Aus Quines "Ontologische Relativität": Unterschied zwischen den Versionen

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== Vorbemerkung: zwei Bemerkungen Wittgensteins ("Big Typescript") ==
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"Verstehen", damit meine ich ein Korrelat der Erklärung, nicht einer - etwa medizinischen - Beeinflussung.
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Mit dem Worte "Mißverständnis" meine ich also wesentlich etwas, was sich durch Erklärung beseitigen läßt. Eine andere Nichtübereinstimmung nenne ich nicht "Mißverständnis".
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Verständnis entspricht der Erklärung; soweit es aber der Erklärung nicht entspricht, ist es unartikuliert und geht uns deswegen nichts an; oder es ist artikuliert und entspricht dem Satz selbst, dessen Verständnis wir beschreiben wollten.
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== "gavagai" ==
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Versetzen wir uns, um dieses Dilemma aufzulösen, zunächst in die
 
Versetzen wir uns, um dieses Dilemma aufzulösen, zunächst in die
 
vertraute Lage eines Sprechers unserer Muttersprache mit all ihren
 
vertraute Lage eines Sprechers unserer Muttersprache mit all ihren
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ausdrücken, daß dieses eine Formel und jenes eine Zahl, dieses ein
 
ausdrücken, daß dieses eine Formel und jenes eine Zahl, dieses ein
 
Hase und jenes ein Hasenteil ist, daß das da und dies dort
 
Hase und jenes ein Hasenteil ist, daß das da und dies dort
verschiedene Teile sind. Mit genau diesen Wörtern. Dieses Netzwerk von
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verschiedene Teile sind. <font color="purple">Mit genau diesen Wörtern. Dieses Netzwerk von
 
Termen, Prädikaten und zusätzlichen Hilfsmitteln ist relativistisch
 
Termen, Prädikaten und zusätzlichen Hilfsmitteln ist relativistisch
ausgedrückt unser Referenzrahmen, unser Koordinatensystem. Relativ zu
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ausgedrückt unser Referenzrahmen, unser Koordinatensystem.</font> Relativ zu
 
ihm können wir sinnvoll von Hasen und ihren Teilen, von Zahlen und
 
ihm können wir sinnvoll von Hasen und ihren Teilen, von Zahlen und
 
Formeln reden und sie auseinanderhalten. Wie in den vorausgegangenen
 
Formeln reden und sie auseinanderhalten. Wie in den vorausgegangenen
Abschnitten betrachten wir nun alternative Denotationen für unsere
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Abschnitten betrachten wir nun <font color="purple">alternative Denotationen für unsere
 
vertrauten Terme. Es wird uns langsam klar, daß eine geniale und
 
vertrauten Terme. Es wird uns langsam klar, daß eine geniale und
 
phantastische Vertauschung dieser Denotationen -- mit kompensierenden
 
phantastische Vertauschung dieser Denotationen -- mit kompensierenden
 
Korrekturen bei der Interpretation der Hilfspartikel -- immer noch zu
 
Korrekturen bei der Interpretation der Hilfspartikel -- immer noch zu
allen bestehenden Sprachdispositionen passen könnte. Dies ergab die
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allen bestehenden Sprachdispositionen passen könnte.</font> Dies ergab die
 
Unerforschlichkeit der Referenz, die uns selbst betrifft; und so wurde
 
Unerforschlichkeit der Referenz, die uns selbst betrifft; und so wurde
 
die Referenz zu Unsinn. Nicht zu Unrecht; Referenz ist Unsinn, es
 
die Referenz zu Unsinn. Nicht zu Unrecht; Referenz ist Unsinn, es
 
sei denn, man relativiert sie auf ein Koordinatensystem. Dieses
 
sei denn, man relativiert sie auf ein Koordinatensystem. Dieses
 
Relativitätsprinzip löst unser Dilemma auf.
 
