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K (Antirival Goods und die Materialökonomie)
K (Positive Netzwerkeffekte)
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Allgemeiner gesagt: positive externalities / positive Außeneffekte. Darunter versteht man in der Ökonomie günstige Umgebungsbedingungen, die nicht in die Kostenrechnung einer einzelnen Produktion eingehen.  
 
Allgemeiner gesagt: positive externalities / positive Außeneffekte. Darunter versteht man in der Ökonomie günstige Umgebungsbedingungen, die nicht in die Kostenrechnung einer einzelnen Produktion eingehen.  
  
* Ein kleines Beispiel: Sie eröffnen eine kleine Kebapbude. Ohne, dass Sie es wissen, entscheidet sich Tschibo, eine Fabrik nebenan zu bauen, sodass Sie auf einen Schlag zusätzliche 500 Leute täglich als Kunden dazugewinnen. Das sind Umstände, die sie nicht planen können, die sie nicht kaufen können. Das ist aber auch die Materie, aus der Korruption entsteht: Jemand der den Entwicklungsplan einer Gemeinde schnell genug kennt und dadurch weiß, wann wo welche Fabrik gebaut wird, kann aus dieser Information entsprechende Vorteile herausschlagen. Diese positiven Standorteffekte/Umgebungseffekte sind ein Beispiel für solche externalities.  
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* Ein kleines Beispiel: Sie eröffnen eine kleine Kebapbude. Ohne, dass Sie es wissen, entscheidet sich Tschibo, eine Fabrik nebenan zu bauen, sodass Sie auf einen Schlag zusätzliche 500 Leute täglich als Kunden dazugewinnen. Das sind Umstände, die sie nicht planen können, die sie nicht kaufen können. Das ist aber auch die Materie, aus der Korruption entsteht: Jemand, der den Entwicklungsplan einer Gemeinde schnell genug kennt und dadurch weiß, wann wo welche Fabrik gebaut wird, kann aus dieser Information entsprechende Vorteile herausschlagen. Diese positiven Standorteffekte/Umgebungseffekte sind ein Beispiel für solche externalities.  
  
* Ein klassisches Ökonomisches Beispiel dafür sind Telefone. <font color="maroon">Wenn Sie eine der ersten Personen sind, die ein Telefon kauft, können Sie zwar einen gewissen historischen uniquen Status beanspruchen, jedoch können Sie mit ihrem Telefon gerade einmal an eine einzige Stelle telefonieren.</font> Es mag ein schönes Ding sein, das man anmalen, anstarren und verwenden kann, um mit genau einer Person reden zu können. Wenn Sie mich fragen: Dieser Person könnten Sie gleich einen Brief schreiben. <font color="maroon">Der Wert dieses kleinen Dings steigert sich jedoch in dem Maße, in dem mehrere Leute auch ein solches Ding verwenden. Das ist der Netzwerkeffekt. Das Telefon wird umso wichtiger für Sie, je mehr Leute sie damit anrufen können. Dieser Effekt ist nicht in den Entstehungskosten berücksichtigt; die Materialkosten und Entwicklungskosten für diesen Apparat enthalten also nicht den zusätzlichen Wert, weitere 100.000 Leute anzurufen. Genau das ist der Sinn von ANTI-rivalisierend: Es ist nicht nur so, dass man nicht etwas weg nimmt, sondern je mehr Personen ein anti-rivalisierendes Gut haben, desto mehr ist das, was ich selbst habe, wert.</font>  
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* Ein klassisches Ökonomisches Beispiel dafür sind Telefone. <font color="maroon">Wenn Sie eine der ersten Personen sind, die ein Telefon kauft, können Sie zwar einen gewissen historisch uniquen Status beanspruchen, jedoch können Sie mit ihrem Telefon gerade einmal an eine einzige Stelle telefonieren.</font> Es mag ein schönes Ding sein, das man anmalen, anstarren und verwenden kann, um mit genau einer Person reden zu können. Wenn Sie mich fragen: Dieser Person könnten Sie gleich einen Brief schreiben. <font color="maroon">Der Wert dieses kleinen Dings steigert sich jedoch in dem Maße, in dem mehrere Leute auch ein solches Ding verwenden. Das ist der Netzwerkeffekt. Das Telefon wird umso wichtiger für Sie, je mehr Leute sie damit anrufen können. Dieser Effekt ist nicht in den Entstehungskosten berücksichtigt; die Materialkosten und Entwicklungskosten für diesen Apparat enthalten also nicht den zusätzlichen Wert, weitere 100.000 Leute anzurufen. Genau das ist der Sinn von ANTI-rivalisierend: Es ist nicht nur so, dass man nicht etwas weg nimmt, sondern je mehr Personen ein anti-rivalisierendes Gut haben, desto mehr ist das, was ich selbst habe, wert.</font>  
  
Soweit also zur Erläuterung des anti-rivalisierenden Effekts. Dieser wirkt sich an dieser Stelle ausgesprochen positiv aus. Die ökonomische Überlegung dahinter ist - nun im Zusammenhang mit der Benutzung eines Browsers: Auch wenn Sie den Browser nur benutzen und dadurch eine der Personen sind, die die Statistik verbessern und allenfalls bereit sind, diesen und jenen Bug-Report einzuschicken, auch dann haben Sie etwas nicht Uninteressantes getan. Damit ist natürlich <font color="maroon">die Frage der User Innovation und der Motivation</font> nicht berührt. Diese <font color="maroon">hängt, wie man hier auch gut sieht, mit der Frage zusammen, welches Eigentumsregime mit den Informationsgütern verknüpft ist</font>. Das bringt uns zu den beiden Punkten, die uns in der nächsten Einheit beschäftigen werden: Ökonomische Aspekte und Eigentumsaspekte.
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Soweit also zur Erläuterung des anti-rivalisierenden Effekts. Dieser wirkt sich an dieser Stelle ausgesprochen positiv aus. Die ökonomische Überlegung dahinter ist - nun im Zusammenhang mit der Benutzung eines Browsers: Auch wenn Sie den Browser nur benutzen und dadurch eine der Personen sind, die die Statistik verbessern und allenfalls bereit sind, diesen und jenen Bug-Report einzuschicken, auch dann haben Sie etwas nicht uninteressantes getan. Damit ist natürlich <font color="maroon">die Frage der User Innovation und der Motivation</font> nicht berührt. Diese <font color="maroon">hängt, wie man hier auch gut sieht, mit der Frage zusammen, welches Eigentumsregime mit den Informationsgütern verknüpft ist</font>. Das bringt uns zu den beiden Punkten, die uns in der nächsten Einheit beschäftigen werden: Ökonomische Aspekte und Eigentumsaspekte.
  
 
== Diskussion: Der negative Netzwerkeffekt in der Musikverteilung. Oder: Der Zusammenbruch von Eigentumsordnungen? ==
 
== Diskussion: Der negative Netzwerkeffekt in der Musikverteilung. Oder: Der Zusammenbruch von Eigentumsordnungen? ==

Version vom 9. Juni 2012, 21:05 Uhr

Inhaltsverzeichnis

Open Source Philosophie - Einheit 8: 05.12.2008

Organisatorisches

Zur Erinnerung an die Zeitvorgaben. Letztes Mal ist ausgefallen und nächstes Mal, wie Sie hier auf dem Plan sehen, fällt es auch noch einmal aus wegen einer Auslandsreise. Das heißt wir haben dann die letzte Sitzung vor Weihnachten am 19. und dann noch vier Mal im Jänner. Aber mit unseren Mitschriften können wir gut mithalten. Die Mitschrift vom letzten Mal ist auch schon wieder komplett vorhanden.

