Die wunderbarste geistige Maschine, die je entstand (Code)

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Es ist hier nicht unsere Aufgabe, detailliert zu schildern, welche immense Bedeutung die uneigentlichen Vorstellungen wie die Symbole überhaupt für unser gesamtes psychisches Leben besitzen. Sie beginnen sich einzustellen auf den frühesten Stufen der psychischen Entwicklung und begleiten diese, immer mehr um sich greifend, immer umfassendere und kompliziertere Funktio­nen erfüllend, bis auf die höchsten Entwicklungsstufen. Ja, noch mehr dürfen wir behaupten : Sie begleiten nicht bloß die psy­chische Entwicklung, sondern bedingen sie wesentlich, machen sie allererst möglich. Ohne die Möglichkeit äußerlicher, dauernder Merkzeichen als Stützen unseres Gedächtnisses, ohne die Möglich­keit symbolischer Ersatzvorstellungen für abstraktere, schwer zu unterscheidende und zu handhabende eigentliche Vorstellungen oder gar für Vorstellungen, die uns als eigentliche überhaupt ver­sagt sind, gäbe es kein höheres Geistesleben, geschweige denn eine Wissenschaft. Die Symbole sind das große natürliche Hilfsmittel, durch welches die ursprünglich so engen Schranken unseres psychischen Lebens durchbrochen, durch welches diese wesentlichen Unvollkommenheiten unseres Intellekts, bis zu einem gewissen Grade wenigstens, unschädlich gemacht werden. Auf eigentüm­lichen, höheres Denken ersparenden Umwegen befähigen sie den menschlichen Geist zu Leistungen, die er direkt, in eigentlicher Erkenntnisarbeit, niemals vollbringen könnte. Die Symbole die­nen der Ökonomie der geistigen Arbeitsleistung wie die Werk-zeuge und Maschinen der Ökonomie der mechanischen Arbeits­leistung. Aus freier Hand trifft der vorzüglichste Zeichner einen Kreis nicht so gut wie der Schulknabe mit dem Zirkel. Der unerfahrenste und schwächste Mann leistet mit einer Maschine (wofern er sie nur zu handhaben weiß) unvergleichlich mehr als der erfahrenste und stärkste ohne sie. Und nicht anders verhält es sich auf geistigem Gebiete. Man nehme dem größten Genie die Symbol-Werkzeuge und es wird unfähiger als der beschränkteste Kopf. Heutzutage vermag ein Kind, das Rechnen gelernt hat, mehr als im Altertum die größten Mathematiker. Probleme, für sie kaum faßlich und ganz unlöslich, erledigt heute ein Anfänger ohne besondere Mühe und ohne besonderes Verdienst. Und wie die Werkzeuge in immer steigender Komplikation bis zu den wunderbarsten Maschinen eine Stufenreihe darstellen, welche den Fortschritt der Menschheit in der mechanischen Arbeitsleistung widerspiegeln, so verhält es sich auch mit den Symbolen in Be­ziehung auf die geistige Arbeitsleistung. Mit der bewußten Anwendung von Symbolen erhebt sich der menschliche Intellekt zu einer neuen, der wahrhaft menschlichen Stufe. Und der Fort-schritt der intellektuellen Entwicklung läuft parallel mit einem Fortschritt in der Kunst der Symbole. Die großartige Entwick­lung der Naturwissenschaften und die dadurch begründete der Technik bilden vor allem den Ruhm und Stolz der letzten Jahr-hunderte. Aber nicht mindere Ruhmestitel scheint doch zu ver­dienen jenes merkwürdige, immer noch nicht aufgeklärte Symbolsystem, dem jene das meiste danken, ohne welches Theorie wie Praxis völlig hilflos wären : das System der allgemeinen Arithmetik, dieser wunderbarsten geistigen Maschine, die je erstand.

Unter den Zeichen spielen die „uneigentlichen” V o r-s t ei lu n g e n eine besonders wichtige Rolle. Unserer Definition gemäß ist jeder Inhalt, der uns nicht als das, was er ist, sondern nur indirekt, vermittels irgendwelcher Zeichen gegeben ist, ein uneigentlich vorgestellter. Danach ist es klar, daß die Begriffe Zeichen und uneigentliche Vorstellung nicht etwa zusammen-fallen. Jede uneigentliche Vorstellung ist wohl ein Zeichen, aber es ist nicht umgekehrt jedes Zeichen eine uneigentliche Vorstellung. Ist uns eine Sache nicht direkt, sondern nur unter Vermittlung



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