Relativitätsprinzip löst unser Dilemma auf.
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<center>[[Bild:Hrdlcka denkmal 5.JPG|thumb|300px|none|]]</center>
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'''Das Pferd'''
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Worauf bezieht sich der Ausdruck "das Pferd" in diesen Sätzen:
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* ... friert nicht
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* ... ist nach links gerichtet
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* .... wirkt lebensecht
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In Quines Beispiel hat der Terminus "Hase" unterschiedliche Sachbezüge: auf einen Hasen, auf unabgetrennt Hasenteile. "Pferd" bezieht sich auf ein  Lebewesen, eine Skulptur, 2 Foto-Gestalten.
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== Rahmensprache ==
  
 
Es ist sinnlos zu fragen, ob unsere Ausdrücke »Hase«, »Hasenteil«,
 
Es ist sinnlos zu fragen, ob unsere Ausdrücke »Hase«, »Hasenteil«,
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Frage, ob unsere Mitmenschen nicht systematisch alles auf dem Kopfe
 
Frage, ob unsere Mitmenschen nicht systematisch alles auf dem Kopfe
 
stehend oder in Komplementärfarben sehen -- was sich nie herausfinden
 
stehend oder in Komplementärfarben sehen -- was sich nie herausfinden
läßt.
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läßt.
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:Carnaps "interne Fragen": wir wissen, wie mit ihnen umzugehen ist, weil wir uns einer funktionierenden Sprache bedienen. Im Gegensatz dazu katapultieren uns "externe Fragen" aus der vorausgesetzten Sprachkompetenz.
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:*lebendige Pferde
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:*Pferdskulpturen
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:*Pferde und ihre Darstellungen
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:*"Ich meine einfach ein Pferd"
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:'''Der letzte Satz ist zugleich eine Regression und eine Transgression.''' Er greift auf ein unproblematisches Sprachverständnis zurück und suggeriert ''ein Pferd überhaupt''. "Es muss doch etwas gemeinsames in all diesen Sprachverwendungen geben." Quine antwortet: Wir entkommen der Doppelperspektive nicht. Jeder Sachbezug ist relativ zu einer Übersetzung in die Sprache einer Interpretin. Metaphysik ist der Versuch, sich aus dieser Bindung zu befreien.
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== Muttersprache ==
  
 
Wir benötigen eine Rahmensprache, sagte ich, in die der Regreß
 
Wir benötigen eine Rahmensprache, sagte ich, in die der Regreß
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beantworten, hätte kein Ende.   
 
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In der Praxis beenden wir den Regreß
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In der Praxis beenden wir den Regreß von Koordinatensystemen durch hinweisende Gesten oder etwas
von Koordinatensystemen durch hinweisende Gesten oder etwas
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Ähnliches. Und in der Praxis beenden wir den Regreß von Rahmensprachen bei Referenzfragen, indem wir uns mit unserer
Ähnliches. Und in der Praxis beenden wir den Regreß von
 
Rahmensprachen bei Referenzfragen, indem wir uns mit unserer
 
 
Muttersprache zufriedengeben und ihre Wörter wörtlich verstehen.
 
Muttersprache zufriedengeben und ihre Wörter wörtlich verstehen.
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:Diese Beobachtung spiegelt die Bemerkung über Regression und Transgression. "zufriedengeben" impliziert, dass wir unpassende Forderungen aufgeben; "wörtlich verstehen" heißt, dass wir hier nicht mehr zweifeln, also eine fixe Position vertreten. Man ist versucht zu sagen: relativ absolut.
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== Relativität, Re-Interpretation ==
  
 
Schön und gut im Fall von Ort und Geschwindigkeit beenden in der
 
Schön und gut im Fall von Ort und Geschwindigkeit beenden in der
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zueinander. Und ich glaube, daß die parallele Frage bezüglich der
 
zueinander. Und ich glaube, daß die parallele Frage bezüglich der
 
Denotation eine parallele Antwort erfordert: eine relationale Theorie
 
Denotation eine parallele Antwort erfordert: eine relationale Theorie
darüber, was die Gegenstände einer Theorie sind. Nicht die Rede
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darüber, was die Gegenstände einer Theorie sind. <font color="purple">Nicht die Rede
 
davon, was die Gegenstände einer Theorie in einem absoluten Sinne
 
davon, was die Gegenstände einer Theorie in einem absoluten Sinne
 
sind, ist sinnvoll, sondern die Rede davon, wie eine Theorie über
 
sind, ist sinnvoll, sondern die Rede davon, wie eine Theorie über
 
Gegenstände in einer anderen interpretiert oder reinterpretiert
 
Gegenstände in einer anderen interpretiert oder reinterpretiert
werden kann.   
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Der springende Punkt ist nicht, daß bloße Materie
 
