Machiavelli (Arbeit)

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Einleitung und Fragestellung

Niccolò Machiavelli ist bekannt für seine politisch rücksichtlose und kalkulierte Philosophie. Doch mit dieser Auffassung wird dem Zielpublikum nur ein einseitiger Blickwinkel dieser Persönlichkeit vermittelt. Vielmehr spiegelt Machiavelli und sein Werk das Denken einer Umbruchszeit zwischen dem mittelalterlich-traditionellen Diskurs und den neuzeitlich orientierten Denkstrukturen, die sich unter anderem durch einen sehr ausgeprägten technischen Denkmodus klassifizieren lassen. Demnach entstanden seine Werke in einer bewegten Umbruchszeit, die auf Machiavelli großen Einfluss übte und somit für die Rezeption von bedeutender Wichtigkeit ist.

Unter diesen geschichtsbedingten Voraussetzungen scheint es daher umso interessanter, den Machbegriff Machiavellis genauer unter die Lupe zu nehmen. Die Fragestellung dieser Arbeit soll demnach den Machbegriff Machiavellis vor dem sozialhistorischen Hintergrund der damaligen Zeit in Italien analysieren

Um dieser Fragestellung gerecht zu werden, wird zunächst ein Überblick über den politischen Hintergrund Italiens zur Zeit Machiavellis geboten. Ausgehend davon, ohne einen Schwerpunkt auf die Biografie Machiavellis zu legen, wird die Persönlichkeit Machiavellis skizzenhaft umrissen. Anschließend werden Machiavellis Anthropologie und seine Lehre vom politischen Handeln erläutert. Macht spielt dabei sowohl in seiner Anthropologie als auch in seiner Lehre vom politischen Handeln eine tragende Rolle. Als Kritik und Rezeption werden abschließend kurze Stellungsnahmen von bekannten Persönlichkeiten genannt, die häufig im Rahmen des Seminars ein weiteres Referatsthema für sich in Anspruch nahmen.


Der zeitgenössische politische Hintergrund Italiens zur Zeit Machiavellis

Die Situation Italiens ist zur Zeit Machiavellis (1469 – 1527) durch einen politischen Wandel und durch krisenhafte Prozesse gekennzeichnet. Zu Beginn seines Lebens befand sich Florenz allerdings in einer Blüte. In demselben Jahr, in dem Machiavelli geboren wurde, trat Lorenzo de’ Medici (1449 – 1492) die Herrschaft über Florenz an. Er wurde schon zu Lebzeiten als il Magnifico, der Prächtige, bezeichnet. Lorenzo gelang es, die erfolgreiche Strategie seines Großvaters Cosimo de’ Medici, das System des Gleichgewichts, aufrechtzuerhalten. Diese Balancepolitik besagte, dass den fünf italienischen Teilstaaten, den Republiken Venedig und Florenz, dem Herzogtum Mailand, dem Königreich Neapel und dem Kirchenstaat keine polisch – militärische Hegenomie, demnach eine politische Vormachts- oder Überlegenheitsposition auf der Halbinsel zustand (vgl. Rosin 2003, S. 41 f.). Zugleich gelang es Lorenzo de’ Medici durch seine kluge Personalpolitik alle wichtigen politischen Ämter mit Medici-Anhängern zu besetzen. Damit bezweckte er die Schaffung einer fürstlichen Machtposition, die hinter der Fassade einer republikanischen Verfassung, einen dauerhaften Frieden und politische Stabilität mit sich brachte (vgl. Kersting 1988, S. 13 f.). Demnach herrschte Frieden in Italien und die damit verbundenen freiwerdenden Energien ließen Florenz in einer Blütezeit erscheinen. Lorenzo förderte die Kunst und die Wissenschaften und somit sammelten sich viele Gelehrte und Künstler um ihn. Unter ihnen waren Leonardo da Vinci, Botticelli und Michelangelo, aber auch Philosophen wie Marsilio Ficino und Pico della Mirandola und die Humanisten Leon Battista Alberti und Landino. Der städtische Alltag wurde mit Festen, Theatervorführungen und Tunierspielen verschönert und Florenz genoss den Ruf einer Kulturmetropole (vgl. ebd. S. 14).

Doch mit dem Tod Lorenzos 1492 begann Italiens politische Krise. Seinem Nachfolger, sein Sohn Piero, gelang es nicht, die politische Stabilität zu halten und in den Städten entwickelte sich daraufhin wildwüchsig das Tyrannentum. Zusätzlich fielen auch noch ausländische Truppen ins Land und der französische König Karl VIII wollte seinen Anspruch auf Neapel durchsetzen.

Das Eindringen der französischen Truppen in Italien hatte zur Folge, dass Piero de’ Medici aus Florenz vertrieben wurde. Daraufhin beschleunigten sich die innenpolitischen Umbrüche. Florenz wurde daraufhin wie eine Monarchie regiert, obwohl ihm formal eigentlich eine republikanische Verfassung zu Grunde lag (vgl. Rosin 2003, S. 42).

In diesen wirren und erschütterten Verhältnissen schlug die Stunde der Dominikaners Girolamo Savonarla, der die Diktatur Gottes in Florenz errichten wollte. Er beabsichtigte beispielsweise mit Prozessionen und „Verbrennungen der Eitelkeit“ seine Idealvorstellung eines Staates, demnach eine sehr religiöse, umzusetzen. Er vermittelte ein luxusfeindliches Weltbild, mit verordneter Prüderie und mit einer öffentlich „denunziatorischer Kinderpolizei“ (Kersting 1988, S. 15), das den Italienern aber schon bald überdrüssig wurde. Die Italiener legten die militante Religiosität wie eine Laune ab und Savonarla wurde daraufhin auf dem Scheiterhaufen verbrannt (vgl. Rosin 2003, S. 43). Für Machiavelli war Savonarla zum Inbegriff des unbewaffneten Propheten geworden, der notwendigerweise scheitern muss, da er der Ansicht war, man könne politische Herrschaft allein auf einer Botschaft, einer Ideologie errichten (vgl. Kerstin 1988, S. 15).

