15. Mai Zusammenfassung

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Wittgenstein und Bildung Inwiefern kann man bei Wittgenstein noch von Bildung sprechen, wenn er doch gerade den Aufstieg aus der platonischen Höhle, also das, worunter Platon Bildung versteht, abschneidet? Ein paar philosophiegeschichtliche, motivationale und systematische Bemerkungen zum Ursprung dieser Unterbrechung sollten das klären. Wittgenstein ist eine philosophische Ausgestaltung und Radikalisierung von Ansätzen der formalen Logik, die durch Gottlob Frege in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts /Anfang des 20. Jahrhunderts gesetzt worden sind. Frege war Mathematiker und hat die traditionelle und philosophische Disziplin der Logik auf eine neue Grundlage gestellt, die wir heute als formale Logik kennen. Frege hat Platos Sprachphilosophie mit eingebaut in seine Grundlegung der modernen formalen Logik. Sätze bestehen demnach nicht nur aus Namen. Sätze sind Zusammenstellungen, Gebilde aus Namen und Prädikaten. Prädikatsausdrücke beziehen sich auf Begriffe. Begriffe jedoch sind keine Dinge. Es ergibt sich folgende Frage: Wenn Begriffsausdrücke für Begriffe stehen, wie rede ich dann von Begriffen? Die Schwierigkeit besteht darin, dass man jetzt auf der einen Seite einen Namen hat (und Namen sind eingeführt für Dinge) und sich gleichzeitig die Freiheit nimmt, das, was man für Dinge eingeführt hat, für etwas zu verwenden, was nicht Dinge sind. Man nennt Begriffe. Russel macht auf dieses Problem bei Frege aufmerksam: Wenn man Begriffe vergegenständlicht, dann kann man - mit der nötigen logischen Raffinesse - im logischen System Widersprüche nachweisen, die die Konsistenz des Frege‘schen Systems in Frage stellen. Wittgenstein versucht diese Zweideutigkeit Freges im Tractatus auszuklammern. Er verwendet Namen, die sich auf Dinge beziehen, und Satzstrukturen. Satzstrukturen sind schlicht und einfach nicht benennbar. Denn wären sie benennbar, dann wären sie Dinge. Sie sind aber keine Dinge. Alles, wovon ich sprechen kann als Ding wird mit Namen angegeben. Alles, was sich wie Dinge zueinander verhält, wird durch Formen in den Sätzen, die von Sachverhalten reden, dargestellt. Darin besteht der Egalitarismus von Wittgenstein: Die Sprache gestattet allen, die die Sprache verwenden, dass der Einsatz von Namen den Zugang zu den benannten Dingen bietet. Über Sachverhalte also kann man reden, über die sogenannten Urbilder aber nicht: „Worüber wir reden können, ist erfasst in der Isomorphie zwischen den Sätzen und den Sachverhalten. Hier spielt sich auch die Wahrheit ab. Und darüberhinaus gibt es zwar Urbilder, aber die zeigen sich, über die können wir nicht reden, man müsste eigentlich verbieten, darüber zu reden.“

Wittgenstein in der Linie Platons Warum Wittgenstein an dieser Stelle mit Platon in Verbindung zu bringen ist und nicht in den Positivismus, in den Wiener Kreis und in die Logik zu nehmen ist, soll hier erläutert werden. Logische Systeme werden aufgebaut in zwei Stufen: die erste Stufe ist das Aussagenkalkül, die zweite Stufe ist das Prädikatenkalkül. Das Aussagekalkül handelt davon, dass es Sätze gibt. Wie diese Sätze aufgebaut sind, ist egal. Die Sätze können aber untereinander verbunden werden mit Hilfe von logischen Operatoren. Wittgenstein ist derjenige, der auf der Ebene der Satzverbindungen die weit verbreitete und standardmäßige Darstellungsform eingeführt hat, nämlich die Wahrheitstafeln. Diese Sätze sind der Richtungssinn: dass ein Satz wahr oder falsch sein kann. Das ist ein wesentliches Erfordernis zusätzlich zu dem Inhaltssinn. Diese Richtung bildet sich ab in den Wahrheitstafeln im Tractatus - von daher ist Wittgenstein voll in der Linie der modernen logischen Kalküle. Das Prädikatenkalkül ist dasjenige logische Verfahren, das sich jetzt die Sätze intern anschaut. Sätze sind zusammengesetzt aus Namen und Formen, Relationen. Zusätzlich zu den logischen Operatoren haben Sie Variable oder Konstanten. Wesentlich ist, dass man mit dem Prädikatenkalkül aus allgemeinen Aussagen wissenschaftliche Aussagen, die etwas über einen gesamten Individuenbereich sagen, erfassen kann. Das kann man mit der Aussagenlogik nicht. Mit der Aussagenlogik kann man einfach nur Sätze miteinander verknüpfen. Diese interne Struktur wird in klassischen Verfahren durch Quantoren wiedergegeben. Quantoren beziehen sich auf "es gibt ein x, welches ..." oder "alle x haben ..." o. ä. Dazu ein systematisch zentraler – aber oft übersehender - Satz von Wittgenstein im Tractatus: Ich trenne den Begriff Alle von der Wahrheitsfunktion (5.521)

Das heißt, dass Wittgenstein die interne Struktur der Sätze thematisiert. Sätze haben Features gemeinsam und diese Gemeinsamkeit ist das Thema der Allgemeinheit. Was das Gemeinsame ist, zeigt sich durch ein Urbild. Das Urbild ist das „Feature“ der Welt.

