KRUTZLER, Stefanie (Referat1)

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DISKUSSION (1.Referat KRUTZLER, Stefanie)

Referat zur Ringvorlesung, gehalten von Arno Böhler am 4.12.

  • verfasst von Stefanier Krutzler


B. beginnt mit dem Ausspruch, dass wir uns langsam auf den Weg zum Denken machen sollen. Er sieht es als Gegenkraft zur Beschleunigung und fordert auf, Umwege zu gehen. Als Ziel der Lehrveranstaltung nennt er in seinem Konzept die Konkretisierung des aisthetisch – korporalen Handlungsbegriffes. B. sieht das Partizip Präsens als grammatikalische Grundform aller Verben. Das meint, dass Tätigkeiten aktuell vollzogen werden müssen, damit sie in der Tat stattfinden. Auch das Wort „sein“ hat grammatikalisch die Form eines Verbes. Nun stellt sich die Frage, wie die aktuelle Teilhabe des Seienden am Sein gedacht werden muss. • Hans Dieter Mersch Er entwickelt ein ek-phantisches Seinsverstehen. Ek-phantisch: Kommt vom Griechischen ek – phaino und heißt offenbaren, zum Vorschein bringen, sichtbar werden; darunter wird eine Art von Seinsaktivität verstanden, die dafür verantwortlich ist, dass Erscheinungen zum Vorschein kommen. Also etwas, dass im Entstehen ist. Das ist eine Art von Erscheinen, indem etwas, nämlich das Ding selbst, zum Vorschein kommt. Ein im Hervorkommen sich selbst offenbaren. Das Wort ek – phantisch setzt sich aus dem griechischen Wort „phaino“, scheinen und dem Präfix „ek“, heraus, zusammen. Die Vorsilbe drückt aus, dass sich Erscheinungen im Zuge ihres Erscheinens selbst weltweit exponieren. So wird Kundtun, Offenbaren durch die Ausbreitung in Raum und Zeit sichtbar. Bsp.: „Die Sonne scheint“. Sonne = Subjekt scheinen = Prädikat Die Sonne tut also etwas, sie breitet sich in Raum und Zeit aus. Erscheinungen haben den Charakter einer „res extensa“, weil sie in ihrem Erscheinen ursprünglich nichts anderes tun, als sich in ihrem Dasein auszudehnen. Es ist ihre Natur pulsierend und ausbreitend in Erscheinung zu treten. Wo immer Erscheinungen zum Vorschein kommen, findet eine zeitliche und räumliche Ausbreitung, Ausdehnung der Erscheinung statt. Begriffserklärungen: Sanskrit: brihat = ausbreiten, ausweiten, ausdehnen, strahlen, aufheitern; das englische „bright“ (aufheitern, lächeln) leitet sich davon ab. Hier wird die affektive Qualität der englischen Sprache deutlich. Sie zeigt die Ausdehnung als etwas Lustvolles. Sein wird so zum Erscheinen. Es entwickelt sich eine dynamische Naturvorstellung, in der jeder Punkt als Folge seiner körperlichen Natur expandiert. Bedingt durch die zeiträumliche Ausbreitung von Erscheinungen nehmen sie mit der Zeit folglich immer mehr Raum ein, ihrer Natur folgend, breiten sie sich kontinuierlich über den Weltraum hinaus aus. Das griechische Wort „ek – phaino“ hat ursprünglich daher nichts mit der Offenbarung zu tun, sondern mit der Tätigkeit des sich Öffnens einer Erscheinung für ihre Umgebung. [Als Weltraum beschreibt B. jenen Raum, der Ausdehnung von Erscheinungen, den sie sich mit anderen Erscheinungen teilen.] • Expansion von Erscheinungen Körper streben mit und untereinander in Berührung. Aristoteles: Körper reichen genau so weit, wie sie andere Körper berühren und damit abgrenzen. Körper existieren als ein Wegbewegen von sich, als ein sich Ausbreitendes in Raum und Zeit. Ein Ort der Berührung kommt durch das Aufeinandertreffen von mehreren Körpern zustande. Dort bricht sich die Ausdehnung einer Erscheinung an einer anderen Erscheinung und es bilden sich Orte aus, an denen es zu Wechselwirkungen zwischen Erscheinungen kommt. Im Zuge einer solchen Berührung wird eine Erscheinung anderen ausgesetzt und erleidet durch das Aufeinanderstoßen eine Einschränkung ihres eigenen Daseins. Bsp.: Weil Körper expandieren, bleiben auch Gesten des Versteckens sichtbar, offenkundig. D.h. ich kann mich dem im offenen Raum-befinden nicht zurückziehen. Da die Vermeidung von Kontakt nicht möglich ist, stellt sich die Frage, wie er taktvoll vollzogen werden kann, soll. Es ist zu unterscheiden, ob es nur ein mechanisches Zusammentreffen im Raum ist, oder ob es bei jedem Kontakt darum geht, wie er statt findet (im Sinne von Berührung). Das Problem, das angesprochen ist, berührt jeden von uns hautnah am eigenen Leib: Wir können uns dem Ausgesetzt-sein nicht entziehen und werden uns so der Verletzlichkeit unseres Fleisches bewusst. Es ist gänzlich unmöglich so zu tun, als würde er nicht im Raum erscheinen. Hier kommt Ethik zum Tragen.

