Hat das bewusste Veto einen vorausgehenden unbewussten Ursprung?: Unterschied zwischen den Versionen

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[[Kategorie:Freiheit im Kopf (Seminar Hrachovec, 2006/07)]]

Version vom 7. November 2006, 15:39 Uhr

Wir sollten an diesem Punkt die Möglichkeit in Betracht ziehen, dass das bewusste Veto selbst seinen Ursprung in vorangehenden unbewussten Prozessen haben könnte, genauso wie es bei der Entwicklung und dem Auftauchen des bewussten Willens der Fall ist. Wenn das Veto selbst unbewusst eingeleitet und entwi­ckelt werden müsste, würde die Veto-Entscheidung zu einer unbewussten Entscheidung werden, deren wir uns bewusst werden, anstatt ein bewusstes kausales Ereignis zu sein. Unsere eigenen früheren Belege zeigten, dass das Gehirn ein Bewusstsein von et-was erst nach einer Dauer von etwa 0,5 sec geeigneter neuronaler Aktivierungen »produziert«.13 Einige Autoren haben vorgeschlagen, dass selbst die unbe­wusste Einleitung einer Veto-Entscheidung noch eine echte Ent­scheidung des Individuums wäre, die man immer noch als einen Prozess des freien Willens ansehen könnte Ich finde eine sol­che Auffassung von Willensfreiheit unannehmbar. Nach dieser Auffassung würde die Person ihre Handlungen nicht bewusst steuern. Sie würde sich nur einer unbewusst eingeleiteten Ent­scheidung bewusst werden. Sie würde keine direkte bewusste Kontrolle über die Eigenart irgendeines vorangehenden unbe­wussten Prozesses haben. Willensfreiheit bedeutet jedoch, dass man für die eigene Entscheidung, zu handeln oder nicht zu han­deln, bewusst verantwortlich gemacht werden kann. Wir halten Menschen nicht für unbewusste Handlungen für verantwortlich, wenn sie keine Möglichkeit zur bewussten Steuerung haben. Beispielsweise werden Handlungen einer Person während eines psychomotorischen epileptischen Anfalls oder einer Person mit Tourette-Syndrom (die sozial inakzeptable Schimpfwörter ausruft) nicht als Handlungen des freien Willens angesehen. Warum sollte dann ein Ereignis, das von einer normalen Person unbewusst entwickelt wird, als freier Willensakt angesehen wer-den, für den sie verantwortlich gemacht werden sollte, wenn es ein Prozess wäre, über den sie keine bewusste Kontrolle hat? Ich schlage stattdessen vor, dass das bewusste Veto keine vor-angehenden unbewussten Prozesse erfordern könnte oder das di­rekte Ergebnis solcher Prozesse wäre. Das bewusste Veto ist eine Steuerungsfunktion, die sich von dem bloßen Bewusstwerden des Handlungswunsches unterscheidet. Es gibt keinen logischen Zwang in irgendeiner Geist-Gehirn-Theorie, nicht einmal in der Identitätstheorie, der eine spezifische neuronale Aktivität er-fordert, die der bewussten Steuerungsfunktion vorausgeht und sie bestimmt. Und es gibt keine experimentellen Belege gegen die Möglichkeit, dass der Steuerungsprozess ohne eine spezifi­sche Entwicklung durch vorausgehende unbewusste Prozesse stattfinden kann. Zugegeben, wenn man sich der Veto-Entscheidung bewusst ist, bedeutet das, dass man sich des Ereignisses bewusst ist. Wie lässt sich das mit meinem Vorschlag in Einklang bringen? Viel-leicht sollten wir den Begriff des Bewusstseins erneut untersu­chen, seine Beziehung zum Inhalt des Bewusstseins und zu den Gehirnprozessen, die sowohl das Bewusstsein als auch seine In-halte entwickeln. Unsere eigenen früheren Untersuchungen wei­sen darauf hin, dass Bewusstheit an sich ein einzigartiges Phäno­men ist, das sich von den Inhalten unterscheidet, die bewusst werden können. Beispielsweise kann das Bewusstsein eines Sinnesreizes eine ähnliche Dauer von Reizfolgen sowohl beim somatosensori­schen Kortex als auch bei der subkortikalen Bahn (des Thalamus oder Lemniscus medialis) haben. Aber der Inhalt des Bewusst-seins ist in diesen beiden Fällen verschieden; beim kortikalen Reiz ist das sensorische Bewusstsein subjektiv verzögert, wäh­rend es keine solche Verzögerung gibt, wenn die subkortikale Bahn gereizt wird. Der Inhalt eines unbewussten mentalen Pro­zesses (z. B. die korrekte Erfassung eines Signals im Gehirn ohne jegliches Bewusstsein des Signals) kann derselbe sein (bei einer korrekten Erfassung) wie der bewusste Inhalt des Signals. Damit man sich jedoch ebendieses Inhalts bewusst wird, muss die Reiz­dauer um etwa 40o ms erhöht werden Bei einem endogen erzeugten, frei gewollten Akt tritt das Be­wusstsein der Handlungsabsicht mit einer Verzögerung von etwa 400 ms auf, nachdem Gehirnprozesse diesen Vorgang unbewusst einleiten (siehe den vorangehenden Abschnitt »Die Ereignisfolge in der >Jetzt-Handeln<-Situation«). Man kann sich das hier entwickelte Bewusstsein so vorstellen, dass es sich auf den gesamten Willensprozess bezieht; das würde den Inhalt des bewussten Handlungsdrangs und den Inhalt von Faktoren, die ein bewusstes Veto beeinflussen können, einschließen. Man braucht sich das Bewusstsein eines Ereignisses nicht so vorzustel­len, dass es auf ein einziges inhaltliches Detail im ganzen Prozess beschränkt ist. Die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, dass Faktoren, auf denen die Veto- oder Kontrollentscheidung beruht, durch unbe­wusste Prozesse entwickelt werden, die dem Veto vorausgehen. Die bewußte Veto-Entscheidung könnte jedoch trotzdem ohne eine direkte Spezifikation dieser Entscheidung durch die voraus-gehenden unbewussten Prozesse getroffen werden. Man könnte also das Programm, das von der ganzen Bandbreite vorausgehen-der Gehirnprozesse angeboten wird, bewusst annehmen oder ablehnen. Das Bewusstsein der Veto-Entscheidung könnte auf vorausgehende unbewußte Prozesse angewiesen sein, aber der Inhalt dieses Bewusstseins (die tatsächliche Veto-Entscheidung) ist ein gesondertes Merkmal, das nichts dergleichen erfordern muss.




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