Heidegger zerpflückt Platon (BD): Unterschied zwischen den Versionen

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Also handelt das »Höhlengleichnis« doch nicht eigens von der ἀλήθεια? Gewiß nicht. Und dennoch bleibt bestehen: Dieses »Gleichnis« enthält Platons »Lehre« von der Wahrheit. Denn es gründet sich auf den ungesagten Vorgang des Herrwerdens der ιδέα über die ἀλήθεια. Das »Gleichnis« gibt ein Bild dessen, was Platon von der iSEa tov" äyal'ov sagt: am) xveäa ä240ecav xai vovv naoaaloµEVrJ (517 c, 4), »sie selbst ist Herrin, indem sie Unverborgenheit (dem Sichzeigenden) gewährt und zugleich Vernehmen (des Unverborgenen) «. Die ἀλήθεια kommt unter das Joch der ιδέα. Indem Platon von der ιδέα sagt, sie sei die Herrin, die Unverborgenheit zulasse, verweist er in ein Ungesagtes, daß nämlich fortan sich das Wesen der Wahrheit nicht als das Wesen der Unverborgenheit aus eigener Wesensfülle entfaltet, sondern sich auf das Wesen der ιδέα verlagert. Das Wesen der Wahrheit gibt den Grundzug der Unverborgenhelt preis.
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Also handelt das »Höhlengleichnis« doch nicht eigens von der ἀλήθεια? Gewiß nicht. Und dennoch bleibt bestehen: Dieses »Gleichnis« enthält Platons »Lehre« von der Wahrheit. Denn es gründet sich auf den ungesagten Vorgang des Herrwerdens der ιδέα über die ἀλήθεια. Das »Gleichnis« gibt ein Bild dessen, was Platon von der ἰδέα  ἀγαθοῦ  sagt: αὐτὴ κυρία ἀλήθειαν καὶ νοῦν παρασχομένη (517 c, 4), »sie selbst ist Herrin, indem sie Unverborgenheit (dem Sichzeigenden) gewährt und zugleich Vernehmen (des Unverborgenen) «. Die ἀλήθεια kommt unter das Joch der ιδέα. Indem Platon von der ιδέα sagt, sie sei die Herrin, die Unverborgenheit zulasse, verweist er in ein Ungesagtes, daß nämlich fortan sich das Wesen der Wahrheit nicht als das Wesen der Unverborgenheit aus eigener Wesensfülle entfaltet, sondern sich auf das Wesen der ιδέα verlagert. Das Wesen der Wahrheit gibt den Grundzug der Unverborgenhelt preis.
  
 
Wenn es überall in jedem Verhalten zum Seiend auf das Mery der 18ea ankommt, auf das Erblicken des »Aussehens«, dann muß sich alles Bemühen zuerst auf die Ermöglichung eines solchen Sehens sammeln. Dazu ist das rechte Blicken nötig. Schon der innerhalb der Höhle Befreite richtet, wenn er sich von den Schatten weg und zu den Dingen hinwendet, den Blick auf solches, was »seiender« ist als die bloßen Schatten: 7ceös ,uäZlov övza teTeoc,uuevos öe0ötEeOV ß)e'rcot (515 d, 3/4), »also dem Seien-deren zugewendet, dürfte er wohl richtiger blicken«. Der Ober-gang von einer Lage in die andere besteht in dem Richtiger-werden des Blickens. An der öe$ött7s, der Richtigkeit des Blik­kens, liegt alles. Durch diese Richtigkeit wird das Sehen und Erkennen ein rechtes, so daß es zuletzt geradeaus auf die höchste Idee geht und in dieser »Ausrichtung« sich festmacht. In die­sem Sichrichten gleicht sich das Vernehmen dem an, was gesich­tet sein soll. Das ist das »Aussehen« des Seienden. Zufolge die­ser Angleichung des Vernehmens als eines iSEC"v an die i8ia besteht eine öµoiwcrcs, eine Übereinstimmung des Erkennens mit der Sache selbst. So entspringt aus dem Vorrang der iaia und des iSEiv vor der äil.rj,sca eine Wandlung des Wesens der Wahr­heit. Wahrheit wird zur öe'Oöiris, zur Richtigkeit des Verneh­mens und Aussagens.
 
