Tphff/Vo 07: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Die naturgemäße Erwerbskunde ===
 
=== Die naturgemäße Erwerbskunde ===
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Zurück zu Aristoteles und dem zuvor erwähnten [[Aristoteles (tphff)#1256a_ff| Zitat aus der Politik]]. Betrachte ich die Nahrungsproduktion unter den beschriebenen Verhältnissen, so Aristoteles, dann habe ich eine Situation der Haushaltführungskunst, die darin besteht, dass der Vorstand der jeweiligen Hausgemeinschaft (die Männer, Frauen, Kinder, Sklaven, Tiere und Grundbesitz einschließt) sich darum kümmern muss, dass alle ihm anvertrauten Personen und Tiere ihr Auskommen haben. Unter diesen Bedingungen besteht Reichtum darin, einen Vorrat von Gegenständen zu sammeln, <font color="purple">„die notwendig zum Leben und nützlich für die staatliche und häusliche Gemeinschaft (koinonia) sind und die daher auch entweder schon vorhanden sein oder durch die Hausverwaltungskunst herbeigeschafft werden müssen“</font>, also: die Pflege von Obstbäumen, die Ausnützung von Wasserressourcen, usw. Ein auf eine solche Kunst der Pflege und Beschaffung von Lebensunterhaltsmitteln gerichtetes Leben, so Aristoteles weiter, geht nicht ins Unendliche, da ihm Grenzen gesetzt sind, die sich durch die sachgemäße Pflege dieses Hauswesens ergeben. Über das Hauswesen hinaus braucht man für das sinnvolle Leben nach dieser Definition nichts weiter. Die Passage, die Aristoteles hier von Solon zitiert, lautet allerdings: <font color="purple">„«Reichtum hat keine Grenze, die greifbar den Menschen gesetzt ist»“</font>. Schon bei Solon findet sich also ein Hinweis darauf, dass Reichtum in einem anderen Zusammenhang steht, auf den Aristoteles dann gleich selber zu sprechen kommen wird. An dieser Stelle weist er den Einwand aber zunächst ab und sagt, dass für Zwecke der Hausgemeinschaft und des gedeihlichen Zusammenlebens nicht die ins Unendliche gehende Maßlosigkeit gilt, sondern das Maß liegt in dieser definierten Situation. Damit ist klar, dass es eine naturgemäße Erwerbskunst für den Ökonomen und die politikos (Staatsmänner) gibt. Die Thematik, die durch das Solon-Zitat angesprochen ist, taucht später in ähnlicher Weise in Diskussionen um die Reichtumstheorie und die primäre Akquisitionstheorie bei Locke auf. In der naturgemäßen Erwerbskunst ist es so, dass man beispielsweise vor der folgenden Situation steht: Man besitzt einen Apfelbaum, der Äpfel produziert und hat vielleicht so viele Äpfel, dass man sie nicht alle verwenden oder in geeigneter Weise aufbewahren könnte. Der Überschuss an Äpfeln, der in den Tausch gehen kann, ist jedenfalls durch die materielle Beschaffenheit dessen begrenzt, was hier an Überschuss vorhanden ist. Sie können Äpfel vielleicht ein Jahr lang aufheben und haben in gewissem Maße beschränkten Platz dafür. Wenn es zu viele Kühe sind, dann hat man keinen entsprechenden Weideplatz, usw. Das reguliert sich sozusagen von selbst. Ein Faktor fällt allerdings aus diesem Schema heraus und das ist Geld. Geld lässt sich endlos aufheben und der für die Aufbewahrung erforderliche Platz stellt nicht wirklich ein Problem dar. Die Pointe dabei ist, dass Sie mit Geld etwas haben, was Wert bedeutet, jedoch nicht im Sinne der natürlichen Nahrungsproduktion, sondern einen davon abgehobenen prinzipiellen Wert. Geld ist somit unabhängig von den Lebensmittelkreisläufen und es ist frei verwendbar, Restriktionen wie die natürlichen Feedback-Schleifen in der normalen Nahrungsmittelerzeugung gelten nicht mehr. Geld lässt sich aufhäufen, ohne dass es schlecht wird. Das stimmt natürlich auch nicht ganz, aber es ist in dieser Hinsicht zumindest nicht mit Äpfeln oder eingelegten Gurken vergleichbar. Das ist zugleich das Problem dabei. Während es keinen Sinn macht sich vorzustellen, Lagerhäuser zu bauen und diese mit Gurkengläsern zu füllen, um der Gurken-König zu werden, macht es einen Sinn zu sagen, man sei der reichste Mann im Dorf. Damit ist ein neuer Zugang zu Ressourcen ganz allgemein verbunden. Diese Sache hat Solon im Auge und sie gilt nun tatsächlich nicht für die naturgemäße Erwerbskunst, sie gilt jedoch für die Tätigkeit von Tausch und Handel. In dem Maße, in dem Sie der Tätigkeit von Tausch und Handel nachgehen, in dem Maße haben Sie Möglichkeiten Reichtum auf eine völlig neue Art und Weise zu erwerben. Damit ist der Übergang von der naturgemäßen Erwerbskunst zur Kunst des Gelderwerbs, der ein anderer ist als der Nahrungsmittelerwerb, vorgezeichnet. Diese Kunst des Gelderwerbs (griech. chrematistike; Erwerbskunst allgemein: griech. ktetike) hat nach Aristoteles daran schuld,  
 
Zurück zu Aristoteles und dem zuvor erwähnten [[Aristoteles (tphff)#1256a_ff| Zitat aus der Politik]]. Betrachte ich die Nahrungsproduktion unter den beschriebenen Verhältnissen, so Aristoteles, dann habe ich eine Situation der Haushaltführungskunst, die darin besteht, dass der Vorstand der jeweiligen Hausgemeinschaft (die Männer, Frauen, Kinder, Sklaven, Tiere und Grundbesitz einschließt) sich darum kümmern muss, dass alle ihm anvertrauten Personen und Tiere ihr Auskommen haben. Unter diesen Bedingungen besteht Reichtum darin, einen Vorrat von Gegenständen zu sammeln, <font color="purple">„die notwendig zum Leben und nützlich für die staatliche und häusliche Gemeinschaft (koinonia) sind und die daher auch entweder schon vorhanden sein oder durch die Hausverwaltungskunst herbeigeschafft werden müssen“</font>, also: die Pflege von Obstbäumen, die Ausnützung von Wasserressourcen, usw. Ein auf eine solche Kunst der Pflege und Beschaffung von Lebensunterhaltsmitteln gerichtetes Leben, so Aristoteles weiter, geht nicht ins Unendliche, da ihm Grenzen gesetzt sind, die sich durch die sachgemäße Pflege dieses Hauswesens ergeben. Über das Hauswesen hinaus braucht man für das sinnvolle Leben nach dieser Definition nichts weiter. Die Passage, die Aristoteles hier von Solon zitiert, lautet allerdings: <font color="purple">„«Reichtum hat keine Grenze, die greifbar den Menschen gesetzt ist»“</font>. Schon bei Solon findet sich also ein Hinweis darauf, dass Reichtum in einem anderen Zusammenhang steht, auf den Aristoteles dann gleich selber zu sprechen kommen wird. An dieser Stelle weist er den Einwand aber zunächst ab und sagt, dass für Zwecke der Hausgemeinschaft und des gedeihlichen Zusammenlebens nicht die ins Unendliche gehende Maßlosigkeit gilt, sondern das Maß liegt in dieser definierten Situation. Damit ist klar, dass es eine naturgemäße Erwerbskunst für den Ökonomen und die politikos (Staatsmänner) gibt. Die Thematik, die durch das Solon-Zitat angesprochen ist, taucht später in ähnlicher Weise in Diskussionen um die Reichtumstheorie und die primäre Akquisitionstheorie bei Locke auf. In der naturgemäßen Erwerbskunst ist es so, dass man beispielsweise vor der folgenden Situation steht: Man besitzt einen Apfelbaum, der Äpfel produziert und hat vielleicht so viele Äpfel, dass man sie nicht alle verwenden oder in geeigneter Weise aufbewahren könnte. Der Überschuss an Äpfeln, der in den Tausch gehen kann, ist jedenfalls durch die materielle Beschaffenheit dessen begrenzt, was hier an Überschuss vorhanden ist. Sie können Äpfel vielleicht ein Jahr lang aufheben und haben in gewissem Maße beschränkten Platz dafür. Wenn es zu viele Kühe sind, dann hat man keinen entsprechenden Weideplatz, usw. Das reguliert sich sozusagen von selbst. Ein Faktor fällt allerdings aus diesem Schema heraus und das ist Geld. Geld lässt sich endlos aufheben und der für die Aufbewahrung erforderliche Platz stellt nicht wirklich ein Problem dar. Die Pointe dabei ist, dass Sie mit Geld etwas haben, was Wert bedeutet, jedoch nicht im Sinne der natürlichen Nahrungsproduktion, sondern einen davon abgehobenen prinzipiellen Wert. Geld ist somit unabhängig von den Lebensmittelkreisläufen und es ist frei verwendbar, Restriktionen wie die natürlichen Feedback-Schleifen in der normalen Nahrungsmittelerzeugung gelten nicht mehr. Geld lässt sich aufhäufen, ohne dass es schlecht wird. Das stimmt natürlich auch nicht ganz, aber es ist in dieser Hinsicht zumindest nicht mit Äpfeln oder eingelegten Gurken vergleichbar. Das ist zugleich das Problem dabei. Während es keinen Sinn macht sich vorzustellen, Lagerhäuser zu bauen und diese mit Gurkengläsern zu füllen, um der Gurken-König zu werden, macht es einen Sinn zu sagen, man sei der reichste Mann im Dorf. Damit ist ein neuer Zugang zu Ressourcen ganz allgemein verbunden. Diese Sache hat Solon im Auge und sie gilt nun tatsächlich nicht für die naturgemäße Erwerbskunst, sie gilt jedoch für die Tätigkeit von Tausch und Handel. In dem Maße, in dem Sie der Tätigkeit von Tausch und Handel nachgehen, in dem Maße haben Sie Möglichkeiten Reichtum auf eine völlig neue Art und Weise zu erwerben. Damit ist der Übergang von der naturgemäßen Erwerbskunst zur Kunst des Gelderwerbs, der ein anderer ist als der Nahrungsmittelerwerb, vorgezeichnet. Diese Kunst des Gelderwerbs (griech. chrematistike; Erwerbskunst allgemein: griech. ktetike) hat nach Aristoteles daran schuld,  
  
: <font color="purple">„dass es für Reichtum (ploutos) und Besitz (ktesis) keinerlei Grenze zu geben scheint, und viele halten sie für eine und dieselbe mit jener ersteren wegen der nahen Verwandtschaft mit ihr. In Wahrheit aber ist sie doch, obwohl sie ihr nicht fernsteht, keineswegs einerlei mit ihr. Denn jene ist eine naturgemäße Erwerbsweise, diese dagegen ist keine naturgemäße, sondern sie kommt vielmehr zustande durch Erfahrung (empeiria) und Kunst (techne).“ ([[Aristoteles (tphff)#1256a_ff |Aristoteles: Politik. Über die Erwerbskunde (1256a ff)]])</font>
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: <font color="purple">„dass es für Reichtum (ploutos) und Besitz (ktesis) keinerlei Grenze zu geben scheint, und viele halten sie für eine und dieselbe mit jener ersteren wegen der nahen Verwandtschaft mit ihr. In Wahrheit aber ist sie doch, obwohl sie ihr nicht fernsteht, keineswegs einerlei mit ihr. Denn jene ist eine naturgemäße Erwerbsweise, diese dagegen ist keine naturgemäße, sondern sie kommt vielmehr zustande durch Erfahrung (empeiria) und Kunst (techne).“ ([[Aristoteles (tphff)#1256a_ff |Aristoteles: Politik. Über die Kunst des Gelderwerbs(1256a ff)]])</font>
  
 
- durch Empirie und Technik. Reichtum kann man in einem, heutzutage würde man sagen, organischen Zusammenhang haben oder durch eine gewisse technische Ausnützung von Erfahrungsmaterial im Zusammenhang mit der Geldwirtschaft. Was Aristoteles hier über die Geldwirtschaft sagt, gilt geradewegs auch für heutige Überlegungen und liefert eine Basis für das, was Karl Marx in seiner Analyse des Kapitalismus aufgegriffen hat, nämlich: Wenn wir diese beiden Erwerbstätigkeiten betrachten und analysieren, müssen wir zwischen Gebrauchswert und Tauschwert unterscheiden.
 
