Aristoteles (tphff)

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Aus der Nikomachischen Ethik

(I.) Einige sind der Ansicht, dass auch das Reziproke (antipe- ponthos) ohne weiteres gerecht ist. Diese Auffassung haben die Pythagoreer vertreten: Sie haben das Gerechte überhaupt be- stimmt als reziprokes Erleiden dessen, was man einem anderen zugefügt hat. Das Reziproke passt aber weder auf das verteilende (nemetikon) noch auf das ausgleichende (diorthötikon) Gerechte 25 (obwohl man meint, der Satz des Rhadamanthys über das Ge- rechte wolle dies sagen: «Wenn man erleiden würde, was man getan hat, dann würde genaue Gerechtigkeit geschehen»). Denn in vielen Fällen stimmen Reziprozität und ausgleichende Gerech- tigkeit nicht überein. Wenn zum Beispiel ein Amtsträger jeman- den geschlagen hat, so darf er nicht zum Ausgleich seinerseits ge- schlagen werden, und wenn jemand einen Amtsträger geschlagen hat, soll man ihn nicht nur schlagen, sondern [außerdem] auch 30 bestrafen. Ferner besteht ein großer Unterschied zwischen einer

gewollten (hekousion) Handlung und einer Handlung, die gegen das eigene Wollen ist, (z.) In Tauschgemeinschaften"(koinönia allaktike) aber hält diese Art des Gerechten-die-Menschen zusammen, und zwar das Reziproke, das der Proportion und nicht der Gleichheit entspricht. Denn durch den proportionalen reziproken Austausch hält der Staat zusammen. Die Menschen versuchen entweder Schlechtes für Schlechtes zurückzugeben, und wenn sie es nicht tun, halten sie das für einen Zustand der Sklaverei. Oder sie ver- 1133 a suchen, Gutes für Gutes zurückzugeben, und wenn sie es nicht tun, gibt es keinen Austausch, durch den Austausch aber bleiben sie zusammen. Daher errichten die Menschen auch einen Tempel der Chariten9 an einem gut sichtbaren Ort, damit reziprokes Geben stattfinde. Denn dies ist dem Dank((charis) eigentümlich: Demjenigen, der eine Gunst erwiesen hat, muss man im Gegenzug wieder einen Dienst erweisen, und ein andermal muss man als Erster ihm eine Gunst erweisen. (3.) Das proportionale reziproke Geben kommt durch die Ver-bindung diametraler Gegensätze zustande. Sei A ein Baumeister, B ein Schuster, C ein Haus, D ein Schuh. Dann muss also der Baumeister vom Schuster dessen Produkt (ergon) nehmen, und er selbst muss jenem sein eigenes Produkt zum Ausgleich geben. Wenn nun zuerst eine proportionale Gleichheit der Güter besteht ro und dann eine reziproke Handlung stattfindet, so geschieht das, was wir meinen. Wenn aber nicht, besteht keine Gleichheit, und es hält nichts die Parteien zusammen. Denn es könnte leicht der Fall sein, dass das Produkt des einen dem des anderen überlegen ist; folglich muss man zwischen diesen Gleichheit herstellen. (Das gilt auch für die anderen Arten des Herstellungswissens. Sie würden nämlich aufgehoben, wenn nicht das, was der Herstel- 15 lende bewirkt, dem entspräche, was das Bearbeitete erleidet, und zwar auch in der Quantität und Qualität.)`° Denn nicht aus zwei Ärzten entsteht eine Gemeinschaft, sondern aus einem Arzt und einem Bauern und allgemein aus Menschen, die verschieden und nicht gleich sind. Und zwischen diesen muss man Gleichheit her-stellen.

