Aristoteles (tphff): Unterschied zwischen den Versionen

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== [http://gutenberg.spiegel.de/buch/2361/62 Aus der Nikomachischen Ethik] ==
 
== [http://gutenberg.spiegel.de/buch/2361/62 Aus der Nikomachischen Ethik] ==
  
Einige Philosophen vertreten aber auch die Ansicht, die Wiedervergeltung sei das Recht schlechthin. So die Pythagoreer, die schlechthin das Recht als das bestimmten, was man von einem anderen wiedererleide. Allein die Wiedervergeltung stimmt mit der ausgleichenden Gerechtigkeit so wenig wie mit der austeilenden überein, obschon man in diesem Sinne das Recht des Rhadamanthys deuten möchte: »Leidest du was du getan, so ist richtiges Recht dir geworden.« Denn sie steht vielfach mit ihr in Widerspruch. Wenn z. B. eine obrigkeitliche Person jemanden geschlagen hat, so darf sie nicht wiedergeschlagen werden, und wenn jemand eine solche Person geschlagen hat, so muß er nicht blos geschlagen, sondern auch außerdem noch bestraft werden. Sodann trägt auch das Freiwillige und das Unfreiwillige der Handlung viel aus.
 
In jedem auf Gegenseitigkeit beruhenden Verkehr freilich begreift die Wiedervergeltung das fragliche Recht in sich, jedoch eine Wiedervergeltung nach Maßgabe der Proportionalität, nicht nach Maßgabe der Gleichheit. Denn dadurch, daß nach Verhältnis vergolten wird, bleibt der Bürgerschaft ihr Zusammenhalt gewahrt. Entweder nämlich sucht man das Böse zu vergelten, und ohne diese Vergeltung hätte (1133a) man den Zustand der Knechtschaft, oder das Gute, und ohne das wäre keine Gegenleistung, auf der doch die Gemeinschaft beruht. Darum errichtet man auch das Heiligtum der Chariten auf öffentlichen Plätzen, damit man der Gegenleistung gedenke, die der Dankbarkeit eigen ist. Denn man muß dem, der uns gefällig gewesen ist, Gegendienste erweisen und auch selbst wieder zuerst ihm gefällig sein.
 
  
Der Entgelt nach Verhältnis kommt zustande durch eine Verbindung der Daten nach Maßgabe der Diagonale; z. B. a sei Baumeister, b Schuster, c Haus und d Schuh. Der Baumeister muß nun vom Schuster dessen Arbeit bekommen und selbst ihm die seinige dafür zukommen lassenIn dem Quadrat abcd mit den Diagonalen ad und bc sei ac die Leistung des Baumeisters, ad sein Anspruch auf die Leistung des Schusters; bd sei dann die Leistung des Schusters und bc sein Anspruch auf die Leistung des Baumeisters. Im Verhältnis der Leistung eines jeden wachsen seine Ansprüche, wie die Diagonale im Verhältnis der Kathete. Nun muß ermittelt werden, was ein Haus gegenüber einem Schuh wert ist und umgekehrt. Daraus ergibt sich, was der Schuster und was der Baumeister zu leisten hat. Ist das Haus hundertmal so viel wert als der Schuh, so hat der Schuster hundert Schuhe und der Baumeister ein Haus zu liefern. . Wenn nun zuerst die Gleichheit im Sinne der Proportionalität bestimmt ist, und dann der Ausgleich nach diesem Verhältnisse stattfindet, so geschieht das, was wir meinen. Geschieht jenes aber nicht, so ist keine Gleichheit da, und ein geordneter Verkehr und Austausch kann nicht stattfinden. Denn nichts hindert, daß die Leistung des einen wertvoller sei als die des anderen, und folglich muß hier ein Ausgleich geschafft werden. Dasselbe Verhältnis findet sich bei den anderen Künsten und Handwerken. Es wäre um sie geschehen, wenn der Werkmeister nicht tätig ein Produkt schüfe, das sich quantitativ und qualitativ bewerten ließe, und nicht leidend dafür sowohl quantitativ als qualitativ entsprechend ausgelohnt würde. Denn aus zwei Ärzten wird keine Gemeinschaft, sondern aus Arzt und Bauer, und überhaupt aus verschiedenen und ungleichen Personen, zwischen denen aber eine Gleichheit hergestellt werden soll.
 