- durch Empirie und Technik. Reichtum kann man in einem, heutzutage würde man sagen, organischen Zusammenhang haben oder durch eine gewisse technische Ausnützung von Erfahrungsmaterial im Zusammenhang mit der Geldwirtschaft. Was Aristoteles hier über die Geldwirtschaft sagt, gilt geradewegs auch für heutige Überlegungen und liefert eine Basis für das, was Karl Marx in seiner Analyse des Kapitalismus aufgegriffen hat, nämlich: Wenn wir diese beiden Erwerbstätigkeiten betrachten und analysieren, müssen wir zwischen Gebrauchswert und Tauschwert unterscheiden.
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Gebrauchswert und Tauschwert resultieren aus der Unterscheidung der beiden genannten Szenarien: der Gebrauchswert eines Apfels, der darin besteht, gesund leben und etwas Gutes essen zu wollen bzw. der Tauschwert des Apfels aufgrund eines Überschusses. Dem Apfel als Apfel (als Ding) sieht man aber einen Gebrauchs- oder Tauschwert nicht an. Er wächst am Baum, fällt dann vom Baum oder wird vom Baum gepflückt - das ist der Naturanteil. Was da an dem Baum wächst, kann ich also offensichtlich aus zwei verschiedenen Perspektiven sehen: als etwas, das ich essen möchte, weil es gut aussieht und gut schmeckt bzw. als etwas, das ich in eine Kiste packen möchte, um es z.B. gegen eine Kiste Eier einzutauschen. Ist der Apfel grundsätzlich etwas, das dazu da ist, gegessen zu werden (von dem her, was der Apfel ist)? Ist die Bestimmung des Apfels, von mir gegessen zu werden oder ist es seine Bestimmung, von mir getauscht zu werden? Das lässt sich nicht so leicht beantworten, es ist aber eine wichtige Frage, weil wir im Umgang mit Äpfeln (oder anderen Dingen) damit konfrontiert sind, wie wir mit solchen Materialien sachgemäß umgehen sollen. Aristoteles spricht in diesem Zusammenhang über Schuhe:  
 
Gebrauchswert und Tauschwert resultieren aus der Unterscheidung der beiden genannten Szenarien: der Gebrauchswert eines Apfels, der darin besteht, gesund leben und etwas Gutes essen zu wollen bzw. der Tauschwert des Apfels aufgrund eines Überschusses. Dem Apfel als Apfel (als Ding) sieht man aber einen Gebrauchs- oder Tauschwert nicht an. Er wächst am Baum, fällt dann vom Baum oder wird vom Baum gepflückt - das ist der Naturanteil. Was da an dem Baum wächst, kann ich also offensichtlich aus zwei verschiedenen Perspektiven sehen: als etwas, das ich essen möchte, weil es gut aussieht und gut schmeckt bzw. als etwas, das ich in eine Kiste packen möchte, um es z.B. gegen eine Kiste Eier einzutauschen. Ist der Apfel grundsätzlich etwas, das dazu da ist, gegessen zu werden (von dem her, was der Apfel ist)? Ist die Bestimmung des Apfels, von mir gegessen zu werden oder ist es seine Bestimmung, von mir getauscht zu werden? Das lässt sich nicht so leicht beantworten, es ist aber eine wichtige Frage, weil wir im Umgang mit Äpfeln (oder anderen Dingen) damit konfrontiert sind, wie wir mit solchen Materialien sachgemäß umgehen sollen. Aristoteles spricht in diesem Zusammenhang über Schuhe:  
  
