Tarski (W)

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Zur allgemeinen Orientierung:

Einführung in Tarskis Wahrheitsdefinition (Stanford Encyclopedia of Philosophy)

Eine knappere Skizze der Tarskidefinition aus der Sicht der gegenwärtigen analytischen Philosophie gibt ein hand out aus der Universität von Cape Town. Aus kontinentaler Sicht siehe die Kurzübersicht von Heinrich Watzka. Zur Einführung geeignet auch die Darstellung von Y. Duppen.

Einen Eindruck von den formalen Zusammenhängen erhält man durch Till Mossakowskis Unterlagen. Die darin angesprochene Illustration durch Blockwelten hat Robert Stärk in einem Java Applet illustriert.

Angesichts dieser homogenisierenden Darstellungen ist es interessant, sich einige "Unebenheiten" in den originalen Tarski-Texten anzusehen.

Einzusehen ist folgender Text in englischer Sprache: THE SEMANTIC CONCEPTION OF TRUTH AND THE FOUNDATIONS OF SEMANTICS



Aus: Grundlegung der wissenschaftlichen Semantik

"Der wesentliche Grund der angetroffenen Schwierigkeiten scheint in folgendem zu liegen: man hatte nicht immer vor Augen, daß die semantischen Begriffe einen relativen Charakter haben, daß sie immer auf eine bestimmte Sprache bezogen werden sollten; man war sich dessen nicht bewußt, daß die Sprache über die man spricht, sich mit der Sprache in der man spricht keineswegs decken muß; man hat die Semantik einer Sprache in der Sprache selbst betrieben und im allgemeinen hat man sich so benommen, als ob in der Welt nur eine einzige Sprache existierte."


"Übrigens ist die Lösung des Problems durch den eigentümlichen Charakter der semantischen Begriffe vorgezeichnet: da in diesen Begriffen gewisse Beziehungen zwischen den Gegenständen und Sachverhalten, von denen in der untersuchten Sprache 'die Rede ist', und den Ausdrücken der Sprache zum Ausdruck kommen, so müssen in den Sätzen, die die wesentlichen Eigenschaften semantischer Begriffe feststellen, sowohl die Bezeichnungen jener Gegenstände und Sachverhalte, also die Ausdrücke der Sprache selbst, als auch die Termini auftreten, die bei der strukturellen Beschreibung der Sprache verwendet werden und die zu dem Gebiet der sogenannten Morphologie der Sprache gehören, und zwar die Bezeichnungen einzelner Ausdrücke, struktureller Relationen zwischen Ausdrücken u.s.w."

"Bei der zweiten Verfahrensweise ... werden die semantischen Begriffe mit Hilfe der üblichen Begriffe der Metasprache definiert und dadurch auf die rein logischen Begriffe, auf die Begriffe der untersuchten Sprache selbst und auf die spezifischen Begriffe der Morphologie der Sprache zurückgeführt; so wird die Semantik zu einem Teil der - genügend weit aufgefaßten - Morphologie der Sprache."

  • einerseits handelt die Semantik vom Verhältnis zwischen Gegenständen/Sachverhalten und Sprachausdrücken
  • andererseits spricht Tarski vom Verhältnis zwischen Sprachausdrücken und der Morphologie von Sprachausdrücken
  • die Idee scheint zu sein, dass die Beschreibung der Gestalt der Sprachausdrücke der Objektsprache (in einer Metasprache) mit diesen Ausdrücken korreliert wird




Exkurs: Objekt- und Metasprache

Angenommen drei Formulierungen:

  1. Helga spricht über die Ärzte. (Eine gut verdienende Berufsgruppe.)
  2. Helga spricht über "die Ärzte" (Es sollte "ÄrztInnen" heissen.)
  3. Helga spricht über "Die Ärzte". (Die Gruppe hatte unlängst einen Auftritt.)

In den Fällen (2) und (3) richtet sich die Aufmerksamkeit nicht direkt auf die Sache (intentio recta), sondern auf sprachliche Ausdrücke, die für eine Sache stehen (intentio obliqua). Unsere Sprache besitzt die Fähigkeit, Sprachausdrücke selbst zum Thema werden zu lassen. Dabei spielt die Präposition "über" eine entscheidende Rolle. Sie wird selber unterschiedlich gebraucht.

  1. 200 Meter über dem Meeresspiegel
  2. Eine Vorlesung über österreichische Literatur nach 1945
  3. Eine Diskussion über die Berechtigung des Begriffs der österreichischen Literatur
  4. Ein Artikel über den Gebrauch des Akkusativs in mittelalterlichen Urkunden
  5. Überblick, Überlegenheit, Übermensch (Metaphysik)

Im Zusammenhang mit Tarski stellt sich die Frage: mit welcher Deutung von "über" soll welcher Fall des "Redens über" versehen werden? Es geht darum, sich im Rahmen einer Sprache auf Ausdrücke einer Sprache zu beziehen und zwar im 4. Sinn von "über". Das Problem wird an diesem Satz-Paar deutlich:

  • Hans spricht über das Wetter.
  • Hans spricht über "das Wetter".