Kurz nach dem Tode Savonarlas, noch im selben Jahr, wurde Machiavelli von der Florentiner Bürgerbewegung zum Segretario della Repubblica gewählt. Er war der Abteilung militärische Angelegenheiten und außenpolitische Beziehungen vorstehend. Einige Wochen nach seiner Einstellung wurde er zusätzlich zum Sekretär des Zehnerausschusses ernannt, der die Zweite Kanzlei leitete (vgl. ebd. 1988, S. 15).

Zu dieser Zeit bekam Florenz unter Piero Soderini wieder eine republikanische Staatsreform. Allerdings wurde die Republik Florenz 1512 durch Streitigkeiten in Unruhe versetzt und gestürzt. Unmittelbarer Anlass war die Weigerung der toskanischen Metropole der „Heiligen Liga“ beizutreten. Diese wurde 1510 von Spanien und Venedig, vom Papst und dem Kaiser gegen Ludwig XII von Frankreich geschlossen. Florenz zeigte zwar Verständnis für die deutsche und spanische Furcht vor einer französischen Vorherrschaft, allerdings war die traditionelle Freundschaft mit den Franzosen der Toskaner durch den Einmarsch Karl VIII nur teilweise getrübt und somit weigerte sich Florenz dieser Liga beizutreten (vgl. Rosin 2003, S.43). Als die Medici, immer noch und wieder das vorherrschende Regierungsgeschlecht in Florenz, daraufhin von der „Heiligen Allianz“, ein militärisches Bündnis zwischen Papst Julius II, Spanien, Venedig und England, gestürzt wurden, musste auch Machiavelli, der zu der damaligen republikanischen Elite zählte, seinen Platz räumen (vgl. ebd. 2003, S. 44).

Anschließend wechselte Florenz noch zweimal seine Verfassung (1512 und 1530), bis Cosimo I Medici (1519 - 1574) nach der Vereinigung von Florenz mit der Republik Siena vom Papst 1569 zum Großherzog der Toskana erhoben wurde. Zuvor aber, von 1527 bis 1530 gab es die letzte florentinische Republik, die im selben Jahr vor dem kaiserlich – päpstlichen Heer kapitulieren musste. Dies ist der grob umrissene historisch bewegte Hintergrund, vor dem die politischen Schriften Machiavelli´s entstehen (vgl. ebd. 2003, S. 44).

Niccolò Machiavelli – eine portraitähnliche Skizze

Der Florentiner Niccolò Machiavelli (1469 – 1527) war jahrelang Verwaltungsangestellter des Gemeindewesens in Florenz, später wurde er entlassen, er war Militärtheoretiker, politischer Reiseschriftsteller, Dramatiker und Literat. Noch heute wird Machiavelli aufgrund seines klar verständlichen Prosastils gerühmt, er ist bekannt für sein Prinzip der Staatsraison, vor allem aber erlangte er Bekanntheit als Theoretiker der Macht (vgl. Kapp 1994, S. 121 f.).

Machiavelli lieferte ein umfassendes Werk, wohl die wichtigsten darunter sind II Principe/ Der Fürst und die Discorsi sopra la prima deca di Tito Livio, kurz genannt, die Discorsi. Oft behandelt Machiavelli in seinen Werken, die oft durch Widersprüchlichkeiten, Sprunghaftigkeiten und Inkonsistenzen charakterisiert sind, die Verbindung zwischen politischer und militärischer Ordnung. Dabei erkennt und beschreibt Machiavelli immer nur ein Ziel: Die Herstellung eines funktionierenden Staates beziehungsweise eines Fürstentums, das in sich geordnet und strukturiert ist (vgl. Kuhn 1999, S, 104).

Über jene Person, der es gelingt ein strukturiertes Staatswesen zu schaffen, schreibt Machiavelli folgendes:

„Es wird kein Mensch für irgendeine Tätigkeit so gepriesen wie diejenigen, die durch Gesetze und Einrichtungen die Republiken und die Reiche reformiert haben: Es sind diese, die nach denen, die Götter gewesen sind, als Erste gelobt werden. Und weil es wenige gegeben hat, die Gelegenheit hatten, solches zu tun, und sehr wenige, die es zu tun gewusst haben, ist die Zahl derer, die es getan haben, gering. Und diese Ehre ist von den Menschen, die nie nach etwas anderem gestrebt haben als nach Ehre, so hoch geschätzt worden, dass sie, da sie in der Wirklichkeit keine Republik machen konnten, sie in Schriften gemacht haben, wie Aristoteles, Platon und viele andere.“ (Arte della guerra 1961, 275)

Wichtig ist auch, dass Machiavelli nicht von einer Utopie ausgeht. Er möchte etwas Nützliches schreiben, das auf den momentanen Realzustand zutrifft, um dann folglich die Situation zu ändern. Es geht ihm um die damals gegenwärtige Politik der wirklichen Welt. Hierzu verfasst er aufbauend auf einer pessimistischen Anthropologie, ratschlagartige Schriften, die an den uomo virtuoso gerichtet sind. Der uomo virtuoso ist jene Person, die ein Gebiet, in dem Fall das Gebiet Italiens, erobert und die chaotischen Zustände durch ordentliche ersetzt (vgl. Kuhn 1999, S. 105 ff.).

Im weiteren Sinne geht es auch um die Macherhaltung und -erweiterung des Herrschers beziehungsweise des Fürsten. Hierzu verfasst Machiavelli das Buch Il Principe, das ursprünglich auch als De Principatibus bezeichnet wurde. In diesem Werk liefert er dem neu an der Macht regierenden Fürsten Rezepte zur Machterhaltung und zur Durchsetzung seiner Souveränität (vgl. ebd. 1999, S. 105 ff.).

Allerdings sind diese Ratschläge und Empfehlungen heute wie damals sehr gewagt und regen heute noch zu widersprüchlichen Diskussionen an. Dennoch hat Machiavelli sein ursprüngliches Ziel, die Schaffung einer funktionierenden Republik, verfehlt. Florenz war zeitlang seines Wirkens eine autonome politische Einheit, nie aber eine echte Republik (vgl. ebd. 1999, S. 105 ff.). Dennoch kann Machiavelli für sich in Anspruch nehmen, dass sich seine Untersuchungen über die menschliche Natur, Umstände, Herrschaft, militärische und politische Ordnung und sein Bestreben auf Letztere Einfluss zu nehmen, deutlich von anderen Idealstaatstheorien unterscheidet und obwohl seine Werke heftig umstritten sind, geht von ihnen doch eine besondere Faszination aus (vgl. ebd. 1999, S. 105 ff).

