„Schelling und die Guerilla-Gärtner“

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von F. A.


Da Umweltschutz zu Zeiten Schellings noch kein Thema war, er sich auch nicht damit auseinandergesetzt hat, werden wir im ersten Teil der Arbeit zu klären versuchen, was Schelling unter Natur, und somit im weiteren Sinne auch unter Umwelt, versteht, in welcher Beziehung diese Natur zum Menschen steht, und welche Rolle dabei laut Schelling die Kunst spielen könnte (**). Der zweite Teil widmet sich dem Guerrilla Gardening, gibt eine kurze Einführung über diese Art des politischen Aktionismus, und versucht anschließend etwas Theorie zu betreiben, untersucht, welche Motive zum subversiven Gärtnern verleiten könnten. Der dritte und gewagteste Teil dieses Essays versucht schlussendlich die Theorie Schellings auf die Praktik des Guerrilla Gardenings anzuwenden.


I. Die Theorie: Schelling - Über das Verhältnis der bildenden Künste zu der Natur

F. W. J. Schelling hielt seine so genannte Akademierede 1807 zur Feier des königlichen Namenstages vor der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und beeindruckte seine Zuhörer nachhaltig. Er enthüllte aus Anlass des Festes nicht irgendein beliebiges Kunstwerk, sondern „das Kunstwerk überhaupt, seinem Wesen nach [...] und vor dem geistigen Auge.“ (Schelling S. 3)

Die Rede gilt als der Höhepunkt in Schellings Werk und als Einführung in seine Kunstphilosophie, die sich vor allem im System des transzendentalen Idealismus (1800), in seinen Vorlesungen über die Methode des akademischen Studiums (1803) und in seinen Vorlesungen über die Philosophie der Kunst (1802/03) findet. Schelling maß in all diesen Werken der Kunst eine bedeutende Rolle zu, teilweise sogar eine höhere, als der Philosophie.

Für Schelling besteht die Aufgabe der Philosophie in der Erklärung der Wahrheit, d.h. in der Erklärung der Übereinstimmung des Objektiven (der Gegenständen der Vorstellung) mit dem Subjektiven (der Vorstellung selbst). Als Inbegriff alles Objektiven bezeichnet Schelling die Natur. Die Natur sei das bloß Vorstellbare, das Unbewusste, Bewusstlose. Inbegriff des Subjektiven sei das Ich, das bloß Vorstellende, das Bewusste.

Schellings Transzendentalphilosophie versucht nun ausgehend vom Subjektiven, also vom Ich, die ursprüngliche Einheit von Bewusstem und Unbewusstem, von Ideellem und Reellem, von Subjektivem und Objektivem, von Freiheit und Notwendigkeit, von Ich und Natur zu erklären.

In der griechischen Weltsicht sei diese Einheit gegeben gewesen, dokumentiert in ihrer Mythologie. Es kam jedoch zum Bruch: „Die moderne Welt beginnt, indem sich der Mensch von der Natur losreißt, aber da er noch keine andere Heimat kennt, so fühlt er sich verlassen. Wo ein solches Gefühl sich über ein ganzes Geschlecht ausbreitet, wendet es sich ... der ideellen Welt zu, um sich dort einheimisch zu machen. Ein solches Gefühl war über die Welt verbreitet, als das Christentum entstand.“ (Schelling S. XXI) An die Stelle der Natur trat die moralische Welt.

Diese nun herrschende Entzweiung von Natur und Geschichte müsse, so Schelling, überwunden werden. Behilflich dabei ist ihm das Kunstwerk: da es sowohl das Produkt einer bewussten, als auch einer unbewussten Tätigkeit sei, reflektiere es uns den Zusammenfall beider, hebe demnach ihre Differenz auf, und veranschauliche uns somit die gesuchte Identität von Bewusstem und Unbewusstem. Daher habe die Kunst Vorrang vor der Philosophie, sie sei ihr Organon und Dokument zugleich.

„Die bildende Kunst steht also offenbar als ein tätiges Band zwischen der Seele und der Natur, und kann nur in der lebendigen Mitte zwischen beiden erfasst werden.“ (Schelling S. 4) Die Natur sei wesentlich Schöpfung und diene der Kunst als Vorbild und Urquell. Sie sei wie die Kunst eine lebendige, schaffende. Aus diesem Grund lehnt Schelling sowohl die Nachahmungstheorie als auch die neuzeitliche Naturauffassung, die beide die Natur als lebloses, bloßes Produkt betrachten, ab.