Der springende Punkt ist nicht, daß bloße Materie
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unterschieden werden können. Das ist selbstverständlich. Hier kommt
 
unterschieden werden können. Das ist selbstverständlich. Hier kommt
 
es viel eher auf so etwas an wie das Problem, wie sich ermitteln läßt,
 
es viel eher auf so etwas an wie das Problem, wie sich ermitteln läßt,
ob jemand die Dinge auf den Kopf gestellt oder in Komplementärfarben sieht; der
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ob jemand die Dinge auf den Kopf gestellt oder in Komplementärfarben sieht; <font color="purple">der
 
springende Punkt ist nämlich der, daß die Dinge ihre Eigenschaften
 
springende Punkt ist nämlich der, daß die Dinge ihre Eigenschaften
 
behalten und trotzdem unbemerkt durch andere ersetzt werden
 
behalten und trotzdem unbemerkt durch andere ersetzt werden
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-stadien nicht nur als bloße Materie, sondern auch in ihren
 
-stadien nicht nur als bloße Materie, sondern auch in ihren
 
Eigenschaften, und auch Formeln haben andere Eigenschaften als
 
Eigenschaften, und auch Formeln haben andere Eigenschaften als
Zahlen. Die Lehre aus diesen Überlegungen besteht darin, daß man das
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Zahlen.</font>
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:Hier drängt sich eine Frage auf: Was ist in dieser Konstruktion ein Ding, das von einem anderen Ding nicht durch Eigenschaften zu unterscheiden ist -- und dennoch unterschieden ist? Anders gefragt: Wie ist es möglich, Hasen von Hasenteilen zu unterscheiden und ihnen beiden die Charakteristik "Ding" zuzuordnen, die sie beide unterschiedlich erfüllen, ohne voneinander unterscheidbar zu sein? Ist das nicht absurd?
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Die Lehre aus diesen Überlegungen besteht darin, daß man das
 
Problem, wie sich ermitteln läßt, ob jemand die Dinge auf den Kopf
 
Problem, wie sich ermitteln läßt, ob jemand die Dinge auf den Kopf
 
gestellt oder in Komplementärfarben sieht, ernst nehmen und seine
 
gestellt oder in Komplementärfarben sieht, ernst nehmen und seine
 
Moral umfassend anwenden sollte. Unser Ergebnis ist, um es zu
 
Moral umfassend anwenden sollte. Unser Ergebnis ist, um es zu
wiederholen, die relativistische These: Es ist sinnlos zu sagen, was
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wiederholen, <font color="purple">die relativistische These: Es ist sinnlos zu sagen, was
 
die Gegenstände einer Theorie sind, es sei denn, wir beschränken uns
 
die Gegenstände einer Theorie sind, es sei denn, wir beschränken uns
 
darauf zu sagen, wie diese Theorie in einer anderen zu interpretieren
 
darauf zu sagen, wie diese Theorie in einer anderen zu interpretieren
oder zu reinterpretieren ist. Nehmen wir an, wir arbeiteten innerhalb
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oder zu reinterpretieren ist.</font>
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Nehmen wir an, wir arbeiteten innerhalb
 
einer Theorie und befaßten uns so mit ihren Gegenständen. Dabei
 
einer Theorie und befaßten uns so mit ihren Gegenständen. Dabei
 
verwenden wir die Variablen dieser Theorie, deren Werte diese
 
verwenden wir die Variablen dieser Theorie, deren Werte diese
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sprechen ist sinnvoll, aber nur relativ zu der Rahmentheorie mit ihrer eigenen,
 
sprechen ist sinnvoll, aber nur relativ zu der Rahmentheorie mit ihrer eigenen,
 
vorgängig angeeigneten und letztlich unerforschlichen Ontologie.
 
vorgängig angeeigneten und letztlich unerforschlichen Ontologie.
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:Wieder die Regression plus Transgression: "vorgängig angeeignet" und "Ontologie". Die eine Geste führt zurück zu Voraussetzungen, die analytisch nur anzudeuten sind, die andere zur philosophischen Konstruktion einer Ontologie, die das Gewicht des "Seins" beschwört -- um es "letztlich" wieder zu entkräften. 
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== Relativ vollständige Interpretation ==
  