Machiavellis politische Anthropologie

Die Abwendung der teleologischen Politikkonzeption aristotelischer Prägung

Machiavelli transportiert ein pessimistisches Menschenbild. Zur Zeit der italienischen Renaissance, die humanistische Ziele verfolgte, nimmt Machiavelli eine entschieden humanismuskritische Position ein. Sein Menschenbild ist dem entsprechend düster gestimmt und passt gut in die Tradition des Klagens und in die miseria generis humani (Elend des Menschengeschlechts). Auf das bildungshumanistische Menschenlob seiner Zeit antwortet Machiavelli mit der Dichtung L’Asino d’Oro/ Der Goldesel.

„Meine Rede würde nie enden, wenn ich zeigen wollte, wie sehr viel unglücklicher ihr seid als jedes Tier der Erde [...] Ein jedes Tier unter uns kommt bekleidet zur Welt, geschützt vor Kälte und rauer Jahreszeit unter jedem Himmel, an jedem Ufer. Der Mensch allein wird jeder Verteidigung bar geboren, er hat kein Fell, keine Stacheln oder Federn oder Vließ, noch Borsten oder Schale, die ihm ein Schild geben. Mit Weinen fängt er sein Leben an, mit schmerzvollen heisern Tönen, so dass es ihn zu sehen Mitleid erregt. Darauf erwachsen, ist sein Leben nur kurz [...] Die Natur gab euch die Hände und die Sprache, aber mit diesen gab sie euch auch den Ehrgeiz und Habsucht, die jene Güter weit aufwiegen. Welche Gebrechlichkeiten unterwirft euch nicht zuerst die Natur, und dann, wie viele Güter verspricht euch nicht das Glück, hält nicht Wort? Euer sind der Ehrgeiz, die Üppigkeit, die Tränen, der Geiz, die einen Aussatz erzeugen in eurem Leben, das ihr so sehr schätzt. Es gibt kein anderes Tier, das ein so zerbrechliches Leben hätte. [...] Kein Schwein quält das andere Schwein, kein Hirsch den anderen; der Mensch allein tötet sein Mitmenschen, kreuzigt ihn, beraubt ihn. Bedenke nun, wie kannst du wollen, dass ich wieder ein Mensch werden soll, da ich von all diesem Elend befreit bin, was ich ertrug, solange ich ein Mensch war.“

Aber auch die ethisch-politischen Auffassungen mit unverkennbaren aristotelischen Zügen stimmte Machiavelli nicht zu. Für ihn ist der Mensch nicht jenes Wesen, das seiner Bestimmung nach ein tätiges Leben in der Polis verbringt und dort in seinem Tun und Wirken im gemeinsamen politischen Schaffen seine menschliche Erfüllung findet, wie es insbesondere die alteuropäische Tradition seit Aristoteles gesehen hat. Diese Politikauffassung kann Machiavelli vor allem deswegen nicht unterstützen, da in seinen Augen eine Politik, die sich als Tugend- und Gerechtigkeitslehre verwirklichen möchte, zum Scheitern verurteilt ist (vgl. Kersting 1988, S. 32 f.).

Somit bricht Machiavelli mit der teleologischen Ausrichtung der aristotelischen Tradition. Er möchte den Weg weisen zu einem dauerhaft geordneten Staatswesen. Allerdings fanden zu jener Zeit viele machtpolitische Auseinandersetzungen in Italien statt. Ein Verfall des sittlichen und gemeinschaftlichen Wesens ging vor sich und dies wiederum hatte zur Folge, dass das individuelle private Erwerbsstreben gegenüber dem Gemeinwesen sich durchsetzte. Da Machiavelli diese Entwicklung als äußerst negativ wertete, verliert die politische Anthropologie bei Machiavelli ihren traditionellen Protagonisten: Nicht mehr der Mensch steht im Zentrum der Aufmerksamkeit, sondern die Menschen im Allgemeinen (vgl. ebd. 1988, S. 33).

In dieser Anthropologie wird der Mensch nicht als ontologisch erklärbare Wesensnatur mit Werten und Moral gesehen, sondern der Mensch wird in der Lehre Machiavellis als selbstsüchtiges Wesen mit Interessen und Leidenschaften beschrieben (vgl. ebd. 1988, S. 33). Er wird daher durch seine unveränderliche Trieb- und Bedürfnisnatur bestimmt und somit wird das bisherige Weltbild, das in gewissen Maßen bisher geordnet und strukturiert erschien, zerbrochen. Hier wird auch die von Machiavelli hinzunehmende naturale Grundlage des menschlichen Seins erkennbar, die ohne Sinn und Vernunft waltet und somit dem Gemeinschaftswesen und dem Staat schadet. Nach Machiavelli gilt es nun, nicht im Einvernehmen mit der Natur, sondern nur gegen sie, Ordnung zu schaffen (vgl. ebd. 1988, S. 35 f.).

Folglich müssen Staatsoberhäupter, die ihrem Staat eine Verfassung und Gesetze geben wollen, „davon ausgehen, dass alle Menschen schlecht sind, und daß sie stets ihren bösen Neigungen folgen, sobald sie Gelegenheit dazu haben“. (Discorsi, 20)

Daraus folgert Machiavelli, „daß die Menschen nur von der Not gezwungen etwas Gutes tun.“ (Discorsi, 20) Weiters folgt für ihn aus dieser Beschreibung die Notwendigkeit des positiven Rechts: „Wo von selbst ohne Gesetz gut gehandelt wird, sind Gesetze nicht nötig; hört aber die gute Gewohnheit auf, so ist sogleich das Gesetz nötig.“ (Discorsi, 18)

Wie bereits erwähnt, erscheint der Mensch in Machiavellis Lehre als leidenschaftliches und unpolitisches Wesen, welches freiwillig nicht bereit ist, die Bedingungen friedlicher Koexistenz zu beachten. Erst durch zwangsbewährte Institutionen ist die selbstsüchtige Natur des Menschen zu bendigen und folglich eine Ordnung möglich. Machiavelli meint in diesem Zusammenhang, dass die Politik darauf achten muss, „die Gelüste des Menschen zu zügeln und ihnen alle Hoffnung zu nehmen, bei Verfehlungen straflos auszugehen. [...] Denn nur aus Furcht [...] sind sie im Zaum zu halten.“ (Discorsi, 17 f.)

