrakt gefasst, Streit dadurch schlichten kann, auf eine Stufe zu kommen, die von allen Beteiligten als objektive Grundlage akzeptiert wird (die man dann als Syntax definieren kann), von der aus die Verschiedenheit als inhaltliche Deutung verstehen kann, das scheint auch Lessing in der Parabel ausgedrückt zu haben. ("wovon man ... geglaubt hätte, daß es den Streit notwendig sehr leicht und kurz machen müsse') Der Punkt ist aber, dass die rein abstrakte Betrachtung konkret scheitert. Im Fall der Parabel ist es nämlich so, dass eine weitere Differenzierung auf einer abstrahierenden syntaktischen Ebene praktisch keine neue Information hinzufügt, die eine Stabilität gewährleisten könnte. Konkret sind die Bürger in ihrem Streit so verwoben, an den unterschiedlichen Deutungen so interessiert, dass der gesamte Komplex dieser Beschäftigung so groß angewachsen ist, dass eine einheitliche Betrachtungsweise äußerst schwierig zu erreichen ist. Im Falle der Hasen-Ente ist es relativ einfach, da durch die zwei verschiedenen Deutungen nicht sehr viel Information beigebracht wird, und die abstrahierende Sicht bringt eine zusätzliche Information herein. (In diesem Fall wird das Spektrum tatsächlich erweitert.)

Die Parabel ist hier sehr raffiniert, sie bietet
  • eine Ebene, auf der gar kein Streit entsteht: die Existenz des Palastes
  • eine rückprojizierte Syntax, die den Streit erzeugt: die Grundrisse
  • eine unlösbare Verbindung zwischen de facto Pluralismus und Konfrontation
Der Ausgangspunkt bei der Hasen-Ente versucht, die Sache dadurch zu systematisieren, dass bei einem gemeinsamen "Grundriss" begonnen wird. Hier scheint es möglich zu sein, etwas zu finden, das "von allen Beteiligten als objektive Grundlage akzeptiert wird" und damit das Lessingsche Unbestimmte konkreter zu fassen. Die kommende Argumentation Carnap --> Quine --> Davidson wird das näher beleuchten. --anna 09:30, 17. Mär 2006 (CET)

Da der Streit um den Königspalast sich eigentlich am Geschmack entzündet, sich dann aber mit objektiven Elementen vermischt, ist eine Komplexität angehäuft, die eine vereinheitlichende Deutung nicht mehr leicht bewerkstelligen lässt. (Es sei denn, man setzt eine bestimmte Stufe fest, wie in den abstrakten Rechtsverhältnissen der Ringparabel.) In dieser Verwicklung gelingt auch nicht die Lokation des Konfliktgrundes.

Die Parabel präsentiert als Gegenmodell eine Art Fortführung des paradiesischen Zustandes. Es ist wahrscheinlich nicht überzeugend, und nicht einsichtig, dass damit irgendwo geholfen würde. Hintergrund des Palastes ist allerdings eine ganz große Weisheit (die die Komplexität des Streits übertrifft), die aber begreifen zu wollen kein Thema ist, und vielleicht für die Menschen unerreichbar vorgestellt wird.

Was man aber aus diesem Modell herausziehen kann, und was es mit der Toleranz à la Hasen-Ente gemeinsam hat, ist der Rekurs auf etwas anderes, als auf das, was an Input von den Konfliktparteien kommt. Die Vorstellung einer Strichzeichnung braucht einen anderen Inhalt als der, der von den entgegenstehenden Positionen beigesteuert wird. (Es ist also keine bloße Abstraktion.) Mitunter erklärt das stimmig, warum in den Konflikt um den Palast keiner eingreift: Begibt er oder sie sich in die Gefilde des Konflikts (mit seiner Komplexität), so ist darin zum Beispiel kein Ziel oder Zweck eingezeichnet, der auf etwas hinausweist, woran sich eine Auflösung orientieren könnte; die Vereinheitlichung fällt schwer (ungleich der Hasen-Ente), die üblichen Arten des Eingreifens würden sich wiederum den Linien des Konflikts entlang bewegen.

Bei der Betrachtung der Strichzeichnung bleibt die Frage, was im Wesentlichen die Aufgabe ist, im Hintergrund. Die neue Parabel allerdings bezieht sich darauf und geht schon davon aus, dass das Diskutieren über Geschmacksfragen nicht eigentlich sinnvoll ist. In diesem Sinne ist in der Tat das Urteil über die Schriftreligionen suspendiert.--Georg 18:10, 16. Mär 2006 (CET)