: <font color="purple">„Die Benutzung eines jeden Besitztums ist eine doppelte, und beide Male wird das Besitztum als solches, aber nicht als solches in der gleichen Weise benutzt, sondern die eine Art von Benutzung ist die dem Gegenstand eigentümliche, die andere nicht, z. B. den Schuh kann man benutzen zum Anziehen, aber auch als Tauschmittel. Denn beides sind wirklich Benutzungsweisen des Schuhs, insofern auch der, welcher einem anderen, der eines Schuhs bedarf, einen solchen für Geld oder Lebensmittel zum Tausch gibt, damit den Schuh als Schuh benutzt, aber nicht in der demselben eigentümlichen Benutzungsweise, denn nicht zu dem Zweck ist der Schuh gemacht, als Tauschmittel zu dienen. Und ebenso verhält es sich mit allen anderen Besitzstücken: sie alle können als Tauschmittel verwandt werden.“ ([[Aristoteles (tphff)#1256a_ff |Aristoteles: Politik. Über die Erwerbskunde (1256a ff)]])</font>
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: <font color="purple">„Die Benutzung eines jeden Besitztums ist eine doppelte, und beide Male wird das Besitztum als solches, aber nicht als solches in der gleichen Weise benutzt, sondern die eine Art von Benutzung ist die dem Gegenstand eigentümliche, die andere nicht, z. B. den Schuh kann man benutzen zum Anziehen, aber auch als Tauschmittel. Denn beides sind wirklich Benutzungsweisen des Schuhs, insofern auch der, welcher einem anderen, der eines Schuhs bedarf, einen solchen für Geld oder Lebensmittel zum Tausch gibt, damit den Schuh als Schuh benutzt, aber nicht in der demselben eigentümlichen Benutzungsweise, denn nicht zu dem Zweck ist der Schuh gemacht, als Tauschmittel zu dienen. Und ebenso verhält es sich mit allen anderen Besitzstücken: sie alle können als Tauschmittel verwandt werden.“ ([[Aristoteles (tphff)#1256a_ff |Aristoteles: Politik. Über die Kunst des Gelderwerbs (1256a ff)]])</font>
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Aristoteles operiert mit einem Gebrauchswert, der in einer gewissen Weise näher an dem ist, worum es bei der Sache geht (beim Apfel geht es näher darum, dass er ein Nahrungsmittel ist). Die Benutzungsweise eines Schuhs ist, so Aristoteles, dass er von Menschen getragen wird. Abgeleitet davon gibt es eine zweite Gebrauchsweise, den Tausch - beides sind wirkliche Benutzungsweisen des Schuhs, aber sie haben ein Gefälle (zwischen dem natürlichen Lebensmittelkreislauf und dem Handelszusammenhang). Der eine Fall resultiert in einem Reichtum im Sinne der Verfügung über Ressourcen, um das Haus auf die richtige Art und Weise zu führen. Die andere Art und Weise mit Reichtum umzugehen, fällt hier heraus und betrifft den Tauschwert. Eine andere Sache ist, dass es sich bei Gebrauchswert und Tauschwert um einigermaßen unterschiedliche Arten von Wert handelt. Wie verhalten sich diese Werte zueinander? – einerseits ein körperlicher Genuss (oder ein körperliches Bedürfnis) und andererseits ein Verhandlungsresultat. In der Verhandlungsführung kommen Gesetze, Regeln und Bedingungen mit herein, die mit meinem körperlichen Essgenuss überhaupt nichts mehr zu tun haben. Ich muss daher abwägen zwischen etwas, das für meine Lebensumstände sehr spezifisch ist und etwas, das einen Abgleich mit anderen Personen erfordert und von deren Lebensumständen und Bedürfnislagen abhängig ist (auch Konkurrenzverhältnisse spielen hier sofort eine Rolle). Das wird sehr schnell sehr komplex und erfordert die Einführung einer Maßeinheit, die in dieser Dimension des Tauschgeschäftes ermöglicht, die jeweils individuellen Gebrauchswert-Vorstellungen zurückzudrängen und stattdessen eine Ordnung zu etablieren, die es gestattet, sehr unterschiedliche Hintergründe von Gebrauchswerten für Dinge zu homogenisieren - also Äpfel, Birnen, Eier, Hühner, Schuhe, Häuser, die alle in ganz bestimmten Gebrauchszusammenhängen stehen und Wert haben, so Aristoteles, auf eine Art und Weise zu taxieren, die es gestattet, diese Dinge als Handelsgut in einem Tauschzusammenhang zu verwenden.
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: <font color="purple">„Der anfängliche Tauschhandel hatte einen durchaus natürlichen Ursprung, indem die Menschen von einem Gegenstand mehr und von einem anderen weniger haben, als sie bedürfen. Andererseits aber ist gerade hieraus auch ersichtlich, dass das Handelsgeschäft nicht von Natur zur Erwerbskunst gehört. Nur so weit nämlich, als es für den Lebensunterhalt ausreichend war, musste sich notwendig der Tausch erstrecken.“ ([[Aristoteles (tphff)#1256a_ff |Aristoteles: Politik. Über die Kunst des Gelderwerbs (1256a ff)]])</font>
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Darüber hinaus gibt es nun die Rolle des Geldes:
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: <font color="purple">„Denn da die gegenseitige Unterstützung durch Einfuhr des Mangelnden und Ausfuhr des Überflüssigen sich immer weiter örtlich ausdehnte, verfiel man notwendigerweise auf die Einführung des Geldgebrauchs.“ ([[Aristoteles (tphff)#1256a_ff |Aristoteles: Politik. Über die Kunst des Gelderwerbs (1256a ff)]])</font>
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Geld lässt sich leichter transportieren, es ist haltbarer als andere Dinge und es gestattet einen Ausgleich zwischen den entsprechenden Gebrauchswerten. Die Frage, die damit verbunden ist, eine nach wie vor entscheidende Frage in der gegenwärtigen Ökonomie, ist: Wie bildet sich ein Gebrauchswert in einen Tauschwert ab? Welche Art von Verhältnis gibt es da? Bei der Verhandlung und Festlegung eines Tauschwerts sieht man sich mit Bedingungen konfrontiert, die extern bzw. fremd sind gegenüber jenen Bedingungen, unter denen ein Gebrauchswert steht. Wie viel ein Schuh im Austausch bringt, hat zunächst einmal nichts damit zu tun, wie notwendig ich diesen Schuh brauche und die Frage ergibt sich an der Stelle genau durch diese Diskrepanz: Wonach messe ich, was der Schuh wert ist? - Ich habe ja zwei verschiedene Bewertungssysteme. Messe ich danach, was er für mich im Gebrauch wert ist oder messe ich danach, was er im Tauschhandel wert ist? Nach Aristoteles ist der Gebrauchswert der natürliche Wert, um dessen Willen ein Ding gemacht worden ist. Dadurch weiß ich, wie viel das Ding wert ist und kann mich danach orientieren sowie bestimmte Abweichungen und Überraschungen im Tauschwert kritisieren. Wenn ich ein allgemeines Bewertungssystem einführe, dann habe ich keine Kriterien mehr, nach denen ich bewerten kann, ob etwas überteuert oder weniger überteuert ist – es wird zu einer Sache des Marktes.
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=== Wissen und Geld ===
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: <font color="green">''Student:''</font> Was Aristoteles hier zusätzlich noch nicht sieht, ist, dass auch das Medium, das getauscht wird, nämlich Geld, das ja keinen Gebrauchswert an sich hat (außer dass es ein Medium ist), im Grunde auch einen Wert hat. Dadurch ist das Problem viel tiefgehender, man muss nämlich, um etwas zu tauschen, zuerst einmal herausfinden, welchen Wert das Medium des Tausches (Geld) hat und erst dann kann man den Tauschwert des zu tauschenden Dinges bestimmen. Alle Werte hängen voneinander ab.
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Was Sie ansprechen, habe ich [[Wissen und Geld (tphff)| auf einer weiteren Seite (Wissen und Geld)]] verschriftlicht: Das Problem ist insofern tiefergehender, als man zwischen Geld als Geldbetrag und Geld als Geldrahmen unterscheiden muss. Diese Unterscheidung findet sich bei Aristoteles nicht in dieser Form. Geld als Geldbetrag, den ich in der Tasche habe und in einem Geschäftsakt gegen irgendein Ding tausche, funktioniert tatsächlich so, als hätte es einen Gebrauchswert. Ich habe in dem Zusammenhang bereits das Beispiel des Jokers gebracht: In einem Spiel ist der Joker einerseits eine ganz normale Spielfigur, die allerdings die Besonderheit hat, dass sie für alle weiteren Spielfiguren stehen kann. Das ist z.B. die Rolle des Jokers in einem Canasta-Spiel: eine Karte wie jede andere Karte auch, die einen Wert hat, der einem sehr gelegen kommt, sozusagen ein sehr praktischer Handelsgegenstand. Geld hat nun einen Wert, genauso wie ein Schuh einen Wert hat, insofern befindet sich beides auf derselben Ebene. Der besondere Wert des Geldes (und des Jokers) ist aber in einer Metaregel begründet. Dieser Wert liegt nicht mehr auf derselben Ebene, sondern ist ein von einer Regel institutionalisierter Metawert. Bezogen auf den Joker ist das eben die Eigenart von Spielen, in denen die Rolle des Jokers so definiert ist, dass es diese Form von De-facto-Austausch geben kann. Übertragt man das auf den Bereich des Umgangs mit Dingen, dann verhält es sich folgendermaßen: Wir spielen ein Geldspiel. Wir müssten dieses Geldspiel nicht unbedingt spielen (genauso wie wir statt Canasta Tarock spielen könnten, wo es keinen Joker gibt), aber wenn wir mit Dingen das Geldspiel spielen, dann funktioniert das Geld in dieser Doppelrolle. Das ist die Tiefe, die hier dahinter steckt.
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Dieses Thema ist für meine Zwecke extrem wichtig, vor allem in Hinblick auf die Debatte um Geld und Bildung. Ist Wissen käuflich, ist Bildung käuflich, kann das kommerzialisiert werden? Diese Debatte kann in einer gewissen Weise auf Aristoteles zurückgreifen, und zwar mit einem Zitat, das ich Ihnen [[Aristoteles (tphff)#Aus der Eudemischen Ethik|hier ganz am Ende der Seite]] angeführt habe: ἐπιστήμη γὰρ καὶ χρήματα οὐχ ἑνὶ μετρεῖται - episteme ist das Wissen, kremata ist das Geld, uk heni metreitai: können nicht mit einem Maß gemessen werden. [[Aristoteles (tphff)#Aus der Eudemischen Ethik|Hier]] finden Sie die Übersetzung: <font color="purple">„da sich Wissen und Geld nicht mit einem Maß messen lassen“</font>.
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Aristoteles weist im Rahmen dieser Überlegungen darauf hin, dass der Tauschverkehr nicht für Wissen gilt. Das ist eine Überlegung, die auch bei StudentInnen sehr populär ist, vor allem wenn sie gegen Studiengebühren argumentieren, sowie bei Hochschullehrern, wenn sie dafür argumentieren, dass sie viel Geld verdienen müssen, aber in ihrer Freiheit der Wissenserzeugung nicht eingeschränkt werden wollen (vor allem wenn es um entsprechende Nachweise in Listen, Zeitaufstellungen, Publikationen, usw. geht). Wissen ist nicht verrechenbar, nur ja keine Wissensbilanzen. Wissensbilanzen sind zwar ein Schund, andererseits geht es aber darum, dass die Zumutung einer Wissensbilanz, so wird instinktiv (und gerne) aus geisteswissenschaftlicher Sicht argumentiert, diese entscheidende aristotelische Frage übersieht, nämlich dass Wissen und Geld nicht mit einem Maß verrechnet werden können. Mit diesem Aristoteles-Zitat ist man quasi zugleich in der Geschichte verankert. Ich erwähne das, weil Ihre Bemerkung, Aristoteles gehe da nicht tief genug, komplett richtig ist. Man muss sich aber an dieser Stelle die verschiedenen Schichten genauer anschauen, in denen Geld für die Bemessung und Einschätzung von Tauschobjekten eine Rolle spielt.
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|[[Bild:Inciarte4.jpg|thumb|]]
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|[[Bild:Inciarte2.jpg|thumb|]]
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: <font color="green">''Student:''</font> Wissen hat schon einen Wert und zwar wenn ich es in eine Ware verwandle (z.B. als Buch), das ich dann ganz normal am Markt anbieten kann.
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Zum Thema freier Forschungsaustausch und käufliches Wissen habe ich [[Wissen und Geld (tphff)#Wissen,_Geldrahmen,_Geldbetrag|hier]] ein Buch ausgewählt, um die Sache ein bisschen plastischer zu machen: „Forma Formarum. Strukturmomente der Thomistischen Seinslehre im Rückgriff auf Aristoteles. Inciarte: Forma Formarum/Alber, statt € 41,40 jetzt € 12,90“, und gestern war der Preis nochmal um die Hälfte reduziert (€ 6,45). Vorliegende Arbeit setzt da an, wohin die neuere Thomas-Forschung zuletzt geführt hat. Die allerersten Anfänge gehen auf ein Seminar von Prof. Voss in Rom zurück. Forschungsstipendium für Forschung des Landes Westfalen, als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät, gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
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=== Käuflichkeit von Wissen ===
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Meine Überlegungen zum Apfel waren von diesem Problem der finanziellen Taxierung von Wissensprodukten motiviert, um die es mir auch bei der Publikation von Inciarte geht. Inciarte hat sicherlich 10 Jahre an diesem Thema gearbeitet, damit eine Habilitation geschrieben und eine Professur erhalten. Das Buch hat einmal € 40 gekostet, heute ist es um € 6,45 zu bekommen. Was ist dieses Buch wirklich wert? Was ist überhaupt der Wert, von dem man hier redet? Wie sinnvoll ist es, an dieser Stelle zwischen dem individuellen Wert (vielleicht gibt es Leute, die schon immer die Struktur der thomistischen Seinslehre genau untersucht haben wollten und für die der momentane Preis ein absoluter Glücksfall ist) zu unterscheiden und jenem Wert, den die Publikation für andere hat, die kein Interesse an der thomistischen Seinslehre haben (für die vermutlich bereits 50c zu viel für dieses Buch wären). Ich will darauf hinaus, dass der Gebrauchswert der Habilitation von Fernando Inciarte ein extrem hoher ist, da damit eine Professur und ein Renommee verbunden sind. Wo liegt nun aber der Tauschwert dieser Publikation und in welchen Bereich geraten wir, wenn wir uns im Zusammenhang mit einer solchen Wissensproduktion dem Thema der Tauschwert-Abschätzung zuwenden? Ich habe hier keine Antworten parat, ich möchte damit nur die Basis dessen benennen, worüber wir uns Gedanken machen müssen. Das Problem, das ich angesprochen habe, ist sozusagen die vorletzte Stufe, mit einer neuen Dimension der Wertzumessung gegenüber solchen Produkten haben wir es zu tun, wenn es dann um digitale Kopien solcher Produkte geht. Ich habe das Problem des wissenschaftstreibenden Buch-Produzierens im Verhältnis zum Verlagswesen kurz beleuchtet. Das wird uns noch weiter beschäftigen, aber schauen wir uns mal ganz simple Beispiele der Käuflichkeit von Wissen an, wo wir keinerlei Bedenken haben, diese als Produkte von Wissensarbeit zu bezeichnen. Normalerweise wird unterschieden zwischen Information (Daten), der Verarbeitung von Daten und Wissen (Erkenntnis, Einsicht), auch als eine höhergelegene Kompetenz des Umgangs mit verarbeiteten Informationen. Wenn Sie eine Fahrplanauskunft wollen, dann werden Sie sich mittlerweile vermutlich nicht mehr wundern oder darüber ärgern, dass Sie für das Telefonat bezahlen müssen, in dem Sie die Information bekommen. Wenn Sie in eine Kirche oder ein Museum gehen und sich über den Hintergrund der einzelnen Exponate informieren wollen, dann bezahlen Sie für einen Audio-Guide (und somit für Wissen). Daher muss man Aristoteles [[Aristoteles (tphff)#Aus der Eudemischen Ethik|an der Stelle]] doch noch mal abklopfen, man kann sich nicht damit begnügen zu sagen, dass Wissen und Geld inkommensurabel oder inkompatibel sind. Das liegt darin begründet, dass Geld eine Rolle in diesem Jokerspiel (nämlich als Joker) spielt und in diesem Quasi-Jokerspiel ist Geld vergleichbar, d.h. es ist kommensurabel. Aristoteles hat zwar nicht ganz unrecht, das Problem liegt aber darin, dass die Bedingungen für die Kommensurabilität nicht naturgegeben sind – diese Bedingungen müssen zuerst hergestellt werden. Hier lässt sich sehr wohl Widerspruch anmelden, wenn man nicht der Auffassung ist, dass die Kommensurabilität mit Geld die richtige Verfahrensweise für den Umgang mit Wissen ist. Man kann den Rahmen leugnen bzw. problematisch finden, d.h. eine adäquate Kommensurabilität zwischen Geld und dem, was Wissen ist bzw. wie Wissen funktioniert. Das ist aber eine systematische Beobachtung, die nicht nur für Wissen gilt, sondern auch dafür, wie ein Apfel schmeckt. Prinzipiell können Sie sagen: Jetzt in diesen Apfel reinzubeißen, der Genuss dieses Apfels ist aus meiner Sicht unbezahlbar. Möchte Ihnen nun jemand diesen Apfel abkaufen, dann könnten Sie die Position vertreten, dass er nicht verkäuflich ist. Das wäre dann ein Beispiel für die Inkommensurabilität zwischen Geld und einem Gegenstand (und es gibt natürlich unzählige weitere Beispiele für solchen Formen der Inkommensurabilität).
