Die Versuchsanordnung: Unterschied zwischen den Versionen

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Die Möglichkeit einer experimentellen Untersuchung dieser Frage wurde durch eine Entdeckung von Kornhuber und Deecke eröffnet. Sie fanden, dass einer Willenshandlung regel­mäßig und auf spezifische Weise eine messbare elektrische Ver­änderung der Gehirnaktivität vorangeht. Einer Willenshandlung ging ein schwacher Anstieg der elektrischen Negativität voraus, der auf einem Gebiet der Kopfhaut, vor allem am Schei­tel oben auf dem Kopf, lokalisiert war. Die elektrische Verände­rung begann etwa 800 ms oder länger bevor eine Versuchsperson allem Anschein nach eine Willenshandlung vollzog. Sie wurde daher Bereitschaftspotential (BP) genannt.
 
Die Möglichkeit einer experimentellen Untersuchung dieser Frage wurde durch eine Entdeckung von Kornhuber und Deecke eröffnet. Sie fanden, dass einer Willenshandlung regel­mäßig und auf spezifische Weise eine messbare elektrische Ver­änderung der Gehirnaktivität vorangeht. Einer Willenshandlung ging ein schwacher Anstieg der elektrischen Negativität voraus, der auf einem Gebiet der Kopfhaut, vor allem am Schei­tel oben auf dem Kopf, lokalisiert war. Die elektrische Verände­rung begann etwa 800 ms oder länger bevor eine Versuchsperson allem Anschein nach eine Willenshandlung vollzog. Sie wurde daher Bereitschaftspotential (BP) genannt.
  
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Anfangs hatten wir ernsthafte Zweifel, dass die Versuchsper­sonen die Uhrzeiten ihrer bewussten Absichten mit entsprechender Genauigkeit und Zuverlässigkeit berichten konnten. Wie sich herausstellte, lagen beide Charakteristika in einem Bereich, der für unsere Zwecke angemessen war. Die W-Zeit­punkte, die für jede Gruppe von vierzig Versuchen gemessen wurden, wiesen eine Standardabweichung von etwa 20 ms auf. Das galt für jede Versuchsperson, obwohl die gemittelten Ws sich zwischen den Versuchspersonen unterschieden. Da der über alle Versuchspersonen gemittelte W-Zeitpunkt etwa bei -200 ms (vor einer motorischen Handlung) lag, stellte eine Standardabweichung von ±20 ms eine noch hinreichende Zu­verlässigkeit dar.
 
Anfangs hatten wir ernsthafte Zweifel, dass die Versuchsper­sonen die Uhrzeiten ihrer bewussten Absichten mit entsprechender Genauigkeit und Zuverlässigkeit berichten konnten. Wie sich herausstellte, lagen beide Charakteristika in einem Bereich, der für unsere Zwecke angemessen war. Die W-Zeit­punkte, die für jede Gruppe von vierzig Versuchen gemessen wurden, wiesen eine Standardabweichung von etwa 20 ms auf. Das galt für jede Versuchsperson, obwohl die gemittelten Ws sich zwischen den Versuchspersonen unterschieden. Da der über alle Versuchspersonen gemittelte W-Zeitpunkt etwa bei -200 ms (vor einer motorischen Handlung) lag, stellte eine Standardabweichung von ±20 ms eine noch hinreichende Zu­verlässigkeit dar.
  