Theoretisches Potential

Ich möchte heute, nachdem ich Ihnen in den vorhergehenden Sitzungen die Geschichte und die Initialzündung der Diskussion über die Theorie der Open Source Bewegung, im Spannungsbereich zwischen Richard Stallman und Eric Raymond, dargestellt habe, so in einem ersten, noch ein bisschen, allgemeinen Überblick, das was ich theoretisches Potential genannt habe vorstellen. Also einen Einblick geben darauf, welche Form von Überlegungen, Untersuchungen und Impulsen die bisher geschilderte Entwicklung im Software Entwicklungsbereich genommen hat. Die Absicht dabei besteht darin, Ihnen die Intuitionen und die Initiativen klarer zu machen, die sich um diesen Impuls gruppieren. Das ist in dem Fall eine durchaus literaturreiche Vorlesung, also eine wo ich Ihnen, sehr viel Text zum Ansehen zur Verfügung gestellt habe, wobei ich diesen Text nur zum Teil expliziere. Vor allem habe ich Ihnen in den ersten drei Einrichtungen Sammelnummern eines zentralen Online-Journals für diese Fragestellungen verlinkt. Nämlich, „First Monday“.

First Monday

Das „First Monday“ gibt es seit 1995 und ist im Prinzip eine freie, "peer reviewed" Zeitschrift, in der sich wichtige Beiträge zur Open Source Entwicklungsthematik finden lassen. In zumindest drei von diesen Sammelzeitschriften wird fokussiert und zusammengefasst, welche Beiträge es diesbezüglich gibt. Sie sehen in der „special issue“ Nummer 2 den Beitrag von Eric Raymond, der dort in Volume 3/ Band 3 „Die Kathedrale und der Basar“ veröffentlicht hat.

Vielfältige Perspektiven ohne rotem Faden?

Der Hinweis auf diese First Monday-Zusammenstellung dient dazu, dass Sie einen Eindruck haben über die Themenstellungen, die angestoßen worden sind. Diese Themenstellungen kommen aus den diversesten Bereichen:


Sehen Sie sich noch dazu die beiden weiteren Links an:

Sie werden feststellen, dass eine beinahe überwältigende Vielfalt unterschiedlicher Perspektiven zum Vorschein kommt:

  • aus der Sicht der Organisationsentwicklung,
  • aus der Sicht der Netzwerktheorie,
  • aus der Sicht der Soziologie,
  • und aus der Sicht der Ethnologie, wie wir noch sehen werden.
  • Relativ wenig finden Sie von der Philosophie im engeren Sinne. Das ist quasi noch ein Entwicklungsgebiet. Das führt allerdings auch zu einem gewissen methodischen Engpass.


Methodischer Engpass

Wenn Sie sich - als Philosophin - diese Literatur zu Gemüte führen, dann ergibt sich doch ab einem gewissen Zeitpunkt das etwas ungemütliche Phänomen, dass Sie überall in verschiedenste Richtungen in verschiedene Fachbereiche driften und gezogen werden, ohne dass Sie einen Halt in philosophischer Ausbildung hätten. Das heißt, Sie lesen Vieles von unterschiedlichen Disziplinen, was hilfreich sein kann, um dieses Phänomen zu verstehen. Aber wo ist die Verbindung zu dem, was man in der Philosophie zentraler behandelt? Zumindest im Sinne einer konsolidierten interdisziplinären Fragestellung? Das ist eine Schwierigkeit die sich dabei ergibt. Ich möchte darum erstens diese Problematik markieren und zweitens - um das Problem beginnend zu adressieren - drei von den reichhaltigen Beispielen, die sich ergeben, Ihnen zumindest einführungsweise heute vorstellen.

Überblick über drei philosophisch relevante Beiträge

  • Alexander Knorr: Die Deutungsoffenheit der Quellen (2007) (PDF)
  • Stephen Weber: The political Economy of Open Source Software(2002) (Exzerpte) ( PDF )
  • Andre Gorz: Wissen, Wert und Kapital (Ausschnitte)

Die Deutungsoffenheit der Quellen

Drei Beispiele, für die ich bereit wäre zu argumentieren, dass sie für die Philosophie direktere Anknüpfungspunkte bringen und das ist auf der einen Seite ein Beitrag von Alexander Knorr aus dem Open Source Jahrbuch. Das Open Source Jahrbuch ist eine weitere wichtige Quelle zusätzlich zu „First Monday“, das es auch schon seit 2004 gibt und zwar komplett und frei im Internet. Wenn Sie sich das Open Source Jahrbuch ansehen, dann haben Sie ein ähnliches Phänomen wie das, was ich bei „First Monday“ beschrieben habe: Einen großen Einzugsbereich von Fragestellungen. Insbesondere gibt es dort auch Philosophie. Das sind allerdings Beiträge, die ich Ihnen empfehle zu lesen, die aber nicht, sagen wir mal so, mit der Problematik direkt und kreativ verbunden sind, sodass ich Sie Ihnen vorstellen würde. Sie können es sich aber anschauen. Ein Beitrag, der mir gerade wegen seiner originellen, aus der Fachdisziplin kommenden Zugangsweise, auch für die Philosophie instruktiv erscheint, ist aus dem Jahrbuch 2007. Es handelt sich um den Beitrag von Knorr über "Die Deutungsoffenheit der Quellen". Da werde ich Ihnen ein wenig darüber erzählen.

The Success Of Open Source

Das zweite, das ich genauer ansehen möchte, ist ein Beitrag von Stephen Weber. Er ist Ökonomieprofessor in Berkley und hat ein Buch geschrieben: „The Success of Open Source“ (2004). Das hat allerdings im Unterschied zu dem, was Lawrence Lessig bietet, den Nachteil, dass dieses Buch nicht frei online ist. Das ist durchaus noch im traditionellen Buchhandelsschema drinnen ist. Es gibt aber einen Arbeitsbericht, ein Projekt von Stephen Weber, das nennt sich „The political economy of Open Source Software“ (2002). Das ist auf seiner Webseite in Berkley zugänglich. Es ist - obwohl vergleichsweise alt - wie mir scheint, eine sehr sehr gute Zusammenfassung von einer Reihe von zentralen Themen in der Theorie des Netzwerks und in der Theorie der Ökonomie, die sich aus der Open Source Bewegung ergeben. Stephen Weber war einer der ersten (1998 sind die Raymond Sachen publiziert worden, 2000 war er schon dabei mit diesem Forschungspaper) über Open Source sich Gedanken zu machen und darüber was daraus folgt.

Wissen, Wert und Kapital

Der zweite Beitrag wird hinführen zu einem dritten Text, von dem ich Ihnen genaueres sagen möchte. Dabei handelt es sich um Ausschnitte aus einem Buch von Andre Gorz: Wissen, Wert und Kapital. Hier drehen sich dann die Überlegungen zu Open Source in einen Bereich, der durchaus traditionell philosophisch ausgewiesen ist. Nämlich, wie Sie wissen, ist die politische Ökonomie entstanden im Gefolge der marxistischen Analysen. Marx wiederum hat einen nicht unerheblichen Stellenwert in philosophischen Überlegungen, sodass wir jetzt in dem, was ich heute sage, von ethnologischen Überlegungen zu sehr generell ökonomischen Überlegungen, zu Prinzipienüberlegungen über die Wirtschaftsordnung unter dem Vorzeichen des Privateigentums kommen werden. Damit sie also die Wellen ein bisschen einschätzen können, die diese Open Source Bewegung in der Theorie schlägt. Das wird dann fortgesetzt werden - ich habe es Ihnen letztes Mal schon angekündigt - durch ein bisschen genauere Präsentation dessen, wie es genauer aussieht, von der ökonomischen, von der juridischen eigentumsrechtlichen und von der innovationstheoretischen Seite. Da werden wir uns noch ein bisschen in Details begeben.

Alexander Knorr

Organisatorisches

Das führt mich also zu dem ersten genannten Punkt, der "Die Deutungsoffenheit der Quellen" von Alexander Knorr ist. Sie haben mehrere Möglichkeiten, den Text zu lesen:

  • Sie können das PDF online lesen
  • Ich habe das PDF aus dem Open Source Jahrbuch rausgeschnitten, damit Sie kürzere Ladezeiten haben
  • Ich habe Ihnen aus dem PDF zentrale Stellen ins Wiki gestellt. Die Idee dafür ist natürlich auch, dass Sie damit leichter arbeiten können. Sie wollen vielleicht nicht ein PDF-File mit Anmerkungen versehen, aber im Wiki können Sie etwas dazu schreiben.

Was ist die Absicht von Knorr? (Textausschnitt)

Was ist die Absicht von dem was Alexander Knorr hier vorschlägt? Ich beginne das vielleicht mal vorzulesen.

