„Die Möglichkeiten einer ästhetischen Ethik der Natur“

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F. A. über einen Text von Josef Früchtl


Das Verhältnis von Ästhetik und Ethik (der Natur)

Mit seinem Aufsatz Die Möglichkeiten einer ästhetischen Ethik der Natur(*) leistet Josef Früchtl einen sehr hilfreichen Beitrag zur Debatte über Ästhetik und Ethik der Natur, in dem er das Verhältnis dieser beiden zueinander bestimmt und darstellt, welchen Beitrag die Ästhetik zu einer Ethik der Natur leisten könnte.

Josef Früchtl ist derzeit Professor für Philosophie der Kunst und Kultur an der Universität von Amsterdam. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Philosophie als Kulturwissenschaft, Ästhetik und Kunstphilosophie, Kritische Theorie, Theorie der Moderne und Philosophie des Films. In seiner Habilitationsschrift (*) verfolgt er ein Programm der integrativen Ästhetik, in dem die Ästhetik und Ethik weder eine Einheit bilden, noch strikt voneinander getrennt sind. Früchtls Ziel hierbei ist eine Erweiterung des moralischen Urteils durch die ästhetische Erfahrung. Seine Kritiker (**) gestehen ihm zwar zu, dass er in seinem Buch unterschiedlichste ästhetische Positionen referiere und kommentiere, merken jedoch an, dass er leider kaum darüber hinauskomme und wenig neues zur Debatte über Ästhetik und Ethik beitrage.

Wir finden bei Früchtl keinerlei Definitionen der Begriffe Natur oder Umwelt, seine Differenzierung des Verhältnisses von Ästhetik und Ethik kann wohl auf jeden Begriff von Natur angewendet werden, wir finden bei ihm auch keinerlei Begründungen, warum Natur oder Umwelt schützenswürdig sein könnten, was wir jedoch in Früchtls Aufsatz finden ist eine Antwort auf die Frage, welchen Beitrag die Ästhetik zu einer Ethik der Natur leisten könnte und somit auch, inwiefern ästhetische Argumente die schützenswürdigkeit der Umwelt begründen könnten.

Zu Beginn seines Aufsatzes über Die Möglichkeiten einer ästhetischen Ethik der Natur stellt Früchtl fest, dass die Ästhetik seit Ende der 1970er Jahre (vor allem durch Adorno) einen neuen Aufschwung erfahre, den sie zuletzt mit dem deutschen Idealismus (Schelling, Hegel) vor 200 Jahren erfahren habe. Früchtels Aufsatz behandelt das Thema Ästhetik und Naturerfahrung und das Problem einer Ethik der Natur. Um einer gängigen Entdifferenzierungswelle entgegenzuwirken, differenziert er fünf Möglichkeiten des Verhältnisses von Ästhetik und Ethik, insbesondere aber von Ästhetik der Natur und Ethik der Natur. Wichtig ist ihm festzuhalten, dass eine ästhetische Ethik der Natur nur eine Möglichkeit einer ästhetischen Ethik allgemein sei. Alles im Folgenden über das Verhältnis einer Ästhetik der Natur und einer Ethik der Natur ausgesagte, gelte somit auch für das Verhältnis von Ästhetik und Ethik allgemein, es hätte den selben Rahmen.

"Das Verhältnis von Ästhetik und Ethik differenziert sich also nach folgenden Möglichkeiten: der Ästhetik wird entweder jeder Beitrag zur Ethik abgestritten, oder er wird nicht abgestritten. Die erste Position in dieser grundsätzlichen Alternative ist die einer antiästhetischen Ethik, die zweite Position, diejenige, die die Ästhetik als Bestandteil der Ethik anerkennt, kann man eine partialästhetische Ethik nenne." (60 (***)) Je nach der Größe des ästhetischen Bestandteils der Ethik gäbe es laut Früchtl vier weitere Möglichkeiten die partialästhetische Position weiter zu differenzieren: Eine fundamentalästhetische Ethik, die die Ästhetik zum Fundament der Ethik erklärt, eine marginalästhetische Ethik, die der Ästhetik nur einen marginalen ethischen Stellenwert einräumt, einer paritätsästhetische Ethik , die der Ästhetik eine gleichberechtigte Rolle im Zusammenspiel mit der Ethik zuspricht, und eine perfektionsästhetische Ethik, die in der Ästhetik zwar nicht die Grundlage, wohl aber die Vollendung der Ethik sieht.