Wenn es überall in jedem Verhalten zum Seiend auf das Mery der 18ea ankommt, auf das Erblicken des »Aussehens«, dann muß sich alles Bemühen zuerst auf die Ermöglichung eines solchen Sehens sammeln. Dazu ist das rechte Blicken nötig. Schon der innerhalb der Höhle Befreite richtet, wenn er sich von den Schatten weg und zu den Dingen hinwendet, den Blick auf solches, was »seiender« ist als die bloßen Schatten: 7ceös ,uäZlov övza teTeoc,uuevos öe0ötEeOV ß)e'rcot (515 d, 3/4), »also dem Seien-deren zugewendet, dürfte er wohl richtiger blicken«. Der Ober-gang von einer Lage in die andere besteht in dem Richtiger-werden des Blickens. An der öe$ött7s, der Richtigkeit des Blik­kens, liegt alles. Durch diese Richtigkeit wird das Sehen und Erkennen ein rechtes, so daß es zuletzt geradeaus auf die höchste Idee geht und in dieser »Ausrichtung« sich festmacht. In die­sem Sichrichten gleicht sich das Vernehmen dem an, was gesich­tet sein soll. Das ist das »Aussehen« des Seienden. Zufolge die­ser Angleichung des Vernehmens als eines iSEC"v an die i8ia besteht eine öµoiwcrcs, eine Übereinstimmung des Erkennens mit der Sache selbst. So entspringt aus dem Vorrang der iaia und des iSEiv vor der äil.rj,sca eine Wandlung des Wesens der Wahr­heit. Wahrheit wird zur öe'Oöiris, zur Richtigkeit des Verneh­mens und Aussagens.

Version vom 29. Mai 2009, 08:33 Uhr

Vorbemerkung

Bildung im ersten Paragraphen. Eine Kleinigkeit zur Hochschulpolitik

Julian Nida-Rümelin, Humanismus als Leitkultur | U. Arnswald: Rezension

Aus: Platons Lehre von der Wahrheit

Wegmarken. Veröffentlichte Schriften 9. Hrsg.: F.-W. von Herrmann 1976, 3. Auflage 2004. S. 222ff, 230ff

Paideia, Wahrheit, Idea

Wenn nun aber schon innerhalb der Höhle die Wegwendung des Blickes von den Schatten hin zum Feuerschein und zu den darin sich zeigenden Dingen schwierig ist und sogar mißlingt, dann verlangt vollends das Freiwerden im Freien außerhalb der Höhle die höchste Geduld und Anstrengung. Die Befreiung ergibt sich nicht schon aus der Loslösung der Fesseln und besteht nicht in der Zügellosigkeit, sondern beginnt erst als die stetige Eingewöhnung in das Festmachen des Blickes auf die festen Grenzen der in ihrem Aussehen feststehenden Dinge. Die eigentliche Befreiung ist die Stetigkeit der Zuwendung zu dem, was in seinem Aussehen erscheint und in diesem Erscheinen das Unverborgenste ist. Die Freiheit besteht nur als die so geartete Zuwendung. Diese erfüllt aber auch erst das Wesen der παιδεία (paideia) als einer Umwendung. Die Wesensvollendung der »Bildung« kann sich also nur vollziehen im Bereich und auf dem Grunde des Unverborgensten,, d. h. des άληθέστατον (alethestaton), d. h. des Wahrsten, d. h. der eigentlichen Wahrheit. Das Wesen der »Bildung« grün­det im Wesen der »Wahrheit«.

Weil jedoch die παιδεία ihr Wesen in der περιαγωγη (periagoge holes tes psyches) hat, bleibt sie als solche Umwendung ständig die Überwindung . Die (apaideusia) enthält in sich den wesenhaften Rückbezug auf Bildungslosigkeit. Und wenn schon das »Höhlengleichnis« nach Platons eigener Deutung das Wesen der παιδεία anschaulich machen soll, dann muß die Veranschau­lichung auch und gerade dieses Wesensmoment, die ständige Überwindung der Bildungslosigkeit, sichtbar machen. Deshalb endet die Erzählung in der Geschichte nicht, wie man gern meint, mit der Schilderung der erreichten höchsten Stufe des Aufstiegs aus der Höhle. Im Gegenteil, zum »Gleichnis« gehört die Erzählung von einem Rückstieg des Befreiten in die Höhle zu den noch Gefesselten. Der Befreite soll nun auch diese von ihrem Unverborgenen weg und vor das Unverborgenste hinaufführen. Der Befreier findet sich aber in der Höhle nicht mehr zurecht. Er kommt in die Gefahr, der Übermacht der dort maßgebenden Wahrheit, d. h. dem Anspruch der gemeinen »Wirklichkeit« als der einzigen, zu unterliegen. Dem Befreier droht die Möglichkeit, getötet zu werden, welche Möglichkeit im Ge­schick des Sokrates, der Platons »Lehrer« war, Wirklichkeit ge­worden.