"Wissen und Erkenntnis begnügen sich nicht damit, ein Dasein in Form von sprachlich kodierter Information zu fristen, sondern nehmen manifeste Gestalt an, werden zu materialisierter Kultur, zu Artefakten – z.B. zu Maschinen oder Software. Artefakt ist ein sehr neutraler Begriff und bedeutet lediglich ein Ding, das künstlich geschaffen wurde, nicht naturgegeben ist und von einem denkenden und handlungsmächtigen Wesen in die Welt gebracht wurde. Aber in gängiger Diktion werden Maschinen und Software kaum als Artefakte, sondern als Produkte bezeichnet. Genau wie Artefakt nimmt auch der Begriff Produkt Bezug auf das Hergestellt sein, trägt aber weitere Implikationen in sich – namentlich die Unterscheidung und Trennung zweier Sphären: die der Hersteller und die der Kunden. Letztere werden gemeinhin als „(End-)Verbraucher“ bezeichnet, im Zusammenhang mit Computern und Software oftmals als „Benutzer“ (User). Diese Bezeichnungen wiederum implizieren das passive Konsumieren oder Gebrauchen eins Artefakts im Sinne seiner Produzenten. Doch diese Zuschreibungen sind fern der empirischen Wirklichkeit, denn mit erfolgter Produktion ist die Geschichte eines künstlicher hergestellten Dinges keineswegs beendet."

Das ist eine Betrachtungsweise aus einer Perspektive, die ich schon mehrfach angesprochen habe, dass nämlich Software eine sehr eigentümliche geistige Konstruktion ist. Das wird noch viel deutlicher bei Stephen Weber kommen.

Ethnologischer Einwand: Auch Software ist materiell fundiert

Ich habe in einer früheren Vorlesung gesagt, die Produktion von Schuhen ist einfach was anderes, als die Produktion von Regelanleitungen, weil man Regelanleitungen leicht verteilen und kommunizieren kann, ohne dass es zusätzliche Ressourcen braucht, während man für die Produktion von Schuhen zusätzliches Leder und ähnliches braucht. Das ist ein Feature, das in der Wirtschaftsdiskussion über Open Source eine wichtige Rolle spielt. Bei Knorr ist zu bemerken, dass von einer ethnologischen Perspektive ein Einwand kommt. Jemand der ethnologisch ausgebildet ist, weist darauf hin (und dürfte die gegenwärtige Forschungsausrichtung in der Ethnologie sein, wenn ich das von außen richtig sehe), dass man in der Ethnologie materialisierte Kultur in den Vordergrund stellt. Diese manifeste Gestalt, die sich in Artefakten wiederfindet. Sie kennen das natürlich. Jedes Heimatkundemuseum basiert auf der Voraussetzung, dass ein Kleidungsstück oder eine Hacke oder eine Fahne, was immer sie wollen, dass diese Gegenstände als Artefakte eine nicht nur funktionale Größe hat, sondern auch eine Lebensweise manifestiert und materialisiert. Das sind die Kategorien, mit denen Ethnologie normalerweise an ihre Themen herangeht. Der interessante Schachzug den Knorr hier gleich am Anfang macht ist zu sagen: "Nun gut: Produkte sind ja auch Realisierungen, Materialisierungen von bestimmten Ideen. Das Produkt Schuh ist eine Materialisierung der Idee „Ich sollte meine Füße schützen und stabilisieren gegenüber den Umgebungsbedingungen“".


Das Produkt und seine Entstehungsbedingungen

Nun macht er eine Wendung, die uns direkt hineinführt in die Fragestellung. Er fragt zunächst nach dem Unterschied zwischen Artefakt und Produkt. Unser Verständnis von Produkt ist präformiert von den gegebenen Wirtschaftsbedingungen. Wir haben eine Wirtschaftsordnung, in der wir unter bestimmten Bedingungen, nämlich der Lohnarbeit (davon ist jetzt hier nicht die Rede aber das ist der Bogen zu Andre Gorz) für einzelne Arbeitsbereiche etwas produzieren, was die Firma verkaufen kann. Indem die Firma das Produkt verkauft, macht sie einen Gewinn. Um das Produkt verkaufen zu können, muss die Firma sich an den Bedürfnissen der Leute orientieren, die dann bereit sind dafür etwas zu bezahlen. Dieses Endprodukt ist nach dem Kauf direkt verwendbar für die Konsumentinnen. Sie zahlen etwas und dann verwenden sie es für einen bestimmten Zweck. Der bestimmte Zweck bei Schuhen ist auch schon interessant. Sie kaufen die Schuhe eben nicht nur darum, weil sie sich vor der Kälte schützen und gehen wollen, aber nehmen wir diesen simplen Fall an. Die einen sind aktiv, die machen das, die anderen sind passiv, die ziehen das an. End of Story. Das ist die Standardgeschichte in einer Warenwirtschaft.

Der Aspekt, den Knorr von der Ethnologie hereinbringt ist zu sagen: "Ethnologie ist eine Disziplin, die sich nicht nur mit Phänomenen der Warenwirtschaft beschäftigt, sondern sie beschäftigt sich damit, dass Dinge, die unsere Welt bevölkern, Ausdrücke von Lebensformen, Lebensweisen, von Praktiken, von historischen Abläufen sind, in denen wir auch Teil sind." Das könnte man sehr schön plastisch beschreiben. Die Überblendung von dem allgemeineren ethnologischen Zugang und dem Zugang zu Produkten habe ich gerade vorgenommen. Ich habe Ihnen beschrieben, wie unser Umgang mit Dingen, die wir Produkte nennen, geprägt ist von unserer Arbeits- und Lebensweise in einer kapitalistischen Gesellschaft. Das ist der Punkt mit den Verbrauchern und den Usern. Und jetzt kommt die Pointe von Knorr.

Pointe von Knorr

Nehmen wir mal die Ethnologie, die zeigt uns, dass mit solchen Dingen sehr viel Verschiedenes passieren kann. Wir können feststellen dass Schürzen, Hämmer, Autos, etc. in unserer globalen Umgebung nicht einfach nur gekauft und verwendet werden, sondern dass sie sehr. sehr unterschiedlichen Gebrauch haben. Wir greifen zu kurz, wenn wir nur darauf gehen: "Ich kaufe mir meinen Volkswagen, um schnell von einem Ort zum anderen Ort zu kommen und sonst nichts." Und jetzt kommt Knorr zur Pointe: Die Open Source Bewegung ermöglicht uns einen neuen Blick darauf, dass wir etwas, was wir normalerweise als Produkte sehen (z.B. ein Programm wie das Betriebssystem, dass ich mit dem Computer dazukaufe und dass ich einfach nur verwenden kann so wie ich Schuhe tragen kann), umdeuten können. Durch die Open Source Bewegung wird der Nutzen- und Gebrauchsdingcharakter auf eine komplett überraschende Art und Weise neu aufgerollt. Ganz simpel gesagt: Das Betriebssystem Windows haben Sie auf ihrem Computer installiert und das müssen Sie auf Gedeih und Verderb verwenden ("Friss oder Stirb"). Da können Sie nichts machen. Das ist ungefähr so wie ein Schuh, den Sie nur und gerade dazu verwenden, damit Sie dort und dort hingehen. Die ethnologische Perspektive ist: Normalerweise wird nicht auf diese Weise mit Dingen umgegangen. Normalerweise gibt es eine große Anzahl von unterschiedlichen Praktiken zu sehen, die wir mit Dingen verbinden. Ein wunderschönes Umdeutungsbeispiel aus dem Text möchte ich Ihnen im Folgenden vorstellen:

Das Umdeutungsbeispiel

ein Kel Ewey mit Sonnenbrille
"Vor dem Hintergrund der Gegebenheiten ihres Lebensraumes erscheint es uns absolut vernünftig, dass die Kel Ewey häufig Sonnenbrillen tragen. Allerdings tragen sie die Brillen gar nicht in der Wüste, sondern bei Festlichkeiten, gerade auch nach Sonnenuntergang. Für die Kel Ewey komplettieren spiegelnde Sonnenbrillen die Verschleierung der Männer und perfektionieren damit die Umsetzung einer kulturellen Bekleidungsvorstellung (Spittler 2002, S. 18). Das Beispiel habe ich gewählt, weil einer Sonnenbrille zunächst eine eindeutige Funktion fest zugeordnet scheint, sie aber dennoch Umdeutungen erfährt, die einem selbst wohl kaum einfallen würden. Vergleichbares geschieht mit Software, die speziell für eindeutige Zwecke geschrieben wurde."

