26. März 2007

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Horney, Karen (1922): Zur Genese des weiblichen Kastrationskomplexes, in: dies.: Die Psychologie der Frau, Frankfurt/M.: Fischer 1984, 10-25.

Klein, Melanie (1933): Die frühe Entwicklung des Gewissens beim Kind, in: dies.: Frühstadien des Ödipuskomplexes. Frühe Schriften 1928-1945, Frankfurt/M.: Fischer 1991, 89-101.



Unsere Kultur ist mit männlichem Denken identifiziert

Karen Horney kritisiert Freuds Weiblichkeitskonzept in Texten, die sie zwischen 1922 und 1935 verfasst hat. Die primäre Kastrationserfahrung des Mädchens, der Erklärungswert der Hypothese vom geschlechterübergreifenden Penisneid stehen ebenso zur Debatte wie der weibliche Hang zum Masochismus oder die Frage nach einer an der Klitoris orientierten phallischen Sexualität des kleinen Mädchens. In ihren Argumentationen bezieht sich Horney meist auf klinische Beobachtungen. Dabei stellt sie fest, dass Mädchen ihre ersten ödipalen Erfahrungen keineswegs nach einer Trennung von der Mutter machen, sondern aus einer Identifikation mit der Mutter heraus den Vater als Liebesobjekt wählen (Horney 1922, 15). Horney spricht in diesem Zusammenhang von einer weiblichen Urphantasie, in welcher sich die Tochter mit der Mutter eng verbunden fühlt (ebd., 16).(1) Erst die Enttäuschung durch den Vater (ebd., 22) führt zu einer Aufgabe der Identifikation mit der Mutter, zum Penisneid und in einen Männlichkeitskomplex des Mädchens.(2) Freuds Hypothese einer primären Bisexualität greift Horney auf, um die durchaus auch ihr bekannten Wünsche von Mädchen nach einem Penis zu erklären (Horney 1933a, 100). Einen Penis haben zu wollen, verrät für sie in einem solchen Kontext nicht in erster Linie Neid, sondern ist Ausdruck eines spielerischen Umgangs mit einer noch nicht festgelegten Geschlechtsrolle. Eine größere Tendenz zur Bisexualität bei Mädchen hält Horney aber für fraglich (Horney 1932, 93).

Unter Verweis auf Georg Simmel betont Horney eine „Identifizierung [unserer Kultur] mit männlichem Denken (Horney 1926, 30)“. Darin sieht sie die Ursache dafür, dass in der Theorie der Psychoanalyse die Fähigkeit der Frau, Kinder zu gebären, von einem, am männlichen Genitale orientierten Prinzip verdeckt wird. Der Neid des männlichen Kindes auf Schwangerschaft, Gebären, Mutterschaft, Brüste oder das Stillen ist für sie alltäglich klinisch zu beoachten. In einer männlich dominierten Kultur muss dieses Gefühl aber unterbewertet bleiben (ebd., 32). Die Bedeutung kultureller Einflüsse interessiert Horney auch hinsichtlich der These einer besonderen Neigung der Frau zum Masochismus, wie sie unter anderen von Helene Deutsch vertreten wurde. Explizit weist Horney hier die Überbetonung biologischer Merkmale der Frau wie eine geringere Körperkraft, drohende Vergewaltigung, Menstruation zurück: „Es müssen die weitgehend kulturellen oder sozialen Bedingungen, unter denen jede einzelne masochistische Frau aufwuchs, betrachtet werden (Horney 1933b, 162)“. Auch für Freuds Theorie der abgeleiteten und vor allem sekundären Bedeutung der Vagina in der sexuellen Entwicklung des Mädchens gibt es laut Horney keinen anderen als einen kulturellen Grund, und das heißt hier ein männliches Interesse an einer solchen Beschreibung. Die Hypothese einer primären klitoralen Lustquelle erleichtert nämlich die Gleichsetzung von Mädchen und Knaben in der phallischen Phase - die Klitoris wird zum Penisäquivalent, das kleine Mädchen gerät zum kleinen Mann. Die klinische Beobachtung widerspricht dieser These. Analysen mit Frauen zeigen Horney die primäre Bedeutsamkeit der Vagina (Horney 1933a, 106). Horney nimmt daher gegen Freud an, „daß die Vagina von Anfang an ihre ihr eigene Geschlechtsrolle spielt (ebd., 106)“ und dass dem „»Unentdecktsein« der Vagina eine [kulturell bedingte] Verleugnung der Vagina zugrunde liegt (ebd., 109)“.