Der Rückstieg in die Höhle und der Kampf innerhalb der Höhle zwischen dem Befreier und den aller Befreiung widerstrebenden Gefangenen bildet eine eigene vierte Stufe des »Gleichnisses«, in der es sich erst vollendet. Zwar ist in diesem Stück der Erzählung das Wort ἀληθὲς nicht mehr gebraucht. Gleichwohl muß auch auf dieser Stufe vom Unverborgenen ge­handelt werden, das den erneut aufgesuchten Höhlenbezirk bestimmt. Aber ist denn nicht schon auf der ersten Stufe das innerhalb der Höhle maßgebende »Unverborgene« genannt, die Schatten? Gewiß. Allein für das Unverborgene bleibt nicht nur dieses wesentlich, daß es in irgendeiner Weise das Schei­nende zugänglich macht und es in seinem Erscheinen offenhält, sondern daß das Unverborgene stets eine Verborgenheit des Ver­borgenen überwindet. Das Unverborgene muß einer Verborgen­heit entrissen, dieser im gewissen Sinne geraubt werden. Weil für die Griechena anfänglich die Verborgenheit als ein Sichver­berger das Wesen des Seins durchwaltet und somit auch das Seiende in seiner Anwesenheit und Zugänglichkeit (»Wahr­heit«) bestimmt, deshalb ist das Wort der Griechen für das, was die Römer »veritas« und wir »Wahrheit« nennen, durch das a privativum (ἀ-λήθεια) ausgezeichnet. Wahrheit bedeutet an­fänglich das einer Verborgenheit Abgerungene. Wahrheit ist also Entringung jeweils in der Weise der Entbergung.

...


Und dennoch, mag auch die ἀλήθεια im »Höhlengleichnis« eigens erfahren und an betonten Stellen genannt sein, statt der Unverborgenheit drängt ein anderes Wesen der Wahrheit in den Vorrang. Damit ist aber schon gesagt, daß gleichwohl auch die Unverborgenheit noch einen Rang innehält.

Die Darstellung des »Gleichnisses« und Platons eigene Deu­tung nehmen die unterirdische Höhle und ihr Außerhalb beinahe selbstverständlich als den Bereich, in dessen Umkreis sich die berichteten Vorgänge abspielen. Wesentlich dabei sind jedoch die erzählten Übergänge und der Aufstieg aus dem Bezirk des künstlichen Feuerscheins in die Helle des Sonnenlichtes, insgleichen der Rückstieg von der Quelle alles Lichtes zurück in das Dunkel der Höhle. Im »Höhlengleichnis« entspringt die Kraft der Veranschaulichung nicht aus dem Bilde der Verschlossenheit des unterirdischen Gewölbes und der Verhaftung in das Ver­schlossene, auch nicht aus dem Anblick des Offenen im Außerhalb der Höhle. Die bildgebende Deutungskraft des »Gleichnisses« sammelt sich für Platon vielmehr in der Rolle des Feuers, des Feuerscheins und der Schatten, der Tageshelle, des Sonnenlichtes und der Sonne. Alles liegt am Scheinen des Erscheinenden und an der Ermöglichung seiner Sichtbarkeit. Die Unverborgenheit wird zwar in ihren verschiedenen Stufen ge­nannt, aber sie wird nur daraufhin bedacht, wie sie das Erschei­nende in seinem Aussehen (εἶδος) zugänglich und dieses Sichzei­gende(ιδέα) sichtbar macht. Die eigentliche Besinnung geht auf das in der Helle des Scheins gewährte Erscheinen des Aussehens. Dieses gibt die Aussicht auf das, als was jegliches Seiende anwest. Die eigentliche Besinnung gilt der ιδέα. Die »Idee« ist das die Aussicht in das Anwesende verleihende Aussehen. Die iSia ist das reine Scheinen im Sinne der Rede »die Sonne scheint«. Die »Idee« läßt nicht erst noch ein Anderes (hinter ihr) »erschei­nen«, sie selbst ist das Scheinende, dem einzig am Scheinen sei­ner selbst liegt. Die ιδέα ist das Scheinsame. Das Wesen der Idee liegt in der Schein- und Sichtsamkeit. Diese vollbringt die Anwesung, nämlich die Anwesung dessen, was je ein Seiendes ist. ... So wird das Unverborgene zum voraus und einzig begriffen als das im Vernehmen der ιδέα Vernommene ... .