 
Daraus ergibt sich jedoch ein Formulierungsproblem. Eine Theorie, so
 
Daraus ergibt sich jedoch ein Formulierungsproblem. Eine Theorie, so
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Gesamttheorie, die hinter ihnen steht. Dadurch werden jedoch die
 
Gesamttheorie, die hinter ihnen steht. Dadurch werden jedoch die
 
Gegenstände der beschriebenen Theorie nur relativ zu denen der
 
Gegenstände der beschriebenen Theorie nur relativ zu denen der
heimischen Theorie festgelegt; und diese können mach Belieben wieder
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heimischen Theorie festgelegt; und diese können nach Belieben wieder
 
in Frage gestellt werden.   
 
in Frage gestellt werden.   
  
Man ist versucht, einfach zu schließen, daß erst der Ver
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....
  
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:Das ist also Quines eigene Formulierung von "relativ absolut". Das Beispiel der Hasenteile soll darauf hinweisen, dass mit denselben Ausdrücken, unter denselben Umständen, von aussen ganz andere Sachen verbunden werden können.
  
Sollten wir Carnaps Unterscheidungen darauf hin an-
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:Das Argument hängt an der Formulierung "nach Belieben wieder in Frage gestellt werden". Das heißt, man könne jedes Sprache-Welt-Verhältnis durch Alternativ-Interpretationen aus den Angeln heben. Dabei wird allerdings der Ausdruck "Frage" sozusagen absolut verwendet. Wer dieses Argument verwendet, muss ein Verständnis von Frage besitzen, z.B. im Unterschied zu Befehl oder Störmanöver.  
schauen, ob sie Licht auf die ontologische Relativität
 
werfen? Wir stellten fest, daß man nicht absolut sagen
 
kann, worüber eine Theön`e spridit-Fühlen wir nun die
 
Irrealitat dessen, was Carnap »externe Fragen« nennt?
 
Wir stellten fest, daß man relativ zu einer Rahmen-
 
theorie sehr wohl sinnvoll davon reden kann, worüber
 
eine Theorie spricht. Fühlen wir nun die Realität der
 
internen Fragen der Rahmentheorie? In dieser Rich-
 
tung scheint mir eine Hoffnung auf Erleuchtung ver-
 
geblich. Carnaps Allwörter waren nicht einfach Prä-
 
dikate mit universellem Geltungsbereich, sondern tru-
 
gen noch, wie ich sagte, ein zusätzliches Merkmal; und
 
worin dieses Merkmal genau besteht, ist nicht klar. Ich
 
sagte, der Geltungsbereich der Allwörter sei bloß auf-
 
grund ihrer Bedeutungen und nicht mit Unterstützung
 
der Natur universell; aber dies ist ein äußerst frag-
 
würdiges Merkmal. Von »intern« und »extern« zu
 
reden, hilft auch nicht weiter.
 
Die ontologische Relativität läßt sich nicht dadurch
 
erhellen, daß man verschiedene Arten universeller
 
Prädikate, faktische und nicht-faktische oder externe
 
und interne, unterscheidet. Sie hat nichts mit univer-
 
sellen Prädikaten zu tun. Wenn Fragen nach der Onto-
 
logie einer Theorie absolut gestellt sinnlos und re-
 
lativ zu einer Rahmentheorie sinnvoll sind, so liegt
 
das im allgemeinen nicht daran, daß die Rahmentheo-
 
rie einen umfassenderen Gegenstandsbereich hat. Wie
 
ich schon sagte, ist man versucht, dies anzunehmen;
 
aber dies ist ein Irrtum.
 