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: <font color="green">''Student:''</font> Ursprünglich, bei der Entwicklung des Geldes, hat es vier verschiedene Arten von Geld gegeben, und wenn ich das jetzt anwende auf „eine Professur sollte man sich nicht gegen Geld kaufen können“, dafür aber die Habilitationsschrift, dann wäre das die erste Ebene. Und darunter setze ich eine zweite Ebene, wenn ich es brutal sage „Restl-Verwertung“: Dann kann ich die Habilitationsschrift selbstverständlich verkaufen (davon haben ja auch andere etwas) und es ist in Ordnung, wenn das über Geld läuft. Aristoteles hat noch gebracht, dass man Pferde nicht gegen Frauen tauschen kann, usw. Man könnte das noch auf Dinge ausdehnen, die einem guttun und Dinge, die man zum Überleben braucht. Hat man eine solche Idee im Hintergrund, dann löst sich das Problem irgendwie auf.
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Ich sehe es genauso, eine Professur soll man sich nicht kaufen können, aber bei einer Habilitationsschrift verhält es sich anders. Was steckt da dahinter, warum sind Professuren nicht von der Art, dass man sie kaufen kann? – Hier gibt es eine Parallele zur Käuflichkeit eines Gerichtsurteils. Auch Basis-Gesundheit soll man sich nicht kaufen können. Menschen sollen nicht deswegen sterben, weil sie nicht ausreichend Geld für die Behandlung von Krankheiten haben. Es soll auch nicht so sein, dass sich Leute Polizeischutz kaufen müssen oder dass an den Universitäten jene Leute lehren, die das meiste Geld für den Job investiert haben. All das soll nicht sein. Aber warum soll das nicht so sein? Es gibt genügend Staaten, in denen die Polizei ihre Bürger willkürlich mit Strafen belegt und Geld dafür abkassiert. Das widerspricht jedoch den Idealen moderner Staaten, in denen es öffentliche Werte gibt, die nicht auf Finanztransaktionen reduzierbar sind. Korruption ist ein schöner Ausdruck dafür, dass jemand sagt „Kaufen kann man alles“. Es ergibt sich also die Notwendigkeit, jene öffentlichen Geschehnisse im Staat zu identifizieren, die aus dem Tauschverkehr ausgenommen werden müssen. Dabei gibt es auch heikle Übergänge, wie etwa der Eintritt in Kirchen. Die österreichische Geschichte einer christlichen Nation verlangt eigentlich, dass Kirchen ein öffentliches Gut sind und dass die Leute freien Zutritt zu den Kirchen haben. Zum Selbstverständnis einer katholischen Nation gehört somit, dass Kirchen ein öffentlicher Bereich sind. Das ist aber zunehmend nicht mehr der Fall, es gibt auch hier Tendenzen der Kommerzialisierung (z.B. für den Zutritt zum Stephansdom muss man bezahlen, Coca Cola-Reklame auf der Votivkirche). Ich möchte diese Tendenzen nicht beurteilen, ich zitiere sie lediglich, um etwas deutlich zu machen. Es geht nicht darum, dass man statuarisch sagt: „Wissen und Geld haben nichts miteinander zu tun“, sondern darum, dass bestimmte Gebrauchsweisen von Käuflichkeit zugelassen sind und andere nicht. Die richtige Balance zu finden, ist das eigentliche Problem. Um es provokant zu sagen: Die Kunst des Diskutierens der Studiengebühren liegt ganz einfach darin, einen entsprechenden Konsens zu finden, so wie bei den Rezeptgebühren. Rezeptgebühren sind eine Form, wie man das Gesundheitswesen, das aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert wird, an den Rändern für jene Leute sensibel gestaltet, die es mehr in Anspruch nehmen als andere (obwohl das Gesundheitswesen prinzipiell Allgemeinsache ist). Bei den Studiengebühren würde ich das ähnlich sehen.
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: <font color="green">''Student:''</font> Dieser pragmatische Ansatz zu Wissen und Geld ist nicht mehr wegzudenken. Unter den Schlagwörtern lebenslanges Lernen, zweiter Bildungsweg, Bildung überhaupt, Weiterbildung im Leben gibt ja mittlerweile eine ganze Industrie, die Kurse, Beratung, usw. anbietet. Und da gilt im Großen und Ganzen: Es ist das mehr wert, was mehr kostet. Das ist ein riesen Faktor geworden. Will man in der Arbeit weiterkommen, muss man Kurse belegen, die Geld kosten (ob das dann die Firma bezahlt oder man selber, ist letztlich egal).
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Ich habe vor 1½ Jahren einen kleinen universitätsinternen Fight mit unserer Lifelong-Learning-Division (universitäre Weiterbildung) ausgetragen, die natürlich auch schon draufgekommen ist, dass sehr viel Geld damit zu machen ist, wenn man Generaldirektoren, etc. anbietet, sich schnell einmal mit den berühmtesten Angehörigen der Universität auf ein Seminar zu setzen, z.B. zum Preis von € 20.000. Wird Vergleichbares von einer externen Firma angeboten, wird man sagen, dass hier die Gesetze des Marktes am Werk sind, die sich an dieser Stelle eben auch so auswirken. Solange es Leute gibt, die dafür zahlen bereit sind, weil sie das für wichtig halten, ist nur schwer etwas dagegen einzuwenden. Die Schwierigkeit ist allerdings, wie man das im Rahmen einer Universität konstruiert und mit dem Selbstverständnis einer Universität in Einklang bringen kann. Natürlich lässt sich argumentieren, dass das auf diese Weise eingenommene Geld genauso dem Rest der Studien zugute kommt. Jedenfalls ist zu diskutieren, worauf man sich damit einlässt.
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: <font color="green">''Student:''</font> Wo ist der Konsens z.B. bei Studiengebühren in einer Größenordnung, wie es in England üblich ist (oder bald üblich sein wird)? Das läuft praktisch auf eine Abnabelung der Oberschicht hinaus, die es sich leisten kann. Bei einigen € 100 pro Semester wird das Gros noch mithalten können, aber bei € 10.000 bis 12.000 im Jahr ist das nicht mehr der Fall.
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: <font color="green">''Student:''</font> Es ist klar, dass es zu einer wirklichen Hürde wird, wenn man Studiengebühren auf einen Marktpreis anhebt, wie das in England passiert.
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: <font color="green">''Studentin:''</font> Die hohen Kosten sind sicher ein Problem. Ich habe mir vor ein paar Tagen angeschaut, was ein Master kostet und bin ziemlich erschrocken, da es sich um € 60.000 handelt, die ein Student natürlich nur selten hat. Aber es gibt sehr wohl Finanzierungsmodelle, die ein Studium auch zu Marktpreisen für Studenten leistbar machen (Studentenkredite, etc.). Die Kosten sind das eine, aber die Möglichkeit der Finanzierung ist eine andere Sache.
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Das steht nicht im luftleeren Raum, sondern ist von einer gesetzlichen Regelung einer Langzeitfinanzierung abhängig. Es gibt eine große Anzahl von Möglichkeiten damit umzugehen, z.B. niedrig verzinste Anleihen kombiniert mit bestimmten Rückzahlungs-Bedingungen (erst wenn man mehr als einen bestimmten Betrag verdient, etc.). Das ist ein Teil des gesamten Packages. Reduziert man es auf die Frage „Wo bekomme ich jetzt € 60.000 her?“, dann wird es zu einem unlösbaren Problem. Ich habe dieses Thema deswegen ins Spiel gebracht, weil es ein aktuelles Beispiel für die Debatte des Finanzaspekts von Unterweisung (Bildung und Ausbildung) ist. Damit ist es ganz nahe an jener Debatte, wie viel es wert ist zu wissen, inwiefern sich die thomistische Seinslehre auf Aristoteles bezieht. Wie viel ist so etwas wert und wer soll es zahlen? Das wäre im Zusammenhang mit der Öffentlichkeit von Bildung, Gesundheitswesen, Justiz und Polizei noch zu ergänzen: Bestimmte Bereiche sollen nicht den Marktgesetzen unterworfen sein, etwa das Justizwesen (Richter sollen nicht bestechlich sein, etc.). Das bedeutet natürlich nicht, dass ein Justizsystem gratis zu haben ist. Genau hier taucht diese doppelte Perspektive (Spange) auf, dass wir auf der einen Seite wollen, dass Gerechtigkeit nicht käuflich ist, wir aber andererseits zugestehen müssen, dass der ganze Apparat, den wir notwendig brauchen, damit Gerechtigkeit aktualisiert wird, zwar nicht in diesem Sinn käuflich, aber mit Kosten verbunden ist.
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: <font color="green">''Student:''</font> Der Zusammenhang ist sogar noch prägnanter: Je mehr Geld man ausgibt (z.B. für die Polizei) und je höher der Grundverdienst ist, desto geringer ist die Anfälligkeit für Bestechung und Korruption, weil die öffentlich Bediensteten ihr Leben durch das normale Einkommen finanzieren können.
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: <font color="green">''Student:''</font> Was dem Markt überlassen wird und was nicht, ist eine grundsätzliche gesellschaftspolitische Entscheidung. Wenn ein Staat/eine Gemeinde entscheidet, Wissen ist Allmende oder Polizei ist Allmende, dann wird es gemeinsam finanziert und der einzelne zahlt nichts dafür. In Frankreich war es zum Beispiel vor der Revolution üblich, dass Ämter gekauft wurden.
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: <font color="green">''Student:''</font> Soweit ich weiß, trägt sich das Justizsystem mit rund 70% der Kosten selber. Die Gerechtigkeit hat aber mit dem Zugang zum Recht noch nichts zu tun. Meistens sind Sie besser beraten, einen Prozess gar nicht erst zu führen.
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Ich habe sozusagen auf der Klischee-Ebene geredet, aber es ist plausibel und wird von vielen Leuten akzeptiert, dass man Richter nicht bestechen soll und diese so viel verdienen sollen, dass man sie nicht so beeinflussen kann, dass sie dem, der mehr zahlt, Recht sprechen. Ob das jetzt mit Gerechtigkeit zu tun hat oder Gerechtigkeit ist, lasse ich offen.
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Wenn Sie sich zum Abschluss [[Aristoteles (tphff)#Aus der Nikomachischen Ethik|dieses Zitat aus der Nikomachischen Ethik]] ansehen, finden Sie den besonderen Hintergrund für eine aristotelisch motivierte Theorie dessen, wie man sich den Austausch von Dingen unterschiedlicher Wertigkeit auf der Basis von Geld vorstellen kann:
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: <font color="purple">„Darum müssen alle Dinge, von denen es einen Austausch gibt, irgendwie vergleichbar sein. Dazu ist das Geld aufgekommen, und es wird in gewisser Weise zu einem Mittleren. Denn es misst alles, also auch das Übermaß und den Mangel, etwa wie viele Schuhe einem Haus oder einer bestimmten Menge an Nahrungsmitteln gleich sind. Folglich muss sich, wie der Hausbauer zum Schuster, eine so und so große Zahl von Schuhen zu einem Haus oder einer Nahrungsmenge verhalten.“</font>
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Das Zählsystem, das an dieser Stelle eingeführt ist, hat die vorhersehbare Implikation, dass bestimmte Einzeldinge in diesem Zählsystem bewerten werden können - ein Punktesystem sozusagen, es muss zunächst noch gar kein Geldsystem sein. Geht man von Dingen unterschiedlicher Beschaffenheit und Wertigkeit aus und möchte sie miteinander so in Beziehung setzen, dass sie tauschbar sind, dann wird ein Referenzsystem benötigt, um den einzelnen Dingen jeweils eine bestimmte Anzahl von Units zuschreiben zu können, die dann einen proportionalen Tausch ermöglichen. Demnach bräuchten Sie relativ viele Schuhe, um dafür ein Haus zu bekommen (z.B. 5000 Schuhe gegen ein Haus) – das ginge natürlich auch in der Warenwirtschaft, in der Materialität, aber es ist deutlich, wie schnell das unpraktisch das wird. Betrachten wir daher das Geld als Maß: Geld ist einerseits das Prinzip des Maßnehmens, das Mittlere, und als dieses Mittlere, als Prinzip des Maßnehmens ist das Geld aber nicht die Banknote, die ich in der Hand habe, sondern das Prinzip der Zählbarkeit nach einer bestimmten Einheit. Das realisierte Geld, die Münze, der im Handel eingesetzte Einzel-Euro gestattet es mir, dass ich, wenn ich ein Haus kaufen will und ein Schuster bin, nicht 5000 Schuhe mitbringen muss, sondern dass ich im Laufe der letzten zwei Jahre so viele Schuhe produziert habe und den Lohn für diese Schuhe (den Preis der Schuhe), den ich gespart habe, dann für das Haus einsetzen kann.
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Ich möchte noch ein Beispiel zum Thema [[Wissen und Geld (tphff)#Geld als Maßsystem und als Zahlungsmittel|Zahlungsverkehr, Geldrahmen und Jenseits des Geldrahmens]] bringen. Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem Aufzug, der eine maximale Nutzlast hat. Der Zweck des Aufzugs ist, Inhalt sicher zu transportieren. Angesichts dieses Zwecksystems und des Punktesystems, das durch eine Nutzlast definiert wird, sind ein Kleinkind und eine Kiste äquivalent. Wenn der Aufzug piepst und sich nicht mehr vom Fleck bewegt, weil er zu stark beladen ist, dann können Sie entweder den Kinderwagen draußen lassen oder Sie lassen das Kind draußen; und der Aufzug fährt wieder. Sehen Sie die Welt nach diesem Einschätzungssystem (das ja ohne Widerspruch anzuerkennen ist), dann können Sie die beiden Sachen miteinander tauschen. Dass es sehr wohl einen Unterschied zwischen einem Kinderwagen und einem Kleinkind in einem Kinderwagen gibt (in einer anderen Hinsicht), ist ebenfalls wahr. Die Kunst besteht darin, für bestimmte Zwecke eine Äquivalenz anzuerkennen und auszunützen, und für andere Zwecke zu sagen: „Da hört sich der Spaß aber auf“. Wenn jemand zu sagt mir: „Es kommt doch nur darauf an, die Nutzlast im Aufzug um 12 kg zu reduzieren - da ist es doch egal, ob du das Kleinkind zurücklässt oder den Kinderwagen“, dann werde ich damit nicht einverstanden sein. Das ist eine sehr eingeschränkte Sichtweise, die ich nicht akzeptieren werde und von daher halte ich mich nicht an die äquivalenz-stiftende Betrachtungsweise. Worauf ich also hinauswill, ist, Ihnen einerseits ein bisschen von der Intuition abzuraten, zu sagen, dass Geld und Wissen nichts miteinander zu tun haben können - sie haben miteinander zu tun -, auf der anderen Seite aber auch den Blick darauf zu schärfen, dass man sich die politischen Bedingungen und die gesellschaftlichen Diskussionen sehr genau anschauen muss, unter denen dieses labile Verhältnis besteht und verändert wird.
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[[Benutzer:Fiede|Fiede]] 20:28, 15. Jan. 2012 (CET)