Uminterpretation

Das ist ein Hinblick auf das zentrale Thema an der Stelle. Stellen sie sich Sonnenbrillen vor, die Sie nicht anders verwenden können als dass Sie sie nur aufsetzen dürfen oder können, wenn draußen die Sonne scheint. Das ist ein bisschen absurd. Es gibt ja auch einige Leute, die tragen Sonnenbrillen ganz ohne dass sie sie unbedingt gegen die Sonne schützen müssten. Es ist ein schönes Beispiel dafür, dass diese Eindeutigkeit in unserem Umgang mit Dingen, also an vielen Stellen durchbrochen ist. Es wird immer um einiges plastischer, greifbarer und amüsanter wenn man es mit Ausblick auf andere Kulturgepflogenheiten sieht. Der wichtige Punkt ist, dass im Zusammenhang mit Computerprogrammen (so wie die meisten Benutzerinnen ab den 80er Jahren darauf gewöhnt worden sind), der Status von Computerprogrammen etwas Ähnliches gewesen ist wie der von Sonnenbrillen, die man nur aufsetzen darf wenn die Sonne scheint. Mit denen man sonst nichts Anderes machen kann. Sie kennen die spaßigen Geschichten, wo man Kunst aus Platinen oder Memory Chips macht. Das ist eine krasse Uminterpretation. Sie ist verbunden mit einem Sprung der von einer Hardware die man benutzen kann zu dem Spaß führt, der daraus entsteht, dieser Hardware auch ästhetische Qualitäten abzugewinnen. Im Zusammenhang mit geschlossenen (nur in Binärform zugänglichen) Programmen, handelt es sich um einen gewissen Extremfall von: "Mit solchen Programmen kann ich nur das eine machen und sonst nichts. Der oben erwähnte Sonnenbrillen-Umdeutungs-Effekt ist mit diesen Programmen nicht möglich." Ich kann nur vorschlagen: Lesen Sie sich diesen Artikel in voller Länge durch - er ist ausgesprochen empfehlenswert.

Weiterer Textausschnitt

geschmückter LKW aus Pakistan
noch ein angeeigneter LKW
modifizierter Manta

Ich bringe ihnen noch einen Ausschnitt, um Sie zu motivieren, sich den Artikel durchzulesen.. Es geht um Maschinen und Technologie.

„In Bezug auf Maschinen und Technologie sind die Freiheitsgrade der Aneignung zu einem gewissen Grad eingeschränkt. Wenn der Wunsch besteht dass die Maschine nach der Aneignung noch immer funktionieren soll.“

Sie können sich Windows schon aneignen in dem Sinn, dass Sie mal das Binärfile öffnen oder eines davon und ihre Kreativität ausnützen und schaun was passiert wenn sie "Hallo" heinein tippen. Es gibt ja Editoren wo sie Binärcode auch editieren können. Wenn sie da „Hallo“ hineintippen war es glaub ich ihr letzter Kommunikationsversuch mit Windows. Aber hier geht es weiter.

„Dieser Umstand führt häufig zu dem Fehlschluss, der von den Ingenieuren eingeschriebene Sinn einer Maschine sei dominant, verhindere eine tiefgreifende Aneignung jenseits des Oberflächen-Optischen, des Symbolisch-Asthetischen. Mittlerweile sind uns Bilder der prunkvollen, mit Verzierungen überladenen Busse und LKWs aus z.B. Indien und Pakistan vertraut geworden. Die auf sie getürmten Götter- und Heiligenbilder, Kalligraphie und exotisch wirkenden muster zeigen uns, dass diese Maschinen der Ästhetik einer uns zunächst fremden Kultur unterworfen wurden.. man staune und lächelt, etwa so wie über den längst sprichwörtlich gewordenen, getunten Opel Manta. Das Blenden der bizarren Schönheit verstellt den Blick auf die viel weiter reichenden, für das Verständnis der Beziehungen zwischen Technik und Kultur bedeutsamen Aneignungsprozesse. Im Sudan fahren Sifenja (Sandale) genannte LKWs, die auf ihre Art auch imposante Schönheiten sind, doch vom äußeren her bei weitem nicht so auffallen, wie ihre asiatischen Cousins. Die erstaunlichen Modifikationen liegen hier etwas im Verborgenen."

Er bringt eine Fallstudie, auf die ich hier nicht im Einzelen eingehe, über diese sudanesischen LKWs, mit denen es die folgende Bewandtnis hat: Die sudanischen Ingenieure haben sich westliche Modelle besorgt und haben diese zerlegt. Dann haben Sie sie auf sehr raffinierte Weise mit technischen Erweiterungen ausgebaut; mit neuen statischen und LKW-relevanten Eigenschaften versehen, sodass diese europäisch konstruierten LKWs, die im afrikanischen Gelände gewisse Schwachstellen aufweisen, durch diese Veränderungen wieder brauchbar für ihre Zwecke gemacht wurden. Mit einer Artefakt, das aufschraubbar ist, ist das möglich. Er beschreibt, dass das unter anderen eine Beschäftigung für die traditionelle Schmiede im Sudan ist. Die fertigen mit ihrem Handwerk in ihrer Schmiede nicht Industrieproduktion sondern bauen auf ihre Bedürfnisse angepasste Bestandteile in die LKWs ein und kriegen damit einen Mehrwert. Bei den Artefakten, die wir heute in der KFZ-Industrie teilweise vorfinden ist das nicht mehr möglich, denn dort werden fix-fertige Module zusammengebaut, die für sich versiegelt sind und die man dadurch nicht mehr aufschrauben und verändern kann. Aber sie verstehen den Punkt. Der Punkt ist der, dass man, solange man Artefakte hat - und das schließt technische Artefakte ein - an denen man basteln kann, in denen dieser Handwerkscharakter, von dem ich mehrfach gesprochen habe, möglich ist, solange hat man die Perspektive, in einen Aneignungsprozess hineinzukommen, der die privateigentums-kapitalistische Logik des Produktes unterwandert zugunsten einer Aufteilung von Aktivitäten und von Initiativen die nicht mehr dieser Asymmetrie (AKA: Produzent/User) unterworfen ist. Der offenbare motivationale Hintergrund dessen, was Knorr hier ausführt, ist ein Gegengewicht, sozusagen eine Gegenbewegung gegen die Verelendungsthese: Gegen die im Großen gezielte pessimistische Weltuntergangsstimmung einer kritischen Theorie, die sagt: "Der Kapitalismus ist ein gefräßiger Moloch, der im Prinzip alles auffrisst, alles dem Muster der großen Produktionsstätten aneignet und am Ende nichts übrig lässt außer Leute, die am Tropf der Großindustrie hängen."

User Innovation

Wortmeldung: Zu dem Punkt, dass der Kapitalismus alles auffrisst, passt auch das Stichwort "User Innovation" ganz gut. Die Betriebswirtschaft beschäftigt sich ja sehr stark mit dem Thema: Wenn der Firma die Ideen ausgeht und sie sich fragt, wo sie etwas Neues herbekommt, dann werden gezielt die Kunden/die User eingebunden, wobei jedes kreative Potential wieder vereinnahmt wird.

Ich danke sehr, das ist vollkommen richtig. Es erlaubt mir gleichzeitig, wieder eine Vorschau zu geben: Als kleines Beispiel: Ich bin bei der Automarke, mit der ich fahre, draufgekommen, dass die folgendermaßen organisiert ist: Wenn ich in deren Werkstatt fahre, passiert es stichprobenartig, dass ich ein Monat darauf einen Telefonanruf bekomme, mit der Frage: "Könnten Sie uns bitte sagen, wie zufrieden sie waren?". Oder ich bekomme einen Fragebogen von drei/vier Seiten, in dem die Firma nach Verbesserungsvorschlägen fragt. Das ist ein banales, alltägliches Beispiel von User Innovation. Die Firma ist quasi auf die Idee gekommen - das hat man im kapitalistischen Zusammenhang schon entdeckt - dass die Rückfrage nach möglichen Schwachstellen letztlich der Firma dient. Natürlich gibt es auch Situationen in denen dieser Plan schiefgeht.