Dell’Ambizione – Über den Ehrgeiz

Ein Aspekt der Begründung für das pessimistische Menschenbild Machiavellis findet seinen Ursprung im Ehrgeiz, den ambizioni. Was treibt den Menschen zum Ehrgeiz? Quellen dafür sind laut Machiavelli der natürliche Instinkt, der eigene Antrieb, die eigene Leidenschaft (vgl. Rosin 2003, S.55 f.). Ambizioni sind demnach der Inbegriff für menschliche Begierden und Leidenschaften. Charakteristisch für sie sind ihre Heftig- und Dringlichkeit und dass sie nur auf Eigennutz und Selbstinteresse des Individuums abgestimmt und ausgerichtet sind. Wohl aber das meist abstoßende Element für Machiavelli ist, dass die ambizioni nicht vernunftgeleitet sind, sie machen sich keine Gedanken über die Konsequenzen und sie folgen auch nicht den Gesetzen der ökonomischen Rationalität. Deswegen erkennt Machiavelli in den ambizioni auch die fundamentale Ursache für innenpolitische Korruption und Unstimmigkeit. Ambizioni verbinden sich nach Machiavelli mit allen verwerflichen Verhaltensweisen und führen somit die sittliche und politische Verelendung des Gemeinwesens bei (vgl. Kersting 1988, S. 39 f.).


Die politische Erziehbarkeit des Menschen

Trotz der durchgängigen negativen Auffassung des Menschen in Machiavellis Lehre, erschöpft sich sein Menschenbild nicht im Konzept der asozialen Natur des Menschen. Machiavellis politische Anthropologie lehrt nicht nur Misstrauen gegenüber der menschlichen Begehrlichkeit, sondern er weckt auch Hoffnung auf eine gesinnungs- und charakterbildende politische Erziehbarkeit des Menschen (vgl. ebd. 1988, S. 43 S.f).

Unter der Bedingung, dass eine politische Ordnung mit geeigneten Institutionen hinreichend dauerhaft ist, kann die ursprünglich gewaltsame Anpassung des Volkes an die koexistenzsichernden Einrichtungen und an das Staatsoberhaupt internalisiert werden und folglich stellt sich eine gewohnheitsmäßige Anerkennung der politischen Ordnung ein. Anstatt Unterdrückung der sozialdestruktiven Natur des Menschen tritt allmählich durch Habitualisierung sozialkonformes Verhalten, das vielleicht sogar persönliche Interessen den gemeinschaftlichen hinten anstellt (vgl. ebd. 1988, S. 44).

Diese politische Erziehung kann aber nur in einem günstigen politischen Umfeld gedeihen, welches nach Machiavelli allein in einem republikanisch organisierten Gemeinwesen anzutreffen ist. Machiavelli ist demnach von der „Politisierbarkeit“ des Menschen unter entsprechenden Voraussetzungen überzeugt. Er wagt sogar die Aussage, dass der Mensch Abbild seiner politischen Umgebung ist und dass die „Erziehung ersetzen muss, was die Natur versagt.“ ( Discorsi, 20)

Folglich liegt es an der politischen Umgebung der Menschen, ob sie sich ihrer Triebhaftigkeit entsagen oder zu ihr hinwenden. Ist das politische Umfeld beispielsweise krisengeschüttelt und die Regierungsautorität hat ihr Durchsetzungsvermögen und ihre Macht verloren, so geben sich die Individuen nach Machiavelli dem Strudel der Triebhaftigkeit hin. In diesem Zustand herrscht Chaos, es gibt keine Vernunft, sondern Neid, Eifersucht, Geltungsstreben und Leidenschaften erobern den gesellschaftlichen Alltag. Nur die Herstellung politischer Ordnung vermag es, Individuen wieder zu ordnen und zu strukturieren (vgl. Kersting 1988, S. 45).

Um diese Ordnung zu schaffen, verfasste Niccolò Macchiavelli 1513 das Buch Il Principe/ Der Fürst, in dem er dem regierenden Fürsten Empfehlungen und Ratschläge liefert, mit dem Ziel eine stabile Gemeinschafts- und Staatsordnung herzustellen.

Machiavellis Lehre vom politischen Handeln

Machiavellis Interesse gilt der Aufklärung von Misserfolgursachen und den Bedingungen guten Gelingens politischen Handelns. In vertiefender Weise beschäftigten ihn die Herrschaftseroberung, die Machtbehauptung und die Ordnungserrichtung eines Staates. Grundlegende Fragestellungen sind dabei: Welches sind die Bedingungen politischen Erfolgs? Welches sind die Ursachen politischen Misserfolgs? Welche Faktoren entscheiden über den Ausgang einer politischen Aktion? Wie kann Kenntnis über das Zusammenwirken dieser Faktoren und ihrer Auswirkungen auf den Handlungsverlauf gewonnen werden? Wie kann man diese Faktoren für eine Optimierung politischer Tätigkeiten nutzbar machen? (vgl. Kersting 1988, S. 86).

Mit und über diese Fragen kommt Machiavelli zum Schluss, dass allein die ergebnisorientierte Betrachtungsweise in der Politik angemessen sei, "dass man bei den Dingen das Ende zu beurteilen habe, [...] nicht die Mittel, wie sie gemacht werden“. (Gesammelte Schriften 4, 464) Weiters kommt er zum Schluss, dass das Gelingen politischer Handlungen wesentlich von situativen Randbedingungen abhängig sei und so kommt er zum Schluss, dass eine wesentliche Bedingung politisch erfolgreichen Handelns im Situationsgespür und in der Erfahrung der qualità de’ tempi, dessen was Zeit verlangt, liegt.