Aktuelle Version vom 15. Januar 2012, 20:28 Uhr

Rohdaten zur Vorlesung: Transkription tphff/Vo 07 (16.12.2011)

Die naturgemäße Erwerbskunde

Königreich Galizien (Karte aus der Monarchie)
Huzu

Das Bild zum heutigen Tag stammt aus den Karpaten. Daneben ist eine alte Monarchie-Karte vom Königreich Galizien, Lodomerien zu sehen. In der Bukowina gibt es eine Region, die von der ethischen Gruppe der Huzulen bewohnt wird. Die Huzulen sind Bauern und Viehzüchter, und auf dem Foto, das aus jüngerer Zeit stammt, ist zu sehen, wie Tiere zusammen auf die Almen getrieben werden. Warum komme ich darauf zu sprechen? – Weil ich beim letzten Mal schon angedeutet habe, dass die Überlegungen zu Aristoteles diese besondere philosophische Gemengelage enthalten, einerseits beinahe das Selbstverständlichste vom Selbstverständlichen zu sein, dieser Anschein des Selbstverständlichen andererseits aber daher kommt, dass wir schon seit 2500 Jahren zu denken gewohnt sind, was Aristoteles da festgeschrieben hat. Es hätte daher auch in ganz andere Richtungen gehen können. Diese Selbstverständlichkeit, wie sie uns heute vorkommt, ist eine, die zum Teil von Aristoteles mitverursacht ist und zum anderen Teil hinter der Forderung steht, dass wir diese präzisieren und für die Zwecke schärfen, die wir jeweils brauchen. Der Zweck, unter dem ich Aristoteles jetzt hier betrachte, ist letztlich jener des Verständnisses von Wissen und Geld. Die Vorlesung beschäftigt sich mit dem freien Zugang zu Forschungsresultaten und freier Zugang heißt eben nicht unter den Regeln der Marktwirtschaft, wie sie etwa von den großen Verlagen (Springer, Elsevier, etc.) praktiziert wird. Ich werde mich heute den Ausführungen von Aristoteles in der Politik und in den zwei Ethiken (Nikomachische Ethik, Eudemische Ethik), die er geschrieben hat, zuwenden. Ich bleibe zunächst mehr auf der Ebene der Selbstverständlichkeit und beginne damit, dass die Erwerbskunde von Aristoteles ausgehend vom Überleben beschrieben und aufgebaut wird. Was braucht eine Gruppe von Menschen in einer prämodernen, archaischen Lebenssituation, um sich zu halten, zu subsistieren und sich zu entwickeln? Die Systematik von Aristoteles weist darauf hin, dass es Unterschiede darin gibt, wie sich die verschiedenen Lebewesen, die die Natur hervorgebracht hat, der unterschiedlichen Nahrungsmittel bedienen.

„Von den Tieren nämlich leben die einen herdenweise und die anderen vereinzelt, je nachdem das eine oder das andere ihnen für den Gewinn ihrer Nahrung zuträglicher ist […]“ (Aristoteles: Politik. Über die Erwerbskunde (1256a ff))

Sie leben also teils vom Fleisch, teils von Pflanzen und das betrifft sowohl die Tiere allgemein, als auch die Menschen. Bei den Menschen ist es allerdings so, dass die Art der Nahrungsmittelbeschaffung eine direkte Auswirkung auf die Ausbildung ihrer Sozialstruktur hat. Bei Nomaden handelt es sich beispielsweise um mobile Trupps, die den Tieren jeweils nachziehen. Dann gibt es die Sozialstruktur von Ackerbauern und Viehzüchtern, die sich an einer Stelle fixieren und entsprechend ihre Landwirtschaft betreiben. Zu landwirtschaftlichen Betrieben lassen sich auch noch die Fischerei sowie die Jagd auf Vögel und wilde Tiere hinzuzählen.

„Und das sind denn nun wohl die sämtlichen Lebensweisen, die eine unmittelbar-natürliche Tätigkeit betreiben und nicht durch Tausch- und Handelsverkehr Nahrung schaffen […]“ (Aristoteles: Politik. Über die Erwerbskunde (1256a ff))

Das ist also die primäre Nahrungsmittelbeschaffung.

Abgesehen von einer Diskussion über die Erwerbskunde (Ökonomie), haben wir in der letzten Vorlesung bereits darüber gesprochen, dass menschliche Einzelhöfe, Dörfer und dann Dorfverbände sich zu Staaten zusammenschließen, und dass Staaten der Rahmen sind, in dem so etwas wie Gerechtigkeit stattfinden kann, indem nämlich in einem Staatsverband eine soziale Ordnung definiert wird, aus der heraus ein Gesetzeswerk formuliert werden kann, das für die Angehörigen des jeweiligen Staates Gültigkeit hat. Das Recht ist die Ordnung der staatlichen Gemeinschaft, das ist die dike (griech. δίκη, Gerechtigkeit). Ich habe dann mit der Frage geschlossen, wie viel Wissen wert ist und welches Recht man darauf hat, etwas von der Art des Wissens zu besitzen. Das ist eine Frage des Rechts, die in einem jeweiligen Staatszusammenhang geregelt wird und nicht etwas, das sich natürlich ergibt – ein Thema, das uns in dieser Art und Weise noch weiter beschäftigen wird.

Ich möchte auf den zweiten Teil des Satzes aus der Politik zurückkommen („die eine unmittelbar-natürliche Tätigkeit betreiben und nicht durch Tausch- und Handelsverkehr Nahrung schaffen“). Auch die Pointe der Überlegungen von Aristoteles zielt letztlich darauf ab, dass es einerseits eine unmittelbar-natürliche Tätigkeit des Pflanzens und Züchtens gibt und dann auch eine andere Art und Weise Nahrung zu schaffen, nämlich durch Handel und Tausch. Etwas, das man nicht im eigenen Vorgarten aufgezogen hat, kann man sich zum Beispiel dadurch beschaffen, dass man einiges von dem, was man selber aufgezogen hat, gegen etwas eintauscht, was man nicht aufziehen konnte. Das sind nun genau die Banalitäten, von denen ich gesprochen habe, auf die wir aber gleich noch weiter eingehen werden, weil Aristoteles selbst sehr eindrucksvolle und erstaunliche Bemerkungen zu diesem kleinen Unterschied macht.

Gemeineigentum (Allmende)

Bei dem Text über die Huzulen beziehe ich mich auf Martin Pollacks Buch Galizien: Eine Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina (2001), das Zitat stammt ursprünglich aus Auf der hohen Karpatenalm. Die Wahrheit der alten Zeit von Stanislaw Vincenz vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Huzulen kommen dadurch in die Geschichte, weil uns diese Beschreibung vor Augen führt, dass relativ nahe unseren heutigen Erfahrungen, gerade mal 100 Jahre zurück (statt der 2500 Jahre), also durchaus noch in unserem ein bisschen erweiterten Erfahrungsbereich eine Lebensform möglich war, die in der Debatte über den freien Forschungszugang eine wichtige Rolle spielt, und das ist Gemeineigentum (engl. commons, in der antiken altertümlichen deutschen Übersetzung ist es das Wort Allmende). Wenn Sie durch das Wein- oder Waldviertel fahren, finden Sie Dorf-Architekturen, Dorf-Topografien, Grundrisse, die noch auf diese soziale Ordnung hinweisen. In der Mitte dieser Dörfer befindet sich zum Beispiel ein kleiner Teich, eine Wasserstelle und ein größeres Grüngebiet, eine Weide und die Häuser sind um diese Weide herum angeordnet. Das ist nicht naturgegeben und die meisten Dörfer in der Umgebung entsprechen nicht dieser Siedlungsform. Häufig werden Sie Straßendörfer finden, wo die Häuser so wie in einer Einkaufsstraße rechts und links von der Straße aufgereiht sind und dahinter beginnt jeweils der Eigenbereich des Hausbesitzers. Einige Siedlergruppen haben aber eine andere Siedlungsform gewählt, nämlich die, dass sie ihre Häuser um eine gemeinsame Weide herum gebaut haben und damit war nicht die Vorstellung verbunden, der Kreis in der Mitte müsse jetzt segmentiert werden (lauter kleine Kreissegmente, die von den einzelnen Häusern zugänglich sind und mit Zäunen abgesteckt werden). Die Idee war hingegen jene des freien Gemeindebestands (Allmende), einer freien Gemeindeweide, auf die alle ihre Tiere hinschicken. Diese Beschreibung der Huzulen macht auch deutlich, dass bis zum Beginn des vergangenen Jahrhunderts noch sehr stark sakrale Steuerungsmomente eine Rolle gespielt haben, der Glaube an die Weltordnung.

„Wem gehören die Almweiden? Gott und den Schafen, Gott und die Schafe nähren den Watah, die Hirten und die Herdenbesitzer.“

Da gibt es diese Vorstellung, dass wir alle Naturwesen sind, abhängig von einem höheren Prinzip, von den Tieren, von Gott und das ist allen gemeinsam. Ganz selbstlos war das dann allerdings auch nicht, wie aus dem Zitat sehr schön hervorgeht, denn die Huzulen hatten die folgende Methode, doch auch Eigentumsrechte zu etablieren: Vor dem Almauftrieb wurden die Tiere zusammengetrieben, jeder Tierbesitzer hat seine Tiere hingebracht (diesen Besitz hat es gegeben) und es fanden Test-Melkungen statt, deren Ergebnisse aufgezeichnet worden sind. Am Ende der Saison ist der entsprechende Anteil an den jeweiligen Tierbesitzer zurückgeführt worden. Das war eine relativ elegante Art und Weise der Verwaltungsvereinfachung durch den gemeinsamen Gebrauch des Weidelandes als Lebensgrundlage für die einzelnen Bauern und Bäuerinnen – eine Form, wie man auf der Basis von Gemeingut auch ein individuelles Auskommen sichern kann, ohne dass jeder einzelne sein eingegrenztes Weideland hat. So viel zum kleinen Seitenblick in die Gegenwart.