  
Daher muß alles, was untereinander ausgetauscht wird, gewissermaßen gleich den Zahlen addierbar sein, und dazu ist nun das Geld bestimmt, das sozusagen zu einer Mitte wird. Denn das Geld mißt alles und demnach auch den Überschuß und den Mangel; es dient also z. B. zur Berechnung, wie viel Schuhe einem Hause oder einem gewissen Maße von Lebensmitteln gleich kommen. Es kommen also nach Maßgabe des Verhältnisses eines Baumeisters zu einem Schuster so und so viel Schuhe auf ein Haus oder auf ein gewisses Maß von Lebensmitteln. Ohne solche Berechnung kann kein Austausch und keine Gemeinschaft sein. Die Berechnung ließe sich aber nicht anwenden, wenn nicht die fraglichen Werte in gewissem Sinne gleich wären. So muß denn für alles ein Eines als Maß bestehen, wie vorhin bemerkt worden ist. Dieses Eine ist in Wahrheit das Bedürfnis, das alles zusammenhält. Denn wenn die Menschen nichts bedürften oder nicht die gleichen Bedürfnisse hätten, so würde entweder kein Austausch sein oder kein gegenseitiger. Nun ist aber kraft Übereinkunft das Geld gleichsam Stellvertreter des Bedürfnisses geworden, und darum trägt es den Namen Nomisma (Geld), weil es seinen Wert nicht von Natur hat, sondern durch den Nomos, das Gesetz, und es bei uns steht, es zu verändern und außer Umlauf zu setzen.
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(I.) Einige sind der Ansicht, dass auch das Reziproke (antipe-
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ponthos) ohne weiteres gerecht ist. Diese Auffassung haben die
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Pythagoreer vertreten: Sie haben das Gerechte überhaupt be-
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stimmt als reziprokes Erleiden dessen, was man einem anderen
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zugefügt hat. Das Reziproke passt aber weder auf das verteilende
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(nemetikon) noch auf das ausgleichende (diorthötikon) Gerechte
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25 (obwohl man meint, der Satz des Rhadamanthys über das Ge-
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rechte wolle dies sagen: «Wenn man erleiden würde, was man
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getan hat, dann würde genaue Gerechtigkeit geschehen»). Denn
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in vielen Fällen stimmen Reziprozität und ausgleichende Gerech-
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tigkeit nicht überein. Wenn zum Beispiel ein Amtsträger jeman-
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den geschlagen hat, so darf er nicht zum Ausgleich seinerseits ge-
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schlagen werden, und wenn jemand einen Amtsträger geschlagen
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hat, soll man ihn nicht nur schlagen, sondern [außerdem] auch
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30 bestrafen. Ferner besteht ein großer Unterschied zwischen einer
  
So hat man denn eine wirkliche Wiedervergeltung, wenn eine Gleichung von der Art durchgeführt wird, daß wie der Bauer zum Schuster, so die Leistung des Schusters sich zu der des Bauers verhält. Man muß aber bei Herstellung (1133b) des Ausgleiches die verschiedenen Glieder des Verhältnisses nach dem Schema der Proportionalität einsetzen [Das ου in Bekkers und Susemihls Texte 1133b 1 ist zu tilgen. Auch bei W. v. Moorbeck fehlt es.], weil sonst auf das eine der beiden Extreme ein doppeltes Plus entfieleGäbe der Bauer einen Schäffel Weizen für einen Schuh, so hätte er erstens ein Plus an Arbeit bei der Erzielung der Ernte und zweitens ein Plus an Schaden beim Tausch, weil er mehr geben als nehmen wollte. . Dagegen wenn jeder das Seine bekommt, dann stehen sie sich gleich, und es kann ein geregelter Verkehr stattfinden, weil diese Gleichheit zwischen ihnen verwirklicht werden kann.
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gewollten (hekousion) Handlung und einer Handlung, die gegen das eigene Wollen ist,
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(z.) In Tauschgemeinschaften"(koinönia allaktike) aber hält diese Art des Gerechten-die-Menschen zusammen, und zwar das Reziproke, das der Proportion und nicht der Gleichheit entspricht. Denn durch den proportionalen reziproken Austausch hält der Staat zusammen. Die Menschen versuchen entweder Schlechtes für Schlechtes zurückzugeben, und wenn sie es nicht
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tun, halten sie das für einen Zustand der Sklaverei. Oder sie ver- 1133 a suchen, Gutes für Gutes zurückzugeben, und wenn sie es nicht tun, gibt es keinen Austausch, durch den Austausch aber bleiben sie zusammen. Daher errichten die Menschen auch einen Tempel der Chariten9 an einem gut sichtbaren Ort, damit reziprokes Geben stattfinde. Denn dies ist dem Dank((charis) eigentümlich: Demjenigen, der eine Gunst erwiesen hat, muss man im Gegenzug wieder einen Dienst erweisen, und ein andermal muss man als Erster ihm eine Gunst erweisen.
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(3.) Das proportionale reziproke Geben kommt durch die Ver-bindung diametraler Gegensätze zustande. Sei A ein Baumeister, B ein Schuster, C ein Haus, D ein Schuh. Dann muss also der Baumeister vom Schuster dessen Produkt (ergon) nehmen, und er selbst muss jenem sein eigenes Produkt zum Ausgleich geben. Wenn nun zuerst eine proportionale Gleichheit der Güter besteht ro
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und dann eine reziproke Handlung stattfindet, so geschieht das, was wir meinen. Wenn aber nicht, besteht keine Gleichheit, und es hält nichts die Parteien zusammen. Denn es könnte leicht der Fall sein, dass das Produkt des einen dem des anderen überlegen ist; folglich muss man zwischen diesen Gleichheit herstellen. (Das gilt auch für die anderen Arten des Herstellungswissens. Sie würden nämlich aufgehoben, wenn nicht das, was der Herstel- 15 lende bewirkt, dem entspräche, was das Bearbeitete erleidet, und zwar auch in der Quantität und Qualität.)`° Denn nicht aus zwei Ärzten entsteht eine Gemeinschaft, sondern aus einem Arzt und einem Bauern und allgemein aus Menschen, die verschieden und nicht gleich sind. Und zwischen diesen muss man Gleichheit her-stellen.
  