Eine Prüfung der Korrektheit von W war etwas schwieriger durchzuführen. Wir konnten nicht ganz sicher wissen, wie nahe das berichtete W bei der tatsächlichen subjektiven Zeit des Be­wusstseins lag. Wir konnten jedoch prüfen, wie genau die Ver­suchspersonen unsere Uhrzeit-Technik verwendeten. Zu diesem Zweck wurde eine Reihe von vierzig Versuchen durchgeführt, bei denen ein schwacher Hautreiz auf die Hand verabreicht wurde. Die Versuchspersonen wurden gebeten, keine Willens­handlung zu vollziehen, sondern sich vielmehr die Uhrzeit der Hautempfindung zu merken, die nach jedem Versuch berichtet werden sollte (wie bei W). Der Hautreiz wurde bei den vierzig Versuchen zu zufällig ausgewählten Uhrzeiten verabreicht. Diese Zeitpunkte (»S«) waren der Versuchsperson natürlich unbe­kannt. Wir erfuhren sie jedoch als Beobachter durch die Corn­puterausdrucke. Somit konnten wir eine objektiv bekannte, erwartete Zeit eines subjektiven Bewusstseins mit den Uhrzeiten vergleichen, die von der Versuchsperson berichtet wurden. Die berichteten S-Zeiten lagen nahe bei den wirklichen Reizzeiten, wiesen jedoch einen Unterschied von etwa -5o ms (mit anderen Worten, früher) gegenüber den Zeitpunkten auf, zu denen die Reize tatsächlich verabreicht wurden. Da dieser Unterschied ziemlich konsistent war, konnte er als verzerrendes Element von dem durchschnittlichen W von -200 ms abgezogen werden. Das ergab ein »korrigiertes« durchschnittliches W von -150 ms. Eine Versuchsreihe, die die berichteten Zeiten für einen Hautreiz prüfte, wurde in jeder Sitzung durchgeführt.
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Eine Prüfung der Korrektheit von W war etwas schwieriger durchzuführen. Wir konnten nicht ganz sicher wissen, wie nahe das berichtete W bei der tatsächlichen subjektiven Zeit des Be­wusstseins lag. Wir konnten jedoch prüfen, wie genau die Ver­suchspersonen unsere Uhrzeit-Technik verwendeten. Zu diesem Zweck wurde eine Reihe von vierzig Versuchen durchgeführt, bei denen ein schwacher Hautreiz auf die Hand verabreicht wurde. Die Versuchspersonen wurden gebeten, keine Willens­handlung zu vollziehen, sondern sich vielmehr die Uhrzeit der Hautempfindung zu merken, die nach jedem Versuch berichtet werden sollte (wie bei W). Der Hautreiz wurde bei den vierzig Versuchen zu zufällig ausgewählten Uhrzeiten verabreicht. Diese Zeitpunkte (»S«) waren der Versuchsperson natürlich unbe­kannt. Wir erfuhren sie jedoch als Beobachter durch die Com­puterausdrucke. Somit konnten wir eine objektiv bekannte, erwartete Zeit eines subjektiven Bewusstseins mit den Uhrzeiten vergleichen, die von der Versuchsperson berichtet wurden. Die berichteten S-Zeiten lagen nahe bei den wirklichen Reizzeiten, wiesen jedoch einen Unterschied von etwa -5o ms (mit anderen Worten, früher) gegenüber den Zeitpunkten auf, zu denen die Reize tatsächlich verabreicht wurden. Da dieser Unterschied ziemlich konsistent war, konnte er als verzerrendes Element von dem durchschnittlichen W von -200 ms abgezogen werden. Das ergab ein »korrigiertes« durchschnittliches W von -150 ms. Eine Versuchsreihe, die die berichteten Zeiten für einen Hautreiz prüfte, wurde in jeder Sitzung durchgeführt.
  
 
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: Ein philosophischer Klassiker: das Verhältnis der objektiv messbaren Zeit zum Zeit des Bewusstseins. Die "erwartete Zeit eines subjektiven Bewusstseins" korreliert mit dem ''Bericht'' einer innerpsychisch erlebten Zeit.  
 
: Ein philosophischer Klassiker: das Verhältnis der objektiv messbaren Zeit zum Zeit des Bewusstseins. Die "erwartete Zeit eines subjektiven Bewusstseins" korreliert mit dem ''Bericht'' einer innerpsychisch erlebten Zeit.  
  