„Weil nun [...] die Zeiten verschieden und die Ordnung der Dinge mannigfaltig, so erreicht derjenige seine Wünsche ad votum [...], dessen Art zu verfahren mit der Zeit übereinstimmt; derjenige ist unglücklich, der durch seine Handlungen von der Zeit und der Ordnung der Dinge sich unterscheidet. Es kann daher sehr wohl sein, daß zwei verschieden Handelnde einen und denselben Erfolg haben: beide können sich dem anpassen, was sie finden [...]. Aber weil die Zeiten und die Dinge im allgemeinen und einzelnen sich häufig ändern, während die Menschen weder ihre Ansichten noch ihre Art zu verfahren ändern, so ereignet es sich, daß ein Mensch eine zeitlang Glück und eine zeitlang Unglück hat. In der Tat, wer so weise wäre, daß er die Zeiten und Ordnung der Dinge erkennte und sich danach richtete, würde immer Glück haben, oder er würde sich immer vor dem Unglück bewahren. Es wäre dann wahr, daß der Tüchtige den Sternen und dem Schicksal geböte.“ (Gesammelte Schriften 4, 464)

Machiavelli will dieses Verhältnis zwischen virtù und fortuna, zwischen der Tüchtigkeit des Handelnden und dem Glück oder den situativen Umständen des Handelns aufklären mit dem Ziel, größere Rationalität und Erfolgssicherheit zu schaffen, „welche besonders einem neuen Fürsten [...] willkommen sein dürften.“ (Gesammelte Schriften 5, 409)


Die Grundbegriffe Machiavellis politischer Lehre – ein Begriffsnetz

Machiavellis Lehre besteht aus vier Grundbegriffen: fortuna, virtù, occasione und necessità. Diese Begriffe stehen in Relation zueinander und ergeben somit ein Begriffsnetz, welches von einigen Kritikern als dürftig und unzureichend bezeichnet wird (vgl. Kersting 1988, S 88).

Wichtig in diesem Zusammenhang ist allerdings, dass sich der Fürst oder der neue Herrscher in diesem Begriffsnetz bewegen muss. Er muss über ein Gespür für die Begriffe und deren Erfordernisse verfügen, da ein neuer Herrscher nach Machiavelli, in seinem Bereich ganz auf sich allein gestellt ist. Er kann oft weder auf einen Legitimationsbonus einer rechtsmäßig erworbenen Herrschaft noch auf stützende Institutionen setzen. Er hat nur seine virtù, seine Tatkraft, um sich von außen drohenden Attacken abzusichern (vgl. ebd. 1988, S. 88).

Somit wurde der erste Grundbegriff von Machiavellis Lehre erwähnt: die virtù – die Tatkraft oder auch Tapferkeit eines Herrschers. Heute würde man virtù am ehesten mit „politischen Mut“ übersetzen, denn die virtù ist die Gestaltungskraft, die der Politiker zur Machterhaltung und –erweiterung braucht (vgl. Rosin 2003, S. 57).

Ein weiterer Grundbegriff wird mit dem Terminus necessità – die Gelegenheit oder auch Nützlichkeit, Notwendigkeit erfasst. Necessità bezeichnet jene Vorgänge und Abläufe, die unveränderlich sind und durch die der Mensch determiniert ist. Ein Wissen um die necessità ist für den Herrscher wichtig, damit er nicht seine Kräfte vergeudet. Necessità bezeichnet Faktoren, auf die der Mensch keinen Einfluss hat. Umso wichtiger daher die Notwendigkeit, ein Gespür für sie zu entwickeln, um seine Kräfte zu schonen (vgl. ebd. 2003, S. 57).

Der nächste Begriff wird mit der occasione, der Gelegenheit bezeichnet. Die Gelegenheit ist als Faktor zwar nicht völlig beherrschbar, dennoch ist es für den Herrscher auch hier wichtig, ein Gespür für sie zu entwickeln. Daher umfasst die occasione auch den Sinn für besonders günstige Gelegenheiten. Ein Herrscher muss sich diese zu Nütze machen, damit sich der Erfolg einstellt (vgl. ebd. 2003, S. 57).

Zwischen der necessità und der occasione wird der letzte Grundbegriff angesiedelt: fortuna, das Glück oder Schicksal. Machiavelli meint damit, dass wenn das Glück gegeben ist, kann man es in eine Richtung wenden. Aufbauend auf der necessità, der occasione und der fortuna, sollte der Herrscher seine virtù entwickeln – sein politisches Wirken, das eingangs erläutert wurde (vgl. ebd. 2003, S. 57).

Dieses Begriffsnetz, um das der Fürst beziehungsweise der Herrscher Bescheid wissen muss, ist ein geschlossener Kreislauf, in dem sich die Begriffe gegenseitig bedingen.


Macht und Ordnung

Hat der Fürst beziehungsweise der Herrscher es nun geschafft, ein Gebiet zu erobern, muss er nun alle Macht daran setzen sich durchzusetzen um Ordnung zu schaffen. Machiavelli gibt hier dem Fürsten in seinem Buch Il Principe/ Der Fürst Empfehlungen und Ratschläge, wie er die Macht für sich beanspruchen und diese möglichst auf Dauer erhalten kann.

Der Fürst muss aufgrund des „machtgierigen Volkes“ immer auf der Hut sein. Der Mensch, geleitet von seinen Trieben und Leidenschaften, ist nicht bemüht um die Erschaffung eines geordneten Gemeinschaftswesens. Deshalb muss der Fürst anfänglich seine Macht gegenüber dem Volk akkumulieren und verteidigen. Dabei ist der Fürst, der Souverän oder der Staat für die Anhäufung der Macht verantwortlich, die sich letztendlich in einer Machtvollkommenheit äußern sollte (vgl. Rosin 2003, S, 74). Aus ihr resultieren folglich „Frieden, Ruhe und Ordnung“ sowie „Gehorsam gegenüber der Obrigkeit.“ (Principe, 57)

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass Machiavelli in der Macht nichts Schlechtes oder gar Böses erkennt, für ihn ist Macht vielmehr eine notwendige Ressource, um eine stabile Ordnung des Staates zu schaffen. Anderenfalls treiben uns der natürliche Instinkt und unsere Leidenschaft zu „Neid, Müßiggang“ und „Haß. “ (Sämtliche Werke, 237 f.)