Gesetzt wir haben Bauer a, einen Schäffel Getreide c, Schuster b, seine nach der Regel des Ausgleichs bemessene Leistung d. Ließe sich die Wiedervergeltung nicht in dieser Weise durchführen, so gäbe es keine Gemeinschaft des VerkehrsVgl. Anm. 131. .
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(4.a) Darum müssen alle Dinge, von denen es einen Aus-
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zo tausch gibt, irgendwie ergleichb sein. Dazu ist das`Geld auf-gekommen, und es wird n gewisser Weise zu einem Mittleren. Denn es misst alles, also auch das Übermaß und den Mangel, etwa wie viele Schuhe einem Haus oder einer bestimmten Menge an Nahrungsmitteln gleich sind. Folglich muss sich, wie der Hausbauer zum Schuster, eine so und so große Zahl von Schuhen zu einem Haus oder einer Nahrungsmenge verhalten. Ist das nicht der Fall, werden keine Transaktion und keine Tausch-gemeinschaft zustande kommen. Das wird aber nicht der Fall sein, wenn die beiden Seiten nicht irgendwie gleich sind. Man
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25 muss also, wie schon gesagt, alles mit einer bestimmten Einheit messen.
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Dies ist aber in Wahrheit das Bedürfnis (chreia),das alles zusammenhält. Denn wenn die Menschen keiner Dinge bedürften oder wenn sie ihrer nicht auf ähnliche Weise bedürften, dann gäbe es keinen Austausch, oder jedenfalls nicht denselben Aus-tausch. Als eine Art Ersatz für das Bedürfnis ist aber durch Übereinkunft das Geld entstanden. Und deswegen hat es den Namen nomisma (Geld) erhalten, weil es nicht durch die Natur, sondern
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30 durch Konvention (nomos) vorhanden ist und weil es bei uns liegt, es zu ändern und unbrauchbar zu machen.
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Reziprozität wird also dann vorliegen, wenn Gleichheit
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hergestellt wurde, sodass sich, wie der Bauer sich zum Schuh-
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macher verhält, das Produkt des Schuhmachers zum Produkt des
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1133 b Bauern verhält. Jedoch darf man sie nicht erst in ein Schema der
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Proportion bringen, wenn sie den Austausch bereits vorgenom-
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men haben (sonst erhält das eine der beiden äußeren Glieder bei-
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de Überschüsse), sondern wenn sie ihre eigenen Güter noch ha-
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ben." Auf diese Weise sind sie Gleiche und Tauschpartner, eben
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weil diese Gleichheit in ihrem Fall hergestellt werden kann. Es sei
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A ein Bauer, C Nahrung, B ein Schuhmacher und D sein Produkt,
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das dem des Bauern gleich gemacht wurde. Wenn nicht auf diese
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Weise Reziprozität möglich wäre, gäbe es keine Gemeinschaft.
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Dass aber das Bedürfnis zusammenhält wie eine einzige Einheit,
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zeigt sich darin, dass die Parteien, wenn sie kein Bedürfnis nach
  