Auch wenn sich manche Theoretikerin heute nach wie vor gerne auf Horney beruft(3), sind ihre Vorstellungen keineswegs unkritisch für eine feministische Lesart der Psychoanalyse zu übernehmen. Insbesondere in ihren Überlegungen zum Männlichkeitskomplex von Frauen, dem Wunsch von Frauen, ein Mann sein zu wollen, schreckt sie nicht davor zurück, ein weibliches Wesen zu postulieren, das die weibliche Entwicklung jenseits aller kulturellen und sozialen Einflüsse determiniert.(4) Die Bedeutung ihres Beitrages für eine feministische Kritik ist dennoch beträchtlich, war sie doch eine der ersten, die auf die nichteingestandene kulturelle Kontingenz von Freuds Thesen zur Weiblichkeit hingewiesen haben.


Anmerkungen

1Lilli Gast hebt hervor, dass das Verhältnis zur Mutter bei Horney nicht sexuell gedacht und Horney daher der Vorwurf zu machen ist, dass sie die matrisexuelle Vorgeschichte des Ödipuskomplexes nicht berücksichtige (Gast 1996, 97).

2 Freud selbst hat Horney auf diesen Vorschlag, die Hypothese eines primären Penisneides des Mädchens aufzugeben, mit Verweis auf die Intensität der ersten Libidoregungen beim Mädchen ablehnend geantwortet (Freud 1931, 292).

3 Vgl. als Beispiel Benjamin (1993).

4 Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei Paris (1996), 135 ff..

Literatur

Benjamin, Jessica (1988), Die Fesseln der Liebe. Basel, Frankfurt/M.: Stroemfeld/Nexus.

Freud, Sigmund (1931), Über die weibliche Sexualität. In: SA, Bd. V, 273-292.

Ders. (2000), Studienausgabe (SA), Bd. I-X. Hg. von Alexander Mitscherlich, Angela Richards, James Strachey, Ilse Gubrich-Simitis. Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuchverlag.

Gast, Lilli (1996), Subjektwerdung und Geschlechtskonstitution. Die Erkenntnislogik derb Freudschen Psychoanalyse und ihre Bedeutung für den feministischen Diskurs am Beispiel des Subjektbegriffs. In: Grosz- Ganzoni (1996), 85-114.

Grosz-Ganzoni, Ita-Maria (1996), Widerspenstige Wechselwirkungen. Feministische Perspektiven in Psychoanalyse, Philosophie, Literaturwissenschaft und Gesellschaftskritik. Tübingen: edition diskord.

Horney, Karen (1922), Zur Genese des weiblichen Kastrationskomplexes. In: Dies. (1984), 10-25.

Dies. (1926), Flucht aus der Weiblichkeit: Der Männlichkeitskomplex der Frau im Spiegel männlicher und weiblicher Betrachtung. In: Dies. (1984), 26-42.

Dies. (1932), Die Angst vor der Frau: Über dem spezifischen Unterschied in der männlichen und weiblichen Angst vor dem anderen Geschlecht. In:

Dies. (1984), 81-95.

Dies. (1933a), Die Verleugnung der Vagina: Ein Beitrag zur Frage der spezifisch weiblichen Genitalängste. In: Dies. (1984), 96-110.

Dies. (1933b), Zur Frage des weiblichen Masochismus. In: Dies. (1984), 142-162.

Dies. (1984), Die Psychologie der Frau (orig.: Dies., Feminine Psychology. New York: W. W. Norton & Company 1967.) Frankfurt/M.: Fischer Taschenbuchverlag.

Paris, Bernard J. (1996), Karen Horney: Leben und Werk (orig. ders., A Psychoanalyst's search for Self-Understanding. New Haven/London: Yale University Press 1994).


Frau Woeber, Frau Poetscher und Frau Vogler haben den Text Melanie Klein Die frühe Entwicklung des Gewissens beim Kind mit Powerpoint praesentiert.