18. Juni 2007
Lacan, Jacques (1986): XXIV Die Paradoxe der Ethik oder Hast Du konform mit Deinem Begehren gehandelt, in: ders.: Das Seminar. Buch VII. Die Ethik der Psychoanalyse, Berlin, Weinheim: Quadriga 1996, 371-388.
Vorweg...
... einige Anknüpfungsmöglichkeiten, Knotenpunkte des Ethikseminars, denjenigen Sitzungen entnommen, die in unserem Seminar nicht besprochen werden konnten.
Ein solcher Knotenpunkt ist der Todestrieb. Laplanche und Pontalis weisen in ihrem Artikel in Das Vokabular der Psychoanalyse darauf hin, dass das Konzept des Todestriebs bis heute umstritten und von vielen psychoanalytischen Richtungen nicht integriert wurde. Es sei daher notwendig zu fragen, warum und an welcher Stelle seiner Theorie Freud den Todestrieb einführen musste.
Zur Orientierung, welche Stellen und Motive für Freud in Zusammenhang mit der Frage nach dem Todestrieb wichtig sind:
a) Wiederholungsphänomene bei Kriegsneurosen. Mit der Libido allein lässt sich für Freud nicht erklären, wieso unlustvolle Phänomene, wie sie sich in einem Wiederholungszwang zeigen, angestrebt werden.
b) In der Klinik der Zwangsneurose stößt Freud auf Momente der Ambivalenz, der Aggressivität, des Sadismus, des Masochismus. Auch für diese Phänomene reicht die Libido als triebdynamisches Erklärungsmodell nicht aus.
c) Der Hass ist für Freud von Anfang an ein Stein des Anstoßes insofern, als er in ein triebmonistisches Konzept nicht einzufügen ist.
Lacan nähert sich dieser Problematik insofern schräg, als er in jener Sitzung, die mit „Todestriebe“ überschrieben ist, zuerst einmal von Freuds gesellschaftspolitischer Position spricht, davon, dass Freud kein Fortschrittler war, deswegen, weil er eine bestimmte Sorte bürgerlicher Vorurteile nicht teilte. Ebensowenig sei Freud Marxist gewesen, wenn er auch mit Marx einiges gemeinsam gehabt hat, etwa dass „Vernunft und Bedürfnis nicht ausreichen, das Feld einzuschätzen, um das es sich bei der menschlichen Verwirklichung handelt“ (Lacan 1986, 252 auch für das Folgende). Auf Seiten der Psychoanalyse ist der Hintergrund dieser Annahme naturgemäß ein anderer, als auf Seiten der marxistischen Theorie. Aus psychoanalytischer Sicht ist eine Beschreibung der Situation des Menschen mithilfe von Ausdrücken wie Vernunft und Bedürfnis deswegen nicht ausreichend, weil das Unbewusste eine Spaltung einführt, eine Spaltung des Subjekts, das fortan nicht mehr einfach mit der Befriedigung seiner Bedürfnisse zufrieden werden kann. Die Spaltung führt das Begehren ein oder führt das Subjekt in das Begehren ein.
Von diesem Moment an ist das Genießen an den anderen gebunden, ist mehr als die Befriedigung eines Bedürfnisses, sondern statt dessen die Befriedigung eines Triebs. Der Trieb sei sehr komplex, sagt Lacan. Und es wäre falsch, den Trieb auf etwas Energetisches zu reduzieren. Der Trieb habe vielmehr auch eine historische Dimension. „Diese Dimension zeichnet sich aus durch die Hartnäckigkeit, mit der sie auftritt, indem sie sich auf ein Erinnerbares bezieht als auf ein Erinnertes. Das Eingedenken, die Vergeschichtlichung ist dem Funktionieren des Triebs im sogenannten Psychischen des Menschen koextensiv“ (Lacan 1986, 253).