Daß aber das Bedürfnis als eine verbindende Einheit die Menschen zusammenhält, erhellt daraus, daß wenn kein Teil des anderen bedarf, oder auch nur der eine des anderen nicht, sie in keinen Verkehr des Austausches treten, wie sie es tun, wenn der eine Teil dessen benötigt, was der andere hat, z. B. Wein, und darum die Getreideausfuhr freigibt. Hier ist also eine Gleichheit herzustellen.
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einander haben – das heißt, wenn beide einander nicht brauchen oder einer von beiden den anderen nicht braucht –, keinen Aus-tausch vornehmen [wie dann, wenn jemand einer Sache bedarf, die man selbst hat, z.B. Wein, und dafür der Export von Getreide erlaubt wird]'. Hier muss also Gleichheit hergestellt werden. 10
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Für den künftigen Austausch – dafür, dass der Austausch, wenn jetzt kein Bedarf besteht, möglich sein wird, wenn Bedarf aufkommt – ist uns das Geld gewissermaßen Bürge. Denn dem, der dieses bringt, muss es möglich sein, etwas zu bekommen. Allerdings geschieht dasselbe mit dem Geld. Es ist nämlich nicht immer gleich viel wert; dennoch hat es die Tendenz, stabiler zu sein. Darum muss für alle Güter ein Preis festgesetzt werden. So nämlich wird immer Tausch stattfinden, und wenn Tausch, dann 15
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Gemeinschaft. Das Geld stellt also, indem es die Dinge wie_ Maß kommensura el (symmetron) macht, Gleichheit her. Denn
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weder gäbe es Gemeinschaft, wenn es keinen Austausch gäbe, noch Austausch, wenn es keine Gleichheit gäbe, noch Gleichheit, wenn es keine Kommensurabilität gäbe. In Wahrheit allerdings ist es unmöglich, dass Dinge, die so verschieden sind, kommensurabel werden können, doch im Hinblick auf das Bedürfnis ist das hinreichend möglich. Es muss also eine Einheit geben, und zwar zo durch Übereinkunft; daher wird sie Geld (nomisma) genannt. Das Geld macht alle Dinge kommensurabel, denn alle werden durch das Geld gemessen. Sei A ein Haus, B zehn Minen, C ein Bett. A ist die Hälfte von B, wenn das Haus fünf Minen wert oder ihnen gleich ist. Das Bett, C, ist ein Zehntel von B. Es ist demnach klar, wie viele Betten einem Haus gleich sind, nämlich fünf. Dass 25 der Tausch so vonstatten ging, ehe es Geld gab, ist klar. Denn es ist gleichgültig, ob fünf Betten für ein Haus getauscht werden oder der Geldwert von fünf Betten.
  
Für einen späteren Austausch ist uns, wenn kein augenblickliches Bedürfnis dafür vorliegt, das Geld gleichsam Bürge, daß wir ihn im Bedürfnisfalle vornehmen können. Denn wer mit Geld kommt, muß nach Bedarf erhalten können. Freilich geht es mit dem Gelde, wie mit anderen Dingen: es behält nicht immer genau seinen Wert. Jedoch ist derselbe naturgemäß mehr den Schwankungen entzogen.
 
  
Daher muß alles seinen Preis haben; denn so wird immer Austausch und somit Verkehrsgemeinschaft sein können. Das Geld macht also wie ein Maß alle Dinge kommensurabel und stellt dadurch eine Gleichheit unter ihnen her. Denn ohne Austausch wäre keine Gemeinschaft und ohne Gleichheit kein Austausch und ohne Kommensurabilität keine Gleichheit. In Wahrheit können freilich Dinge, die so sehr von einander verschieden sind, nicht kommensurabel sein, für das Bedürfnis aber ist es ganz gut möglich. Es muß also ein Eines geben, welches das gemeinsame Maß vorstellt, und zwar kraft positiver Übereinkunft vorstellt, weshalb es auch Nomisma heißt, gleichsam vom Gesetz, Nomos, aufgestelltes Wertmaß. Denn alles wird nach ihm gemessen.
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a sei ein Haus, b zehn Minen, c ein Bett, a ist nun ½ b, wenn das Haus fünf Minen wert oder ihnen gleich ist. Das Bett c sei 1/10 b. So sieht man denn, wie viel Betten dem Hause gleich sind, nämlich fünf. Daß in dieser Weise der Austausch vor sich ging, bevor das Geld aufkam, ist klar. Denn es trägt nichts aus, ob man fünf Betten für ein Haus gibt oder den Geldwert der fünf Betten.
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Version vom 20. Oktober 2011, 07:54 Uhr