Die Kunst des Gelderwerbs

Zurück zu Aristoteles und dem zuvor erwähnten Zitat aus der Politik. Betrachte ich die Nahrungsproduktion unter den beschriebenen Verhältnissen, so Aristoteles, dann habe ich eine Situation der Haushaltführungskunst, die darin besteht, dass der Vorstand der jeweiligen Hausgemeinschaft (die Männer, Frauen, Kinder, Sklaven, Tiere und Grundbesitz einschließt) sich darum kümmern muss, dass alle ihm anvertrauten Personen und Tiere ihr Auskommen haben. Unter diesen Bedingungen besteht Reichtum darin, einen Vorrat von Gegenständen zu sammeln, „die notwendig zum Leben und nützlich für die staatliche und häusliche Gemeinschaft (koinonia) sind und die daher auch entweder schon vorhanden sein oder durch die Hausverwaltungskunst herbeigeschafft werden müssen“, also: die Pflege von Obstbäumen, die Ausnützung von Wasserressourcen, usw. Ein auf eine solche Kunst der Pflege und Beschaffung von Lebensunterhaltsmitteln gerichtetes Leben, so Aristoteles weiter, geht nicht ins Unendliche, da ihm Grenzen gesetzt sind, die sich durch die sachgemäße Pflege dieses Hauswesens ergeben. Über das Hauswesen hinaus braucht man für das sinnvolle Leben nach dieser Definition nichts weiter. Die Passage, die Aristoteles hier von Solon zitiert, lautet allerdings: „«Reichtum hat keine Grenze, die greifbar den Menschen gesetzt ist»“. Schon bei Solon findet sich also ein Hinweis darauf, dass Reichtum in einem anderen Zusammenhang steht, auf den Aristoteles dann gleich selber zu sprechen kommen wird. An dieser Stelle weist er den Einwand aber zunächst ab und sagt, dass für Zwecke der Hausgemeinschaft und des gedeihlichen Zusammenlebens nicht die ins Unendliche gehende Maßlosigkeit gilt, sondern das Maß liegt in dieser definierten Situation. Damit ist klar, dass es eine naturgemäße Erwerbskunst für den Ökonomen und die politikos (Staatsmänner) gibt. Die Thematik, die durch das Solon-Zitat angesprochen ist, taucht später in ähnlicher Weise in Diskussionen um die Reichtumstheorie und die primäre Akquisitionstheorie bei Locke auf. In der naturgemäßen Erwerbskunst ist es so, dass man beispielsweise vor der folgenden Situation steht: Man besitzt einen Apfelbaum, der Äpfel produziert und hat vielleicht so viele Äpfel, dass man sie nicht alle verwenden oder in geeigneter Weise aufbewahren könnte. Der Überschuss an Äpfeln, der in den Tausch gehen kann, ist jedenfalls durch die materielle Beschaffenheit dessen begrenzt, was hier an Überschuss vorhanden ist. Sie können Äpfel vielleicht ein Jahr lang aufheben und haben in gewissem Maße beschränkten Platz dafür. Wenn es zu viele Kühe sind, dann hat man keinen entsprechenden Weideplatz, usw. Das reguliert sich sozusagen von selbst. Ein Faktor fällt allerdings aus diesem Schema heraus und das ist Geld. Geld lässt sich endlos aufheben und der für die Aufbewahrung erforderliche Platz stellt nicht wirklich ein Problem dar. Die Pointe dabei ist, dass Sie mit Geld etwas haben, was Wert bedeutet, jedoch nicht im Sinne der natürlichen Nahrungsproduktion, sondern einen davon abgehobenen prinzipiellen Wert. Geld ist somit unabhängig von den Lebensmittelkreisläufen und es ist frei verwendbar, Restriktionen wie die natürlichen Feedback-Schleifen in der normalen Nahrungsmittelerzeugung gelten nicht mehr. Geld lässt sich aufhäufen, ohne dass es schlecht wird. Das stimmt natürlich auch nicht ganz, aber es ist in dieser Hinsicht zumindest nicht mit Äpfeln oder eingelegten Gurken vergleichbar. Das ist zugleich das Problem dabei. Während es keinen Sinn macht sich vorzustellen, Lagerhäuser zu bauen und diese mit Gurkengläsern zu füllen, um der Gurken-König zu werden, macht es einen Sinn zu sagen, man sei der reichste Mann im Dorf. Damit ist ein neuer Zugang zu Ressourcen ganz allgemein verbunden. Diese Sache hat Solon im Auge und sie gilt nun tatsächlich nicht für die naturgemäße Erwerbskunst, sie gilt jedoch für die Tätigkeit von Tausch und Handel. In dem Maße, in dem Sie der Tätigkeit von Tausch und Handel nachgehen, in dem Maße haben Sie Möglichkeiten Reichtum auf eine völlig neue Art und Weise zu erwerben. Damit ist der Übergang von der naturgemäßen Erwerbskunst zur Kunst des Gelderwerbs, der ein anderer ist als der Nahrungsmittelerwerb, vorgezeichnet. Diese Kunst des Gelderwerbs (griech. chrematistike; Erwerbskunst allgemein: griech. ktetike) hat nach Aristoteles daran schuld,

„dass es für Reichtum (ploutos) und Besitz (ktesis) keinerlei Grenze zu geben scheint, und viele halten sie für eine und dieselbe mit jener ersteren wegen der nahen Verwandtschaft mit ihr. In Wahrheit aber ist sie doch, obwohl sie ihr nicht fernsteht, keineswegs einerlei mit ihr. Denn jene ist eine naturgemäße Erwerbsweise, diese dagegen ist keine naturgemäße, sondern sie kommt vielmehr zustande durch Erfahrung (empeiria) und Kunst (techne).“ (Aristoteles: Politik. Über die Kunst des Gelderwerbs(1256a ff))

- durch Empirie und Technik. Reichtum kann man in einem, heutzutage würde man sagen, organischen Zusammenhang haben oder durch eine gewisse technische Ausnützung von Erfahrungsmaterial im Zusammenhang mit der Geldwirtschaft. Was Aristoteles hier über die Geldwirtschaft sagt, gilt geradewegs auch für heutige Überlegungen und liefert eine Basis für das, was Karl Marx in seiner Analyse des Kapitalismus aufgegriffen hat, nämlich: Wenn wir diese beiden Erwerbstätigkeiten betrachten und analysieren, müssen wir zwischen Gebrauchswert und Tauschwert unterscheiden.

Gebrauchswert und Tauschwert

Gebrauchswert und Tauschwert resultieren aus der Unterscheidung der beiden genannten Szenarien: der Gebrauchswert eines Apfels, der darin besteht, gesund leben und etwas Gutes essen zu wollen bzw. der Tauschwert des Apfels aufgrund eines Überschusses. Dem Apfel als Apfel (als Ding) sieht man aber einen Gebrauchs- oder Tauschwert nicht an. Er wächst am Baum, fällt dann vom Baum oder wird vom Baum gepflückt - das ist der Naturanteil. Was da an dem Baum wächst, kann ich also offensichtlich aus zwei verschiedenen Perspektiven sehen: als etwas, das ich essen möchte, weil es gut aussieht und gut schmeckt bzw. als etwas, das ich in eine Kiste packen möchte, um es z.B. gegen eine Kiste Eier einzutauschen. Ist der Apfel grundsätzlich etwas, das dazu da ist, gegessen zu werden (von dem her, was der Apfel ist)? Ist die Bestimmung des Apfels, von mir gegessen zu werden oder ist es seine Bestimmung, von mir getauscht zu werden? Das lässt sich nicht so leicht beantworten, es ist aber eine wichtige Frage, weil wir im Umgang mit Äpfeln (oder anderen Dingen) damit konfrontiert sind, wie wir mit solchen Materialien sachgemäß umgehen sollen. Aristoteles spricht in diesem Zusammenhang über Schuhe:

„Die Benutzung eines jeden Besitztums ist eine doppelte, und beide Male wird das Besitztum als solches, aber nicht als solches in der gleichen Weise benutzt, sondern die eine Art von Benutzung ist die dem Gegenstand eigentümliche, die andere nicht, z. B. den Schuh kann man benutzen zum Anziehen, aber auch als Tauschmittel. Denn beides sind wirklich Benutzungsweisen des Schuhs, insofern auch der, welcher einem anderen, der eines Schuhs bedarf, einen solchen für Geld oder Lebensmittel zum Tausch gibt, damit den Schuh als Schuh benutzt, aber nicht in der demselben eigentümlichen Benutzungsweise, denn nicht zu dem Zweck ist der Schuh gemacht, als Tauschmittel zu dienen. Und ebenso verhält es sich mit allen anderen Besitzstücken: sie alle können als Tauschmittel verwandt werden.“ (Aristoteles: Politik. Über die Kunst des Gelderwerbs (1256a ff))

Aristoteles operiert mit einem Gebrauchswert, der in einer gewissen Weise näher an dem ist, worum es bei der Sache geht (beim Apfel geht es näher darum, dass er ein Nahrungsmittel ist). Die Benutzungsweise eines Schuhs ist, so Aristoteles, dass er von Menschen getragen wird. Abgeleitet davon gibt es eine zweite Gebrauchsweise, den Tausch - beides sind wirkliche Benutzungsweisen des Schuhs, aber sie haben ein Gefälle (zwischen dem natürlichen Lebensmittelkreislauf und dem Handelszusammenhang). Der eine Fall resultiert in einem Reichtum im Sinne der Verfügung über Ressourcen, um das Haus auf die richtige Art und Weise zu führen. Die andere Art und Weise mit Reichtum umzugehen, fällt hier heraus und betrifft den Tauschwert. Eine andere Sache ist, dass es sich bei Gebrauchswert und Tauschwert um einigermaßen unterschiedliche Arten von Wert handelt. Wie verhalten sich diese Werte zueinander? – einerseits ein körperlicher Genuss (oder ein körperliches Bedürfnis) und andererseits ein Verhandlungsresultat. In der Verhandlungsführung kommen Gesetze, Regeln und Bedingungen mit herein, die mit meinem körperlichen Essgenuss überhaupt nichts mehr zu tun haben. Ich muss daher abwägen zwischen etwas, das für meine Lebensumstände sehr spezifisch ist und etwas, das einen Abgleich mit anderen Personen erfordert und von deren Lebensumständen und Bedürfnislagen abhängig ist (auch Konkurrenzverhältnisse spielen hier sofort eine Rolle). Das wird sehr schnell sehr komplex und erfordert die Einführung einer Maßeinheit, die in dieser Dimension des Tauschgeschäftes ermöglicht, die jeweils individuellen Gebrauchswert-Vorstellungen zurückzudrängen und stattdessen eine Ordnung zu etablieren, die es gestattet, sehr unterschiedliche Hintergründe von Gebrauchswerten für Dinge zu homogenisieren - also Äpfel, Birnen, Eier, Hühner, Schuhe, Häuser, die alle in ganz bestimmten Gebrauchszusammenhängen stehen und Wert haben, so Aristoteles, auf eine Art und Weise zu taxieren, die es gestattet, diese Dinge als Handelsgut in einem Tauschzusammenhang zu verwenden.

„Der anfängliche Tauschhandel hatte einen durchaus natürlichen Ursprung, indem die Menschen von einem Gegenstand mehr und von einem anderen weniger haben, als sie bedürfen. Andererseits aber ist gerade hieraus auch ersichtlich, dass das Handelsgeschäft nicht von Natur zur Erwerbskunst gehört. Nur so weit nämlich, als es für den Lebensunterhalt ausreichend war, musste sich notwendig der Tausch erstrecken.“ (Aristoteles: Politik. Über die Kunst des Gelderwerbs (1256a ff))

Darüber hinaus gibt es nun die Rolle des Geldes:

„Denn da die gegenseitige Unterstützung durch Einfuhr des Mangelnden und Ausfuhr des Überflüssigen sich immer weiter örtlich ausdehnte, verfiel man notwendigerweise auf die Einführung des Geldgebrauchs.“ (Aristoteles: Politik. Über die Kunst des Gelderwerbs (1256a ff))

Geld lässt sich leichter transportieren, es ist haltbarer als andere Dinge und es gestattet einen Ausgleich zwischen den entsprechenden Gebrauchswerten. Die Frage, die damit verbunden ist, eine nach wie vor entscheidende Frage in der gegenwärtigen Ökonomie, ist: Wie bildet sich ein Gebrauchswert in einen Tauschwert ab? Welche Art von Verhältnis gibt es da? Bei der Verhandlung und Festlegung eines Tauschwerts sieht man sich mit Bedingungen konfrontiert, die extern bzw. fremd sind gegenüber jenen Bedingungen, unter denen ein Gebrauchswert steht. Wie viel ein Schuh im Austausch bringt, hat zunächst einmal nichts damit zu tun, wie notwendig ich diesen Schuh brauche und die Frage ergibt sich an der Stelle genau durch diese Diskrepanz: Wonach messe ich, was der Schuh wert ist? - Ich habe ja zwei verschiedene Bewertungssysteme. Messe ich danach, was er für mich im Gebrauch wert ist oder messe ich danach, was er im Tauschhandel wert ist? Nach Aristoteles ist der Gebrauchswert der natürliche Wert, um dessen Willen ein Ding gemacht worden ist. Dadurch weiß ich, wie viel das Ding wert ist und kann mich danach orientieren sowie bestimmte Abweichungen und Überraschungen im Tauschwert kritisieren. Wenn ich ein allgemeines Bewertungssystem einführe, dann habe ich keine Kriterien mehr, nach denen ich bewerten kann, ob etwas überteuert oder weniger überteuert ist – es wird zu einer Sache des Marktes.

Wissen und Geld

Student: Was Aristoteles hier zusätzlich noch nicht sieht, ist, dass auch das Medium, das getauscht wird, nämlich Geld, das ja keinen Gebrauchswert an sich hat (außer dass es ein Medium ist), im Grunde auch einen Wert hat. Dadurch ist das Problem viel tiefgehender, man muss nämlich, um etwas zu tauschen, zuerst einmal herausfinden, welchen Wert das Medium des Tausches (Geld) hat und erst dann kann man den Tauschwert des zu tauschenden Dinges bestimmen. Alle Werte hängen voneinander ab.