Der "Hat's geschmeckt?"-Effekt. Oder: Warum User Motivation wichtig ist

Wo es für mich regelmäßig schiefgeht ist die berühmt-berüchtigte Situation im Gasthaus wo man fragt: "Hat's geschmeckt?". Dieser "Hat’s geschmeckt?"-Charakter hat ja dieselbe Idee der "User Innovation" dahinter. Und dieser Charakter ist auch nicht auszuschalten. Das ist gleich ein Teil meiner kommenden Antwort: Man kann durch eine solche Rückfrage bestimmte Ärgerlichkeiten abfragen und dadurch schlimme Fehler leichter herausfinden. Andererseits gibt es einen weiten Bereich von Problemen, die nur zum Vorschein kommen, wenn die befragten Leute auch motiviert sind, sinnvoll zu antworten. Ich habe einfach keinen Spaß, mich mit dem Serverier nach dem Essen in eine Unterhaltung zu begeben, ob das Essen durch ein paar kleine Tricks ein bisschen besser wird. Sie haben zum Teil auch keinen Spaß, hier zur Vorlesung Kommentare zu schreiben. Oder viellleicht haben Sie Spaß. Was ich damit sagen will: An diesen Beispielen ist schön zu sehen, dass die User Innovation erkannt wird, die User Motivation (also die in der Gesellschaft verteilten Kenntnisse, Motive und Impulse zu mobilisieren) unter den kapitalistischen Bedingungen eine sehr schwierige Sache ist. Den Vor-hinweis den ich machen möchte, wenn ich in der Ökonomie bin oder nicht später möchte ich einen Autor vorstellen der das für mich auf eine hervorragende Art und Weise dargestellt und ausgearbeitet hat ist Yochai Benkler.

Yochai Benkler: Coase vs. Open Source

Yochai Benkler ist ein Soziologe und Jurist aus New York. Er hat einen langen Artikel geschrieben, „Coase’s Penguin“. Ronald Coase ist Nobelpreisträger in Ökonomie gewesen und "Penguin" ist das bekannte Linux-Symbol. Desweiteren ist Coase berühmt dafür, dass er Theorien aufgestellt hat - für die er auch den Nobelpreis erhalten hat - unter welchen Umständen sich Firmen in einem kapitalistischen Zusammenhang bilden. Firmen bedeutet "hierarchisch organisierte Institutionen zur Optimierung von Massenproduktion". Die Idee von Benkler ist, dass er diese Coase'schen Bedingungen für die Entstehung von Firmen im Kapitalismus hernimmt und dem Open Source-Phänomen zum Vergleich gegenüberstellt. Dabei kommt er zu dem Urteil: "Wir können die Bedingungen zur kapitalistischen Firmengründung nicht generell bestreiten, an bestimmten Stellen werden die nach wie vor Geltung haben, aber unter Bedingungen der immateriellen Netzwerkkommunikation gelten bestimmte Konstanten zur Motivation nicht mehr." Kurz gesagt: Wenn Sie selber davon profitieren. Das heißt, der Kellner könnte sagen: "Wenn sie jetzt sagen, wie es geschmeckt hat, können wir das Essen das nächste Mal direkt so haben, wie Sie es wollen, denn Sie können sich Ihren Wunsch dann direkt von der Küche abholen." Dann sind Sie sicherlich bereiter, dem Kellner zu sagen, was er ändern soll. Die Motivation hängt also am sozialen Setting der Produktionsverhältnisse.

Einwurf aus dem Auditorium: Die Geheimnisse der User.

„Ich wollte noch sagen: Sogar, wenn Motivation geschaffen wird, indem die User z.B. für ihr Feedback bezahlt werden, kann man sich vorstellen, dass diese User nicht ihr letztes Wissen oder ihre letzten Ideen preisgeben werden, sondern immer noch etwas zurückbehalten, weil sie Vorbehalte gegen spezifische Verwertung haben."

Richtig. Das ist natürlich - wenn Sie das so sagen - auch ein Rückblick auf die Debatten um Stallman, freie Software und Open Source Software. Wenn Sie sich angeschaut haben, in welchem Rahmen Stallman unterwegs ist: Stallman sagt: "Die Bedingungen, unter denen wir Software betrachten müssen sind: Unter welchen Umständen produzieren Sie das Maximum an sozialem Nutzen? Wie können die Leute, wie kann die Gesellschaft insgesamt am meisten von dem profitieren, was wir da tun?"

Das Argument, das Sie jetzt bringen, ist: "Was immer die User beitragen, ist letztlich doch abhängig davon ist, was jemand anderer anschließend tut und das beeinflusst den Beitrag, den die User leisten im Vorhinein. Das heißt, der Befrager sammelt das Feedback auf und verwendet es dann für seinen eigenen Gewinn; macht daraus sein Geld. Man kann den Usern ein kleines Honorar versprechen. Das passiert ja auch immer wieder: Wenn Sie die Merkur-Kundenkarte benutzen, bekommen Sie hin und wieder ein billigeres Waschmittel. Und Wofür? Dafür, dass Sie Merkur alle Informationen über Ihr Kaufverhalten zur Verfügung stellen. Das ist der Deal. Auch an dieser Stelle ist Ihr Einwand möglich: Vielleicht ist die Kundenkarte doch kein so gutes Instrument. Und deswegen reduziert sich die Qualität von dem, was man eigentlich vom Kunden/User kriegen könnte. Man könnte von den Kunden/Usern mehr bekommen, aber wenn man mehr bekommen möchte, muss man die Eigentumsverhältnisse ändern - von der Idee her zumindest. Es klingt in dieser Generalität als Erstes natürlich überzeugend, ist aber noch im Detail anzusehen. Dass ein Beitrag zu einem Thema oder einer Sache, die niemanden gehört, motivierend ist, ist im Allgemeinen nicht der Fall, in manchen Fällen aber schon.

The tradegy of the commons – Die Tragödie des Allgemeinbesitzes

Das kann ich an dieser Stelle vorwegnehmen: Es gibt einen klassischen ökonomischen Ausdruck 'The Tradegy Of The Commons' – Die Tragödie des Allgemeinbesitzes.

Beispiel 1, die Dorfweide

Diesen Allgemeinbesitz kann man sich vorstellen wie die gemeinsame Dorfweide. Wie es nunmal in Angerdörfern heut noch immer sichtbar ist, gehört diese gemeinsame Dorfweide der Allgemeinheit. Niemand zahlt dafür, jeder kann seine Kuh dort weiden lassen. Sie können sich leicht vorstellen, was das Problem dabei ist: Wenn jemand reicher wird uns sich mehrere Kühe leisten kann, wird er beginnen 5 Kühe dort hinzuschicken. Dann jedoch fressen diese Kühe den anderen das Gras weg. Ein ähnlicher Effekt würde eintreten, wenn diese Person durchsetzungsfähigere Kühe trainieren würde, die die anderen vertreiben. Die 'Tradegy Of The Commons' besteht jedenfalls darin, dass untere diesen Umständen Allgemeineigentum nicht sinnvoll erscheint, um die Produktivität und das Auskommen der daran beteiligten Leute zu sichern.