Aus der Nikomachischen Ethik

(I.) Einige sind der Ansicht, dass auch das Reziproke (antipe- ponthos) ohne weiteres gerecht ist. Diese Auffassung haben die Pythagoreer vertreten: Sie haben das Gerechte überhaupt be- stimmt als reziprokes Erleiden dessen, was man einem anderen zugefügt hat. Das Reziproke passt aber weder auf das verteilende (nemetikon) noch auf das ausgleichende (diorthötikon) Gerechte 25 (obwohl man meint, der Satz des Rhadamanthys über das Ge- rechte wolle dies sagen: «Wenn man erleiden würde, was man getan hat, dann würde genaue Gerechtigkeit geschehen»). Denn in vielen Fällen stimmen Reziprozität und ausgleichende Gerech- tigkeit nicht überein. Wenn zum Beispiel ein Amtsträger jeman- den geschlagen hat, so darf er nicht zum Ausgleich seinerseits ge- schlagen werden, und wenn jemand einen Amtsträger geschlagen hat, soll man ihn nicht nur schlagen, sondern [außerdem] auch 30 bestrafen. Ferner besteht ein großer Unterschied zwischen einer

gewollten (hekousion) Handlung und einer Handlung, die gegen das eigene Wollen ist, (z.) In Tauschgemeinschaften"(koinönia allaktike) aber hält diese Art des Gerechten-die-Menschen zusammen, und zwar das Reziproke, das der Proportion und nicht der Gleichheit entspricht. Denn durch den proportionalen reziproken Austausch hält der Staat zusammen. Die Menschen versuchen entweder Schlechtes für Schlechtes zurückzugeben, und wenn sie es nicht tun, halten sie das für einen Zustand der Sklaverei. Oder sie ver- 1133 a suchen, Gutes für Gutes zurückzugeben, und wenn sie es nicht tun, gibt es keinen Austausch, durch den Austausch aber bleiben sie zusammen. Daher errichten die Menschen auch einen Tempel der Chariten9 an einem gut sichtbaren Ort, damit reziprokes Geben stattfinde. Denn dies ist dem Dank((charis) eigentümlich: Demjenigen, der eine Gunst erwiesen hat, muss man im Gegenzug wieder einen Dienst erweisen, und ein andermal muss man als Erster ihm eine Gunst erweisen. (3.) Das proportionale reziproke Geben kommt durch die Ver-bindung diametraler Gegensätze zustande. Sei A ein Baumeister, B ein Schuster, C ein Haus, D ein Schuh. Dann muss also der Baumeister vom Schuster dessen Produkt (ergon) nehmen, und er selbst muss jenem sein eigenes Produkt zum Ausgleich geben. Wenn nun zuerst eine proportionale Gleichheit der Güter besteht ro und dann eine reziproke Handlung stattfindet, so geschieht das, was wir meinen. Wenn aber nicht, besteht keine Gleichheit, und es hält nichts die Parteien zusammen. Denn es könnte leicht der Fall sein, dass das Produkt des einen dem des anderen überlegen ist; folglich muss man zwischen diesen Gleichheit herstellen. (Das gilt auch für die anderen Arten des Herstellungswissens. Sie würden nämlich aufgehoben, wenn nicht das, was der Herstel- 15 lende bewirkt, dem entspräche, was das Bearbeitete erleidet, und zwar auch in der Quantität und Qualität.)`° Denn nicht aus zwei Ärzten entsteht eine Gemeinschaft, sondern aus einem Arzt und einem Bauern und allgemein aus Menschen, die verschieden und nicht gleich sind. Und zwischen diesen muss man Gleichheit her-stellen.