• Fjodor M. Dostojewskij „Schuld und Sühne“ Während der Roman entstand beschäftigte sich D. mit dem Deutschen Idealismus (Kant, Hegel) und so geht auch der Roman der Frage nach einer idealistischen Art von Ethik nach. Der Roman ist eine Konstruktion von Ethik, praktischer Vernunft im Sinne Kants. Raskolnikow, obwohl unter ökonomischen Zwängen leidend, wehrt sich gegen die Beschaffung von Geld und widmet sich ganz dem Denken. Er entwirft eine „Theorie über das Verbrechen“, die aber erst dann Wert hat, wenn er sie auch in die Tat umsetzt. Die Handlung selbst wird so zur angewandten Wissenschaft und hat den Charakter eines wissenschaftlichen Experiments, das am Fleisch der Welt erprobt wird, um die Theorie zu bezeugen. Der Mensch gilt als Freiheitswesen. Jedoch lassen viele diese außer Acht und handeln unreflektiert nach vorgegebenen Gesetzen. Für R. sind diese Unmenschen, die die Freiheit verkommen lassen. Sobald ein Individuum seine Theorie als richtig einsieht, hat es diese zu befolgen. So wird die Theorie zur Handlungsmaxime, die mittels der Reflexion gefunden wurden. Sein Opfer wählt R. nicht reflexiv aus, sondern durch ein ästhetisches Gefühl der Abneigung, Antipathie einer alten Wucherin gegenüber. Durch eine glückliche Fügung des Schicksals erfährt R., dass die Alte am nächsten Tag alleine Sein wird und nützt die günstige Gelegenheit. In diesem Moment des Entgleitens, es unterlag nicht R. Kontrolle diesen Zeitpunkt herauszufinden, entsteht eine Art Sog (Thrill), dem er sich nicht mehr entziehen kann. Es entsteht eine Art performativer Zwang, die Theorie praktisch umsetzen zu müssen. R. handelt schließlich wirklich. Der Bedeutung seines Namens folgend (Raskolnikow ist im Russischen der Spaltende) tötet er mit einem Beil. Es kommt zur gänzlichen Umwendung. Die Theorie hätte besagt, dass R. nach dem Mord mit sich im Reinen stehen wird. Er nahm an, dass Theorie und Praxis in Einklang stehen. Jedoch führte die praktische Umsetzung nicht zur erhofften Souveränität, sondern es kam zu einer Unstimmigkeit die in der Theorie keine Rolle spielt. Der eigene Körper ekelt sich, reagiert allergisch. Es gibt einen Antagonismus zwischen Ordnung des Fleisches und intellektueller Ordnung des Geistes. R. beginnt zu zittern, fällt in Ohnmacht. Die Eigendynamik seiner sensiblen Natur sträubt sich gegen den Mord an zwei Personen der Bezeugung seiner Theorie willen. Sonja, mit der ihn von Anfang an ein Band der Sympathie verband, wird er sein Experiment gestehen. Durch sie nimmt R. wieder eine Bindung mit der Physis auf („es passiert etwas zwischen ihren Körpern“). Er revidiert seine Wertschätzungen, bleibt aber von der rationalen Richtigkeit seiner Argumentation überzeugt. Es liegt im Wesen der Ratio, dass sie unabhängig von Gefühlen agiert; sie schließt Gefühl und Affektivität als Wahrheitsquelle aus. Und gerade dieser Ausschluss macht die „Moderne“ für Dostojewskij zu einer kriminellen Angelegenheit und so lässt er Raskolnikow sich vom Modernen abwenden und einem Denken der Zukunft hingeben (mit und nicht gegen den Körper philosophierend).


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