Was ontologische Fragen, absolut genommen L sinnlos
 
mäcFit, ist nicht i'hreUniversalität, sondern ihre_Zirku-
 
lärii Ctiiie Frage der Form »Was ist ein F?« kann
 
  
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:"Das Foto vom Albertinaplatz zeigt eine Loge im Opernball." Ist das eine verständliche Re-Interpretation?
  
nur mit Rückgriff auf einen weiteren erm beantwor&#8209;
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:Es ist zu unterscheiden zwischen:
tet werden: »Ein F ist ein G.« Die Antwort hat nur
+
:* der Unerschütterlichkeit der "Muttersprache" im Interpretationsprozess
relativ Sinn: man muß »G« bereits unkritisch akzep&#8209;
+
:* der Relativierbarkeit der "Muttersprache" im Rahmen anderer Muttersprachen
tieren.
+
:* der Übersetzbarkeit zwischen Muttersprachen
Das Vokabular einer Theorie läßt sich in zwei Teile
 
zerlegen: Da sind zunächst die logischen Zeichen wie
 
Quantoren und Zeichen für die Wahrheitsfunktionen
 
und die Identität, und dazu kommen deskriptive oder
 
nicht-logische Zeichen, die normalerweise singuläre
 
Terme oder Namen und allgemeine Terme oder Prä&#8209;
 
dikate sind. Nehmen wir nun an, daß wir in den Aus&#8209;
 
sagen, aus denen die Theorie besteht, d. h. die gemäß
 
der Theorie wahr sind, von den Bedeutungen des
 
nicht-logischen Vokabulars und von dem Bereich der
 
Variablen abstrahieren. Was uns dann bleibt, ist die
 
logische Form der Theorie oder, wie ich sagen werde,
 
die Theorieform. Jetzt können wir diese Theorieform _
 
wieder interpretieren: Dazu suchen wir für ihre
 
quantifizierten Variablen einen neuen Bereich heraus,
 
über den sie laufen, ordnen den Namen Gegenstände
 
aus diesem Bereich zu, wählen Teilmengen aus diesem
 
Bereich als Extensionen der einstelligen Prädikate aus
 
usw. Jede solche Interpretation der Theorieform wird
 
ein Modell von ihr genannt, wenn sie sie wahr macht.
 
Welches Modell mit einer gegebenen Theorie gemeint
 
ist, kann natürlich nicht aus der Theorieform abgele&#8209;
 
sen werden. Die intendierte Referenz der Namen und
 
Prädikate muß vielmehr durch Ostension oder auch
 
durch Paraphrasierung in einem schon vorher vertrau&#8209;
 
ten Vokabular gelernt werden. Aber die erste dieser
 
zwei Möglichkeiten hat sich nicht als zwingend er&#8209;
 
wiesen: Ganz abgesehen von übersetzungsunbestimmt&#8209;
 
heiten, die die Identität und andere logische Zeichen
 
  
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:Was haben die Sprachen, die "Pferd" als Lebewesen und als Skulptur deuten, gemeinsam? Was haben Sprachen gemeinsam, in denen dieser Ausdruck einerseits für ein Lebewesen steht, andererseits aber eine Beleidigung darstellt?
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Aktuelle Version vom 31. März 2006, 07:48 Uhr

Vorbemerkung: zwei Bemerkungen Wittgensteins ("Big Typescript")

"Verstehen", damit meine ich ein Korrelat der Erklärung, nicht einer - etwa medizinischen - Beeinflussung. Mit dem Worte "Mißverständnis" meine ich also wesentlich etwas, was sich durch Erklärung beseitigen läßt. Eine andere Nichtübereinstimmung nenne ich nicht "Mißverständnis".

Verständnis entspricht der Erklärung; soweit es aber der Erklärung nicht entspricht, ist es unartikuliert und geht uns deswegen nichts an; oder es ist artikuliert und entspricht dem Satz selbst, dessen Verständnis wir beschreiben wollten.


"gavagai"