(4.a) Darum müssen alle Dinge, von denen es einen Aus- zo tausch gibt, irgendwie ergleichb sein. Dazu ist das`Geld auf-gekommen, und es wird n gewisser Weise zu einem Mittleren. Denn es misst alles, also auch das Übermaß und den Mangel, etwa wie viele Schuhe einem Haus oder einer bestimmten Menge an Nahrungsmitteln gleich sind. Folglich muss sich, wie der Hausbauer zum Schuster, eine so und so große Zahl von Schuhen zu einem Haus oder einer Nahrungsmenge verhalten. Ist das nicht der Fall, werden keine Transaktion und keine Tausch-gemeinschaft zustande kommen. Das wird aber nicht der Fall sein, wenn die beiden Seiten nicht irgendwie gleich sind. Man 25 muss also, wie schon gesagt, alles mit einer bestimmten Einheit messen. Dies ist aber in Wahrheit das Bedürfnis (chreia),das alles zusammenhält. Denn wenn die Menschen keiner Dinge bedürften oder wenn sie ihrer nicht auf ähnliche Weise bedürften, dann gäbe es keinen Austausch, oder jedenfalls nicht denselben Aus-tausch. Als eine Art Ersatz für das Bedürfnis ist aber durch Übereinkunft das Geld entstanden. Und deswegen hat es den Namen nomisma (Geld) erhalten, weil es nicht durch die Natur, sondern 30 durch Konvention (nomos) vorhanden ist und weil es bei uns liegt, es zu ändern und unbrauchbar zu machen. Reziprozität wird also dann vorliegen, wenn Gleichheit hergestellt wurde, sodass sich, wie der Bauer sich zum Schuh- macher verhält, das Produkt des Schuhmachers zum Produkt des 1133 b Bauern verhält. Jedoch darf man sie nicht erst in ein Schema der Proportion bringen, wenn sie den Austausch bereits vorgenom- men haben (sonst erhält das eine der beiden äußeren Glieder bei- de Überschüsse), sondern wenn sie ihre eigenen Güter noch ha- ben." Auf diese Weise sind sie Gleiche und Tauschpartner, eben weil diese Gleichheit in ihrem Fall hergestellt werden kann. Es sei A ein Bauer, C Nahrung, B ein Schuhmacher und D sein Produkt, das dem des Bauern gleich gemacht wurde. Wenn nicht auf diese Weise Reziprozität möglich wäre, gäbe es keine Gemeinschaft. Dass aber das Bedürfnis zusammenhält wie eine einzige Einheit, zeigt sich darin, dass die Parteien, wenn sie kein Bedürfnis nach

einander haben – das heißt, wenn beide einander nicht brauchen oder einer von beiden den anderen nicht braucht –, keinen Aus-tausch vornehmen [wie dann, wenn jemand einer Sache bedarf, die man selbst hat, z.B. Wein, und dafür der Export von Getreide erlaubt wird]'. Hier muss also Gleichheit hergestellt werden. 10 Für den künftigen Austausch – dafür, dass der Austausch, wenn jetzt kein Bedarf besteht, möglich sein wird, wenn Bedarf aufkommt – ist uns das Geld gewissermaßen Bürge. Denn dem, der dieses bringt, muss es möglich sein, etwas zu bekommen. Allerdings geschieht dasselbe mit dem Geld. Es ist nämlich nicht immer gleich viel wert; dennoch hat es die Tendenz, stabiler zu sein. Darum muss für alle Güter ein Preis festgesetzt werden. So nämlich wird immer Tausch stattfinden, und wenn Tausch, dann 15 Gemeinschaft. Das Geld stellt also, indem es die Dinge wie_ Maß kommensura el (symmetron) macht, Gleichheit her. Denn weder gäbe es Gemeinschaft, wenn es keinen Austausch gäbe, noch Austausch, wenn es keine Gleichheit gäbe, noch Gleichheit, wenn es keine Kommensurabilität gäbe. In Wahrheit allerdings ist es unmöglich, dass Dinge, die so verschieden sind, kommensurabel werden können, doch im Hinblick auf das Bedürfnis ist das hinreichend möglich. Es muss also eine Einheit geben, und zwar zo durch Übereinkunft; daher wird sie Geld (nomisma) genannt. Das Geld macht alle Dinge kommensurabel, denn alle werden durch das Geld gemessen. Sei A ein Haus, B zehn Minen, C ein Bett. A ist die Hälfte von B, wenn das Haus fünf Minen wert oder ihnen gleich ist. Das Bett, C, ist ein Zehntel von B. Es ist demnach klar, wie viele Betten einem Haus gleich sind, nämlich fünf. Dass 25 der Tausch so vonstatten ging, ehe es Geld gab, ist klar. Denn es ist gleichgültig, ob fünf Betten für ein Haus getauscht werden oder der Geldwert von fünf Betten.