Was Sie ansprechen, habe ich auf einer weiteren Seite (Wissen und Geld) verschriftlicht: Das Problem ist insofern tiefergehender, als man zwischen Geld als Geldbetrag und Geld als Geldrahmen unterscheiden muss. Diese Unterscheidung findet sich bei Aristoteles nicht in dieser Form. Geld als Geldbetrag, den ich in der Tasche habe und in einem Geschäftsakt gegen irgendein Ding tausche, funktioniert tatsächlich so, als hätte es einen Gebrauchswert. Ich habe in dem Zusammenhang bereits das Beispiel des Jokers gebracht: In einem Spiel ist der Joker einerseits eine ganz normale Spielfigur, die allerdings die Besonderheit hat, dass sie für alle weiteren Spielfiguren stehen kann. Das ist z.B. die Rolle des Jokers in einem Canasta-Spiel: eine Karte wie jede andere Karte auch, die einen Wert hat, der einem sehr gelegen kommt, sozusagen ein sehr praktischer Handelsgegenstand. Geld hat nun einen Wert, genauso wie ein Schuh einen Wert hat, insofern befindet sich beides auf derselben Ebene. Der besondere Wert des Geldes (und des Jokers) ist aber in einer Metaregel begründet. Dieser Wert liegt nicht mehr auf derselben Ebene, sondern ist ein von einer Regel institutionalisierter Metawert. Bezogen auf den Joker ist das eben die Eigenart von Spielen, in denen die Rolle des Jokers so definiert ist, dass es diese Form von De-facto-Austausch geben kann. Übertragt man das auf den Bereich des Umgangs mit Dingen, dann verhält es sich folgendermaßen: Wir spielen ein Geldspiel. Wir müssten dieses Geldspiel nicht unbedingt spielen (genauso wie wir statt Canasta Tarock spielen könnten, wo es keinen Joker gibt), aber wenn wir mit Dingen das Geldspiel spielen, dann funktioniert das Geld in dieser Doppelrolle. Das ist die Tiefe, die hier dahinter steckt.

Dieses Thema ist für meine Zwecke extrem wichtig, vor allem in Hinblick auf die Debatte um Geld und Bildung. Ist Wissen käuflich, ist Bildung käuflich, kann das kommerzialisiert werden? Diese Debatte kann in einer gewissen Weise auf Aristoteles zurückgreifen, und zwar mit einem Zitat, das ich Ihnen hier ganz am Ende der Seite angeführt habe: ἐπιστήμη γὰρ καὶ χρήματα οὐχ ἑνὶ μετρεῖται - episteme ist das Wissen, kremata ist das Geld, uk heni metreitai: können nicht mit einem Maß gemessen werden. Hier finden Sie die Übersetzung: „da sich Wissen und Geld nicht mit einem Maß messen lassen“.

Aristoteles weist im Rahmen dieser Überlegungen darauf hin, dass der Tauschverkehr nicht für Wissen gilt. Das ist eine Überlegung, die auch bei StudentInnen sehr populär ist, vor allem wenn sie gegen Studiengebühren argumentieren, sowie bei Hochschullehrern, wenn sie dafür argumentieren, dass sie viel Geld verdienen müssen, aber in ihrer Freiheit der Wissenserzeugung nicht eingeschränkt werden wollen (vor allem wenn es um entsprechende Nachweise in Listen, Zeitaufstellungen, Publikationen, usw. geht). Wissen ist nicht verrechenbar, nur ja keine Wissensbilanzen. Wissensbilanzen sind zwar ein Schund, andererseits geht es aber darum, dass die Zumutung einer Wissensbilanz, so wird instinktiv (und gerne) aus geisteswissenschaftlicher Sicht argumentiert, diese entscheidende aristotelische Frage übersieht, nämlich dass Wissen und Geld nicht mit einem Maß verrechnet werden können. Mit diesem Aristoteles-Zitat ist man quasi zugleich in der Geschichte verankert. Ich erwähne das, weil Ihre Bemerkung, Aristoteles gehe da nicht tief genug, komplett richtig ist. Man muss sich aber an dieser Stelle die verschiedenen Schichten genauer anschauen, in denen Geld für die Bemessung und Einschätzung von Tauschobjekten eine Rolle spielt.

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Student: Wissen hat schon einen Wert und zwar wenn ich es in eine Ware verwandle (z.B. als Buch), das ich dann ganz normal am Markt anbieten kann.

Zum Thema freier Forschungsaustausch und käufliches Wissen habe ich hier ein Buch ausgewählt, um die Sache ein bisschen plastischer zu machen: „Forma Formarum. Strukturmomente der Thomistischen Seinslehre im Rückgriff auf Aristoteles. Inciarte: Forma Formarum/Alber, statt € 41,40 jetzt € 12,90“, und gestern war der Preis nochmal um die Hälfte reduziert (€ 6,45). Vorliegende Arbeit setzt da an, wohin die neuere Thomas-Forschung zuletzt geführt hat. Die allerersten Anfänge gehen auf ein Seminar von Prof. Voss in Rom zurück. Forschungsstipendium für Forschung des Landes Westfalen, als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Philosophischen Fakultät, gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Käuflichkeit von Wissen

Meine Überlegungen zum Apfel waren von diesem Problem der finanziellen Taxierung von Wissensprodukten motiviert, um die es mir auch bei der Publikation von Inciarte geht. Inciarte hat sicherlich 10 Jahre an diesem Thema gearbeitet, damit eine Habilitation geschrieben und eine Professur erhalten. Das Buch hat einmal € 40 gekostet, heute ist es um € 6,45 zu bekommen. Was ist dieses Buch wirklich wert? Was ist überhaupt der Wert, von dem man hier redet? Wie sinnvoll ist es, an dieser Stelle zwischen dem individuellen Wert (vielleicht gibt es Leute, die schon immer die Struktur der thomistischen Seinslehre genau untersucht haben wollten und für die der momentane Preis ein absoluter Glücksfall ist) zu unterscheiden und jenem Wert, den die Publikation für andere hat, die kein Interesse an der thomistischen Seinslehre haben (für die vermutlich bereits 50c zu viel für dieses Buch wären). Ich will darauf hinaus, dass der Gebrauchswert der Habilitation von Fernando Inciarte ein extrem hoher ist, da damit eine Professur und ein Renommee verbunden sind. Wo liegt nun aber der Tauschwert dieser Publikation und in welchen Bereich geraten wir, wenn wir uns im Zusammenhang mit einer solchen Wissensproduktion dem Thema der Tauschwert-Abschätzung zuwenden? Ich habe hier keine Antworten parat, ich möchte damit nur die Basis dessen benennen, worüber wir uns Gedanken machen müssen. Das Problem, das ich angesprochen habe, ist sozusagen die vorletzte Stufe, mit einer neuen Dimension der Wertzumessung gegenüber solchen Produkten haben wir es zu tun, wenn es dann um digitale Kopien solcher Produkte geht. Ich habe das Problem des wissenschaftstreibenden Buch-Produzierens im Verhältnis zum Verlagswesen kurz beleuchtet. Das wird uns noch weiter beschäftigen, aber schauen wir uns mal ganz simple Beispiele der Käuflichkeit von Wissen an, wo wir keinerlei Bedenken haben, diese als Produkte von Wissensarbeit zu bezeichnen. Normalerweise wird unterschieden zwischen Information (Daten), der Verarbeitung von Daten und Wissen (Erkenntnis, Einsicht), auch als eine höhergelegene Kompetenz des Umgangs mit verarbeiteten Informationen. Wenn Sie eine Fahrplanauskunft wollen, dann werden Sie sich mittlerweile vermutlich nicht mehr wundern oder darüber ärgern, dass Sie für das Telefonat bezahlen müssen, in dem Sie die Information bekommen. Wenn Sie in eine Kirche oder ein Museum gehen und sich über den Hintergrund der einzelnen Exponate informieren wollen, dann bezahlen Sie für einen Audio-Guide (und somit für Wissen). Daher muss man Aristoteles an der Stelle doch noch mal abklopfen, man kann sich nicht damit begnügen zu sagen, dass Wissen und Geld inkommensurabel oder inkompatibel sind. Das liegt darin begründet, dass Geld eine Rolle in diesem Jokerspiel (nämlich als Joker) spielt und in diesem Quasi-Jokerspiel ist Geld vergleichbar, d.h. es ist kommensurabel. Aristoteles hat zwar nicht ganz unrecht, das Problem liegt aber darin, dass die Bedingungen für die Kommensurabilität nicht naturgegeben sind – diese Bedingungen müssen zuerst hergestellt werden. Hier lässt sich sehr wohl Widerspruch anmelden, wenn man nicht der Auffassung ist, dass die Kommensurabilität mit Geld die richtige Verfahrensweise für den Umgang mit Wissen ist. Man kann den Rahmen leugnen bzw. problematisch finden, d.h. eine adäquate Kommensurabilität zwischen Geld und dem, was Wissen ist bzw. wie Wissen funktioniert. Das ist aber eine systematische Beobachtung, die nicht nur für Wissen gilt, sondern auch dafür, wie ein Apfel schmeckt. Prinzipiell können Sie sagen: Jetzt in diesen Apfel reinzubeißen, der Genuss dieses Apfels ist aus meiner Sicht unbezahlbar. Möchte Ihnen nun jemand diesen Apfel abkaufen, dann könnten Sie die Position vertreten, dass er nicht verkäuflich ist. Das wäre dann ein Beispiel für die Inkommensurabilität zwischen Geld und einem Gegenstand (und es gibt natürlich unzählige weitere Beispiele für solchen Formen der Inkommensurabilität).

Student: Ursprünglich, bei der Entwicklung des Geldes, hat es vier verschiedene Arten von Geld gegeben, und wenn ich das jetzt anwende auf „eine Professur sollte man sich nicht gegen Geld kaufen können“, dafür aber die Habilitationsschrift, dann wäre das die erste Ebene. Und darunter setze ich eine zweite Ebene, wenn ich es brutal sage „Restl-Verwertung“: Dann kann ich die Habilitationsschrift selbstverständlich verkaufen (davon haben ja auch andere etwas) und es ist in Ordnung, wenn das über Geld läuft. Aristoteles hat noch gebracht, dass man Pferde nicht gegen Frauen tauschen kann, usw. Man könnte das noch auf Dinge ausdehnen, die einem guttun und Dinge, die man zum Überleben braucht. Hat man eine solche Idee im Hintergrund, dann löst sich das Problem irgendwie auf.

Ich sehe es genauso, eine Professur soll man sich nicht kaufen können, aber bei einer Habilitationsschrift verhält es sich anders. Was steckt da dahinter, warum sind Professuren nicht von der Art, dass man sie kaufen kann? – Hier gibt es eine Parallele zur Käuflichkeit eines Gerichtsurteils. Auch Basis-Gesundheit soll man sich nicht kaufen können. Menschen sollen nicht deswegen sterben, weil sie nicht ausreichend Geld für die Behandlung von Krankheiten haben. Es soll auch nicht so sein, dass sich Leute Polizeischutz kaufen müssen oder dass an den Universitäten jene Leute lehren, die das meiste Geld für den Job investiert haben. All das soll nicht sein. Aber warum soll das nicht so sein? Es gibt genügend Staaten, in denen die Polizei ihre Bürger willkürlich mit Strafen belegt und Geld dafür abkassiert. Das widerspricht jedoch den Idealen moderner Staaten, in denen es öffentliche Werte gibt, die nicht auf Finanztransaktionen reduzierbar sind. Korruption ist ein schöner Ausdruck dafür, dass jemand sagt „Kaufen kann man alles“. Es ergibt sich also die Notwendigkeit, jene öffentlichen Geschehnisse im Staat zu identifizieren, die aus dem Tauschverkehr ausgenommen werden müssen. Dabei gibt es auch heikle Übergänge, wie etwa der Eintritt in Kirchen. Die österreichische Geschichte einer christlichen Nation verlangt eigentlich, dass Kirchen ein öffentliches Gut sind und dass die Leute freien Zutritt zu den Kirchen haben. Zum Selbstverständnis einer katholischen Nation gehört somit, dass Kirchen ein öffentlicher Bereich sind. Das ist aber zunehmend nicht mehr der Fall, es gibt auch hier Tendenzen der Kommerzialisierung (z.B. für den Zutritt zum Stephansdom muss man bezahlen, Coca Cola-Reklame auf der Votivkirche). Ich möchte diese Tendenzen nicht beurteilen, ich zitiere sie lediglich, um etwas deutlich zu machen. Es geht nicht darum, dass man statuarisch sagt: „Wissen und Geld haben nichts miteinander zu tun“, sondern darum, dass bestimmte Gebrauchsweisen von Käuflichkeit zugelassen sind und andere nicht. Die richtige Balance zu finden, ist das eigentliche Problem. Um es provokant zu sagen: Die Kunst des Diskutierens der Studiengebühren liegt ganz einfach darin, einen entsprechenden Konsens zu finden, so wie bei den Rezeptgebühren. Rezeptgebühren sind eine Form, wie man das Gesundheitswesen, das aus dem allgemeinen Steueraufkommen finanziert wird, an den Rändern für jene Leute sensibel gestaltet, die es mehr in Anspruch nehmen als andere (obwohl das Gesundheitswesen prinzipiell Allgemeinsache ist). Bei den Studiengebühren würde ich das ähnlich sehen.