: '''Frage: wie ist das "verzerrende Element" einzuschätzen?''' Nach Libets Formulierung wird der Reiz ja ''früher'' als erlebt berichtet, als verabreicht. In konventioneller Deutung wären die Versuchspersonen Hellseherinnen.'''
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: '''Frage: wie ist das "verzerrende Element" einzuschätzen?''' Nach Libets Formulierung wird der Reiz ja ''früher'' erlebt, als verabreicht. Oder, um es vorsichtiger zu formulieren: der Bericht von der Reizung platziert sie zeitlich vor der physikalisch verursachten Reizung. In konventioneller Deutung wären die Versuchspersonen Hellseherinnen.'''
  
 
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Abb.4.1. Die »Uhr« für die Zeitbestimmung eines mentalen Ereignisses. Ein Lichtfleck, der von einem Kathodenstrahloszilloskop erzeugt wird, bewegt sich am Rande des Ziffernblattes des Oszilloskops im Kreis herum, den er in 2,56 sec durchläuft. Damit wird der Sekundenzeiger einer gewöhnlichen Uhr simuliert. Die Bewegung ist jedoch fünfundzwanzigmal schneller. Die Zahlen um die Peripherie herum repräsentieren Sekunden für die gewöhn­liche 6o-Sekunden-Umdrehung, aber jede markierte Sekunde entspricht hier in Wirklichkeit etwa 43 ms. Dargestellt in Libet et al., 1983.
 
Abb.4.1. Die »Uhr« für die Zeitbestimmung eines mentalen Ereignisses. Ein Lichtfleck, der von einem Kathodenstrahloszilloskop erzeugt wird, bewegt sich am Rande des Ziffernblattes des Oszilloskops im Kreis herum, den er in 2,56 sec durchläuft. Damit wird der Sekundenzeiger einer gewöhnlichen Uhr simuliert. Die Bewegung ist jedoch fünfundzwanzigmal schneller. Die Zahlen um die Peripherie herum repräsentieren Sekunden für die gewöhn­liche 6o-Sekunden-Umdrehung, aber jede markierte Sekunde entspricht hier in Wirklichkeit etwa 43 ms. Dargestellt in Libet et al., 1983.
  
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[[Kategorie:Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)]]
 

Aktuelle Version vom 26. Januar 2007, 04:26 Uhr

Textgrundlage

Benjamin Libet: Wie das Gehirn Bewusstsein produziert. Frankfurt 2005. S. 159ff

Inhaltsverzeichnis

Benjamin Libet: Handlungsabsicht

1. Die Versuchsanordnung
2. Zwei Gruppen von Anfangszeiten des BP
3. Die Ereignisfolge in der "Jetzt-Handeln"-Situation
4. Das bewusste Veto
5. Haben wir einen freien Willen?

Auszug

Die Möglichkeit einer experimentellen Untersuchung dieser Frage wurde durch eine Entdeckung von Kornhuber und Deecke eröffnet. Sie fanden, dass einer Willenshandlung regel­mäßig und auf spezifische Weise eine messbare elektrische Ver­änderung der Gehirnaktivität vorangeht. Einer Willenshandlung ging ein schwacher Anstieg der elektrischen Negativität voraus, der auf einem Gebiet der Kopfhaut, vor allem am Schei­tel oben auf dem Kopf, lokalisiert war. Die elektrische Verände­rung begann etwa 800 ms oder länger bevor eine Versuchsperson allem Anschein nach eine Willenshandlung vollzog. Sie wurde daher Bereitschaftspotential (BP) genannt.