Versetzen wir uns, um dieses Dilemma aufzulösen, zunächst in die vertraute Lage eines Sprechers unserer Muttersprache mit all ihren Prädikaten und Hilfsmitteln. Darunter sind: »Hase«, »Hasenteil«, »Hasenstadium«, »Formel«, »Zahl«, »Ochse« und »Vieh«, ferner die zweistelligen Prädikate der Identität und der Verschiedenheit sowie andere logische Partikel. Damit können wir auf sehr verschiedene Weise ausdrücken, daß dieses eine Formel und jenes eine Zahl, dieses ein Hase und jenes ein Hasenteil ist, daß das da und dies dort verschiedene Teile sind. Mit genau diesen Wörtern. Dieses Netzwerk von Termen, Prädikaten und zusätzlichen Hilfsmitteln ist relativistisch ausgedrückt unser Referenzrahmen, unser Koordinatensystem. Relativ zu ihm können wir sinnvoll von Hasen und ihren Teilen, von Zahlen und Formeln reden und sie auseinanderhalten. Wie in den vorausgegangenen Abschnitten betrachten wir nun alternative Denotationen für unsere vertrauten Terme. Es wird uns langsam klar, daß eine geniale und phantastische Vertauschung dieser Denotationen -- mit kompensierenden Korrekturen bei der Interpretation der Hilfspartikel -- immer noch zu allen bestehenden Sprachdispositionen passen könnte. Dies ergab die Unerforschlichkeit der Referenz, die uns selbst betrifft; und so wurde die Referenz zu Unsinn. Nicht zu Unrecht; Referenz ist Unsinn, es sei denn, man relativiert sie auf ein Koordinatensystem. Dieses Relativitätsprinzip löst unser Dilemma auf.

Hrdlcka denkmal 5.JPG

Das Pferd

Worauf bezieht sich der Ausdruck "das Pferd" in diesen Sätzen:

  • ... friert nicht
  • ... ist nach links gerichtet
  • .... wirkt lebensecht

In Quines Beispiel hat der Terminus "Hase" unterschiedliche Sachbezüge: auf einen Hasen, auf unabgetrennt Hasenteile. "Pferd" bezieht sich auf ein Lebewesen, eine Skulptur, 2 Foto-Gestalten.

Rahmensprache

Es ist sinnlos zu fragen, ob unsere Ausdrücke »Hase«, »Hasenteil«, »Zahl« etc. im allgemeinen wirklich über Hasen, Hasenteile, Zahlen etc. sprechen und nicht über gewisse geistreich vertauschte Denotationen. Absolut gestellt ist diese Frage sinnlos; sie läßt sich sinnvoll nur relativ zu einer Rahmensprache stellen. Wenn wir fragen: »Spricht >Hase< wirklich über Hasen?«, so kann jemand mit der Frage kontern: »>Spricht über Hasen< in welchem Sinn von >Hase<?« und so einen Regreß in Gang setzen; wir brauchen dann eine Rahmensprache, in die der Regreß läuft. In der Rahmensprache hat die Frage Sinn, wenn auch nur relativen Sinn: Sinn relativ zu ihr, der Rahmensprache. Stellten wir Referenz absolute in Frage, so wären wir wie einer, der den absoluten Ort oder die absolute Geschwindigkeit und nicht den Ort oder die Geschwindigkeit relativ zu einem gegebenen Bezugsrahmen ermitteln will. Dies gliche auch sehr der Frage, ob unsere Mitmenschen nicht systematisch alles auf dem Kopfe stehend oder in Komplementärfarben sehen -- was sich nie herausfinden läßt.

Carnaps "interne Fragen": wir wissen, wie mit ihnen umzugehen ist, weil wir uns einer funktionierenden Sprache bedienen. Im Gegensatz dazu katapultieren uns "externe Fragen" aus der vorausgesetzten Sprachkompetenz.
  • lebendige Pferde
  • Pferdskulpturen
  • Pferde und ihre Darstellungen
  • "Ich meine einfach ein Pferd"
Der letzte Satz ist zugleich eine Regression und eine Transgression. Er greift auf ein unproblematisches Sprachverständnis zurück und suggeriert ein Pferd überhaupt. "Es muss doch etwas gemeinsames in all diesen Sprachverwendungen geben." Quine antwortet: Wir entkommen der Doppelperspektive nicht. Jeder Sachbezug ist relativ zu einer Übersetzung in die Sprache einer Interpretin. Metaphysik ist der Versuch, sich aus dieser Bindung zu befreien.