Das ist die Bombe, die Wittgenstein in die Bildungsphilosophie wirft. Das ist der Grund, warum es so wichtig ist, dass Wittgenstein dieses Verhältnis zwischen den einzelnen Sätzen und dem Urbild, das sich in diesen Sätzen wiedergibt, nicht selber zum Thema eines Aufstieg macht, weil er nach dem radikalisierten Verfahren von Frege nicht an dieses Urbild herangeht durch Benennung. Es sieht die Sprache als etwas, worin sich etwas zeigt. Sprache ist also nur leistungsfähig in einem bestimmten Bereich. Sie ist darüber hinaus auch Trägerin von Mitteilungen, die nicht thematisch gemacht werden können ohne dass Gefahr läuft, durch diese Thematisierung die Mitteilung selber entweder zu degradieren oder sogar zu zerstören (diese Mitteilungen müssen gezeigt, nicht gesagt werden). Das ist zu sagen zu dem Thema Allgemeinheit und Platonismus. Die Urbilder müssen eingesehen werden: "Das kann ich dir nicht erklären, dass musst du sehen." Das ist auch eine erlernbare Qualität, etwas, was wir uns zum Ziel machen.

Das philosophische Handwerk Sokrates geht davon aus, dass im athenischen-demokratischen Staat Leute aus allen Berufen über Sachen mitentscheiden können, die sie überhaupt nicht gelernt haben. Wo aber lernt man das überhaupt, zu sagen, jemand sei gerecht, wenn man jemanden freispricht, oder jemand ist ungerecht, wenn man ihn aus der Stadt verbannt? Es muss eine Fähigkeit geben, die man lernen kann, die dahinter steht, dass wir solche Urteile sprechen: Wir müssen die Kompetenz gewinnen, zu wissen was gerecht und was schön ist. Die Reaktion von Platon darauf ist wichtig. Das ist eine Reaktion, die das Ganze systematisch fundiert, indem er sagt: Ja, es gibt die berechtigte Frage nach dem Schönen, Wahren und Guten. Diese Frage ist einer bestimmten Art von HandwerkerInnen übertragen, die nennen wir die Liebhaber der Weisheit, PhilosophInnen. Diese Unterscheidung von Platon zwischen den Schaulustigen und denen, die auf wahr/falsch mit ja/nein im Zusammenhang mit Gerechtigkeit Antwort geben, die ExpertInnen im Wahrem, Gutem, Schönem sind, ist das, was die konzeptuelle Basis von einem großen Teil der Philosophiegeschichte ausmacht. Das ist für Wittgenstein mit seinem Egalitarismus eine Herausforderung: Dass wir über Urbilder und Begriffe nicht reden können. Das ist bei Wittgenstein ein Untersagen des philosophischen Handwerks. Der platonische Höhlenaufstieg - eben dieser besondere Lernprozess wird von Wittgenstein geleugnet. Auf der einen Seite gibt es immer noch die Welt des Allgemeinen und der Urbilder, die eine Gestaltungskraft für unser Verstehen hat, aber es gibt keinen Weg mehr dorthin, weil der Weg eine Sonderleistung - quasi ein elitäres Verhältnis – wäre, das man mit Wittgenstein nicht anerkennen kann. Es ist eine "Hochnäsigkeit", dieses "Risiko der Allgemeinheit", das in der Philosophie enthalten ist, um die es da geht, und wegen der Wittgenstein im Tractatus in die Situation gerät, sich auf einen Ast zu setzen, und an ihm zu sägen.

Wittgenstein und Datenbanken Eine Ausführung über Datenbanken kann helfen das Thema zu verdeutlichen, um das es Wittgenstein geht: nämlich das Zeigen und die Grenzen. Professor Heinz Zemanek hat einen längeren Beitrag geschrieben über die Ursprünge der Informatik im Wiener Kreis und bezieht sich darin auf den Tractaus Der erste Punkt ist der, dass Wittgenstein im Tractatus einen Anstoß gesetzt hat, der dann in der Informatik weitergeht; das aber wird erst später behandelt. Zunächst aber zur zweiten Sache. Nämlich ganz elementare, einfache Basics über Datenbanken und der Hinweis, wieso man mit Gewinn diese Features von Datenbanken auch in der Interpretation dessen, was im Tractatus und bei Wittgenstein geht, ausnutzen kann.