Was heißt in diesem Zusammenhang eine "Willenshandlung"? Hier werden einige Voraussetzungen gemacht:
  • Identifikation einer Manifestation einer Willenshandlung mit einem punktuellen Ereignis auf einer Zeitachse
  • Auszeichnung eines Ereignispunktes als relevant mit Hilfe eines Bewusstseinszustands plus subjektiven Eindrucks/Urteils
  • Identifikation von Willenshandlung mit bewusster Willenshandlung

Die untersuchte Handlung war ein plötzliches Krümmen oder Beugen des Handgelenks oder der Finger. Jedes BP ist sehr klein und wird nahezu überdeckt von den anderen elektrischen Aktivitäten des Gehirns im Ruhezustand. Deshalb mussten viele solcher Handlungen vollzogen werden, um eine von einem Computer gemittelte Aufzeichnung zu erzeugen, die die kleinen BPs summierte. Die Versuchsperson durfte den Zeitpunkt dieser zahlreichen Handlungen nach ihrem eigenen Gutdünken wäh­len. Ihre eigene Wahl des Handlungszeitpunkts war jedoch durch eine Dauer von 6 sec begrenzt, die Kornhuber und Deecke für jeden Versuchsdurchgang vorgesehen hatten, um die Sum­mierung on 200-300 BPs innerhalb einer annehmbaren Experi­mentierperiode zu erzielen.

Eine alternative Versuchsanordnung: Personen wird eine Programmdarstellung der Viennale mit mehr als hundert Filmen vorgelegt. Sie werden aufgefordert, im Zeitrahmen von 6 Sekunden auf beliebige Filme zu zeigen. Wie soll man diesen Vorgang beschreiben? Angenommen, jedem Fingertippen geht ein Bereitschaftspotenzial voraus. Kann man sagen:
  • die Versuchspersonen haben sich für einen Film entschieden
  • die Entscheidung ist vom Bereitschaftspotenzial verursacht worden
In welchem Sinn ist der Entscheidungsprozess für einen Film "reichhaltiger"? Wie stark kann die Situation des Abwägens von pro und kontra eingeschränkt werden, um noch von Entscheidung sprechen zu können?

Kornhuber und Deecke betrachteten nicht die Frage, wann der bewusste Handlungswille im Verhältnis zur Vorbereitung des Gehirns (zum BP) erschien.

Was erscheint da? Festgestellt wird eine Korrelation zwischen Gehirnaktivitäten und einer Terminangabe durch die Versuchspersonen. Was kann in einer solchen Korrelation manifestiert sein? Im vorigen Beispiel: eine solche Zuordnung kann keinen Entscheidungsvorgang im konventionellen Sinn ausdrücken.
In der Folge wird immer davon gesprochen, dass der "bewusste Handlungswille erscheint". Das heißt in der Versuchsanordnung: die beschriebene Korrelation wird hergestellt. Vergleiche: "Wann hast Du Dich verabschiedet?" -- "Als ich meine Hand ausstreckte."

Die lange Zeit, mit der das BP der Willenshandlung vorhergeht, ließ mich jedoch intuitiv ver­muten, dass es eine Diskrepanz zwischen dem Beginn der Ge­hirnaktivität und der Zeit des Erscheinens der bewussten Hand­lungsabsicht geben könnte. In einer öffentlichen Diskussion über Willenshandlungen brachte der Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Sir John Eccles seine Überzeugung zum Ausdruck, dass ein BP, das > 800 ms vor einer Willenshandlung beginnt, bedeuten muss, dass die damit verbundene bewusste Absicht sogar noch vor diesem frühen Einsetzen des BP erscheint. Ich bemerkte, dass es keine Belege gab, die Eccles' An­sicht unterstützten, die vermutlich durch seine eigene Philoso­phie der Interaktion von Geist und Gehirn gefärbt war.

Wie sieht das aus, wenn der bewusste Handlungswille erscheint? Was kann als Marke in einer Zeitabfolge erscheinen? Ich blicke auf die Waage und sehe mein Übergewicht. "Mein Übergewicht erscheint". Aber das "erscheint" nur in einem viel weiteren Rahmen, sagen wir des Body-Mass-Indexs in einer speziellen kulturellen Ausprägung.

