Kommentare - MuD09 - Gruppe4 - 09.12.
Elke Karpf: Die Frage, die ich mir hinsichtlich einer Vorlesung über die Wahrnehmung stelle - dabei beziehe ich mich insbesondere auf Husserl - ist: was ist die Wirklichkeit hinter den wahrgenommenen Inhalten? Wenn ich es richtig verstanden und notiert habe, stellt sich die Phänomenologie diese Frage nicht bzw. gibt es in dieser philosophischen Richtung "keine wahre Welt hinter der phänomenalen" - diese entspräche der Position des Deutschen Idealismus. Die Verschiedenheit und Wandelbarkeit der Wahrnehmungen ist mir bewusst. Es ist auch sehr interessant bei sich selbst zu beobachten, dass man zu einem Buch - wenn man es nach Jahren ein 2. Mal liest- einen anderen Zugang hat, so wie Prof. Flatscher als Beispiel angeführt hat, oder sich auch die Haltung zu einem Menschen ändern kann, wenn man ihn aus einem anderen Blickwinkel sieht. Die Wahrnehmung betrifft ja nicht nur leblose Gegenstände, außerdem nicht nur das "Sehen", sondern es gibt ja auch andere Wahrnehmungsarten, was unerwähnt blieb, bei dieser Vorlesung.
Durch Bildung, Reisen, Erlebnisse - jede Art von Horizonterweiterung - kann man verschiedene Perspektiven annehmen und es entsteht ein Reichtum von Wahrnehmungen und Haltungen. Das ist etwas, das ich für erstrebenswert, interessant und bereichernd erachte, etwas, das das Leben lebenswert macht. Es erleichtert vielleicht auch die Akzeptanz der Wahrnehmungen und Meinungen anderer Menschen. Dennoch beantwortet es meine Frage nach der "echten" Wirklichkeit nicht. Um sich zu erfahren müßte man die menschliche Wahrnehmung übersteigen.
Husserl Punkt mit der Synthesis von neuen Wahrnehmungen mit den Erinnerungen erinntert mich an eine VO über Augustinus, der sich mit der Frage von Zeit und Bewusstsein auseinandersetzte. Es hieß da, das ICH sei eine Synthesisleistung aus vergangenem Erinnerten. Es entwickelt und verändert sich in der Zeit. Auch da frage ich mich: was ist das Stabile am ICH, genauso wie: was ist das Eigentliche, Echte an den wahrgenommenen Inhalten?
Frederick Tekook: Liebe Kolleginnen und Kollegen, mir hat diese Vorlesung so gut gefallen, dass ich heute noch den kompletten Tag mit einem breiten Lächeln durch die Gegend laufe, sie war in meinen Augen brillant gehalten und die Inhalte passen mir außerordentlich gut. Umso verwunderlicher finde ich es selbst, welchen Teilaspekt - weil er in der Vorlesung gar nicht direkt enthalten war- ich doch einmal rausgreifen möchte, weil es mir flagrant aufgefallen ist: welchen Stellenwert hat die Diskussion in der Philosophie? Dass die Vorlesung 20 Minuten länger dauerte (weshalb ich aufgrund doofer Bahnverbindungen 1 1/2 Stunden später zu Hause war als normalerweise), lag ganz klar an der Quantität der Fragen, zu deren Qualität ich mich zu äußern schwierig finde; die Spanne rangierte da wirklich zwischen zwei Extremen , meiner persönlichen Ansicht nach hätte man sich über den Daumen gepeilt 80% der Fragen sparen können (dass dieser Eindruck auf meinem subjektiven Empfinden beruht, kann ich nicht leugnen und möchte ich auch gar nicht). Zugleich finde ich diese Meinung aber reinen Gewissens zu vertreten schwer, habe ich doch durch einige Fragen und die damit verbundenen Wiederholungen den Stoff wesentlich besser verstanden. Überhaupt ist die Diskussion für die Philosophie essentiell, weil man selbst einfach nicht alles sieht (das passt wenigstens inhaltlich sehr gut in die Vorlesung), und auf die Sichtweisen anderer angewiesen ist, um das eigene Bild grundlegend zu erweitern. ABER: zu welchem Zeitpunkt ergibt eine Diskussion Sinn? Der eine sitzt in der Vorlesung (zugegeben: da bin ich eher einzuordnen) und empfindet dieses hohe Ausmaß (ich spreche jetzt wirklich nur von dieser ausgedehnten Quantität) an Fragen als störend und nervig, ein anderer profitiert genau davon, weil er es auf diese Weise wesentlich besser versteht. In einer vergangenen Vorlesung, es ging um eine Vorlesung von Professor Nemeth und den Streit der Fakultäten, vertrat ich schon einmal die Meinung, dass eine Diskussion reflektierter Inhalte bedarf, die man sich erst einmal aneignen muss bzw. sollte. Diese allerdings müssen verstanden sein,-dafür sind Fragen oder auch Diskussionen sehr hilfreich-, damit sie Früchte zu tragen imstande ist. Allerdings kommen mir Diskussionen in der Philosophie bisweilen auch als ein Auf-der-Stelle-Treten vor und an dieser Stelle finde ich auch einen anderen Aspekt wichtig, nämlich den, dass man vieles auch oft erst rückblickend versteht, wenn der Gedankengang schon fortgeschritten ist. Viele Aspekte leuchten einem im Einzelnen nicht ein, ergeben aber im Zusammenhang durchaus ihren Sinn und man kann sich ihren dann noch mal widmen und sie genau verstehen - dazu allerdings sind derart ausgedehnte Diskussionen ausgesprochen hinderlich, hindern sie doch schlicht und ergreifend das Fortkommen. Eine eigene Meinung habe ich diesbezüglich nicht, aber das ist im Sinne der Phänomenologie wohl auch nicht wichtig, wichtiger ist, wie man damit umgeht - und darauf wollte ich einmal aufmerksam machen. Dass mich von zehn Fragen etwa acht sehr genervt haben, traue ich mich jedoch zu sagen.
Camilo Del Valle Lattanzio: Am Donnerstag haben wir ein Vortrag von Dr. Flatscher gehört, in dem er uns die phänomenologische und dekonstruktivistische Grundideen zu erklären versuchte. Erstens hat er über Husserl gesprochen, der aufmerksam machte, die Wahrnehmung als die perspektische Anschauung eines Dinges zu sehen. Nach dieser Auffassung hab ich mir überlegt, dass die Technik, die der Kubismus in seinen Bilder verwendet hat, nichts anders als das Mehr-Meinungen auf eine selbe Ebene zu bringen ist. Nach dieser Erläuterung der Idee von Husserl, kann ich den Kubismus so verstehen, als eine Art totaler Wahrnehmung, weil alle die Perspektiven der Körper gezeichnet werden. In dieser Art würde der Kubismus den Husserls Begriff von Wahrnehmung zerstören und eine Art Gegenthese entwickeln, in dem Man die Dinge durch die Kunst vollständig erfassen kann.
Danach hat Dr. Flatscher über Heidegger gesprochen. Mir ist eine Idee eingefallen, nämlich, dass diese Auffassung von Dingen, die nie bedeutungslos (oder nackt) sind, ähnlich mit der Auffassung von Henri Bergson (wenn ich es richtig verstehe) ist. Bergson sagt in dem zweiten Kapitel von Materie und Gedächtnis, dass die Dinge oder Gegenstände(die er als Bilder) „ welche meinen Körper umgehen, reflektieren die mögliche Wirkung meines Körpers auf sie.“ ( Henri Bergson: Materie und Gedächtnis. Hamburg: Meiner 1991, 5). Wenn wir die Dinge immer mit einer „Um-zu“- Struktur erkennen, dann müssen wir auch in dieser Vorstellung eine gewisse Ahnung erhalten, inwiefern man diese Dinge wirken kann, um sein Nutzen zu explotieren.