Informationstechnische Basics Ein Browser ist ein Stück Software, das eine Auslage bildet. Hinter der Auslage gibt es einen Quelltext, eine Mixtur zwischen HTML und zusätzlichen Skriptsprachen, die dazu führen, dass der Code, mit dem hier operiert wird, auch bestimmte Sachen macht. Die Skriptsprache dient dazu, um in der Erzeugung von solchen Seiten Abfragen an Datenbanken mit hinein zu integrieren. Diese Skriptsprache fragt geregelt aus einer Datenbank - nach bestimmten Kriterien. Das wichtige ist, dass es die Darstellung der Struktur dessen ist, was da dahinter ist. Hier geht es um relationale Datenbanken. Relationale Datenbanken sind das katesische Produkt mehrerer Mengen. Das katesische Produkt der beiden Mengen ist jetzt die Verknüpfung aller enthaltenen Mengen miteinander. Eine natürliche Art und Weise, diese Relationen darzustellen, sind Tabellen. Einzelne Einträge in die Datenbank sind Tupel, sozusagen lauter einzelne Items. Das ist die horizontale Betrachtung.

Das wichtige, worauf es in unserer Betrachtung ankommt, ist nicht die horizontale, sondern die Vertikale an der Stelle. Innerhalb aller dieser Tupel - diese Tupel sind Elementarsätze, einfache Datensätze – haben wir von der Struktur her ein Feld vordefiniert. Dieses Feld heißt Name. Hierin besteht die entscheidende prägende Kraft einer Datenbank: Man wird gezwungen, bestimmte Arten von Einträgen da rein zu tun, genauso, wie wenn man ein Formular ausfüllt. Jetzt ist natürlich die Frage: Wie weit kann der Zwang gehen? Wenn die Datenbank funktioniert, wird das, was man in das Feld eingetippt hat vor der Umsetzung in die Datenbank geprüft, ob es die Art von Zeichen ist, die man mit Zahlen bezeichnet, also kleine natürliche Zahlen, oder ob es eine Buchstabenkombination ist. Das ist ein Datentyp. Diese Spalten heißen "Attribute". Ein Tupel ist zu sehen als eine Behauptung (z. B. kann man behaupten, der Name sei „Herr“).

Die Struktur dieses Satzes ist dadurch gekennzeichnet, dass er bestimmte Attribute hat. Die horizontale Linie ist eine Reihe von Prädikaten. Die Attribute sind Begriffe. Es ist der Begriff der "Adresse", der Begriff der "Postleitzahl" etc. Was sind die Bedingungen, die Sie jemand befolgen muss, dafür, dass unter "Namen" wirklich die Namen stehen; also dass, was man unter Namen versteht? Die Kompetenz, davon auch beurteilen zu können, dass es im weiteren Verlauf, im Gebrauch der Sache auch wirklich Namen sind, kann einem diese Datenbank nicht abnehmen. Jedoch ist es so - und das ist eine schöne Illustration dessen, was Wittgenstein im Tractatus macht: Wenn man aus der Sicht der Datenbank auf ein solches Tabellenkonstrukt hinsieht, dann kann man sagen: Namen ist nichts anderes, als dass, was darunter steht.

Diese Prüfung kommt zu Stande im Dealing mit den Datenbanken. Sie ist etwas, was wir natürlich tun, lernen, kontrollieren und verbessern können. Das ist der Bereich des funktionalen Lernens. Die Überprüfung der Behauptungen erfolgt außerhalb der Datenbank, in Form einer Metabetrachtung.

Die gespeicherte Welt Differenzierungen enthalten, die man braucht, um die Welt zu erfassen. Das ist das, was die Welt sein kann. Das ist NICHT das, was die Welt im Einzelnen ist. Das, was an der Stelle nicht sein kann ist, dass etwas, was man sagt, eine Struktur hat, die nicht dieser Datenbankstruktur folgt. Dann gerät man an eine Grenze: Die Funktion der Definierung der Spalten, die Funktion dessen, was da drin vorkommen kann, ist etwas, was ganz wo anders ist als das, was in den Spalten steht.

Unter den Bedingungen, die Wittgenstein für das vernünftige Reden aufstellt, ist eine Metabetrachtung der Datenbank nicht möglich und außerdem sinnlos.

Liessmann schlussfolgert daraus: In keiner Datenbank, in keinem Medium, das unstrukturiert Daten akkumuliert, finden wir deshalb Wissen.

Es bleibt uns nichts anderes übrig, als in einer gewissen Weise einen Unterschied zu machen zwischen Information und Wissen. Die Tupel sind nichts anderes als niedergelegte Information. Wissen ist reichhaltiger, in die Praxis eingebunden, kontextbezogen, situativ, eine Ausgestaltung, eine Verwendung von Information.

Das Wissen besteht also in der Anwendung, zum Beispiel darin, dass man nicht sinnlos herumsucht, sondern die Informationsstruktur nutzen kann, um das zu finden, was man wissen möchte. Das Potenzial, das man braucht, um die Fragen des Wissens zu verfolgen, setzt aber voraus, dass man Wissen und Information nicht völlig voneinander abkoppelt. Der Zusammenhang besteht, ohne ihn könnte man nicht nach bestimmten Daten suchen (vgl dazu "Bildung von Wissensgesellschaft" von Egon Becker). Der Tractatus schneidet Wissen und Information auseinander - und zeigt dann auf, wie wenig brauchbar die bloße Information ist.

--Sinn 13:27, 17. Jun. 2009 (UTC)