Die Feststellung der Zeit des bewussten Willens relativ zum Beginn der Gehirnaktivität (dem BP) war offensichtlich wichtig. Wenn der bewusste Wille auf den Beginn des BP folgen sollte, würde das eine grundlegende Wirkung auf unsere Sicht der Wil­lensfreiheit haben. Zu jener Zeit sah ich jedoch keine Möglich­keit, die Frage experimentell zu prüfen. Es schien unmöglich zu sein, eine zuverlässige Messung der Zeit des Auftauchens einer bewussten Absicht zu erreichen. Der bewusste Wille ist ein sub­jektives Phänomen, das äußerer Beobachtung nicht direkt zu­gänglich ist. Man benötigt einen Bericht von einer menschlichen Versuchsperson, die dieses subjektive Ereignis erlebt. Wenn man die Versuchsperson einen Knopf drücken oder »jetzt« sagen lässt, damit sie ihre bewusste Absicht ausdrücken kann, dann würde man weitere Willensakte zu der untersuchten Beugung des Handgelenks hinzufügen. Das würde die zuverlässige Feststel­lung des Zeitpunkts des bewussten Willens für die Testhandlung im Verhältnis zur Gehirnaktivität beeinträchtigen. Auch gab es keine Gewähr dafür, dass das Drücken eines Knopfes oder das »Jetzt«-Sagen bewusst vollzogen werden würde. Die Versuchsperson könnte also diese schnelle Reaktion unbewusst vollzie­hen, bevor sie sich des Erlebnisses bewusst wird. Wenn das so wäre, dann hätten wir eben keinen Zeitpunkt für den bewussten Willen.

Der Wille ist ein subjektives Phänomen. Wie Schmerz, Erinnerung, Größenwahn. Das heisst nicht: ein physiologisches Phänomen, denn zur Fixierung des Phänomens ist eine Selbstzuschreibung nötig. Also:
  • Die sprachliche und sachliche Kompetenz der Versuchspersonen ist vorausgesetzt
  • Es muss einen Kompetenztest geben, der nicht in der Selbsteinschätzung der Versuchsperson besteht. Bedingungen, unter denen es akzeptabel erscheint, ihre Einschätzung anzuerkennen.
Was ist eine bewusste Absicht? Einerseits (abgesehen von einer physikalistischen möglichen Reduktion) ein psychologisches Phänomen. Vielfältige Experimente untersuchen die "internen" und "externen" Aspekte solcher Phänomene. Zweitens ist "Absicht" als intentionaler Zustand analysierbar, d.h. als ein Typus zielgerichteter Einstellungen, die dadurch gekennzeichnet sind, dass eine Person auf einen Umstand ausgerichtet ist, der mit einem Satz zu beschreiben ist. "Ich will, dass der Autobus kommt."
Wie verhält sich das psychologische Phänomen zum philosophischen Verständnis? Die philosophische Analyse erlaubt es, bestimmte Züge herauszuarbeiten, die für bestimmte Zwecke hilfreich sind. Zum Beispiel den Unterschied zwischen einer Bewegung und einer Handlung. Ein US-amerikanischer Millionär hat mit dem Ellbogen sein Picasso-Bild beschädigt. Absichtlich oder unabsichtlich? Eine Frage der Versicherung. Kann eine Videokamera diese Frage entscheiden? Ein Hirnbild?

Als ich 1977 Gastwissenschaftler am Rockefeller Center for Advanced Studies in Bellagio, Italien, war, kehrten meine Ge­danken zu diesem scheinbar unlösbaren Messproblem zurück. Es fiel mir damals ein, dass eine Versuchsperson die »Uhrzeit« ihres Erlebnisses der bewussten Absicht berichten könnte. Sie würde sich die Uhrzeit im Stillen merken und dann, nachdem jeder Versuchsdurchgang vorbei war, berichten. Nachdem ich nach San Francisco zurückkam, entwickelten wir eine solche Technik.

