Über Protagoras (PJS)

Aus Philo Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche

EINLEITUNG:

Im gleichnamigen Dialog von Platon rühmt sich Protagoras, ein besonders guter Tugendlehrer zu sein. Sokrates bezweifelt die Lehrbarkeit der Tugend. Streben wir nach Tugend, sollten wir auch nach Wissen darüber, was diese wirklich sei, streben. Um sich über das Wesen der Tugend Klarheit zu verschaffen, bedient Sokrates sich u.a. eines Verfahrens in der Kunst der Rede, in welchem Fragen gestellt werden, die nach einer kurzen Antwort verlangen: den Elenchos. Er setzt sprachliche Mittel als Strategie ein, wie es auch Sophisten zu tun pflegen. Was unterscheidet nun den sokratischen Elenchos von deren Methoden?

Gregory Vlastos vertritt den Standpunkt, die Regel des (sokratischen) Elenchos sei, dass der Redepartner auf jede Frage wahrhaftig antwortet: „ … to test honesty in argument. In eristic, where the prime object is to win, one is free to say anything that will give one a debating advantage. In elenchus, where the prime object is search for truth, one does not have that option. One must say what one believes, even if it will lose on the debate. …. To test one’s seriousness in the pursuit of truth. … if one puts oneself on record as saying what one believes, one has given one’s opinion the weight of one’s life. …“ (Gregory Vlastos, Socratic Studies, Cambridge University Press 1995, S. 8-9) ).

Woran erkennt man Wahrhaftigkeit? Wie erkennt man den Unterschied zwischen Sein und Schein?


ZUR STRUKTURIERUNG DES DIALOGS:

Einleitung (309a – 310a)

Platon beginnt mit einem Hinweis auf die Unterscheidungskriterien des Sokrates: es scheint der Protagoras schöner als Alkibiades zu sein. „Wie sollte denn nicht [ … ] das Weiseste als das Schönere erscheinen?“ (309c)


Vorgespräch mit Hippokrates im Morgengrauen (310a – 314c)

Was ist ein Sophist? Ein Krämer von Waren, von denen die Seele sich ernährt?


Verzögerung vor dem Eintritt ins Haus des Kallias(314d – e)

Woran erkennt man einen Sophisten?


Beschreibung der Szene durch Sokrates (315a – 316a)

Es erfolgt eine Betrachtung des Gesamtbildes.


Eingangsgespräch des Sokrates mit Protagoras (316b – 317e)

Wiederholung der Anfrage des Hippokrates und die Antwort des Protagoras darauf; Sokrates' Zweifel an der Lehrbarkeit der Tugend und Begründung seiner Frage (318a – 320b)

Was kann Hippokrates von Protagoras lernen? Täglich fortschreitende Tüchtigkeit in Bezug auf die eigene Hausverwaltung und den politischen Bereich des Handelns und des Redens. Das bezweifelt Sokrates, denn alle Athener halten sich in politischen Fragen für gleich kompetent, anders als wenn es etwa um Baufragen ginge. Weiters seien nicht einmal tugendhafte Väter fähig, die ihnen eigene Tüchtigkeit an ihre Söhne weiterzugeben. Protagoras’ „Beweis“ durch das Mythos und eine Erörterung (320c –328c) Nach dem Mythos besitzt jeder politische Fertigkeiten, denn sonst gäbe es überhaupt keine Staaten. Diese Fertigkeiten müssten allerdings erlernt werden. Lehrer der Heranwachsenden seien alle, die mit ihnen zu tun hätten. Ob die Ausbildung gut gelänge, sei auch eine Frage des jeweiligen Talents des Zöglings. Protagoras bezeichnet sich als ein besserer Lehrer als andere und hätte dafür auch Geld verdient – wobei der Schüler Einfluss auf den Preis hätte.


Sokrates erbittet Klärung „einer Kleinigkeit“. 1. Diskussion über die Einheit der Tugend (328d – 334c)

Bildet die Tugend eine Einheit mit der Gerechtigkeit, Besonnenheit, Scham und Frömmigkeit als Teile von ihr oder handelt es sich bei diesen um verschiedene Namen für ein und dieselbe Sache?


Methodenstreit (334c – 338d)