Die charakteristische Frage der Semantik lautet: Wie kommt eine Zeichenkette wie "das Wetter" dazu, dass sie verständlich ist, d.h. dass sie sich für uns auf das Wetter bezieht? Ausgeweitet auf Sätze: Wie können Sätze wahr sein? (Es handelt sich doch bloß um Dinge/Ereignisse in der Welt.) Diese Fragerichtung beginnt mit der Befremdlichkeit und will die Kluft zur Vertrautheit schließen. Man kann auch umgekehrt vorgehen und darauf verweisen, dass Sprache verständlich sein muss, bevor es in ihr zu einer Spaltung kommt.





Aus: Die semantische Konzeption der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik (1)

"Wir wollen nun unser zuvor verwendetes Verfahren verallgemeinern, indem wir eine beliebige Aussage betrachten und durch >p< ersetzen. Wir bilden ihren Namen und ersetzen diesen durch >X<. Nun fragen wir nach der logischen Beziehung zwischen den beiden Aussagen >X ist wahr< und >p<. Es ist klar, daß diese Aussagen gemäß der von uns zugrunde gelegten Konzeption der Wahrheit äquivalent sind, das heißt: es gilt die Äquivalenz:

(T) X ist wahr genau dann, wenn p.

Wir wollen jede solche Äquivalenz als >Äquivalenz der Form (T)< bezeichnen (wobei >p< durch eine Aussage der Sprache, auf die sich das Wort >wahr< bezieht, ersetzt wird und >X< durch den Namen dieser Aussage)."




  • offenbar soll sich hier >p< auf einen ein Ausdruck der Objektsprache beziehen
  • es fragt sich allerdings, was damit gemeint ist, dass eine Aussage der Objektsprache durch >p< "ersetzt" wird
  • >p< ist eine metasprachliche Variable für einen Satz der Objektsprache
  • wie funktioniert dann die rechte Seite der Äquivalenz?

In Tarskis Verfahren besteht eine Spannung:

  • einerseits moniert er die Berücksichtigung mehrerer Sprachen
  • andererseits soll der Satz, der die Wahrheitsbedingung angibt (p) zur Objektsprache gehören

An einer späteren Stelle wird diese Schwierigkeit noch deutlicher.




Aus: Die semantische Konzeption der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik (2)


"Diese Definition muß, um es zu wiederholen, alle Äquivalenzen der Form (T) implizieren:

(T) X ist wahr genau dann, wenn p.

Die Definition selbst und all die Äquivalenzen, die sie impliziert, müssen in der Metasprache formuliert werden. Allerdings steht das Symbol >p< in (T) für eine beliebige Aussage unserer Objektsprache. Daraus folgt, daß jede Aussage, die in der Objektsprache vorkommt, auch in der Metasprache vorkommen muß. Mit anderen Worten: die Metasprache muß die Objektsprache als einen Teil enthalten. Das ist auf jeden Fall für den Beweis der Angemessenheit der Definition notwendig - ..."




  • wir brauchen die Metasprache, um etwas über Eigenschaften von Sätzen der Objektsprache auszusagen
  • darum muss rechts in der Äquivalenz ein Ausdruck der Metasprache stehen
  • damit wird >p< eine Stufe "hinaufbefördert" ("semantic ascent")
  • das beschreibt die Formulierung, dass "die Metasprache die Objektsprache enthalten muss"
  • damit stellt sich das Problem zwischen einer und mehreren Sprachen noch deutlicher




Spracherweiterung versus Übersetzung

Semantische Begriffe unterscheiden sich von gewöhnlichen Sprachausdrücken dadurch, dass sie eine Beziehung zwischen solchen Sprachausdrücken und ihren "Bedeutungen" (Dinge, Sachverhalte, abstrakte Inhalte) herstellen. Das macht sie komplizierter und für naturwissenschaftlich ausgerichtete Theorien verdächtig. Tarski entwirft eine "semantische Wahrheitstheorie", aber er vermeidet die Semantik Freges oder Wittgensteins.

Zu diesem Zweck verwendet er einen ebenso umstrittenen wie wirksamen Trick: Er geht einfach davon aus, dass für jeden Satz (bzw. jeden nichtlogischen Ausdruck) der Objektsprache, für die der Wahrheitsbegriff definiert werden soll, eine Übersetzung in die Metasprache bekannt ist, dass also z.B. für jeden Satz Si der Objektsprache ein Satz pi der Metasprache bekannt ist, der dasselbe besagt wie Si. (Ansgar Beckermann)

Diese Annahme kann man doppelt deuten:

  • Die Metasprache ist eine Erweiterung der Objektsprache, wie etwa die rationalen Zahlen eine Erweiterung der natürlichen Zahlen sind. Jede natürliche Zahl ist auch eine rationale Zahl. Damit verschwindet die Mehrzahl der Sprachen.
  • Oder der Akzent liegt auf der Doppelsprachlichkeit. Dann muss es zwischen den beiden Systemen eine Übersetzung geben.

In formalen Konstruktionen kann der Ausdrucksbestand der Objektsprache leicht in die Metasprache kopiert werden. Dann definiert man in der Metasprache mengentheoretische Abstraktionen (strukturierte Diskurs-Domänen) und "interpretiert" die Ausdrücke mit Hilfe dieser Elemente. Eine "Interpretationsfunktion" stellt die Semantik her und gipfelt in der "Wahrheitsdefinition". Wenn es sich um nicht reglementierte Sprachen handelt, ist dieses Verfahren unanwendbar.

Der Lösungsansatz Tarskis hat dennoch auch für die philosophische Diskussion nachhaltige Wirkungen gehabt.




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