Die Lösung Libets besteht darin, keinen zusätzlichen Willensakt (zum Ausdrücken des Auftretens des Willensaktes) anzunehmen, sondern eine Zeitnotiz. Das ist allerdings auch ein Willensakt.
Die Uhrzeit eines Erlebnisses wird berichtet. Dieses Erlebnis ist das innerpsychische Auftreten einer Handlungsabsicht. Was macht ein psychologisches Ereignis zur "Handlungsabsicht"? Kann ich (hier im Hörsaal) die punktuelle Handlungsabsicht haben, das Flugzeug von Chicago nach Toronto zu nehmen? Das hängt an den Umständen, z.B. wenn ich über den Computer einen Flug buche. Aber dann ist der Sinn der Rede von "Absicht" in einen Kontext eingebettet. Wie eng kann dieser Kontext sein, damit noch von Absicht gesprochen werden kann? Ich habe das Bewusstsein, einem Kind in Dafour eine Mineralwasserflasche geben zu wollen. Ist das eine Absicht?

Ein Kathodenstrahloszilloskop wurde so arrangiert, dass der von ihm erzeugte Lichtfleck in der Nähe des äußeren Randes sei­nes Bildschirms einen Kreis beschrieb. Der äußere Rand des Bildschirms der Oszilloskopröhre war wie gewöhnlich durch 6o Sekunden markiert, die kreisförmig angeordnet waren. Die Be­wegung des Lichtflecks sollte die Bewegung des Sekundenzei­gers einer gewöhnlichen Uhr simulieren. Unser Lichtfleck ging jedoch in 2,56 sec einmal im Kreis herum, etwa fünfundzwan­zigmal schneller als die normalen 6o sec (siehe Abb. 4.1). Jede markierte Sekunde auf der Uhr entsprach deshalb etwa 43 ms der Bewegung des Lichtflecks. Diese schnelle »Uhr« konnte dann Zeitunterschiede im Bereich von hunderten von Millise­kunden aufdecken.

Die Versuchsperson saß 2,3 m vom Oszilloskop entfernt. In jedem Durchgang fixierte sie ihren Blick auf die Mitte des Bild­schirms des Oszilloskops. Sie wurde gebeten, eine freie Willens­handlung zu vollziehen, eine einfache, aber plötzliche Bewegung des Handgelenks, und zwar zu einem beliebigen Zeitpunkt. Sie wurde gebeten, nicht im Voraus zu planen, wann sie handeln würde; sie sollte vielmehr die Handlung »von sich aus« erschei­nen lassen. Das würde uns gestatten, den Prozess der Handlungs­planung von dem Prozess für einen freien, spontanen Willen, »jetzt zu handeln«, zu unterscheiden. Sie wurde außerdem gebeten, ihr erstes Bewusstsein ihrer Bewegungsabsicht mit der »Posi­tion auf der Uhr« des kreisenden Lichtflecks zu verknüpfen. Diese verknüpfte Uhrzeit wurde von der Versuchsperson nach Beendigung des Versuchs berichtet. Wir bezeichneten diese berichteten Zeiten mit »W« für das bewusste Wollen oder Wün­schen einer Handlung. Das BP, das bei jeder solchen Willens­handlung erzeugt wurde, wurde ebenfalls gemessen, und zwar mit geeigneten Elektroden auf dem Kopf. Ein BP, das über vierzig Versuche gemittelt wurde, erwies sich als brauchbar. Die Zeit des Einsetzens dieser gemittelten BPs konnte dann mit den berichteten W-Zeiten bei denselben vierzig Handlungen vergli­chen werden.