"Wesenswandel der Wahrheit"

Also handelt das »Höhlengleichnis« doch nicht eigens von der ἀλήθεια? Gewiß nicht. Und dennoch bleibt bestehen: Dieses »Gleichnis« enthält Platons »Lehre« von der Wahrheit. Denn es gründet sich auf den ungesagten Vorgang des Herrwerdens der ιδέα über die ἀλήθεια. Das »Gleichnis« gibt ein Bild dessen, was Platon von der ἰδέα ἀγαθοῦ sagt: αὐτὴ κυρία ἀλήθειαν καὶ νοῦν παρασχομένη (517 c, 4), »sie selbst ist Herrin, indem sie Unverborgenheit (dem Sichzeigenden) gewährt und zugleich Vernehmen (des Unverborgenen) «. Die ἀλήθεια kommt unter das Joch der ιδέα. Indem Platon von der ιδέα sagt, sie sei die Herrin, die Unverborgenheit zulasse, verweist er in ein Ungesagtes, daß nämlich fortan sich das Wesen der Wahrheit nicht als das Wesen der Unverborgenheit aus eigener Wesensfülle entfaltet, sondern sich auf das Wesen der ιδέα verlagert. Das Wesen der Wahrheit gibt den Grundzug der Unverborgenhelt preis.

Wenn es überall in jedem Verhalten zum Seiend auf das Mery der 18ea ankommt, auf das Erblicken des »Aussehens«, dann muß sich alles Bemühen zuerst auf die Ermöglichung eines solchen Sehens sammeln. Dazu ist das rechte Blicken nötig. Schon der innerhalb der Höhle Befreite richtet, wenn er sich von den Schatten weg und zu den Dingen hinwendet, den Blick auf solches, was »seiender« ist als die bloßen Schatten: 7ceös ,uäZlov övza teTeoc,uuevos öe0ötEeOV ß)e'rcot (515 d, 3/4), »also dem Seien-deren zugewendet, dürfte er wohl richtiger blicken«. Der Ober-gang von einer Lage in die andere besteht in dem Richtiger-werden des Blickens. An der öe$ött7s, der Richtigkeit des Blik­kens, liegt alles. Durch diese Richtigkeit wird das Sehen und Erkennen ein rechtes, so daß es zuletzt geradeaus auf die höchste Idee geht und in dieser »Ausrichtung« sich festmacht. In die­sem Sichrichten gleicht sich das Vernehmen dem an, was gesich­tet sein soll. Das ist das »Aussehen« des Seienden. Zufolge die­ser Angleichung des Vernehmens als eines iSEC"v an die i8ia besteht eine öµoiwcrcs, eine Übereinstimmung des Erkennens mit der Sache selbst. So entspringt aus dem Vorrang der iaia und des iSEiv vor der äil.rj,sca eine Wandlung des Wesens der Wahr­heit. Wahrheit wird zur öe'Oöiris, zur Richtigkeit des Verneh­mens und Aussagens.

In diesem Wandel des Wesens der Wahrheit vollzieht sich zugleich ein Wechsel des Ortes der Wahrheit. Als Unverborgen­heit ist sie noch ein Grundzug des Seienden selbst. Als Richtig­keit des »Blickens« aber wird sie zur Auszeichnung des mensch-lichen Verhaltens zum Seienden.