Herrsche nun im Bewußtsein, also für das Ich, Identität von Subjektivem und Objektivem, so nennt Schelling dies ästhetische Anschauung oder Kunstanschauung. Ästhetik und Kunstphilosophie sind für ihn ein und dasselbe.

Die Kunst ist ihm Norm für die Beurteilung der Naturschönheit, die Kunst öffne das Wesend der Natur.

Die Autorin der Einleitung zu Schellings Rede urteilt über diese, sie träte mit „höchstem Engagement für die Veränderung des öffentlichen, des gesellschaftlichen Bewusstseins“ ein. (Schelling S. XXXVI) „Die Überwindung der in der Romantik so tief erfahrenen Entzweiung zwischen Natur und Geschichte als Folge des neuzeitlichen Denkens sucht Schelling, identitätsphilosophisch, gleichsam zu erzwingen.“ (Schelling S. XXXVII) Schlussendlich bräuchte es hierfür, so Schelling, eine neue Mythologie. Wie damals, bei den Griechen...

Wir wollen jedoch in der Gegenwart bleiben und uns hinaus in den Garten begeben:


II. Die Praxis: Guerrilla Gardening

Guerrilla Gardening ist unbezahlte, stadtgärtnerische Nachtarbeit, möglichst ohne Aufsicht durch die Behörden. Es ist eine Protestform die, so besagt es der Mythos, in New York gegen Ende des zwanzigsten Jahrhunderts entstanden sei, als Demonstrantinnen die Asphaltdecke einer Strasse aufbrachen um Bäume zu pflanzen. Dies dürfte die radikalste und nicht sehr weit verbreitete Form des Guerrilla Gardenings sein. Weiter, angeblich sogar global - und somit auch in Österreich - verbreitet, hat sich eine etwas harmlosere Variante dieser Aktionsform: Zumeist in Gruppen, manchmal auch vereinzelt, gestalten Hobbygärtnerinnen Verkehrsinseln, Straßenränder und brachliegende Flächen. Auch wenn ihr Treiben illegal ist, so wird es von den Behörden doch zumeist geduldet. Zerstört und stört die Guerilla-Gärtnerin ja eigentlich nichts und niemanden, nein, der Grossteil der Menschheit würde vermutlich zugestehen, dass die bearbeiteten Flächen sogar „verschönert“ wurden. Mancherorts wird sogar ganz offiziell gegärtnert, Bewohnerinnen bekommen einen Flecken grün vor ihrem Haus zugeteilt und sollen diesen gestalten, der schönste „Garten“ wird preisgekrönt. Diese Art von Gartengestaltung dürfte allerdings nicht unter das Kapitel Guerrilla Gardening fallen. Ob es auch Stadtgartenämter gibt, die dem Guerrilla Gardening fördernd entgegentreten – könnte es ihnen doch eine Menge Geld und Arbeit sparen helfen – ist dem Autor nicht bekannt.

Neben den üblichen Arbeitsutensilien einer Gärtnerin bedienen sich die Guerilla-Gärtnerinnen auch eines typischen Utensils des Guerillakampfes: der Bombe. In ihrem Fall allerdings einer ganz bestimmten Art, der Seed Bomb. Aus Lehm, Humus und Samen werden in der heimischen Bombenwerkstatt, meist der Küche, hochkeimfähige Geschoße geformt, mit denen die treffsichere Gärtnerin ihren Aktionsradius erheblich ausweiten kann.

Soviel zur Arbeitsweise des Guerrilla Gardenings, zur Vertiefung sei die einschlägige Fachliteratur empfohlen (***), die sich sehr an der Praxis orientiert. Wir wollen nun allerdings Theorie betreiben und die möglichen Motive des Guerilla-Gärtnerns untersuchen. Auch wenn diese von Gärtnerin zu Gärtnerin höchst unterschiedlich und individuell sind, so lassen sich dennoch einige gemeinsame Aspekte festhalten:

