7 Fernsehen und Aggressivität

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7 Fernsehen und Aggressivität

In den USA beträgt die durchschnittliche Einschaltquote pro Person 6 Stunden und 11 Minuten täglich. Es gibt Jugendliche, die mehr Zeit vor dem Fernseher verbringen als in der Schule (50 und mehr Stunden wöchentlich). In Japan sind 70 % aller Fernsehgeräte bereits um 8 Uhr morgerns eingeschaltet; die durchschnittliche Einschaltzeit liegt hier bei 7 Stunden und 17 Minuten täglich.

Da die Menschen so viel Zeit vor dem Fernseher verbringen, wird die Wirkung des Fernsehens ganz erheblich verstärkt. In den meisten Ländern predigt das Fernsehen Gewalt, stellt sie in allen Spielarten dar und glorifiziert sie. In den Vereinigten Staaten wird so viel Gewalttätigkeit übertragen, dass George Gerbner, Leiter der Annenberg School of Communications an der University of Pennsylvania, ein „Gewaltbarometer“ entwickelt hat, mit dem im Rahmen einer Studie 33 Stunden des überregional ausgestrahlten Unterhaltungsprogrammes auf Gewaltszenen untersucht und analysiert wurden (1973). Daraus ließ sich ein Jahresindex ermitteln, der auch heute noch zuVergleichszwecken herangezogen wird. Demnach enthielten 70 % aller Fernsehprogramme zumindest Anzeichen von Gewalt. Allein in Kinderfilmen kamen durchschnittlich acht gewalttätige Episoden pro Stunde vor.

Das Britische Fernsehen zeigt durchaus ähnliche Verhältnisse. Und in Deutschland? Hier handelte sich Heribert Heinrichs von der Pädagogischen Hochschule Hildesheim den Spitznamen „Leichenzähler“ ein, weil er Gewaltszenen im deutschen Fernsehen minutiös dokumentierte. In einer einzigen Woche zählte er auf dem deutschen Bildschirm 103 Morde, 52 Körperverletzungen, 27 Schießereien, acht Raubüberfälle und unzählige andere Formen von Gewalt, wie Brandstiftung, Vergewaltigung und Folter.

Im fernsehsüchtigen Japan vergeht kein Abend ohne zwei bis drei Stunden blutrünstiger Samurai- oder Yakuza-(Gangster)Shows. Eigene Spezialisten, die Tateschi, haben keine andere Aufgabe, als sich komplizierte, exotische und möglichst schockierende Szenen der Gewalt für die Kamera auszudenken. (Bailey S. 61ff.)

Man sollte um diese erschreckenden Hintergründe wissen, um zu erkennen, worum es den Programmgestaltern letztendlich geht. Gewalt ist gewollt; im Interesse höherer Einschaltquoten und damit auch höherer Erträge werden Erwachsene und Kinder gleichermaßen damit bedient. Der ehemalige Anspruch des Fernsehens als Bildungsfaktor wird eindeutig vernachlässigt.

Gewalt ist natürlich nichts Neues. Bereits im antiken Griechenland setzte man sich damit auseinander. Um zu verhindern, dass Märchenerzähler die Kinder durch Schilderungen von Untaten zu „falschen Ideen“ verführten, sollten nur „gute“ Geschichten erzählt und die Dichter der Sagen und Märchen „beaufsichtigt“ werden. Das lief auf eine staatlich angeordnete Zensur hinaus. (http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/MEDIEN/Fernsehwirkung.shtml 17. Mai 08 10:34)

Sowohl Fernsehkritikern als auch Fernsehbefürwortern blieben die unterschiedlichen Wirkungen gezeigter Gewalt auf die Zuseher nicht verborgen. Die Reaktionen lassen sich nach mehreren Theorien einordnen und klassifizieren.

7.1 Katharsis-Hypothese

Manche Befürworter des Fernsehens führen die von Aristoteles und Freud vertretene Katharsis-Theorie als Begründung für ihre These an, die imFernsehen gezeigte Gewalt könnte sogar als gesundes Ventil für die im Kind vorhandenen aggressiven Neigungen dienen. Aristoteles befürwortete aus dem gleichen Grunde gewalttätige Theaterstücke für das Volk, das durch das hautnahe Miterleben die Möglichkeit hätte, seine eigenen Aggressionen abzubauen, ohne der Mitwelt zu schaden. (http://members.surfeu.at/patrick.horvath/fernkind.htm 20. Mai 08 13: 54).

Auf die Medienwelt übertragen heißt das, Aggressionen könnten durch Beobachten und Miterleben von Gewalttaten auf dem Bildschirm in der Phantasie des Zusehers abgebaut werden. Diese Hypothese wurde allerdings empirisch widerlegt.

7.2 Erregungshypothese

Der übermäßige Konsum von Gewalttaten führt zu einer „physiologischen Erregung“ des Zuschauers. Er empfindet zunehmend Ärger und den wachsenden Drang, sich abreagieren zu müssen. Wird er nun tatsächlich von einer außenstehenden Person durch Handlungen oder Äußerungen „geärgert“, die er normalerweise nie als Provokation empfinden würde, kann es zu einer aggressiven Haltung kommen.

7.3 Nachahmungs-Hypothese

Vor allem Kinder und Jugendliche empfinden Bewunderung für ihren Fernsehhelden und versuchen, sich mit ihm zu identifizieren, indem sie seine Bewegungen, seine Sprechweise, sein Verhalten nachahmen. (Myrtek S. 33)

Die Anzahl der Gewalttaten im Fernsehen steigt nach wie vor an. Kriminalfilme aus den 60er-Jahren sind mit den modernen Krimis und Action-Filmen überhaupt nicht zu vergleichen. Eine in den USA durchgeführte Studie zeigt, dass Kinder bis zu ihrem 12. Lebensjahr etwa 80.000 (!) Gewaltszenen im Fernsehen erleben. Eine Untersuchung in Deutschland ergab Ähnliches. Am 24. April des Jahres 1989 wurden auf SAT 1 zwischen 16 Uhr und 20 Uhr zweiundvierzig Gewaltszenen dargestellt, das sind mehr als zehn in einer Stunde.

Wie Kinder auf gezeigte Gewalt reagieren, hat ein Experiment deutlich gemacht. Zwei Gruppen von Kindern, deren eine einem Gewaltfilm, die andere einem gewaltfreien Film ausgesetzt worden war, durften danach Hockey spielen. Außenstehende neutrale Pädagogen, die nicht wussten, welche Gruppe welchen Film gesehen hatte, stellten eine deutliche Tendenz fest. Die Gewaltfilm-Gruppe war wesentlich aggressiver als die anderen Kinder, sie rammten mit den Ellenbogen, rempelten unerlaubt, zogen Gegner bei den Haaren... http://arbeitsblaetter.stangl-taller.at/MEDIEN/Fernsehwirkung.shtml (17. Mai 08 10:34)