In gewisser Weise muß Platon jedoch die »Wahrheit« noch als Charakter des Seienden festhalten, weil das Seiende als das An­wesende im Erscheinen das Sein hat undo dieses die Unverbor­genheit mit sich bringt Zugleich aber verlagert sich das Fragen nach dem Unverborgenen auf das Erscheinen des Aussehens und damit auf das diesem zugeordnete Sehen und auf das Rechte und die Richtigkeit des Sehens. Deshalb liegt in Platons Lehre eine notwendige Zweideutigkeit. Gerade sie bezeugt den vormals ungesagten und jetzt zu sagenden Wandel des Wesens der Wahrheit. Die Zweideutigkeit offenbart sich in aller Schärfe dadurch, daß von der &Weia gehandelt und gesagt und gleich-wohl die öe0ö.nJs gemeint und als maßgebend gesetzt wird, und dies alles in demselben Gedankengang.

Brief über den Humanismus

Wir bedenken das Wesen des Handelns noch lange nicht entschieden genug. Man kennt das Handeln nur als das Bewirken einer Wirkung. Deren Wirklichkeit wird geschätzt nach ihrem Nutzen. Aber das Wesen des Handelns ist das Vollbringen. Vollbringen heißt: etwas in die Fülle seines Wesens entfalten, in diese hervorgeleiten, producere. Voll­bringbar ist deshalb eigentlich nur das, was schon ist. Was jedoch vor allem «ist », ist das Sein. Das Denken vollbringt den Bezug des Seins zum Wesen des Menschen. Es macht und bewirkt diesen Bezug nicht. Das Denken bringt ihn nur als das, was ihm selbst vom Sein übergeben ist, dem Sein dar. Dieses Darbieten besteht darin, daß im Denken das Sein zur Sprache kommt. Die Sprache ist das Haus des Seins. In ihrer Behausung wohnt der Mensch. Die Den­kenden und Dichtenden sind die Wächter dieserBehausung. Ihr Wachen ist das Vollbringen der Offenbarkeit des Seins, insofern sie diese durch ihr Sagen zur Sprache bringen und in der Sprache aufbewahren. Das Denken wird nicht erst dadurch zur Aktion, daß von ihm eine Wirkung ausgeht oder daß es angewendet wird. Das Denken handelt, indem es denkt. Dieses Handeln ist vermutlich das Einfachste und zugleich Höchste, weil es den Bezug des Seins zum Men­schen angeht. Alles Wirken aber beruht im Sein und geht auf das Seiende aus. Das Denken dagegen läßt sich vom Sein in den Anspruch nehmen, um die Wahrheit des Seins zu sagen. Das Denken vollbringt dieses Lassen. Denken ist l'engagement par l'Etre pour l'Etre. Ich weiß nicht, ob es sprachlich möglich ist, dieses beides («par» et «pour») in einem zu sagen, nämlich durch: penser, c'est l'engage­ment de l'Etre. Hier soll das Wort für den Genitiv «de l'...» ausdrücken, daß der Genitiv zugleich ist gen. subjectivus und objectivus. Dabei sind «Subjekt» und «Objekt» ungemäße Titel der Metaphysik, die sich in der Gestalt der abendländischen «Logik» und «Grammatik» frühzeitig der Interpretation der Sprache bemächtigt hat. Was sich in diesem Vorgang verbirgt, vermögen wir heute nur erst zu ahnen. Die Befreiung der Sprache aus der Grammatik in ein ursprünglicheres Wesensgefüge ist dem Denken und Dichten aufbehalten. Das Denken ist nicht nur l'engagement dans l'action für und durch das Seiende im Sinne des Wirklichen der gegenwärtigen Situation. Das Denken ist I'engagement durch und für die Wahrheit des Seins. Dessen Geschichte ist nie vergangen, sie steht immer bevor. Die Geschichte des Seins trägt und bestimmt jede condition et situation humaine. Damit wir erst lernen, das genannte Wesen des Denkens rein zu erfahren und das heißt zu-gleich zu vollziehen, müssen wir uns frei machen von der technischen Interpretation des Denkens. Deren Anfänge reichen bis zu Plato und Aristoteles zurück. Das Denken selbst gilt dort als eine reyvi), das Verfahren des Uberle­gens im Dienste des Tuns und Machens. Das Überlegen aber wird hier schon aus dem Hinblick auf noä:;=fs und 7wOilialg gesehen. Deshalb ist das Denken, wenn es für sich genommen wird, nicht «praktisch». Die Kennzeichnung des Den­kens als 19euoia und die Bestimmung des Erkennens als des «theoretischen» Verhaltens geschieht schon innerhalb der «technischen» Auslegung des Denkens. Sie ist ein reakti­ver Versuch, auch das Denken noch in eine Eigenständig­keit gegenüber dem Handeln und Tun zu retten. Seitdem ist die «Philosophie» in der ständigen Notlage, vor den «Wissenschaften» ihre Existenz zu rechtfertigen. Sie meint, dies geschehe am sichersten dadurch, daß sie sich selbst zum Range einer Wissenschaft erhebt. Dieses Bemühen aber ist die Preisgabe des Wesens des Denkens. Die Philo-sophie wird von der Furcht gejagt, an Ansehen und Gel­tung zu verlieren, wenn sie nicht Wissenschaft sei. Dies gilt als ein Mangel, der mit Unwissenschaftlichkeit gleich-gesetzt wird. Das Sein als das Element des Denkens ist in der technischen Auslegung des Denkens preisgegeben. Die «Logik» ist die seit der Sophistik und Plato beginnende Sanktion dieser Auslegung. Man beurteilt das Denken nach einem ihm unangemessenen Maß. Diese Beurteilung gleicht dem Verfahren, das versucht, das Wesen und Vermögen des Fisches danach abzuschätzen, wieweit er im­stande ist, auf dem Trockenen des Landes zu leben. Schon lange, allzu lang sitzt das Denken auf dem Trockenen. Kann man nun das Bemühen, das Denken wieder in sein Element zu bringen, «Irrationalismus» nennen?

