Philosophische Überlegungen zu Drohnen (Vorlesung Hrachovec, SS 2016)

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Mitschnitte dieser Vorlesung mit Lektüre finden sich in der Philosophischen Audiothek. Die nach Curriculum vorgeschriebene Zusatzliteratur kann aus der unten verlinkten Zoterobibliothek gewählt werden. (Demnächst.) Am Ende des Semesters findet eine schriftliche Prüfung statt, zu der als Lektürenachweis eine etwa 5-seitige Darstellung eines dort angeführten Texte erforderlich ist. Alternative Vorschläge zum Lesestoff sind möglich, müssen aber mit dem Vortragenden abgesprochen werden.


Datum Thema Unterlagen Mitschnitt
10.3.2016 Grenzen: Flüchtlinge, Lenkwaffen [1] [2]
17.3.2016 Drohnen im Krieg, Virilio [3], [4] [5]
7.4.2016 Scott Shane, Thomas Nagel [6] [7]
14.4.2016 Telepräsenz https://audiothek.philo.at/podcasts/ueberlegungen-zu-drohnen/philosophische-ueberlegungen-zu-drohnen-04


Destabilisierung und Begriffsklärung

Wie die Vorlesung im vergangenen Semester befasst sich auch die gegenwärtige Veranstaltung mit Auseinandersetzungen, die durch das Zusammenwirken von technischen und politischen Entwicklungen ausgelöst wurden und bedeutende Auswirkungen auf das Selbstverständnis europäischer und US-amerikanischer Kulturen haben. Sie stellen herkömmliche gesellschaftliche Kompromissbildungen und Frage und verlangen eine Überprüfung der juridischen Rahmenbedingungen, sowie der moralischen Prinzipien zweier Eckpunkte der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, des Asylrechts und des Rechts auf Strafverfolgung durch unabhängige Gerichte.

Flüchtlinge

Die Genfer Flüchtlingskonvention gilt für (gegenwärtig 147) Staaten, die ihr beigetreten sind. Transnationale Strukturen wie die Europäischen Union haben sich später entwickelt und sind in den Konvention kein Thema. Die interne Entwicklung der EU hat jedoch erhebliche Auswirkungen auf die Flüchtlingsfrage.

Die erste Dublin-Vereinbarung (1990) sollte den kontrollfreien, grenzüberschreitenden Personenverkehr und Handel zwischen den Signatarstaaten absichern. Die Einrichtung des Schengenraum bewirkte nämlich eine kritische Komplikation des Grenzbegriffes. Ursprünglich hatten sich Staaten inklusive ihrer historisch entstandenen Grenzen zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Schengen definierte für alle Beitrittsländer gemeinsam eine Außengrenze.

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In der bidlichen Darstellung wird ein wesentliches Moment dieser Regelung nicht erfasst:

Für einige Staaten koinzidieren alte Nationalgrenzen mit den neuen Unionsgrenzen. Dort müsste eigentlich eine zweifache Grenzlinie eingezeichnet sein.

Dublin sieht vor, dass die Verantwortung für Flüchtlinge, die über eine der traditionellen Staatsgrenzen in den Schengenraum gelangen, bei den herkömmlichen nationalen Behörden liegt. Die Datenbank Eurodac_(BD2015) wurde eingerichtet, um eine transparente Handhabung dieses Grundsatzes zu gewährleisten. Sie sollte Informationen darüber bereitstellen, welcher Staat für einen bestimmten Flüchtling zuständig ist.

Zur Zeit der ersten Dublin-Vereinbarung waren weder Österreich, noch osteuropäische Staaten Mitglied der EU. In Libyen blockierte das Ghadaffi-Regime den Migrationsstrom aus südlicher gelegenen afrikanischen Staaten. Es war somit möglich, direkt in eine Reihe von Schengenländer einzureisen. Die Situation änderte sich 2004 für Deutschland und Österreich, deren Grenzen nun an keiner Stelle mehr Außengrenzen des Schengenraums waren.

Ähnlich der bekannten Problematik der gemeinsamen Währung unter Beibehaltung nationaler Souveränität in Wirtschafts- und Sozialpolitik entstanden dadurch starke Turbulenzen. Italien und Griechenland hatten die Hauptlast der Flüchtlingsbewegung zu tragen und waren nach Dublin verpflichtet, dies im eigenen Land aufzufangen. Es wundert nicht, dass sie die Ankömmlinge oft nicht regelgerecht registrierten, sondern nach Norden weiterleiteten. Dieser Bruch der Schengenvereinbarungen wurde zunächst durch die Bereitschaft Deutschland, Österreichs und Schwedens ausbalanziert, für ihre Territorien den freien Grenzverkehr aufrechtzuerhalten. Ein halbes Jahr nach dieser Entscheidung hat sie sich als politisch kaum noch vertretbar erwiesen.