Muttersprache

Wir benötigen eine Rahmensprache, sagte ich, in die der Regreß läuft. Sind wir nun in einen unendlichen Regreß verwickelt? Wenn die Referenzfragen, die wir betrachten, nur relativ zu einer Rahmensprache sinnvoll sind, dann sind Referenzfragen bezüglich der Rahmensprache ihrerseits nur relativ zu einer weiteren Rahmensprache sinnvoll. So dargestellt, scheint die Lage verzweifelt, aber eigentlich unterscheidet sie sich wenig von der Lage, in der wir uns bezüglich Ort und Geschwindigkeit befinden. Wenn Ort und Geschwindigkeit relativ zu einem gegebenen Koordinatensystem gegeben sind, so können wir immer wiederum nach dem Ort seines Ursprungs und nach der Orientierung seiner Achsen fragen; und die Folge weiterer Koordinatensysteme, die eingeführt werden könnten, um die so nacheinander erzeugten Fragen zu beantworten, hätte kein Ende.

In der Praxis beenden wir den Regreß von Koordinatensystemen durch hinweisende Gesten oder etwas Ähnliches. Und in der Praxis beenden wir den Regreß von Rahmensprachen bei Referenzfragen, indem wir uns mit unserer Muttersprache zufriedengeben und ihre Wörter wörtlich verstehen.

Diese Beobachtung spiegelt die Bemerkung über Regression und Transgression. "zufriedengeben" impliziert, dass wir unpassende Forderungen aufgeben; "wörtlich verstehen" heißt, dass wir hier nicht mehr zweifeln, also eine fixe Position vertreten. Man ist versucht zu sagen: relativ absolut.


Relativität, Re-Interpretation

Schön und gut im Fall von Ort und Geschwindigkeit beenden in der Praxis hinweisende Gesten den Regreß. Aber was wird aus Ort und Geschwindigkeit, wenn wir von der Praxis absehen? Was wird dann aus dem Regreß? Die Antwort ist natürlich die relationale Betrachtung des Raumes: es gibt keinen absoluten Ort und keine absolute Geschwindigkeit, es gibt nur Relationen von Koordinatensystemen untereinander und letztlich von Dingen zueinander. Und ich glaube, daß die parallele Frage bezüglich der Denotation eine parallele Antwort erfordert: eine relationale Theorie darüber, was die Gegenstände einer Theorie sind. Nicht die Rede davon, was die Gegenstände einer Theorie in einem absoluten Sinne sind, ist sinnvoll, sondern die Rede davon, wie eine Theorie über Gegenstände in einer anderen interpretiert oder reinterpretiert werden kann.

Der springende Punkt ist nicht, daß bloße Materie unerforschlich ist, daß Dinge nur durch ihre Eigenschaften unterschieden werden können. Das ist selbstverständlich. Hier kommt es viel eher auf so etwas an wie das Problem, wie sich ermitteln läßt, ob jemand die Dinge auf den Kopf gestellt oder in Komplementärfarben sieht; der springende Punkt ist nämlich der, daß die Dinge ihre Eigenschaften behalten und trotzdem unbemerkt durch andere ersetzt werden können. Hasen unterscheiden sich schließlich von Hasenteilen und -stadien nicht nur als bloße Materie, sondern auch in ihren Eigenschaften, und auch Formeln haben andere Eigenschaften als Zahlen.

Hier drängt sich eine Frage auf: Was ist in dieser Konstruktion ein Ding, das von einem anderen Ding nicht durch Eigenschaften zu unterscheiden ist -- und dennoch unterschieden ist? Anders gefragt: Wie ist es möglich, Hasen von Hasenteilen zu unterscheiden und ihnen beiden die Charakteristik "Ding" zuzuordnen, die sie beide unterschiedlich erfüllen, ohne voneinander unterscheidbar zu sein? Ist das nicht absurd?

Die Lehre aus diesen Überlegungen besteht darin, daß man das Problem, wie sich ermitteln läßt, ob jemand die Dinge auf den Kopf gestellt oder in Komplementärfarben sieht, ernst nehmen und seine Moral umfassend anwenden sollte. Unser Ergebnis ist, um es zu wiederholen, die relativistische These: Es ist sinnlos zu sagen, was die Gegenstände einer Theorie sind, es sei denn, wir beschränken uns darauf zu sagen, wie diese Theorie in einer anderen zu interpretieren oder zu reinterpretieren ist.