Nun gibt Machiavelli dem frisch gebackenen Fürsten, der Italien aus den chaotischen Zuständen befreien sollte, in seinem Werk Il Principe/ Der Fürst Ratschläge, die auch als Zweck-Mittel-Empfehlungen interpretiert werden. Machiavelli richtet dabei alle seine Ratschläge nach der technischen Effizienz und der Rationalisierung von Handlungsvorhaben aus. In diesem Gefüge, wie bereits erwähnt, kommt der Macht keine böswillige oder schlechte Funktion zu, sondern sie ist das Mittel zur Erstellung von Ordnung innerhalb des Staates (vgl. Rosin 2003, S. 75).

Allerdings muss der neue Herrscher auch in Betracht ziehen, dass Macht ein Instrument ist, welches sich bei übermäßigem Gebrauch abnützt. Macht ist demnach nur beständig, wenn man sie als Instrument der Herrschaft nicht übermäßig einsetzt. Hält sich der Fürst oder der Souverän nicht an dieses Klugheitsgebot, so verliert er seine Durchsetzungskraft für seine Befehle und somit auch seine Souveränität (vgl. ebd. 2003. S. 75).


Macht und die Beliebtheitsfrage des Fürsten

Um Italien aus der ungeordneten Situation befreien zu können, muss der Fürst beziehungsweise der Herrscher Gebrauch seiner Macht machen. Macht äußert sich in diesem Zusammenhang in folgenden Formen: Macht ist Gewalt, List und Täuschung sowie Gesetze. Für Machiavelli sind Macht und Gesetze nicht widersprüchlich oder gegensätzlich. Vielmehr sind Gesetze eine, unter bestimmten Bedingungen, leistungsfähigere Form von Machterhalt. Im 17. Kapitel des Principe meint er dazu: „Einen Fürsten darf es nicht kümmern, der Grausamkeit bezichtigt zu werden, wenn er dadurch bei seinen Untertanen Einigkeit und Ergebenheit aufrechterhält“. (Principe, 129) Doch der Fürst muss klug und besonnen handeln. Demnach sollte er sich eigentlich den Menschen zuwenden und er sollte mehr geliebt als gefürchtet werden. Machiavellis Antwort auf die knifflige Beliebtheitsfrage des Fürsten ist jedoch folgende: „Die Antwort ist, daß man das eine wie das andere sein sollte; da es aber schwerfällt, beides zu vereinigen, ist es viel sicherer, gefürchtet, als geliebt zu werden, wenn man schon einen Mangel an einem von beiden in Kauf nehmen muss.“ (Principe, 129)

Der Fürst muss, dem Ratschlag von Machiavelli folgend, eine „übermäßige Machtvollkommenheit“ (Principe, 55 f.) anstreben, um somit Friede und Ordnung zu schaffen. Eine ordnungsschaffende Macht, garantiert folglich auch die Freiheit der Bürger im Rahmen der Gesetze. Allerdings versteht sich von selbst, dass nur eine durchsetzungsfähige Regierung die Einhaltung der Gesetze und der Ordnung garantiert. Somit wird auch ersichtlich, dass die Ausübung der Macht bei Machiavelli nicht willkürlich ist, sondern immer im Dienste des Staates verstanden werden muss. Somit wird aber auch gleichzeitig klargestellt, dass unter einem regierungsfähigen Staatsoberhaupt der Zustand der Gesetzeslosigkeit ausgeschlossen wird (vgl. Rosin 2003, S. 76). Beispielsweise in Bezug auf den Besitz des Volkes meint Machiavelli, dass der Fürst daher nur „so viel Furcht verbreiten sollte, daß er, wenn er dadurch schon keine Liebe gewinnt, doch keinen Haß auf sich zieht; [...] dies wird ihm stets gelingen, wenn er das Eigentum seiner Bürger und Untertanen sowie ihre Frauen respektiert.“ (Principe, 131)


Macht und Gesetze, Macht und Recht

Das entscheidende 18. Kapitel für Macht und Recht ist zugleich auch das verrufenste von Machiavellis Werk Il Principe. In diesem diskutiert er nicht nur die Vertragstreue, sondern auch das Verhältnis von Macht und Recht. „Ihr müßt nämlich wissen, daß es zweierlei Kampfweisen gibt: die eine mit der Waffe der Gesetze, die andere mit bloßer Gewalt; die erste ist dem Menschen eigen, die zweite den Tieren; da aber die erste oftmals nicht ausreicht, ist es nötig, auf die zweite zurückzugreifen. Daher muß ein Fürst es verstehen, von der Natur des Tieres und von der des Menschen den rechten Gebrauch zu machen.“ (Principe, 135) In diesem Zusammenhang stellen Gesetze und Gewalt zweierlei Kampfweisen dar, mit denen man Macht ausüben kann. Dabei gibt Machiavelli die Empfehlung, dass ein kluger Machtinhaber sich nicht an sein Wort halten kann und darf, „wenn ihm dies zum Nachteil gereicht und wenn die Gründe fortgefallen sind, die ihn veranlaßt hatten, sein Versprechen zu geben. Wären alle Menschen gut, dann wäre diese Regel schlecht, da sie aber schlecht sind und ihr Wort dir gegenüber nicht halten würden, brauchst auch du dein Wort ihnen gegenüber nicht zu halten.“ (Principe, 137)

Machiavelli zieht im 18. Kapitel auch einen Vergleich zu der animalischen Natur. Der Herrscher muss die Natur des Tieres und jene des Menschen verstehen. Der Fürst muss gleichzeitig Fuchs und Löwe sein. „Denn der Löwe ist wehrlos gegen die Schlingen, der Fuchs ist wehrlos gegen die Wölfe. Man muss also Fuchs sein, um die Schlingen zu wittern und Löwe, um die Wölfe zu schrecken.“ (Principe, 137) Somit muss der Fürst die Eigenschaften von Tier und Mensch kombinieren. Dabei rät Machiavelli, dass man seinen potenziellen Konkurrenten an Machtmitteln deutlich überlegen sein muss, man muss aber auch die Klugheit besitzen, sich im diplomatischen Verkehr zu behaupten. Der Fürst darf demnach nicht nur Löwe sein wollen. List und Gewalt sind demnach sich ergänzende Mittel zur Beeinflussung des Volkes und in weiterer Folge Mittel zur Machterlangung und –erhaltung (vgl. Rosin 2003, S. 81).