Beispiel 2, Cooking Pot Markets

Wenn ich schon dabei bin, gehe ich auf kurz auf den Artikel von Gosh 'Cooking Pot Markets' ein, weil das führt mit einer ähnlichen Bildlichkeit zum selben Thema. Gosh sagt, unter Bedingungen der Materialwirtschaft haben wir so ein Problem, wie ich es bei der Dorfweide beschrieben habe. Nehmen wir jetzt nicht die allgemeine Weide, sondern stellen wir uns eine Party vor, in der jeder etwas mitzubringen hat: "Du bringst den Kuchen, du bringst den Salat!" Wir alle tragen das mit zur Party und dadurch, dass jeder etwas mitbringt, haben alle etwas davon. Diese Art von materialer Austauschgesellschaft hat ganz offensichtlich dasselbe Problem der "free rider", also derjenigen, die gar nichts mitbringen oder derjenigen, die doppelt soviel essen wie die anderen. Wenn man dies unkontrolliert geschehen lässt, ist klar, dass die Party kein Erfolg zu werden droht. Nun kommt der Punkt, um den sich etwas Zentrales dreht: Die Situation, mit der wir bei Software und im Zusammenhang mit Internet und mit Informationsgütern generell konfrontiert sind, ist eine Andere. Man kann unter diesen Umständen, etwas beitragen, ohne etwas zu verlieren, weil mir selber, wenn ich mein Wissen um diese Softwareroutine teile, nicht abgeht, wenn ich Sie jemand anderem mitteile. Das ändert etwas in der wirtschaftlichen Gleichung, vor allem dadurch, dass die Informationen nicht nur am Gang zwischen zwei Personen ausgetauscht werden, sondern dass im Internet das kleinste Item von Information, dass ich produziere, hunderttausendmal kopiert werden kann, ohne dass es mir etwas kostet. Wenn man das Spielchen aber umdreht und fragt: "Was bekomme ich dafür?" Dann ist die Antwort: Ich kann von all den 100.000 anderen Kopien die produziert worden sind, partizipieren, ohne dass diese Partizipation den anderen Personen etwas kosten würde. Die Situation gleicht also dem userfreundlichen Kettenbriefeffekt. Was bei Kettenbriefen niemals passieren kann (denn durch den Anstieg der Kosten sind die Geldressourcen nach einer Zeit erschöpft), tritt bei Informationsgütern ein; es multipliziert sich tatsächlich und Sie können in den Genuss dieser Informationen kommen. Das Beispiel, das Gosh an dieser Stelle bringt, ist ein Küchenkessel, in dem auf magische Art und Weise alle Leute etwas hineinwerfen können, ohne dabei etwas zu verlieren. Aber sie können auch das rausholen, was die anderen reingegeben haben. Damit ändert sich die Wirtschaftssituation.

Beispiel 3, Webdiskussionsgruppe

Ein konkretes Beispiel, das er bringt - das gut zu den Ausführungen bei Knorr passt, über den Wandel von Produkten zu Artefakten, an denen ich basteln kann - ist das Teilnehmen an einer Webdiskussionsgruppe über Katzen. (Es müssen nicht gerade Katzen sein, aber Gosh bringt dieses Beispiel). An dieser Stelle hilft es, sich etwas klarer zu machen, welche Charakteristik Informationsgüter im Unterschied zu Katzen haben. Die Menge der wirklichen Katzen sind beschränkt, sodass man sie zu einem bestimmten Preis kaufen muss. Wie schaut es mit einer Web-Plattform über Katzen aus? Was geht da vor sich? Man könnte, wenn man an Ökonomie nicht interessiert ist, zunächst feststellen, dass es sich um einen Austausch von Fanartikeln handelt; eine Art Katzenecke wie in einer Tierzeitschrift, in der gewisse Leute ihre Erfahrungen mit Kazten erzählen oder bestimmte Details über die artgerechte Pflege von bestimmten Katzen anfragen oder Fotos austauschen.

Bereits in diesem Beispiel wird deutlich, dass das, was hier vor sich geht, nicht so harmlos ist. Wenn Sie an einem Austausch in einer Haustierzeitschrift teilnehmen, dann ist klar, dass Sie sich bereits in ökonomischem Terrain befinden. Sie werden durch Ihr Interesse an Haustieren als eine Käufergruppe identifiziert. Zeitschriften werden in der Regel ja nicht nur über den Verkaufspreis oder den Abonnementenbetrieb finanziert, sondern vor allem über den Verkauf von Anzeigen. Die Anzeigen werden verkauft, weil die Zeitung ein gewisses Profil hat und damit eine gewisse Käuferschicht anspricht. Sie ahnen, worauf ich hinsteuere. Dieses Schema gilt nicht nur bei Zeitschriften, sondern natürlich auch beim Fernsehen. Für das Fernsehen müsste man eigentlich bezahlt werden, weil man sich durch das Ansehen eines Kanals bereit erklärt, mit einem bestimmten Typus von Werbung eingedeckt zu werden.

Worauf läuft dieses Schema hinaus? Diese Prinzipien haben durch Google eine bis dato unvorstellbare Potenzierung erhalten: Durch die Suchanfrage, die Sie eintippen; identifizieren Sie sich selbst als jemand, der sich für ein bestimmtes Thema oder Produkt interessiert. Dadurch sind Sie ein möglicher Adressat von Information und Werbung. Das ist in groben Zügen das Finanzmodell von Google. Sie bemerken, dass das den ganzen zeitgenössischen Wirtschaftsaufbau mit Werbekampagnen unterläuft. Anstatt dass es Werbekampagne-Firmen gibt, die ihre Kampagnen mit einem Know-How der Betriebsleitung verkaufen muss, um dann überhaupt erst auszutesten, ob die Kampagne funktioniert und die immer in Konkurrenz mit anderen Werbekampagne-Firmen mithalten müssen, nutzen Google den oben beschriebenen Effekt, dass die Benutzer/Kunden selbst anfragen, sich selbst anbieten, informiert zu werden. Wenn ich bei Google nach 'Neuwagen Chrysler' suche, hat Google eine Information, die eine Werbefirma mühsam und mit gänzlich verschwenderischem Einsatz von Ressourcen herauszufinden versucht, mit minimalstem Aufwand bekommen.

Aber wie funktioniert nun ein Webforum über Katzen? Nicht als ein Katzeninserat oder eine Katzenecke im obigen Sinn, sondern man könnte sagen, als freier Austausch. Gosh beschreibt das so: Es handelt sich um ein Geben und Nehmen, um diese Art von Austausch, die wir aus der Ethnologie kennengelernt haben: Jemand, der so ein Forum einrichtet, hat einen Anfangsimpuls. Für diesen Anfangsimpuls bekommt er zunächst kein Geld. Er richtet das Forum ein, weil es ihn interessiert; er zahlt sogar etwas an seinen Internetprovider, um diesem Interesse nachzugehen und weil er erwartet, dass er damit andere anspricht, die ähnliche Interessen haben und die etwas beitragen können. Er tut es auch, weil er auf diese Art und Weise ein Renommee als besonderer Katzenexperte gewinnt. 25 Leute kommen auf Ihre Webseite und stellen fest: Sabine ist die Katzenkönigin. Das ist (das haben wir auch bei der Darstellung von Raymond gefunden) einer der ganz banalen Effekte dieser neuen Form von Information. Man richtet nicht deswegen ein Kaztenforum ein, weil man etwas zahlt, sondern deswegen, weil man sich darum kümmern kann; weil es etwas Positives ist, handwerkliche Anerkennung zu genießen. Und warum partizipieren die andern an diesem Katzenforum? Die Gründe sind einigermaßen durchsichtig: Es kostet Sie kaum etwas und Sie bekommen mehr, als Sie investieren müssen. Das sind gewisse Basics.

Conclusio: Kooperation bedingt Koordination.

Nun ist das aber erst nur ein Anfang. Eine Sache, die sich ganz rasch als Thema stellt ist: Wenn ich einen Kochtopf habe, in den alles mögliche reingeht, muss man sich klarmachen, dass bestimmte Dinge zur selben Zeit im gleichen Kochtopf nicht zusammenpassen: Man kann nicht die Sachertorte und die Paprika gleichzeitig in den Kochtopf tun. Es gibt ein Koordinationsproblem. Es ist also auch unter diesen Bedingungen der freien Partizipation überhaupt nicht selbstverständlich, dass dabei etwas herauskommt, wenn nicht eine interne Organisation von Komplexität stattfindet. Ich denke, jetzt ist es Zeit, an die Stelle zu kommen, in der Stephen Weber beschreibt, was in diesem Zusammenhang bei Open Source so interessant ist:

User Driven Innovation

"The key concepts of User driven innovation that takes place in a parallel distributed setting, distinct forms and mechanisms of cooperative behavior, the economic logic of antirival goods, are generic enough to suggest that Software is not the only place where the open source process could florish."