  • der politische Aspekt: Er ist der naheliegenste, ist Guerrilla Gardening doch eine Form Protest zu üben. Da die möglichen Motive für politischen Protest so zahlreich und umfangreich sind, kann hier nicht näher auf sie eingegangen werden. Festgehalten sei jedoch, dass ein gewisser politischer Aspekt eine notwendige Bedingung für Guerrilla Gardening ist, fehlt er hingegen, handelt es sich wohl „nur“ um Hobbygärtnerei oder ähnliches.
  • der soziale Aspekt: Wie bereits erwähnt, ist Guerrilla Gardening zumeist Gruppenarbeit. Oft hat es mit nachbarschaftlichen Beziehungen zu tun, gilt es doch öffentlichen Raum zurückzuerobern, womit nahe liegt, im eigenen Lebensumfeld zu beginnen. Und es gilt, die Stadtlandschaft, an der alle Menschen, die sich in ihr bewegen, teilhaben, zu gestalten.
  • der ökologische Aspekt: Im Vordergrund steht hier die Verbesserung der Lebensqualität aufgrund eines guten Stadtklimas und einer schönen und gesunden Umwelt. Aber auch der Protest gegen Verbauung und jede andere Art von Umweltverschmutzung, oder etwa gegen Genmanipulation. Und nicht zuletzt gibt es Guerilla-Gärtnerinnen, die ihren Bio-Müll auf geschickte Weise als Dünger entsorgen wollen.
  • der edukative Aspekt: Umweltbewusstsein soll gebildet oder geschärft und politische Bildung oder Propaganda vorangetrieben werden.
  • der ökonomische Aspekt: Etwas überraschen gibt es auch diesen! Wir haben es immerhin mit urbaner Landwirtschaft zu tun und so manch eine Stadtbäuerin träumt bereits von der Selbstversorgung aus dem Guerilla-Garten.

Soviel zu den möglichen Motiven der Guerilla-Gärtnerinnen. Festgehalten sei auch, dass es sich beim Guerrilla Gardening – zumindest bis jetzt – um eine rein städtische Angelegenheit handeln dürfte. Was wohl nicht zuletzt daran liegt, dass es im ländlichen Umfeld immer noch, allerdings nicht mehr ausschließlich, Komposthäufen statt Bio-Tonnen gibt. (****)

Wir kommen nun zurück zu Schelling und unserem Versuch einer Anwendung seiner Kunsttheorie auf die Praktiken des Guerrilla Gardenings.


III. Theorie & Praxis

Guerrilla Gardening ist eine Form des Gärtnerns, die Aktivistin tritt in Kontakt mit der Natur, sie sammelt Naturerfahrung, kommt dem näher, von dem uns Schelling seit Aufkeimen des Christentums getrennt sieht. Die Guerilla-Gärtnerin ist kreativ, drückt sich in ihrem Handeln aus und gestaltet. Sie schafft Kunst. Gärtnerische Aktionskunst.

Und gerade Kunst ist es, die uns nach Schelling dazu dient, Natur und Seele zu einen, eine weitere Entfremdung von der Natur zu stoppen und sich ihr wieder einen Schritt weit anzunähern.

Guerrilla Gardening ist für all dies bestens geeignet, ja Guerrilla Gardening kann gewissermaßen in doppelter Weise dazu dienen, Schellings Theorie in der Praxis umzusetzen: Guerrilla Gardening schafft nicht nur Kunst mit einem x-beliebigen Inhalt, was uns nach Schelling der Natur bereits näher bringen würde, nein, Guerrilla Gardening hat die Naturnähe zum Inhalt. Guerrilla Gardening schafft Platz für die Natur, erobert nicht zuletzt auch für sie Raum zurück.

Und schlussendlich stellen wir die These auf, es ginge beim Guerrilla Gardening auch darum, einen neuen Mythos zu schaffen, etwa einen Mythos von der natürlichen Stadt, der unsere Seele mit der Natur versöhnen könnte.




(*) F. W. J. Schelling, Über das Verhältnis der bilden Künste zu der Natur, (Hamburg, Meiner, 1983).

(**) Ich stütze mich dabei auch auf die Vorlesung über Ästhetik von Prof. Pöltner, gehalten an der Universität Wien im Sommersemester 2007. Das Buch hierzu: Günther Pöltner, Philosophische Ästhetik, (Stuttgart, Kohlhammer, 2008).

(***) z.B.: Richard Reynolds, On Guerrilla Gardening: A Handbook for Gardening Without Boundaries, (Bloomsbury, 2008).

(****) Eine neue Art des nicht urbanen Guerrilla Gardenings könnte sich etwa im Protest gegen Genmanipuliertes Saatgut entwickeln, Versuchsflächen könnten mit Saatgut alter, wertvoller Sorten „kontaminiert“ werden, was aber vermutlich die bio-chemischen „Kriegsführung“ der Saatgutkonzerne zu unterbinden weiß. Wir wollen den Gedanken nicht weiter verfolgen...