Eine freie Willenshandlung ohne Planung, das ist eine weitgehend willkürliche Bewegung. wie z.B. ein Signal, das jemandem die Vorfahrt läßt oder das Zurückwinken aus einem Zug. Frei und spontan? Eine spontane Geste ist konventionell von einer physiologisch verursachten Geste (Reflex) und einer lange überlegten Geste ("schachmatt") zu unterscheiden. Hier tritt ein methodologisches Problem auf. Wenn "spontan" in diesem Sinn verstanden wird, ist von vornherein eine Differenz zwischen Physiologie und Psyche eingeführt. Oder "spontan" heisst planungslos und korreliert mit einer gewissen Gehirnaktivität. Dann ist die Sache in die umgekehrte Richtung vorentschieden.
Wie kann der Prozess der Handlungsplanung vom spontanen Willen, jetzt zu Handeln abgetrennt werden? In welchem Sinn ist eine Geste ohne Planung eine Handlung? Der kritische Ausdruck ist "spontan Handeln". Was macht eine Geste zum Zugestehen der Vorfahrt - im Unterschied zum Zurechtrichten des Rückspiegels oder der Fliegenabwehr?
Was heisst es, eine Handlung von sich aus erscheinen zu lassen? Eine Zöllnerin winkt einen PKW durch. Das ist eine Handlung mit möglichen Konsequenzen. Aber wo liegt dabei das Moment der Freiheit? Kaum in den Sekundenbruchteilen des nicht blockierten Winkens.

Anfangs hatten wir ernsthafte Zweifel, dass die Versuchsper­sonen die Uhrzeiten ihrer bewussten Absichten mit entsprechender Genauigkeit und Zuverlässigkeit berichten konnten. Wie sich herausstellte, lagen beide Charakteristika in einem Bereich, der für unsere Zwecke angemessen war. Die W-Zeit­punkte, die für jede Gruppe von vierzig Versuchen gemessen wurden, wiesen eine Standardabweichung von etwa 20 ms auf. Das galt für jede Versuchsperson, obwohl die gemittelten Ws sich zwischen den Versuchspersonen unterschieden. Da der über alle Versuchspersonen gemittelte W-Zeitpunkt etwa bei -200 ms (vor einer motorischen Handlung) lag, stellte eine Standardabweichung von ±20 ms eine noch hinreichende Zu­verlässigkeit dar.

Eine Prüfung der Korrektheit von W war etwas schwieriger durchzuführen. Wir konnten nicht ganz sicher wissen, wie nahe das berichtete W bei der tatsächlichen subjektiven Zeit des Be­wusstseins lag. Wir konnten jedoch prüfen, wie genau die Ver­suchspersonen unsere Uhrzeit-Technik verwendeten. Zu diesem Zweck wurde eine Reihe von vierzig Versuchen durchgeführt, bei denen ein schwacher Hautreiz auf die Hand verabreicht wurde. Die Versuchspersonen wurden gebeten, keine Willens­handlung zu vollziehen, sondern sich vielmehr die Uhrzeit der Hautempfindung zu merken, die nach jedem Versuch berichtet werden sollte (wie bei W). Der Hautreiz wurde bei den vierzig Versuchen zu zufällig ausgewählten Uhrzeiten verabreicht. Diese Zeitpunkte (»S«) waren der Versuchsperson natürlich unbe­kannt. Wir erfuhren sie jedoch als Beobachter durch die Com­puterausdrucke. Somit konnten wir eine objektiv bekannte, erwartete Zeit eines subjektiven Bewusstseins mit den Uhrzeiten vergleichen, die von der Versuchsperson berichtet wurden. Die berichteten S-Zeiten lagen nahe bei den wirklichen Reizzeiten, wiesen jedoch einen Unterschied von etwa -5o ms (mit anderen Worten, früher) gegenüber den Zeitpunkten auf, zu denen die Reize tatsächlich verabreicht wurden. Da dieser Unterschied ziemlich konsistent war, konnte er als verzerrendes Element von dem durchschnittlichen W von -200 ms abgezogen werden. Das ergab ein »korrigiertes« durchschnittliches W von -150 ms. Eine Versuchsreihe, die die berichteten Zeiten für einen Hautreiz prüfte, wurde in jeder Sitzung durchgeführt.