Demnach muss das Gesetz, das der Fürst bei Machiavelli durchsetzen möchte, klug, anpassungsfähig, wandelbar, schlau und listig sein. Wenn beispielsweise ein Gesetz für die ersehnte Ordnung von großer Wichtigkeit ist, so muss der Fürst darauf achten, dass es immer veränderbar und der Situation anpassungsfähig bleibt. Im Gegenzug kennt Machiavelli dauerhafte Gesetze nicht. Menschenrechte oder Grundgesetze kommen in seiner Lehre nicht vor. Hingegen ist die Machtvollkommenheit des Souveräns nicht beschränkt oder normativ-rechtlich gebunden (vgl. Rosin 2003, S. 77).

Es ist auch festzuhalten, dass für Machiavelli das Gesetz nicht ohne kontrollierende Instanz bestehen kann. Notfalls müssen auch Sanktionen als Mittel ergriffen werden, um das Ziel der Politik, die ordnungsgemäße Selbsterhaltung und Beständigkeit des Staates, durchzusetzen. Allerdings gilt dieser Grundsatz nur bis an die Grenzen der Nützlichkeit des Souveräns. Auch hier kennen die Grenzen der Nützlichkeit keine Gesetze und Normen. Die Macht des Souveräns ist nicht begrenzt, weder moralisch noch rechtlich. Allerdings wird dem Fürsten dringend empfohlen, seine Macht klug dosiert einzusetzen und er muss auch jene Gruppen beachten, die Macht in ihren Teilbereichen haben. Auf diese muss er Einfluss nehmen, um Ansehen zu gewinnen. Dazu benötigt er die oben bereits erwähnte List des Fuchses oder auch die Täuschung, um seine Macht und seinen Einfluss zu erhalten (vgl. ebd. S. 82).


Macht und Moral

Machiavelli kommt einer moralisierenden Politik nicht nach. Er bricht mit der aristotelischen Tradition. Seine Konsequenz lautet daher: [...] „denn es liegt eine so große Entfernung zwischen dem Leben, wie es ist, und dem Leben, wie es sein sollte, daß derjenige, welcher das, was geschieht, unbeachtet läßt zugunsten dessen, was geschehen sollte, dadurch eher seinen Untergang als seine Erhaltung betreibt; denn ein Mensch, der sich in jeder Hinsicht zum Guten bekennen will, muß zugrunde gehen inmitten von so viel anderen, die nicht gut sind. Daher muß ein Fürst, wenn er sich behaupten will, die Fähigkeit erlernen, nicht gut zu sein, und diese anwenden oder nicht anwenden, je nach dem Gebot der Notwendigkeit.“ (Principe, 119) Daraus folgert Machiavelli: „Deshalb ist ein Fürst, der seine Herrschaft behaupten will, häufig gezwungen, nicht gut zu handeln.“ (Principe, 153)

Für Machiavelli steht die Selbsterhaltung der Herrschaft und damit des Staates in einem unabdingbaren Vordergrund, der später die so genannte Staatsraison genannt wurde. Die Staatsraison beschreibt den Umstand, dass die Erhaltung der staatlichen Existenzsicherung absolute Priorität gegenüber allem genießt. Damit ist auch nachvollziehbar, dass für Machiavelli alles gut und erhaltenswert ist, was der Machtstabilisierung und der Ordnungserhaltung dient. Somit dient das Gute dem Staatserhalt und was dem Staatserhalt dient, ist gut (vgl. Rosin 2003, S. 83).

Moralische Erwägungen werden nach Machiavelli völlig überschätzt. Ein Fürst kann und muss folglich nicht alle guten und erstrebenswerten Eigenschaften nachweisen, denn „man muss nämlich einsehen, daß ein Fürst, zumal ein neu zur Macht gekommener, nicht all das befolgen kann, dessentwegen die Menschen für gut gehalten werden, da er oft gezwungen ist – um seine Herrschaft zu behaupten -, gegen die Treue, die Barmherzigkeit, die Menschlichkeit und die Religion zu verstoßen. Daher muß er eine Gesinnung haben, aufgrund deren er bereit ist, sich nach dem Wind des Glücks und dem Wechsel der Umstände zu drehen und – wie ich oben gesagt habe – vom Guten so lange nicht abzulassen, wie es möglich ist, aber sich zum Bösen wenden, sobald es nötig ist.“ (Principe, 139)


Macht und Religion

Religion hat für Machiavelli eine machtstabilisierende und ordnungsstiftende Funktion. Die Religion liefert nach Machiavelli eine zusätzliche Grundlage für den Herrscher und zusätzlich kann ein Gemeinwesen in der Auffassung Machiavellis nur mit Hilfe eines sozialintegrativen und das Verhalten prägenden religiösen Glaubens des Volkes bestehen. Im weiteren Sinne ist die Religion ein notwendiges Mittel zur Steigerung der Handlungsmächtigkeit um die Stabilität politischer Institutionen und gesellschaftlicher Verhältnisse über einen möglichst langen Zeitraum zu gewähren. Dabei ist für den klugen Souverän entscheidend, das Motiv der Gottesfurcht möglichst gewinnbringend als Mittel der Gesetzestreue und zur militärischen Disziplin einzusetzen. „Weil die Furcht vor dem Gesetz und vor den Menschen nicht hinreicht, bewaffnete Männer zu zügeln, so verbanden die Alten das Ansehen der Götter damit.“ (Sämtliche Werke, 151)

Religion wird somit von Machiavelli funktionalisiert und als rationales, gewinnbringendes Mittel in seine Theorie eingebunden. Sie hat machstabilisierende Funktion, sie ist Bestandteil der inneren Ordnung und der Staatsoberhauptskraft des Staates. Schlussendlich kommt Machiavelli zu der Überzeugung, dass der Fürst alles, was für die Religion spricht, unterstützt oder gefördert werden muss, auch wenn der Fürst persönlich diesen Auffassungen nicht nachkommen kann (vgl. Rosin 2003, S. 88 f.).