(4.a) Darum müssen alle Dinge, von denen es einen Aus- zo tausch gibt, irgendwie ergleichb sein. Dazu ist das`Geld auf-gekommen, und es wird n gewisser Weise zu einem Mittleren. Denn es misst alles, also auch das Übermaß und den Mangel, etwa wie viele Schuhe einem Haus oder einer bestimmten Menge an Nahrungsmitteln gleich sind. Folglich muss sich, wie der Hausbauer zum Schuster, eine so und so große Zahl von Schuhen zu einem Haus oder einer Nahrungsmenge verhalten. Ist das nicht der Fall, werden keine Transaktion und keine Tausch-gemeinschaft zustande kommen. Das wird aber nicht der Fall sein, wenn die beiden Seiten nicht irgendwie gleich sind. Man 25 muss also, wie schon gesagt, alles mit einer bestimmten Einheit messen. Dies ist aber in Wahrheit das Bedürfnis (chreia),das alles zusammenhält. Denn wenn die Menschen keiner Dinge bedürften oder wenn sie ihrer nicht auf ähnliche Weise bedürften, dann gäbe es keinen Austausch, oder jedenfalls nicht denselben Aus-tausch. Als eine Art Ersatz für das Bedürfnis ist aber durch Übereinkunft das Geld entstanden. Und deswegen hat es den Namen nomisma (Geld) erhalten, weil es nicht durch die Natur, sondern 30 durch Konvention (nomos) vorhanden ist und weil es bei uns liegt, es zu ändern und unbrauchbar zu machen. Reziprozität wird also dann vorliegen, wenn Gleichheit hergestellt wurde, sodass sich, wie der Bauer sich zum Schuh- macher verhält, das Produkt des Schuhmachers zum Produkt des 1133 b Bauern verhält. Jedoch darf man sie nicht erst in ein Schema der Proportion bringen, wenn sie den Austausch bereits vorgenom- men haben (sonst erhält das eine der beiden äußeren Glieder bei- de Überschüsse), sondern wenn sie ihre eigenen Güter noch ha- ben." Auf diese Weise sind sie Gleiche und Tauschpartner, eben weil diese Gleichheit in ihrem Fall hergestellt werden kann. Es sei A ein Bauer, C Nahrung, B ein Schuhmacher und D sein Produkt, das dem des Bauern gleich gemacht wurde. Wenn nicht auf diese Weise Reziprozität möglich wäre, gäbe es keine Gemeinschaft. Dass aber das Bedürfnis zusammenhält wie eine einzige Einheit, zeigt sich darin, dass die Parteien, wenn sie kein Bedürfnis nach

einander haben – das heißt, wenn beide einander nicht brauchen oder einer von beiden den anderen nicht braucht –, keinen Aus-tausch vornehmen [wie dann, wenn jemand einer Sache bedarf, die man selbst hat, z.B. Wein, und dafür der Export von Getreide erlaubt wird]'. Hier muss also Gleichheit hergestellt werden. 10 Für den künftigen Austausch – dafür, dass der Austausch, wenn jetzt kein Bedarf besteht, möglich sein wird, wenn Bedarf aufkommt – ist uns das Geld gewissermaßen Bürge. Denn dem, der dieses bringt, muss es möglich sein, etwas zu bekommen. Allerdings geschieht dasselbe mit dem Geld. Es ist nämlich nicht immer gleich viel wert; dennoch hat es die Tendenz, stabiler zu sein. Darum muss für alle Güter ein Preis festgesetzt werden. So nämlich wird immer Tausch stattfinden, und wenn Tausch, dann 15 Gemeinschaft. Das Geld stellt also, indem es die Dinge wie_ Maß kommensura el (symmetron) macht, Gleichheit her. Denn weder gäbe es Gemeinschaft, wenn es keinen Austausch gäbe, noch Austausch, wenn es keine Gleichheit gäbe, noch Gleichheit, wenn es keine Kommensurabilität gäbe. In Wahrheit allerdings ist es unmöglich, dass Dinge, die so verschieden sind, kommensurabel werden können, doch im Hinblick auf das Bedürfnis ist das hinreichend möglich. Es muss also eine Einheit geben, und zwar zo durch Übereinkunft; daher wird sie Geld (nomisma) genannt. Das Geld macht alle Dinge kommensurabel, denn alle werden durch das Geld gemessen. Sei A ein Haus, B zehn Minen, C ein Bett. A ist die Hälfte von B, wenn das Haus fünf Minen wert oder ihnen gleich ist. Das Bett, C, ist ein Zehntel von B. Es ist demnach klar, wie viele Betten einem Haus gleich sind, nämlich fünf. Dass 25 der Tausch so vonstatten ging, ehe es Geld gab, ist klar. Denn es ist gleichgültig, ob fünf Betten für ein Haus getauscht werden oder der Geldwert von fünf Betten.