Ein philosophischer Klassiker: das Verhältnis der objektiv messbaren Zeit zum Zeit des Bewusstseins. Die "erwartete Zeit eines subjektiven Bewusstseins" korreliert mit dem Bericht einer innerpsychisch erlebten Zeit.
Frage: wie ist das "verzerrende Element" einzuschätzen? Nach Libets Formulierung wird der Reiz ja früher erlebt, als verabreicht. Oder, um es vorsichtiger zu formulieren: der Bericht von der Reizung platziert sie zeitlich vor der physikalisch verursachten Reizung. In konventioneller Deutung wären die Versuchspersonen Hellseherinnen.

Unsere Definition einer Willenshandlung enthielt folgende Merkmale: Der Handlungswille entstand auf endogene Weise. Es gab also keine äußeren Hinweisreize für den Vollzug der Handlung; keine äußeren Beschränkungen für den Zeitpunkt der Handlung; und vor allem hatte die Versuchsperson den Eindruck, dass sie für die Handlung verantwortlich war, und sie hatte auch das Gefühl, dass sie es in der Hand hatte, wann sie handelte und ob sie überhaupt handeln sollte oder nicht. Menschliche Versuchspersonen können letzteres Kriterium von Situationen unterscheiden, in denen eine motorische Handlung ohne dieses Merkmal erzeugt wird. Der Neurochirurg Wilder Penfield reizte elektrisch den frei liegenden Motorkor­tex während der Operation zur Behandlung epileptischer Zentren. Die Reizung des Motorkortex erzeugt Kontraktionen be­stimmter Muskeln und bestimmte Bewegungen an bestimmten Stellen des Körpers. Die Patienten berichteten, dass sie solche Bewegungen nicht wollten; sie berichteten, dass diese Bewegun­gen ihnen von der Person aufgezwungen wurden, die ihren Kor­tex gereizt hatte; sie waren keine Willenshandlungen.


"Keine äußeren Beschränkungen"? Die ganze Versuchsanordnung ist eine solche Beschränkung.
"Verantwortlich" heißt in diesem Kontext: nicht reflexhaft oder extern ausgelöst. Zu unterscheiden wäre:
  • alles, was nicht durch Reflexe oder externe Machinationen zustand kommt (rot / nicht-rot)
  • eine andere Qualität der Phasen-Abfolge (rot / blau)
Diese Unterscheidung macht deutlich, dass die Diskussion durch eine grundlegende Doppeldeutung des Negators "nicht" gekennzeichnet ist. Er kann einen extensionalen Dualismus oder eine Qualitätsdifferenz induzieren.

Es gibt viele klinische Störungen, bei denen Handlungen in Abwesenheit eines bewussten Willens auftreten. Dazu gehören unwillkürliche Handlungen bei Gehirnlähmung, Parkinson, Chorea Huntington, Tourette-Syndrom und auch zwanghafte Handlungsimpulse. Ein schlagendes Beispiel ist das »alien hand sign«. Patienten mit einer Schädigung am vorderen, medialen Teil des prämotorischen Areals der Hirnrinde können den Ein-druck haben, dass die Hand und der Arm auf der betroffenen Seite merkwürdige zweckgerichtete Handlungen vollziehen, wie beispielsweise das Aufknöpfen eines Hemdes, während die Ver­suchsperson versucht, es zuzuknöpfen. All das geschieht ohne oder sogar gegen den Willen und die Absicht der Versuchsper­son.

Uhr.JPG

Abb.4.1. Die »Uhr« für die Zeitbestimmung eines mentalen Ereignisses. Ein Lichtfleck, der von einem Kathodenstrahloszilloskop erzeugt wird, bewegt sich am Rande des Ziffernblattes des Oszilloskops im Kreis herum, den er in 2,56 sec durchläuft. Damit wird der Sekundenzeiger einer gewöhnlichen Uhr simuliert. Die Bewegung ist jedoch fünfundzwanzigmal schneller. Die Zahlen um die Peripherie herum repräsentieren Sekunden für die gewöhn­liche 6o-Sekunden-Umdrehung, aber jede markierte Sekunde entspricht hier in Wirklichkeit etwa 43 ms. Dargestellt in Libet et al., 1983.

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Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)

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