Früchtl fasst zusammen: "Es gibt also grundsätzlich zwei Möglichkeiten, eine positive und eine negative, das Verhältnis von Ästhetik und Ethik zu bestimmen, und die positive Möglichkeit erlaubt wiederum vier Differenzierungen, so daß am Ende fünf Möglichkeiten stehen." (60)

  • antiästhetischen Ethik
  • partialästhetische Ethik
    • fundamentalästhetische Ethik
    • marginalästhetische Ethik
    • paritätsästhetische Ethik
    • perfektionsästhetische Ethik

Im folgenden geht Früchtel auf jede einzelne davon ein und bringt beispielhafte Vertreter für das jeweilige Verhältnis von Ästhetik und Ethik, die alle deutsche Philosophen des zwanzigsten Jahrhunderts sind. Diese Zuordnung bleibt für Früchtls Kritiker jedoch zumindest teilweise unbegründet und wir werden sehen, dass sie auch für Früchtl selbst nicht so eindeutig ist, wie er sie Eingangs darstellt.


Ein Vertreter der antiästhetischen Ethik wäre Hans Jonas mit seinem Prinzip Verantwortung. In diesem "Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation" (so der Untertitel des Buches) formulierte Jonas 1979 den ökologischen Imperativ: "Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden." Sein Entwurf einer Verantwortungsethik für eine technologische Zivilisation nimmt auf die Ästhetik keinen Bezug, "Gefühle" könnten nach Jonas die Welt nicht retten, hierzu bräuchte es Prinzipien. Für ihn wäre die Schützenswürdigkeit der Umwelt nicht durch ästhetische Argumente zu begründen.


Als Vertreter einer fundamentalästhetische Ethik der Natur zieht Früchtl Rudolf zur Lippe und Gernot Böhme heran.

Zur Lippe versteht unter dem Ästhetischen in Anlehnung an den griecheischen Ursprung des Wortes das Sinnenbewußtsein und geht in Sinnenbewußtsein. Grundlegung einer anthropologischen Ästhetik davon aus, dass der Ästhetik heute eine normative Aufgabe zufalle. Sie müsse Normen und Bedingungen der Erhaltung und der Entfaltung des Lebens aufzeigen, womit ihr eine Entscheidungskompetenz zufalle, deren Kriterien Früchtl genauer untersucht. Die Ästhetik könne keine Antworten auf konkrete Problemsituationen geben, ihre letzte Rechtfertigung könne nur ein Gespür oder eine Gewißheit sein. Somit könne sie keinerlei materielle Kriterien zur Entscheidung ethischer Probleme liefern, biete aber das formale Kriterium des Lebens bzw. der Einheit zwischen Mensch und Natur, von zur Lippe auch als Gleichgewicht begriffen, an. Auch mit diesem Kriterium ergäben sich Schwierigkeiten, die Früchtl in einer perfektionsästhetische Ethik gelöst sähe. Bliebe man jedoch bei der fundamentalästhetischen Position, so könnten ästhetische Argumente eine Schützenswürdigkeit der Umwelt jedenfalls auch ohne Zuhilfenahme ethischer Argumente begründen.

Auch Gernot Böhme, der unter anderem zu einer ökologischen Naturästhetik arbeitet, sei an einer anthropologischen Ästhetik interessiert und reduziere die ästhetische Erfahrung auf das Moment der Sinnlichkeit, Anschauung oder Kontemplation. Er begründet eine für Früchtl nicht unproblematische Atmosphärenästhetik. Böhme argumentiere aber nicht nur fundamentalästhetisch, sondern tendiere zu einer paritätsästhetischen Ethik der Natur. "Was schön ist an der Natur, muß nicht auch gleich gut sein, aber was gut ist an ihr, muß auch schön sein." (71)


Für eine paritätsästhetische Ethik stünde am ehesten Martin Seel, aber auch Karl Heinz Bohrer.

Diese würden zwar diametral gegenüberstehende ästhetische Positionen einnehmen, allerdings würde sich Bohrers puristische Position nolens volens zu einer integrativen ästhetischen Position ähnlich der Seels machen. Puristisch sei eine Ästhetik zu nennen, "die die ästhetische Erfahrung von allen nicht-ästhetischen Erfahrungs- und Urteilsformen, [...] kognitiven, moralischen und hedonistischen Elementen [...] rein halten will." (71f) Oder ihnen, wie bei Bohrer, keine Dominanz erlaube. Bohrer präsentiere ein eigenwilliges Doppel aus antiethischer Ästhetik und ästhetischer Ethik. "Es ist demnach kein Widerspruch, die Ästhetik von ethischen Ansprüchen rein zu halten, die Ethik aber umgekehrt durchaus ästhetischen Ansprüchen auszusetzen." (71) Hier lassen sich Ästhetik und Ethik zwar nicht vereinen, stehen aber auch nicht in fundamentaler Opposition.