„Mein Protagoras, ich bin nun einmal ein ganz vergeßlicher Mensch, und wenn mir jemand zu lange redet, vergesse ich, wovon gerade die Rede ist; […] da du ja an einen Vergeßlichen geraten bist, beschneide für mich die Antworten und mache sie kürzer, wenn ich dir folgen soll. […] Soll ich (Protagoras) also so viel, wie mir erforderlich zu sein scheint, antworten oder so wie dir?- Ich habe allerdings gehört, sprach ich (Sokrates), daß du selbst dazu fähig bist und es andere lehren kannst, über dasselbe sowohl lange zu reden [… ] als auch wieder kurz [ … ].“ (334c-e) In einem zweiten Fairness-Appell erinnert Sokrates den Protagoras an dessen Behauptung, in beiden Formen der Rede Meister zu sein, während er selbst von sich sagt: „[ … ] ich aber bin zu solchen langen Reden unfähig, obwohl ich lieber dazu fähig sein wollte. Aber du hättest uns nachgeben müssen, der du beides kannst [ … ]. (335c) Nach einem dritten Appell („…wie wenn du von mir verlangetes, mit [ … ] einem Läufer in Höchstform, mitzulaufen und mitzuhalten: [ … ] so verlange ich von ihm, sich mit mir zurückfallen zu lassen; denn ich kann nicht schnell laufen, er aber kann langsam.“ (335e – 336a)) schlägt Hippias vor, einen Schiedsrichter zu wählen. Sokrates weist darauf hin, dass dies ein Problem darstelle: „Aber natürlich werdet ihr einen Besseren als uns wählen. In Wahrheit ist es, wie ich glaube, für euch unmöglich einen Intelligenteren als diesen Protagoras hier zu wählen.“ (338c)


Protagoras’ Versuch, wieder Oberhand zu gewinnen, durch die Deutung von Dichtung anstelle begrifflicher Erörterung; Sokrates Widerlegung (339a – 348c)

Sokrates vertritt die Ansicht, diese Art von Gesprächen nichts mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu tun: „Auch scheint mir ja das Diskutieren über Dichtung am ähnlichsten zu sein den Trinkgelagen gewöhnlicher und hergelaufener Leute. [… ] Wo aber vorzügliche und tüchtige Trinkgenossen und gebildete sind, das sähest du [ … ] Leute, die fähig sind, sich mit sich selbst zu unterhalten, ohne diese Albernheiten und Kindereien.“ (347c-d) Solchen sollten sie nun eher nachzuahmen suchen: „[…] die Dichter beiseite legen und aus uns selbst miteinander Gespräche führen, indem wir die Wahrheit und uns selbst auf die Probe stellen.“ (348a).


Sokrates übernimmt es erneut zu fragen und bringt die Diskussion wieder auf Kurs; 2. Diskussion über die Einheit der Tugend (348d– 360d)

Gehört Tapferkeit zur Tugend? Es gibt nach Protagoras viele ungerechte, aber dennoch tapfere Menschen. Sokrates wendet ein: Mut sei die Voraussetzung für Tapferkeit, Mut ohne Sachverstand wäre verrückt, daher müssten auch Klugheit und Tapferkeit identisch sein. Lustvoll-Leben ist identisch mit dem Guten, Unlustvoll-Leben mit dem Schlechten. Nur ein Unwissender würde das Unlustvoll-Leben vorziehen. Um zwischen Gutem und Bösem wählen zu können, müsse man die Kunst des Unterscheidens beherrschen – ein Wissender würde daher immer das Gute wählen, da Wissen etwas Herrschendes und Lenkendes sei. Die Lust und das Gute sind – nach Sokrates – identisch; daher könne ein Mensch nicht von der Lust als dem Guten überwunden und zu einer schlechten Handlung bewegt werden. Die Messkunst, die notwendig mit Können und Wissen verbunden ist, besteht in der Wahl von Lust und Unlust und lässt den Menschen eine Wahl treffen. Das Gute von seinem Gegenteil unterscheiden zu können ist die Voraussetzung dafür, tapfer zu sein, also muss die Tapferkeit als Tugend auf das Schöne und Gute gerichtet ist.


Schlussteil (360e – 362a)

Und mir scheint der jetzige Ausgang unserer Erörterungen wie ein Mensch uns zu verklagen und verlachen und, wenn er eine Stimme bekäme, sagen zu können: >Ihr seid doch seltsame Leute, Sokrates und Protagoras! Während du im vorigen behauptetest, daß die Tüchtigkeit nicht lehrbar ist, strebst du jetzt etwas an, das dir selbst zuwider läuft, weil du es unternimmst, zu beweisen, daß alles Wissen ist, die Gerechtigkeit und Besonnenheit und die Tapferkeit, auf welche Art sicht die Tüchtigkeit am ehesten als lehrbar erweisen könnte. Denn wenn die Tüchtigkeit etwas anderes wäre als Wissen, wie Protagoras zu behaupten unternahm, wäre sie offensichtlich nicht lehrbar. Wenn sie sich jetzt aber vollkommen als Wissen erweisen wird, wie du es anstrebst, mein Sokrates, würde erstaunlich sein, wäre sie nicht lehrbar. Protagoras wiederum, der sie damals als lehrbar voraussetzte, scheint jetzt fast das Gegenteil anzustreben …<“ (361a – c)

Erst nach einer Wesensbestimmung der Tugend wäre eine weitere Diskussion über ihre Lehrbarkeit möglich. Diese würde ein „andermal“ geschehen, denn nun sei es an der „Zeit, sich noch einer anderen Sache zuzuwenden.“ wie Protagoras meint. (361e).

Quelle: Platon: „Protagoras“; Griechisch/Deutsch, übersetzt und kommentiert von Hans-Wolfgang Krautz, Reclam Stuttgart 2000

--Silvia Springer 17:19, 1. Feb. 2008 (CET)