Die "Key Concepts", von denen er in diesem Artikel schreibt, haben wir zum Teil schon besprochen. Das sind nun quasi die terminologisch zusammengefassteren Versionen davon:

  • Wir haben genau von dieser User Driven Innovation gesprochen.
  • Diese User driven Innovation findet statt in einem parallel verteilten Umgebungskontext. Das ist das was Eric Raymond definiert hat und was ich in der letzten Einheit angesprochen habe als: "Indem Sie die Software benutzen und in der Lage sind, Ihre Ärgerlichkeiten über diese Software mitzuteilen, sind Sie schon mit dabei." Ich führe Ihnen ein aktuelles Beispiel von heute Vormittag vor, wo ich das gut zeigen kann.

Parallel verteilter Umgebungskontext: Die Ärgerlichkeiten verschiedener Browser bewältigen

Ich bin heute morgen aufgewacht und habe einen kleinen Schock bekommen, weil es über Nacht massive Eingriffe in alle Wiki-Beiträge zum Seminar "Platos Staat interaktiv" gegeben hat. Wenn Sie sich das bei "Letzte Änderungen" ansehen: Auf jeder Seite ist etwas dazu editiert worden. Das ist normalerweise ein böses Zeichen, weil es bedeutet, dass irgendein Skript drüber gelaufen ist und Unfug gemacht hat. Ich habe es erschreckt aufgegriffen und bin zu meiner großen Überraschung darauf gekommen, dass über Nacht ein Kollege, der in der letzten Seminareinheit neben mir gesessen ist und mir nichts davon gesagt hat, über Nacht für alle Seiten dieses Seminars eine kleine Navigationsbox auf jeder Seite hineinprogrammiert hat, die zu allen für das Seminar relevanten Seiten verweisen. Das ist eine wirklich ausgesprochen freundliche, hilfreiche und produktive Aktion und erzählt Ihnen ein bisschen etwas darüber, was man mit dem Wiki machen kann. Warum weise ich Sie darauf hin? Wenn man in der Box auf "Was soll das denn?" klickt, erfährt man Sinn und Zweck über diese Box. Nun sind Browser dafür bekannt, dass es 25 verschiedene gibt, die alle nach unterschiedlichen Regeln funktionieren. Wenn er diese Box verkaufen müsste, dann müsste er - um irgendeine Chance am Markt zu haben - 25 Browser installieren und für jeden prüfen, ob die Box ordnungsgemäß angezeigt wird. Stattdessen stellt er die Box einfach öffentlich zur Verfügung und fragt: "Könntet Ihr mir bitte sagen, ob sie bei euch funktioniert?" Andere User greifen das, wie Sie sich ansehen können, auf und geben Feedback: Während es bei Firefox und Internet Explorer 7 funktioniert, stellt sich heraus, dass der Internet Explorer in der Version 6 die Box nicht in der gewünschten Weise darstellt. Das ist der Typus von Information, der durch die "parallel distribuierte Konfiguration" in Angriff genommen wird.


Grenzen und Chancen der Kooperationsformen

  • Das nächste Key Concept: unterschiedliche Formen und Mechanismen der Kooperation. An einer anderen Stelle sagt Stephen Weber etwas, das für mich in diesem Text eine der zentralen Erfahrungen und Ereignisse darstellt, die für die Philosophie ausschlaggebend sind. Es handelt sich um einen empirischen Testfall, mit dessen Hilfe belegt wird, dass hochgradig komplizierte technische Konstrukte wie Betriebssysteme, die Jahrhunderte von Menschenarbeitszeit investieren, durch über das Internet verteilte Kooperation von Leuten, die sich persönlich gar nicht kennen müssen, erzeugt werden können. Und zwar - das muss man hinzufügen - im Bereich dieser technischen Zusammenhänge. Diese Beifügung ist wichtig. Es gibt einen Typus von hochkomplexen Problemen, die die ganze Welt interessieren und wo es wirklich schön wäre, durch die richtige Kooperationsweise eine Antwort zu finden. Wenn ich bei dem vorhin erwähnten Seminar "Platos Staat interaktiv" bleibe: Die Frage "Was ist Gerechtigkeit" ist ein solches hochkomplexes Problem, das jeden beschäftigt und das mit sehr vielen Leuten zu tun hat.

Es wäre wunderschön, wenn wir dieses Problem durch Mechanismen der Kooperation lösen könnten. Das können wir so nicht lösen. Aber es gibt einen Typus von Problemen, in denen es nachgewiesen ist, dass wir das in dieser Allgemeinheit tun können. Das wird ein Punkt sein, auf den ich am Ende der Vorlesung hinaus komme.

Ich habe das "Was ist Gerechtigkeit?"-Problem nicht umsonst angesprochen. "Was ist Gerechtigkeit?" ist eben genau der klassische sokratische Frageansatz, der anschließend eine bestimmte philosophische Tradition entwickelt hat. Ich habe vorhin zwar gesagt: "Mit diesen technischen Möglichkeiten der Kooperation können wir die Frage nicht beantworten. Aber die Frage, die sich für die Philosophie stellt ist, ob wir aus dem, was wir im Zusammenhang mit Betriebssystemen sehen, Schlüsse für eine Behandlung auch philosophisch hoch komplexer Fragen ziehen können; ob wir also einen Aufschluss über den Umgang mit zum Beispiel der Frage "Was ist Gerechtigkeit" gewinnen können.

Antirival Goods und die Materialökonomie

  • Die letzte bei Weber angeführte Bestimmung ist die ökonomische Logik der Antirival Goods. Darüber werden wir genauer in der nächsten Einheit zu sprechen kommen, wenn wir die Ökonomie betrachten. In der Wirtschaft gibt es die terminologische Unterscheidung zwischen rivalisierenden und nicht rivalisierenden Gütern. Rivalisierende Güter kann man sich vorstellen wie das Gras im Gemeindeanger oder die Sandwiches auf der Party. Nicht rivalisierende Güter sind Güter, die man auch dann weiterhin besitzen kann, wenn man sie weitergibt. Diese Güter leiden nicht darunter, wenn man sie weitergibt. In der Regel handelt es sich also um immaterielle Güter, wo man keinen Schaden hat, wenn man sie weitergibt.

Die Überlegung, die ich Ihnen bisher dargestellt habe, ist: Wir sind in einer ökonomischen weltgeschichtlichen Situation, in der Informationsgüter (Stichwort: Wissensgesellschaft) zu den entscheidenden Faktoren in der wirtschaftlichen Entwicklung gehören, mit der Tatsache konfrontiert, dass die wesentlichen Wirtschaftsfaktoren zu einem nicht unbedeutenden Teil immaterielle, nicht rivalisierende Güter sind, die in der Weise den klassischen ökonomischen Ansatz nicht erfüllen. Das ist etwas, was bei Gosh gut herauskommt. Von Paul Samuelson stammt ein klassisches Lehrbuch der Ökonomie. Gosh zitiert Paul Samuelson:

"Economics are the study of how societies use scarce ressources to produce valuable commodities and distribute them ammong different people."

Der erste entscheidende Terminus darin ist: Knappheit. Die klassische Ökonomie als Materialökonomie ist geprägt von Knappheit der Güter. Dort, wo es keine Knappheit gibt, gibt es keine Wirtschaft. Zum Beispiel können Sie sich nicht dort draußen auf die Straße stellen und den Leuten eine Box anbieten in der ein halber Kubikmeter Luft drinnen ist. Dafür wird niemand etwas zahlen. Die Bedingungen der Knappheit sind notwendig, um die Frage zu verfolgen: Wie werden unter solchen knappen Bedingungen wertbehaftetete Gebrauchsgegenstände erzeugt und einem Spektrum von Menschen verkauft? Es ist Ihnen klar, dass die entscheidende Frage in diesem Zusammenhang die ist: "Wie verhalten sich nicht rivalisierende Güter im ökonomischen, von Knappheit geprägten Zusammenhang? Das ist bei Stephen Weber jedoch nicht der gesamte Sinn von ANTI-rivalisierenden Gütern. Um das weiter zu erläutern, muss ich einen weiteren ökonomischen Terminus einführen, der in meinen bisherigen Erläuterungen schon enthalten war, aber nun eine entsprechende Fassung erhält: Ich spreche vom Terminus der positiven Netzwerkeffekte.