Nehmen wir an, wir arbeiteten innerhalb einer Theorie und befaßten uns so mit ihren Gegenständen. Dabei verwenden wir die Variablen dieser Theorie, deren Werte diese Gegenstände sind, auch wenn sich dieser Gegenstandsbereich nicht letztgültig spezifizieren läßt. Mit den Prädikaten dieser Theorie lassen sich verschiedene Teile dieses Bereichs auseinanderhalten, und diese Prädikate unterscheiden sich voneinander nur in den Rollen, die sie in den Gesetzen dieser Theorie spielen. Innerhalb dieser Rahmentheorie können wir zeigen, wie eine untergeordnete Theorie, deren Gegenstandsbereich ein Teil des Rahmengegenstandsbereichs ist, durch eine Reinterpretation auf eine andere untergeordnete Theorie reduziert werden kann, deren Gegenstandsbereich ein noch kleinerer Teil ist. Über untergeordnete Theorien und ihre Ontologien zu sprechen ist sinnvoll, aber nur relativ zu der Rahmentheorie mit ihrer eigenen, vorgängig angeeigneten und letztlich unerforschlichen Ontologie.

Wieder die Regression plus Transgression: "vorgängig angeeignet" und "Ontologie". Die eine Geste führt zurück zu Voraussetzungen, die analytisch nur anzudeuten sind, die andere zur philosophischen Konstruktion einer Ontologie, die das Gewicht des "Seins" beschwört -- um es "letztlich" wieder zu entkräften.

Relativ vollständige Interpretation

Daraus ergibt sich jedoch ein Formulierungsproblem. Eine Theorie, so wird man sagen, ist eine Menge vollständig interpretierter Sätze. (Genauer gesagt: Sie ist eine deduktiv abgeschlossene Menge; sie enthält alle ihre logischen Folgerungen, die in derselben Notation abgefaßt sind.) Aber wenn die Sätze einer Theorie vollständig interpretiert sind, dann ist insbesondere der Wertbereich ihrer Variablen festgelegt. Wie verträgt sich damit, daß es sinnlos ist zu sagen, was die Gegenstände einer Theorie sind?

Meine Antwort ist einfach, daß wir nur verlangen dürfen, daß Theorien in einem relativen Sinne vollständig interpretiert sind -- soll überhaupt etwas als Theorie gelten. Wenn wir eine Theorie spezifizieren, müssen wir in der Tat in unseren eigenen Worten vollständig angeben, aus welchen Sätzen die Theorie bestehen soll, welche Dinge als Werte der Variablen fungieren und welche Dinge die Prädikate erfüllen sollen. Insofern interpretieren wir tatsächlich die Theorie vollständig -- relativ zu unseren eigenen Worten und relativ zu unserer heimischen Gesamttheorie, die hinter ihnen steht. Dadurch werden jedoch die Gegenstände der beschriebenen Theorie nur relativ zu denen der heimischen Theorie festgelegt; und diese können nach Belieben wieder in Frage gestellt werden.

....

Das ist also Quines eigene Formulierung von "relativ absolut". Das Beispiel der Hasenteile soll darauf hinweisen, dass mit denselben Ausdrücken, unter denselben Umständen, von aussen ganz andere Sachen verbunden werden können.
Das Argument hängt an der Formulierung "nach Belieben wieder in Frage gestellt werden". Das heißt, man könne jedes Sprache-Welt-Verhältnis durch Alternativ-Interpretationen aus den Angeln heben. Dabei wird allerdings der Ausdruck "Frage" sozusagen absolut verwendet. Wer dieses Argument verwendet, muss ein Verständnis von Frage besitzen, z.B. im Unterschied zu Befehl oder Störmanöver.
"Das Foto vom Albertinaplatz zeigt eine Loge im Opernball." Ist das eine verständliche Re-Interpretation?
Es ist zu unterscheiden zwischen:
  • der Unerschütterlichkeit der "Muttersprache" im Interpretationsprozess
  • der Relativierbarkeit der "Muttersprache" im Rahmen anderer Muttersprachen
  • der Übersetzbarkeit zwischen Muttersprachen
Was haben die Sprachen, die "Pferd" als Lebewesen und als Skulptur deuten, gemeinsam? Was haben Sprachen gemeinsam, in denen dieser Ausdruck einerseits für ein Lebewesen steht, andererseits aber eine Beleidigung darstellt?





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