Die Fragen Ihres Briefes ließen sich wohl im unmittelba­rem Gespräch eher klären. Im Schriftlichen büßt das Denken leicht seine Beweglichkeit ein. Vor allem aber kann da nur schwer die ihm eigene Mehrdimensionalität seines Bereiches innehalten. Die Strenge des Denkens besteht im Unterschied zu den Wissenschaften nicht bloß in der künst­lichen, das heißt technisch-theoretischen Exaktheit der Begriffe. Sie beruht darin, daß das Sagen rein im Element des Seins bleibt und das Einfache seiner mannigfaltigen Dimen­sionen walten läßt. Aber das Schriftliche bietet andererseits den heilsamen Zwang zur bedachtsamen sprachlichen Fassung. Für heute möchte ich nur eine Ihrer Fragen heraus-greifen. Deren Erörterung wirft vielleicht auch auf die an-deren ein Licht. Sie fragen : Comment redonner un sens au mot «Huma­nisme» ? Diese Frage kommt aus der Absicht, das Wort «Humanismus» festzuhalten. Ich frage mich, ob das nötig ist. Oder ist das Unheil, das alle Titel dieser Art anrichten, noch nicht offenkundig genug? Man mißtraut zwar schon lange den «—ismen». Aber der Markt des öffentlichen Mei­nens verlangt stets neue. Man ist immer wieder bereit, die-sen Bedarf zu decken. Auch die Namen wie «Logik», «Ethik », «Physik» kommen erst auf, sobald das ursprüng­liche Denken zu Ende geht. Die Griechen haben in ihrer großen Zeit ohne solche Titel gedacht. Nicht einmal «Phi­losophie» nannten sie das Denken. Dieses geht zu Ende, wenn es aus seinem Element weicht. Das Element ist das, aus dem her das Denken vermag, ein Denken zu sein. Das Element ist das eigentlich Vermögende: das Vermögen. Es nimmt sich des Denkens an und bringt es so in dessen Wesen. Das Denken, schlicht gesagt, ist das Denken des Seins. Der Genitiv sagt ein Zwiefaches. Das Denken ist des Seins, insofern das Denken, vom Sein ereignet, dem Sein gehört. Das Denken ist zugleich Denken des Seins, inso­fern das Denken, dem Sein gehörend, auf das Sein hört. Als das hörend dem Sein gehörende ist das Denken, was es nach seiner Wesensherkunft ist. Das Denken ist — dies sagt: das Sein hat sich je geschicklich seines Wesens angenom­men. Sich einer «Sache» oder einer «Person» in ihrem Wesen annehmen, das heißt: sie lieben: sie mögen. Dieses Mögen bedeutet, ursprünglicher gedacht: das Wesen schen­ken. Solches Mögen ist das eigentliche Wesen des Vermö­gens, das nicht nur dieses oder jenes leisten, sondern etwas in seiner Her-kunft «wesen», das heißt sein lassen kann. Das Vermögen des Mögens ist es, «kraft» dessen etwas eigentlich zu sein vermag. Dieses Vermögen ist das ei­gentlich «Mögliche jenes, dessen Wesen im Mögen beruht. Aus diesem Mögen vermag das Sein das Denken. Jenes ermöglicht dieses. Das Sein als das Vermögend-Mögende ist das «Mög-liche». Das Sein als das Element ist die «stille Kraft» des mögenden Vermögens, das heißt des Möglichen. Unsere Wörter «möglich» und «Möglich­keit» werden freilich unter der Herrschaft der «Logik» und «Metaphysik» nur gedacht im Unterschied zu «Wirk­lichkeit», das heißt aus einer bestimmten — der metaphy­sischen — Interpretation des Seins als actus und potentia, welche Unterscheidung identifiziert wird mit der von exi­stentia und essentia. Wenn ich von der «stillen Kraft des Möglichen» spreche, meine ich nicht das possibile einer nur vorgestellten possibilitas, nicht die potentia, als essen­tia eines actus der existentia, sondern das Sein selbst, das mögend über das Denken und so über das Wesen des Men­schen und das heißt über dessen Bezug zum Sein vermag. Etwas vermögen bedeutet hier: es in seinem Wesen wah­ren, in seinem Element einbehalten.