Positive Netzwerkeffekte

Allgemeiner gesagt: positive externalities / positive Außeneffekte. Darunter versteht man in der Ökonomie günstige Umgebungsbedingungen, die nicht in die Kostenrechnung einer einzelnen Produktion eingehen.

  • Ein kleines Beispiel: Sie eröffnen eine kleine Kebapbude. Ohne, dass Sie es wissen, entscheidet sich Tschibo, eine Fabrik nebenan zu bauen, sodass Sie auf einen Schlag zusätzliche 500 Leute täglich als Kunden dazugewinnen. Das sind Umstände, die sie nicht planen können, die sie nicht kaufen können. Das ist aber auch die Materie, aus der Korruption entsteht: Jemand, der den Entwicklungsplan einer Gemeinde schnell genug kennt und dadurch weiß, wann wo welche Fabrik gebaut wird, kann aus dieser Information entsprechende Vorteile herausschlagen. Diese positiven Standorteffekte/Umgebungseffekte sind ein Beispiel für solche externalities.
  • Ein klassisches Ökonomisches Beispiel dafür sind Telefone. Wenn Sie eine der ersten Personen sind, die ein Telefon kauft, können Sie zwar einen gewissen historisch uniquen Status beanspruchen, jedoch können Sie mit ihrem Telefon gerade einmal an eine einzige Stelle telefonieren. Es mag ein schönes Ding sein, das man anmalen, anstarren und verwenden kann, um mit genau einer Person reden zu können. Wenn Sie mich fragen: Dieser Person könnten Sie gleich einen Brief schreiben. Der Wert dieses kleinen Dings steigert sich jedoch in dem Maße, in dem mehrere Leute auch ein solches Ding verwenden. Das ist der Netzwerkeffekt. Das Telefon wird umso wichtiger für Sie, je mehr Leute sie damit anrufen können. Dieser Effekt ist nicht in den Entstehungskosten berücksichtigt; die Materialkosten und Entwicklungskosten für diesen Apparat enthalten also nicht den zusätzlichen Wert, weitere 100.000 Leute anzurufen. Genau das ist der Sinn von ANTI-rivalisierend: Es ist nicht nur so, dass man nicht etwas weg nimmt, sondern je mehr Personen ein anti-rivalisierendes Gut haben, desto mehr ist das, was ich selbst habe, wert.

Soweit also zur Erläuterung des anti-rivalisierenden Effekts. Dieser wirkt sich an dieser Stelle ausgesprochen positiv aus. Die ökonomische Überlegung dahinter ist - nun im Zusammenhang mit der Benutzung eines Browsers: Auch wenn Sie den Browser nur benutzen und dadurch eine der Personen sind, die die Statistik verbessern und allenfalls bereit sind, diesen und jenen Bug-Report einzuschicken, auch dann haben Sie etwas nicht uninteressantes getan. Damit ist natürlich die Frage der User Innovation und der Motivation nicht berührt. Diese hängt, wie man hier auch gut sieht, mit der Frage zusammen, welches Eigentumsregime mit den Informationsgütern verknüpft ist. Das bringt uns zu den beiden Punkten, die uns in der nächsten Einheit beschäftigen werden: Ökonomische Aspekte und Eigentumsaspekte.

Diskussion: Der negative Netzwerkeffekt in der Musikverteilung. Oder: Der Zusammenbruch von Eigentumsordnungen?

"Ein Kommentar zum positiven Netwerkeffekt: Man kann, wenn man sich nicht rivalisierende Güter ansieht, auch die gegenläufige Bewegung Beobachten: Zum Beispiel bei der nicht rivalisierenden Benutzung von Software. Nehmen wir Musik Software im speziellen Falle. Dort tritt kein positiver Effekt ein, sondern ein negativer: Es kommt nämlich zu einem Übersättigungseffekt, einer Art Overkill. Die Zugänglichkeit zur Musikproduktion und die Zugänglichkeit zu Musikstücken selbst wird so übertrieben, dass der Markt vollkommen übersättigt ist und sich dadurch selbst killt, was momentan am Musikmarkt wirklich passiert. Das kann kein positives Networking sein. Wie sollte man also mit dem umgehen, dass es diese offensichtlich negativen Effekte gibt?"

In einer früheren Wortmeldung haben Sie bereits darauf hingewiesen, dass dieses Networking im Musik-Bereich auch einen Qualitätsverlust bedeutet. Ich habe vorhin gesagt, dass es sich dabei um Probleme der Überlagerung von Netzwerkeffekten und Eigentumsordnung handelt. Gerade im Musikbereich - soweit ich das sehe - ist diese Form von flooding entscheidend damit verbunden, dass die Eigentumsordnung zusammengebrochen ist; dass man de facto nichts mehr oder sehr sehr wenig bereit ist zu zahlen, um beliebige Musik zu bekommen. Das würde ich als Diagnose durchaus wahr- und ernstnehmen und auch als ein Problem sehen. Dafür gibt es natürlich Antworten. Eine Antwort wäre: Der bisherige Musikmarkt war bislang nicht so organisiert, dass vom Verkauf nicht die Künstler sondern die Firmen am Meisten profitieren. Was zusammengebrochen ist, ist hauptsächlich das Profitmodell der Firmen gewesen. Das trifft auch die Künstlerinnen; diese waren bisher schon einigermaßen abhängig von denen; leiden jetzt aber noch zusätzlich. Ich bin diesbezüglich wirklich ein Laie: die Frage, ob man gerade angesichts der neuen Möglichkeiten nicht zu Distributionsformen finden kann, die gerade die Rolle der Künstlerinnen neu fokussiert (also andere Geschäftsmodelle, andere Aufgabenmodelle), ist völlig offen. Es ist ja nirgends in Eisen geschrieben, dass der Einfluss von Emi, Sony und diversen anderen riesigen Produktionsfirmen die einzige Art ist, Musik zu machen, zu verteilen (AKA: und trotzdem als Künstler zu überleben). Gänzlich aus der Luft gesprochen: Es könnte ja vorkommen - was manche Bands auch tun - dass die digitalisierte distribuierbare Produktion von Musik in bestimmten Genres als Freeware verstanden wird, die allen Leuten frei zur Verfügung steht, dafür aber die Live-Performance interessant macht. Manche Bands verteilen die Musik frei und sagen: "Ok, wenn du unsere Musik wirklich Live mit den entsprechenden Boost und der entsprechenden Show hören und sehen willst, dann komm in unser Konzert". Und das scheint an dieser Stelle zu funktionieren. Das ist natürlich keine allgemeine Lösung.

"Ich hab das auch schon erlebt, dass es eine Art "Pay As You Wish"-Prinzip gab. Bei einer elektronischen Veröffentlichung eines Radio Head Albums wurde es ganz konkret dem Kunden überlassen, wieviel er bereit ist zu zahlen. Wenn diese Entscheidung gefordert wird, trägt es - denke ich - zu einem gewissen Bewusstsein bei; man stellt sich die Frage: "Will ich das jetzt einfach nur gratis haben oder ist es mir auch etwas wert?"

Gestern hab ich etwas gesehen: Sie öffnen einen Download und es kommt die Meldung: "Ein Euro ist ja kein Problem. Zwei Euro machen mich auch nicht kaputt. Vier Euro: Ich fühle mich heute ganz besonders gut." Ich weiß nicht, wieviel die nun tatsächlich bekommen, aber das macht deutlich: es gibt neue Austauschformen. Der eine Punkt, um noch einmal auf Ihre Frage zurückzukommen, den ich an dieser Stele noch sagen will: Diese Zusammenbrüche des Marktes, diese Art von nicht erwünschten Effekt, haben durchaus etwas mit Extremformen von bestehenden Märkten und Distributionsmodellen zu tun. Sie könnten auch - das ist die Debatte, die auch im Musikbereich immer wieder läuft - die Frage aufwerfen: Handelt es sich nun um eine Katastrophe und einen Qualitätseinbruch der Musik oder ist es eine Gelegenheit, sich neu zu organisieren?

AKA: Eine weitere neue Distributionsform kann man sich hier ansehen (und hier ein Blogeintrag dazu). Die Reorganisationsfrage ist also durchaus in Bewegung. Da kommt die Musikindustrie auch schon langsam dahinter, wie es mir scheint.




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