Machiavelli-Rezeption, Reaktionen auf Machiavelli, Kritik

Die Auseinandersetzung mit dem Werk des Florentiners Machiavelli begann sehr bald nach seinem Tode, als kurz darauf 1531 die Discorsi und 1532 Il Principe erstmals im Druck erschienen. Allerdings wurde Il Principe bald auf den Index gesetzt und die Lehren Machiavelli verbreiteten sich noch höchstens regional. Dennoch konnten sich Machiavellis Worte in England verbreiten und die Reaktionen waren recht unterschiedlich. Beispielsweise reagierte Shakespeare mit sehr negativen Bemerkungen und Kardinal Reginald Pole war überzeugt, dass dieses Werk mit den Fingern des Satans geschrieben sein müsse (vgl. Diesner 1988, S. 165). Thomas Hobbes hingegen nahm es positiv auf und wandte die Denkform des Naturgesetzes möglichst konsequent auf seine Theorie an.

In Frankreich, während der französischen Revolution äußerte man sich nicht ganz eindeutig zu Machiavelli. Man kritisierte ihn vor allem, weil er das Verbrechen und das, was man als Kunst des Tyrannisierens betrachtete, in den Vordergrund stellte. Auf der anderen Seite wurde er als Verfolgter der Medicigefolgschaft gesehen. Hingegen hat Jean-Jacques Rousseau in seinem Gesellschaftsvertrag Machiavelli ziemlich eindeutig als Mann von Ehre und als guten Bürger bezeichnet. Rousseau hat in ihm sogar einen Vorbereiter der demokratischen Republik gesehen (vgl. ebd. 1988, S. 167).

Engels würdigte Machiavelli als Militärtheoretiker und Marx weist auf die Wichtigkeit der ethisch und politischen Probleme, die Machiavelli aufgegriffen hatte, hin. Friedrich Nietzsche erwähnt das Übermenschliche, Göttliche und Transzendentale am Machiavellismus, das ihn besonders anzog. Aber er macht gleichzeitig auch die Anmerkung, dass Machiavelli für den Schöpfer des Übermenschen ein unerreichbares Ideal war (vgl. ebd. 1988, S. 167).

Foucault macht in seinem Vortrag zur Gouvernementalität am Collège de France im Studienjahr 1977 - 1978 darauf aufmerksam, dass die unmittelbare Rezeption des Principe zunächst positiv war, er wurde sogar verehrt. Am Beginn des 19. Jahrhunderts erfreut sich Machiavellis Literatur besonderer Beliebtheit in Deutschland und in Italien, hervorgebracht durch die lang anhaltende Anitmachiavelli-Literatur, die sich dem Antimachiavellismus zuordnen lässt (vgl. Foucault 2005, S. 150).

Die Antimachiavelli-Literatur wird weit gefasst, im Allgemeinen lässt sie sich aber auf katholische Wurzelnzurückführen. 1740 erscheint der Antimachiavel, den Friedrich II. von Preußen in Zusammenarbeit mit Voltaire verfasst hatte. Friedrich II. zeigt sich in diesem Werk als entschiedener Gegner Machiavellis, weil dem Fürsten das Wohl seines Volkes über alles gehen muss (Diesner 1988, S. 168).

Die Themen des Antimachiavellismus und dessen Literatur richten sich gegen die Figur Machiavelli und nehmen ihn und seine Schriften als Gegenspieler wahr. Der Analysemodus beschränkt sich jedoch nach Foucault nur auf zwei Modi: erstens versuchen die Gegner Machiavellis mögliche Gefahren, entstehend durch Machiavellis Werk, auszumachen. Zweitens versuchen sie im Vergleich zu Machiavelli einen adäquateren Umgang mit Macht zu definieren. Ob dies wirklich gelungen ist, ist allerdings fraglich. (Foucault 2005, S. 152 f.).

Abschließend lässt sich festhalten, dass Machiavelli immer nur ein Ziel vor seinen Augen hatte: die Vereinigung und Sanierung des Staates Italien. Um dieses Ziel zu erreichen, schreckte er vor unmoralischen Erwägungen nicht zurück. Dennoch ist heute seine Lehre für viele unumgänglich und seit neuerem hat die Buisinesswelt Machiavelli für sich entdeckt. Es erscheinen beispielsweise Bücher, wie „Der kleine Machiavelli“ (Peter Noll und Rudolf Bachmann, erschienen 1987 im pendo-Verlag), die dem angehenden Manager Tipps und Tricks zur Machtergreifung und -erhaltung erteilen. Demnach ist erkennbar, dass Machiavelli und seine Theorie früher wie heute noch für reichlich Aufsehen und Gesprächsstoff sorgen.


Literaturnachweise

Primärliteratur

Arte della guerra e scritti politici minori. hrsg. von Sergio Bertelli (Niccolò Machiavelli: Opere 2) Mailand 1961

Discorsi. Gedanken über Politik und Staatsführung. übersetzt von R. Zorn, Stuttgart, 1966

Gesammelte Schriften in fünf Bänden. übersetzt von J. Ziegler und N. Bauer. hrsg. von Hanns Floerke, München 1925

Il Principe/ Der Fürst. italienisch-deutsche Ausgabe. übersetzt u. hrsg. von Ph. Rippel, Stuttgart 1986

Niccolò Machiavellis sämtliche Werke. übersetzt von J. Ziegler, 8 Bände, Karlsruhe 1832 – 1841


Sekundärliteratur

Diesner,Hans-Joachim (1988): Niccolò Machiavelli. Mensch, Macht, Politik und Staat im 16. Jahrhundert. Studienverlag Dr. N. Brockmeyer, Bochum

Foucault, Michel (2005): Analytik der Macht. übersetzt von Daniel Defert/ François Ewald, Suhrkamp, Frankfurt am Main

Kapp, Volker (Hrsg) (1994): Italienische Literaturgeschichte. 2. Auflage. J.B. Metzler, Stuttgart

Kersting, Wolfgang (1988): Niccolò Machiavelli. C.H. Beck, München

Kuhn, Heinrich C. (1999): Niccolò Machiavelli (1469 – 1527). Guter Staat für schlechte Menschen. In: P. R. Blum (Hrsg.). Philosophen der Renaissance. Eine Einführung. S. 104 – 110. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt

Rosin, Nicolai (2003): Souveränität zwischen Macht und Recht. Probleme der Lehren politischer Souveränität in der frühen Neuzeit am Beispiel von Machiavelli, Bodin und Hobbes. Verlag Dr. Kova?, Hamburg



Seminararbeit für das Seminar: Geld - Macht - Spaß - Bildung (SE 190262) im Sommersemester 2006