Martin Seel, für dessen Ästhetik der Natur Früchtl voll Lob ist vertrete nach Früchtl einen integrativen ästhetischen Ansatz, der ästhetische Erfahrung durch die Einheit der drei Aspekte Kontemplation, Korrespondenz und Imagination erklärt. Hier gehöre ästhetische Erfahrung zu einem ethisch guten Leben, ein Leben ohne ästhetische Einstellung (zur Natur) könne nicht als gelungen bezeichnet werden. Ausserdem berge jeder Aspekt der ästhetischen Erfahrung auch eine Lebensmöglichkeit in sich. Dennoch müsse Seel eingestehen, dass die Ästhetik keinesfalls eine Ethik des guten Lebens oder gar eine Theorie der Gerechtigkeit ersetzen könne. Früchtl sieht auch bei Seel marginalästhetische und perfektionsästhetische Anknüpfungspunkte. Für die Begründung einer Schützenswürdigkeit der Umwelt bräuchte es für solch einen paritätsästhetischen Ansatz wohl beides, ästhetische und ethische Argumente.


"Für die marginalästhetische Ethik (der Natur) sind artikulierte ästhetische Erfahrungen weder hinreichend noch notwendig, um generell eine ethische Einstellung (zur Natur) oder in konkreten Situationen Entscheidungen zu begründen. Für das generelle Problem stützt sie sich auf ein Prinzip, und bei konkreten Problemen gewichtet sie wissenschaftliche, ökologische, ökonomische und lebenspraktische Argumente stärker." (75) Hier würde die Ästhetik bei der Begründung einer Schützenswürdigkeit der Umwelt wohl kaum ein Rolle spielen.


Bekommen ästhetische Argumente hingegen einen luxuriösen Status, so hätten wir es mit einer perfektionsästhetische Ethik (der Natur) zu tun. Für sie hätten ästhetische Argumente einen Stellenwert, auf den man zwar verzichten könne, aber nicht verzichten solle, "weil er den krönenden Schlußstein auf das Gebäude der Ethik setzt." (76) Die perfektionsästhetische Ethik hätte laut Früchtl noch keine Verfechter gefunden, allerdings plädiere er selbst letztlich zu solch einer Ethik der Natur. Die Schützenswürdigkeit der Umwelt wird bei solch einem Ansatz zwar durch ethische Argumente begründet, die zwei Tüpfelchen auf dem ü einer solchen Begründung könnten jedoch ästhetischen Ursprungs sein.


Wenn Früchtl die Zuordung einzelner, beispielhafter Philosophen zu den verschiedenen Ansätzen einer ästhetischen Ethik der Natur auch etwas dürftig begründet, oder diese Vertreter sogleich bei einem anderen Ansatz besser aufgehoben sähe, so hat er mit seinem Aufsatz doch eine sehr brauchbare und hilfreiche Differenzierung der Möglichkeiten einer ästhetischen Ethik der Natur geliefert und zumindest teilweise gleich auch praktische Beispiele für die einzelnen von ihm ausdifferenzierten Positionen beschrieben.


(*) Josef Früchtl: "Die Möglichkeiten einer ästhetischen Ethik der Natur", in: Jörg Zimmermann, (Ed.): Ästhetik der Naturerfahrung, (Stuttgart: Fromann-Holzboog, 1996), S. 59-76. [Es handelt sich hierbei um eine gekürzte Fassung eines Kapitels ("Ökologisch-ästhetische Rehabilitierung der Ethik") seiner Habilitationsschrift Ästhetische Erfahrung und moralisches Urteil. Eine Rehabilitierung. (Frankfurt/Main: Suhrkamp, 1996)]

(**) Buchbesprechungen finden sich von Bernd Kleimann in der Zeitschrift für philosophische Forschung, 1997 (51), 497-502 sowie von Gerhard Gamm in der Philosophischen Rundschau, 1998 (45), 141ff und von Ludger Heidbrink bei Amazon

(***) Alle Seitenangeben beziehen sich auf Früchtl, "Die Möglichkeiten einer ästhetischen Ethik der Natur".