Die dargestellten ungelösten Widersprüche und Doppeldeutigkeiten der EU-Politik sind durch den Krieg im Mittleren Osten und durch die schwer zu entwirrende Vermischung von Asylwerberinnen und Migrantinnen zu einem Dauerthema geworden. Ein philosophischer Blick auf diese Verhältnisse muss versuchen, Schlüsselbegriffe wie Nationalstaat, Grenze, Asylrecht zu umreissen und sich auf die Schwierigkeit einzulassen, dass solche Angelpunkte unter wechselnden Bedingungen zwei miteinander schwer zu vereinbarende Funktionen erfüllen müssen. Einerseits ist ohne festgehaltene Kategorien keine Orientierung möglich, andererseits erscheinen manche Fixpunkte als obsolet und müssen umgebaut werden.

"Es gibt keine tabula rasa. Wie Schiffer sind wir, die ihr Schiff auf offener See umbauen müssen, ohne es jemals in einem Dock zerlegen und aus besten Bestandteilen neu errichten zu können. Nur die Metaphysik kann restlos verschwinden. " (Otto Neurath, Erkenntnis 3, 1932/33. S. 206

Bewaffnete ferngesteuerte Flugsysteme

Das auf der Basis der Genfer Konventionen entwickelte humanitäre Völkerrecht ist, wie die Flüchtlingskonvention, eine Vereinbarung zwischen Staaten. Es versucht, deren bewaffnete Konflikte in einem bestimmten allgemeingültigen Rahmen zu begrenzen. In Konfliktfällen erweisen sich diese Festlegungen immer wieder als umstritten. Davon ist eine neuartige Herausforderung zu unterscheiden, die sich auch in diesem Fall durch den Bedeutungsverlust nationaler Grenzen ergibt.

Das klassische Modell der Staatsgewalt über ein wohldefiniertes Territorium und die damit verbundene Rechtsgrundlage nationaler Souveränität und einer (im schlimmsten Fall kämpferischen) Konfliktlösung zwischen völkerrechtlichen Gebilden hat innerstaatliche Konflikte und Bürgerkriege immer schon ausgeklammert. Die Technik der Industrieländer ist 9/11 in einem eklatanten Coup gegen sie selbst eingesetzt worden und zwar durch eine netzwerkartig verbundene Gruppe militanter Kämpfer, die nicht einfach einem Staat zuzuordnen sind.

Sofern das Territorium feindlicher Staaten die Eingrenzung der "Konfliktherde" ermöglichte, konnte man an das humanitäre Völkerrecht appellieren und eventuell Sanktionen und/oder UN0-Beschlüsse erwirken. Diese Mittel verfangen gegen militante Gruppen, die Angriffe auf Staaten ausserhalb ihrer eigenen Kampfbasis durchführen, nicht. Staatsrenzen, die (siehe oben im Schengenraum) doppelt kodiert sind, werden im Fall terroristischer Anschläge unterlaufen. Eine zweifache Missachtung von Grenzen ist festzustellen.

Die Transgression des Terrorangriffs verwirft das für Kriege zwischen Staaten geltende humanitäre Recht. Sie verwirft die Grenzen, auf deren Gültigkeit ein international gültiger Codex aufgebaut sein muss. Die erste Reaktion der USA nach 9/11 folgte dem klassischen Muster: dem Staat, von dessen Territorium aus die Angriffe geplant worden waren, wurde der Krieg erklärt. Doch die asymmetrische Konstellation wurde bald sichtbar. Wie bekämpft ein Staat verstreut lokalisierte Kampfgruppen, die sich innerhalb des globalen Staatenverbundes, jedoch ohne Bindung an den jeweiligen Gastgeberstaat bewegen.

Drohnen sind eine Antwort der Vereinigten Staaten auf dieses Dilemma. Ihr Einsatz unterläuft die völkerrechtlichen Grenzen und stellt, was die Depotenzierung des global-politischen Regimes betrifft, einen Gleichstand zwischen den Aggressoren und dem demokratisch gewählten Präsidenten einer Weltmacht her.

Zugänge (PhÜD)

Telepräsenz (PhÜD)

Interaktivität (PhÜD)

Politik (PhÜD)

Gesetzeslage (PhÜD)

Verantwortung (PhÜD)

Literatur

John Kaag, Sarah Kreps: Drone Warfare

Datei:KaagKreps.rar (passwortgeschütze Kopie)

Grégoire Chamayou, Théorie du drone. La Fabrique éditions 2013

Datei:Chamayou.rar (englische, passwortgeschütze Kopie)

Scott Shane, Obective Troy. A Terrorist, a President, and the Rise of the Drone Deckle Edge 2015

Datei:ShaneObjectiveTroy.epub.rar (englische, passwortgeschütze Kopie)

Craig Martin, A means-methods paradox and the legality of drone strikes in armed conflict

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