De Sade
Lacan greift auf Sade zurück, auf dessen Text Juliette. Darin beschreibt Sade das System des Papstes Pius VI. In diesem System wird die Zerstörung gleichsam salonfähig gemacht. Die Zerstörung wird als etwas Notwendiges hingestellt, das für den Neuaufbau Voraussetzung und insofern unverzichtbar sei. Ohne Zerstörung keine Nahrung für die Erde, keine Reproduktionsmöglichkeit. Die Laster, die Untugenden, die Verbrechen, ja der Krieg – sie alle sind in diesem Sinne notwendiger als die Tugend, die Sade als weniger produktiv ansieht. Tugenden sind erzeugt, Laster erzeugen etwas.
Lacan bemüht sich, den Todestrieb nicht nur als das anzusehen, was auf Spannungsabbau und damit Tod zusteuert, sondern als etwas, was sich im Bereich der signifikanten Kette artikuliert. „Der Trieb als solcher, und sofern er eben Destruktionstrieb ist, muss jenseits der Tendenz zur Rückkehr zum Unbelebten liegen“ (Lacan 1996, 256). Der Punkt, auf den Lacan Argumentation hinausläuft, die ich Ihnen hier im Detail erspare, weil die Einbeziehung der Frage der Evolution und des Kreationismus hier zu weit führen, ist folgender: Freuds Konzept des Todestriebs hat etwas von einer Annahme einer natürlich vorhandenen und für die Natur notwendigen Bestrebung in Richtung des Anorganischen. Eine solche Annahme impliziert, dass es eine Art zweites Subjekt in der Natur gibt, ein Subjekt, das dafür sorgt, dass Gleichgewicht besteht. Ein solches Subjekt würde, so Lacans Gedankengang, von einem Subjekt gestützt, das weiß, einem wissenden Subjekt, im konkreten Fall von Freud als einem wissenden Subjekt, als jemandem, der weiß, wie die Dinge liegen, wie die Natur organisiert ist. Ein solches wissendes Subjekt steht aber in Gegensatz zu Freuds eigener Annahme, dass das Subjekt der Psychoanalyse, das Subjekt des Unbewussten eines ist, das nicht weiß. Daher bezeichnet Lacan Freuds Theorie der Todestriebe als weder wahr noch falsch, sondern als suspekt.
Lacan dagegen will betonen, dass es ohne die Artikulation eines Todestriebs einen solchen nicht gibt. Damit stellt er den Signifikanten an den Anfang im Sinne eines Am-Anfang-war-das-Wort. „Ohne den Signifikanten am Anfang ist es nicht möglich, den Trieb als geschichtlich zu artikulieren“ (Lacan 1986, 258). Der Trieb kommt damit für Lacan eher aus einem Nichts, aus einem ex nihilo, und nicht aus der Natur.
Der Bereich, der für Lacan jenseits des Signifikanten bleibt, ist der Ort des Dings. Das ist der Ort, auf den sich die Sublimierung bezieht – Lacan sagt „an dem sich die Sublimierung herstellt“, und es ist der Ort, an den die Frau etwa im Konzept der höfischen Liebe gestellt wird. Die Frau wird mit etwas identifiziert, das nicht signifikant ist, nicht signifikant werden kann. „Sie müssen zugeben, ein Geschöpf wie die Frau an diesen Jenseitspunkt zu stellen, ist ein wahrhaft unglaublicher Gedanke“ (Lacan 1986, 259). Die Frau wird in der höfischen Liebe an die Stelle des Seins gesetzt.
Aber an diese Stelle kann auch ganz anderes kommen. Sade setzt das Wesen dorthin, das das höchste Böse ist.
Literatur:
Lacan, Jacques (1986): Das Seminar. Buch VII. Die Ethik der Psychoanalyse. Berlin, Weinheim: Quadriga 1996.
Laplanche, Jean / Jean-Bertrand Pontalis (1967): Das Vokabular der Psychoanalyse. Frankfurt/M.: Suhrkamp Verlag, 17. Aufl. 2002.
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