Wenn das Denken zu Ende geht, indem es aus seinem Element weicht, ersetzt es diesen Verlust dadurch, daß es sich als 1- y'ij, als Instrument derAusbildung und darum als Schulbetrieb und später als Kulturbetrieb eine Geltung verschafft. Die Philosophic wird allgemach zu einer Technik des Erklärens aus obersten Ursachen. Man denkt nicht mehr, sondern man beschäftigt sich mit «Philosophie ». Im Wettbewerb solcher Beschäftigungen bieten sich diese dann öffentlich als ein ...ismus an und versuchen, sich zu über-bieten. Die Herrschaft solcher Titel ist nicht zufällig. Sie beruht, und das vor allem in der Neuzeit, auf der eigentüm­lichen Diktatur der Öffentlichkeit. Die sogenannte «pri­vate Existenz» ist jedoch nicht schon das wesenhafte, näm­lich freie Menschsein. Sie versteift sich lediglich zu einer Verneinung des Öffentlichen. Sie bleibt der von ihm ab­hängige Ableger und nährt sich vom bloßen Rückzug aus dem Öffentlichen. Sie bezeugt so wider den eigenen Willen die Verknechtung an die Öffentlichkeit. Diese selbst ist aber die metaphysisch bedingte, weil aus der Herrschaft der Subjektivität stammende Einrichtung und Ermächti­gung der Offenheit des Seienden in die unbedingte Verge­genständlichung von allem. Darum gerät die Sprache in den Dienst des Vermittelns der Verkehrswege, auf denen sich die Vergegenständlichung als die gleichförmige Zu­gänglichkeit von Allem für Alle unter Mißachtung jeder Grenze ausbreitet. So kommt die Sprache unter die Dik­tatur der Öffentlichkeit. Diese entscheidet im voraus, was verständlich ist und was als unverständlich verworfen wer-den muß. Was in «Sein und Zeit» (1927), g§ 27 und 35 über das «man» gesagt ist, soll keineswegs nur einen bei-läufigen Beitrag zur Soziologie liefern. Gleichwenig meint das «man» nur das ethisch-existentiell verstandene Gegen­bild zumSelbstsein derPerson. Das Gesagte enthält vielmehr den aus der Frage nach der Wahrheit des Seins gedachten Hinweis auf die anfängliche Zugehörigkeit des Wortes zum Sein. Dieses Verhältnis bleibt unter der Herrschaft der Sub­jektivität, die sich als die Öffentlichkeit darstellt, verbor­gen. Wenn jedoch die Wahrheit des Seins dem Denken denk-würdig geworden ist, muß auch die Besinnung auf das Wesen der Sprache einen anderen Rang erlangen. Sie kann nicht mehr bloße Sprachphilosophie sein. Nur darum enthält «Sein und Zeit» (g 34) einen Hinweis auf die We­sensdimension der Sprache und rührt an die einfache Frage, in welcher Weise des Seins denn die Sprache als Sprache jeweils ist. Die überall und rasch fortwuchernde Verödung der Sprache zehrt nicht nur an der ästhetischen und moralischen Verantwortung in allem Sprachgebrauch. Sie kommt aus einer Gefährdung des Wesens des Men­schen. Ein bloß gepflegter Sprachgebrauch beweist noch nicht, daß wir dieser Wesensgefahr schon entgangen sind.