Student: Dieser pragmatische Ansatz zu Wissen und Geld ist nicht mehr wegzudenken. Unter den Schlagwörtern lebenslanges Lernen, zweiter Bildungsweg, Bildung überhaupt, Weiterbildung im Leben gibt ja mittlerweile eine ganze Industrie, die Kurse, Beratung, usw. anbietet. Und da gilt im Großen und Ganzen: Es ist das mehr wert, was mehr kostet. Das ist ein riesen Faktor geworden. Will man in der Arbeit weiterkommen, muss man Kurse belegen, die Geld kosten (ob das dann die Firma bezahlt oder man selber, ist letztlich egal).

Ich habe vor 1½ Jahren einen kleinen universitätsinternen Fight mit unserer Lifelong-Learning-Division (universitäre Weiterbildung) ausgetragen, die natürlich auch schon draufgekommen ist, dass sehr viel Geld damit zu machen ist, wenn man Generaldirektoren, etc. anbietet, sich schnell einmal mit den berühmtesten Angehörigen der Universität auf ein Seminar zu setzen, z.B. zum Preis von € 20.000. Wird Vergleichbares von einer externen Firma angeboten, wird man sagen, dass hier die Gesetze des Marktes am Werk sind, die sich an dieser Stelle eben auch so auswirken. Solange es Leute gibt, die dafür zahlen bereit sind, weil sie das für wichtig halten, ist nur schwer etwas dagegen einzuwenden. Die Schwierigkeit ist allerdings, wie man das im Rahmen einer Universität konstruiert und mit dem Selbstverständnis einer Universität in Einklang bringen kann. Natürlich lässt sich argumentieren, dass das auf diese Weise eingenommene Geld genauso dem Rest der Studien zugute kommt. Jedenfalls ist zu diskutieren, worauf man sich damit einlässt.

Student: Wo ist der Konsens z.B. bei Studiengebühren in einer Größenordnung, wie es in England üblich ist (oder bald üblich sein wird)? Das läuft praktisch auf eine Abnabelung der Oberschicht hinaus, die es sich leisten kann. Bei einigen € 100 pro Semester wird das Gros noch mithalten können, aber bei € 10.000 bis 12.000 im Jahr ist das nicht mehr der Fall.
Student: Es ist klar, dass es zu einer wirklichen Hürde wird, wenn man Studiengebühren auf einen Marktpreis anhebt, wie das in England passiert.
Studentin: Die hohen Kosten sind sicher ein Problem. Ich habe mir vor ein paar Tagen angeschaut, was ein Master kostet und bin ziemlich erschrocken, da es sich um € 60.000 handelt, die ein Student natürlich nur selten hat. Aber es gibt sehr wohl Finanzierungsmodelle, die ein Studium auch zu Marktpreisen für Studenten leistbar machen (Studentenkredite, etc.). Die Kosten sind das eine, aber die Möglichkeit der Finanzierung ist eine andere Sache.

Das steht nicht im luftleeren Raum, sondern ist von einer gesetzlichen Regelung einer Langzeitfinanzierung abhängig. Es gibt eine große Anzahl von Möglichkeiten damit umzugehen, z.B. niedrig verzinste Anleihen kombiniert mit bestimmten Rückzahlungs-Bedingungen (erst wenn man mehr als einen bestimmten Betrag verdient, etc.). Das ist ein Teil des gesamten Packages. Reduziert man es auf die Frage „Wo bekomme ich jetzt € 60.000 her?“, dann wird es zu einem unlösbaren Problem. Ich habe dieses Thema deswegen ins Spiel gebracht, weil es ein aktuelles Beispiel für die Debatte des Finanzaspekts von Unterweisung (Bildung und Ausbildung) ist. Damit ist es ganz nahe an jener Debatte, wie viel es wert ist zu wissen, inwiefern sich die thomistische Seinslehre auf Aristoteles bezieht. Wie viel ist so etwas wert und wer soll es zahlen? Das wäre im Zusammenhang mit der Öffentlichkeit von Bildung, Gesundheitswesen, Justiz und Polizei noch zu ergänzen: Bestimmte Bereiche sollen nicht den Marktgesetzen unterworfen sein, etwa das Justizwesen (Richter sollen nicht bestechlich sein, etc.). Das bedeutet natürlich nicht, dass ein Justizsystem gratis zu haben ist. Genau hier taucht diese doppelte Perspektive (Spange) auf, dass wir auf der einen Seite wollen, dass Gerechtigkeit nicht käuflich ist, wir aber andererseits zugestehen müssen, dass der ganze Apparat, den wir notwendig brauchen, damit Gerechtigkeit aktualisiert wird, zwar nicht in diesem Sinn käuflich, aber mit Kosten verbunden ist.

Student: Der Zusammenhang ist sogar noch prägnanter: Je mehr Geld man ausgibt (z.B. für die Polizei) und je höher der Grundverdienst ist, desto geringer ist die Anfälligkeit für Bestechung und Korruption, weil die öffentlich Bediensteten ihr Leben durch das normale Einkommen finanzieren können.
Student: Was dem Markt überlassen wird und was nicht, ist eine grundsätzliche gesellschaftspolitische Entscheidung. Wenn ein Staat/eine Gemeinde entscheidet, Wissen ist Allmende oder Polizei ist Allmende, dann wird es gemeinsam finanziert und der einzelne zahlt nichts dafür. In Frankreich war es zum Beispiel vor der Revolution üblich, dass Ämter gekauft wurden.
Student: Soweit ich weiß, trägt sich das Justizsystem mit rund 70% der Kosten selber. Die Gerechtigkeit hat aber mit dem Zugang zum Recht noch nichts zu tun. Meistens sind Sie besser beraten, einen Prozess gar nicht erst zu führen.

Ich habe sozusagen auf der Klischee-Ebene geredet, aber es ist plausibel und wird von vielen Leuten akzeptiert, dass man Richter nicht bestechen soll und diese so viel verdienen sollen, dass man sie nicht so beeinflussen kann, dass sie dem, der mehr zahlt, Recht sprechen. Ob das jetzt mit Gerechtigkeit zu tun hat oder Gerechtigkeit ist, lasse ich offen.

Wenn Sie sich zum Abschluss dieses Zitat aus der Nikomachischen Ethik ansehen, finden Sie den besonderen Hintergrund für eine aristotelisch motivierte Theorie dessen, wie man sich den Austausch von Dingen unterschiedlicher Wertigkeit auf der Basis von Geld vorstellen kann:

„Darum müssen alle Dinge, von denen es einen Austausch gibt, irgendwie vergleichbar sein. Dazu ist das Geld aufgekommen, und es wird in gewisser Weise zu einem Mittleren. Denn es misst alles, also auch das Übermaß und den Mangel, etwa wie viele Schuhe einem Haus oder einer bestimmten Menge an Nahrungsmitteln gleich sind. Folglich muss sich, wie der Hausbauer zum Schuster, eine so und so große Zahl von Schuhen zu einem Haus oder einer Nahrungsmenge verhalten.“

Das Zählsystem, das an dieser Stelle eingeführt ist, hat die vorhersehbare Implikation, dass bestimmte Einzeldinge in diesem Zählsystem bewerten werden können - ein Punktesystem sozusagen, es muss zunächst noch gar kein Geldsystem sein. Geht man von Dingen unterschiedlicher Beschaffenheit und Wertigkeit aus und möchte sie miteinander so in Beziehung setzen, dass sie tauschbar sind, dann wird ein Referenzsystem benötigt, um den einzelnen Dingen jeweils eine bestimmte Anzahl von Units zuschreiben zu können, die dann einen proportionalen Tausch ermöglichen. Demnach bräuchten Sie relativ viele Schuhe, um dafür ein Haus zu bekommen (z.B. 5000 Schuhe gegen ein Haus) – das ginge natürlich auch in der Warenwirtschaft, in der Materialität, aber es ist deutlich, wie schnell das unpraktisch das wird. Betrachten wir daher das Geld als Maß: Geld ist einerseits das Prinzip des Maßnehmens, das Mittlere, und als dieses Mittlere, als Prinzip des Maßnehmens ist das Geld aber nicht die Banknote, die ich in der Hand habe, sondern das Prinzip der Zählbarkeit nach einer bestimmten Einheit. Das realisierte Geld, die Münze, der im Handel eingesetzte Einzel-Euro gestattet es mir, dass ich, wenn ich ein Haus kaufen will und ein Schuster bin, nicht 5000 Schuhe mitbringen muss, sondern dass ich im Laufe der letzten zwei Jahre so viele Schuhe produziert habe und den Lohn für diese Schuhe (den Preis der Schuhe), den ich gespart habe, dann für das Haus einsetzen kann.

Ich möchte noch ein Beispiel zum Thema Zahlungsverkehr, Geldrahmen und Jenseits des Geldrahmens bringen. Stellen Sie sich vor, Sie stehen vor einem Aufzug, der eine maximale Nutzlast hat. Der Zweck des Aufzugs ist, Inhalt sicher zu transportieren. Angesichts dieses Zwecksystems und des Punktesystems, das durch eine Nutzlast definiert wird, sind ein Kleinkind und eine Kiste äquivalent. Wenn der Aufzug piepst und sich nicht mehr vom Fleck bewegt, weil er zu stark beladen ist, dann können Sie entweder den Kinderwagen draußen lassen oder Sie lassen das Kind draußen; und der Aufzug fährt wieder. Sehen Sie die Welt nach diesem Einschätzungssystem (das ja ohne Widerspruch anzuerkennen ist), dann können Sie die beiden Sachen miteinander tauschen. Dass es sehr wohl einen Unterschied zwischen einem Kinderwagen und einem Kleinkind in einem Kinderwagen gibt (in einer anderen Hinsicht), ist ebenfalls wahr. Die Kunst besteht darin, für bestimmte Zwecke eine Äquivalenz anzuerkennen und auszunützen, und für andere Zwecke zu sagen: „Da hört sich der Spaß aber auf“. Wenn jemand zu sagt mir: „Es kommt doch nur darauf an, die Nutzlast im Aufzug um 12 kg zu reduzieren - da ist es doch egal, ob du das Kleinkind zurücklässt oder den Kinderwagen“, dann werde ich damit nicht einverstanden sein. Das ist eine sehr eingeschränkte Sichtweise, die ich nicht akzeptieren werde und von daher halte ich mich nicht an die äquivalenz-stiftende Betrachtungsweise. Worauf ich also hinauswill, ist, Ihnen einerseits ein bisschen von der Intuition abzuraten, zu sagen, dass Geld und Wissen nichts miteinander zu tun haben können - sie haben miteinander zu tun -, auf der anderen Seite aber auch den Blick darauf zu schärfen, dass man sich die politischen Bedingungen und die gesellschaftlichen Diskussionen sehr genau anschauen muss, unter denen dieses labile Verhältnis besteht und verändert wird.

Fiede 20:28, 15. Jan. 2012 (CET)