Mit Derridas Auffassung ist mir eine Frage eingefallen: Kann man eigentlich diese Quasi- Identität eigentlich erkennen? Handelt es sich um eine Wahrnehmung die in einem gespannten Zeitraum gemacht wird? oder ist es nicht mehr eine unmittelbare Wahrnehmung, die nach weniger als eine Sekunde später nicht mehr das Selbe ist? Ist die Wiederholung dann immer in Bewegung? Wenn ja: dann kann man sich gar keine Idee von einem Körper machen, da es kein Gegenwart gäbe.
Fabian M. Kos: Fortwährend fühlte ich mich bei dieser schönen Vorlesung an Werner Heisenberg (Physiker) und insbesondere seine Unschärferelation erinnert. Verblüfft folgte ich Husserls Annahmen zur Wahrnehmung, welche „nie vollends erschlossen, sondern notwendig immer nur in Abschattungen gegeben“ sei und sich trotz der perspektivischen Rückbindung, Seiendes in einer „ganzheitlichen“ Gegebenheitsweise vor einem raumzeitlichen
Horizont zeige.
Während Heisenberg 1927 argumentiert, dass die Mechanik eines Systems nur dann korrekt beschrieben werden könne, wenn man den Einfluss des Beobachters auf das System berücksichtigt und die Kenntnis eines Parameters (eines Quantenobjekts) demnach die Ungewissheit eines anderen impliziert.
Aus dieser Sichtweise geben auch Wiederholungszusammenhänge und die Identität, die zu sich selbst unterwegs sei, einen grundlegenden Denkanstoß. Wenn Heisenberg etwa meint, dass der Fortschritt der Naturwissenschaften durch den Verzicht darauf, die Phänomene in der Natur unserem Denken durch Naturwissenschaft unmittelbar lebendig zu machen, erkauft wird, dann zeigt er uns, dass die Zunahme der abstrakten Welterkenntnis im Grunde genommen der Abnahme des unmittelbaren Verständnisses entspricht. (Vgl. Schiemann, Gregor: Werner Heisenberg, München: C. H. Beck 2008, S. 69.)
Ich erweitere abschließend den Kreis wiederum mit der Phänomenologie und Jacques Derrida: Denn um etwas verstehen zu können, muss es schließlich verstehbar bleiben.
Simon Pötschko: Eine Vorlesung, wie sie schöner kaum hätte sein können! Kaum eine Vorlesung hat mich so fasziniert und mich dermaßen beeindruckt, wie die des Herrn Dr. Flatscher. Er hat es geschafft den Sinn, den ich in dieser Art von Lehrveranstaltung mir einbilde ausgemacht zu haben, genau getroffen. Durch seine einfache aber nicht banale, kleine Kostprobe, dessen was der große Bereich der Phänomenologie ist, hat er, zumindest in mir, eine Art begeistertes Feuer entfacht und den Hunger nach Phänomenologie, obwohl er in mir schon vorher da war, um ein vielfaches vergrößert und angeregt.
Das Wort auf das ich schon so lange gewartet habe ist endlich gefallen. Das, das für mich das Schlagwort der gesamten Philosophie, des gesamten Denkens, des gesamten Daseins darstellt wurde endlich in den Vorlesungssaal gebracht. Subjektiv-Relativ. Gedacht von solch großen Geistern wie derer Husserls und Heideggers und zu uns gebracht durch Matthias Flatscher. Welch geniale Gedanken, die des „Sich-zeigens“ eines Objektes und der des „In-der-Welt-sein“ bei Heidegger. Phantastisch. Endlich wird die Kontextualität zur Sprache gebracht und die Wichtigkeit, dass wir etwas in abschattungen wahrnehmen.
Ich könnte hier noch lange weiter schwärmen und in den phantastischen Erinnerungen der Vorlesungen schwelgen. Ich hoffe nur, das Philosophische Institut lässt nach dem Weggang des Dr. Flatschers, seine Denkrichtung, die der Phänomenologie, am Institut nicht aussterben.