Das neuzeitlich-metaphysische Wesen der Arbeit ist in Hegels «Phänomenologie des Geistes » vorgedacht als der sich selbst einrichtende Vorgang der unbedingten Herstellung, das istVergegenständlichungdesWirklichendurchden als Subjektivität erfahrenen Menschen. Das Wesen des Materialismus verbirgt sich im Wesen der Technik, über die zwar viel geschrieben, aber wenig gedacht wird. Die Technik ist in ihrem Wesen ein seinsgeschichtliches Geschick der in der Vergessenheit ruhenden Wahrheit des Seins. Sie geht nämlich nicht nur im Namen auf die 't-%vrl der Griechen zurück, sondern sie stammt wesensgeschichtlich aus der als einer Weise des dArp9ciiriv, das heißt des Offenbar‑machens des Seienden. Als eine Gestalt der Wahrheit gründet die Technik in der Geschichte der Metaphysik. Diese selbst ist eine ausgezeichnete und die bisheralleinübersehbare Phase der Geschichte des Seins. Man mag zu den Lehren des Kommunismus und zu deren Begründung in verschiedener Weise Stellung nehmen, seinsgeschichtlich steht fest, daß sich in ihm eine elementare Erfahrung dessenausspricht, was weltgeschichtlich ist.Wer den «Kommunismus» nur als «Partei» oder als «Weltanschauung» nimmt, denkt in der gleichen Weise zu kurz wie diejenigen, die beim Titel «Ame‑ rikanismus» nur und dazu noch abschätzig einen besonderen Lebensstil meinen. Die Gefahr, in die das bisherige Europa immer deutlicher gedrängt wird, besteht vermutlich darin, daß allem zuvor sein Denken — einst seine Größe — hinter dem Wesengang des anbrechenden Weltgeschickes zurückfällt, das gleichwohl in den Grundzügen seiner Wesensherkunft europäisch bestimmt bleibt. Keine Metaphysik, sie sei idealistisch, sie sei materialistisch, sie sei christlich, kann ih-rem Wesen nach, und keineswegs nur in den versuchten An­strengungen, sich zu entfalten, das Geschick noch ein-ho­len, dies meint: denkend erreichen und versammeln, was in einem erfüllten Sinn von Sein jetzt ist.

Angesichts der wesenhaften Heimatlosigkeit des Men­schen zeigt sich dem seinsgeschichtlichen Denken das künf­tige Geschick des Menschen darin, daß er in die Wahrheit des Seins findet und sich zu diesem Finden auf den Weg macht. Jeder Nationalismus ist metaphysisch ein Anthro­pologismus und als solcher Subjektivismus. Der Nationa­lismus wird durch den bloßen Internationalismus nicht überwunden, sondern nur erweitert und zum System er-hoben. Der Nationalismus wird dadurch so wenig zur Hu­manitas gebracht und aufgehoben, wie der Individualismus durch den geschichtslosen Kollektivismus. Dieser ist die Subjektivität des Menschen in der Totalität. Er vollzieht ihre unbedingte Selbstbehauptung. Diese läßt sich nicht rückgängig machen. Sie läßt sich durch ein halbseitig ver­mittelndes Denken nicht einmal zureichend erfahren. Über-all kreist der Mensch, ausgestoßen aus der Wahrheit des Seins, um sich selbst als das animal rationale.












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