Diskussion:Jürgen Habermas: Ad Ratzinger

Aus Philo Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche

Habermas schreibt:"Wenn man hingegen das demokratische Verfahren nicht wie Kelsen oder Luhmann positivistisch, sondern als eine Methode zur Erzeugung von Legitimität aus Legalität begreift, entsteht kein Geltungsdefizit, das durch "Sittlichkeit" ausgefüllt werden müsste."

Ich verstehe Habermas so, dass er durchaus davon ausgeht, "die Staatsgewalt" könne ohne Werte und Normen auskommen (bzw. müsse sie das), die einzelnen Menschen hätten jedoch wichtiger Weise sehr wohl Werte und Normen verinnerlicht (diese auch aus einer religiösen Denktradition heraus).

Bei diesem Zitat erscheinen mir zwei Punkte bedenklich:

1.)Die massive Unterdrückung der Frauen in "liberalen" Rechtsstaaten hat meines Erachtens hinlänglich gezeigt und zeigt noch, dass "der Staat" nicht neutral, also nicht ohne Weltbild ist. Ein solch neutraler Staat ist ein theoretisches Konstrukt, das ohne Menschen, denen Luhmann Werte zuspricht, nicht existieren kann. 2.)Die Tradition, aus der sich liberale Rechtsstaaten entwickelten, ist eine, in der Staaten bedingt durch eine nicht vorhandene Werteneutralität ihren Geltungsbereich im Sinne von der Durchsetzung der Legalität selbst eingeschränkt haben. Z.B. war das Gewaltmonopol des Staates kein reines, ein Gewaltmonopol der Männer im "privaten" Rahmen blieb lange Zeit aufrecht, so wurde etwa Vergewaltigung in der Ehe meines Wissens in Österreich erst 1989 (!!) zu einer Strafhandlung!

Mir scheint die Habermas´sche Perspektive hier etwas Wichtiges zu vergessen: Es ist nicht nur wichtig, ob liberale Staaten neutral sein müssen/ sollen oder nicht- sie sind es schlicht nicht!

Daher scheint es mir auch ungenügsam, sich einen Staat zu wünschen, der rein auf Legalität abzielt: 1.) sind Gesetze nicht neutral, wenn es der/ die GesetzgeberIn nicht ist, 2.) werden Gesetze in der Praxis notwendigerweise oft erst beschlossen, wenn ein Problem bereits aufgetreten ist und die Gesetzgebung kommt den vielen Problemen unserer Gesellschaften nicht nach. Gestze hinken in der Regel Gesellschaftsentwicklungen hinterher! 3.)wurde gezeigt, dass etwa die "neutrale" Lösung einer gesetzlichen Gleichstellung von Frauen mit Männern nicht ausreicht, damit Frauen Männern gegenüber nicht diskriminiert sind.

Eine Weiterentwicklung weg von dieser naiven/ bösartigen (?) Haltung des Genügens von Legalität gibt es ja bereits, vgl positive Diskriminierung - Bevorzugung z.B. von Frauen gegenüber Männern etwa bei der Postenvergabe, Antidiskriminierungspolitik auch in Bezug auf AusländerInnen, Menschen ausländischer Herkunft, etc.!--Sophie 13:32, 23. Nov 2005 (CET)


"Die Staatsgewalt" muss keine Anleihen machen und sie verfügt nicht über eine eigene "tiefe" Einsicht in vorzuschreibende Werte. Sondern die Verbindlichkeit dessen, was die Gesetze vorschreiben, entsteht durch die Einhaltung der Regeln einer geordneten, demokratischen Willensbildung (Legalität --> Legitimität). Die Ergebnisse sind tatsächlich nicht neutral. Sie tragen den Stempel der Zeit und der Menschen, die in einer solchen Gesetzeserstellung involviert sind. Man kann sich eben nicht (Lessing) auf ein "Wesen des Menschen" zurückziehen, das die ausgesprochen angenehme Eigenschaft hätte, für alle gültig und gleichzeitig inhaltlich bestimmt zu sein.

Das sind zwei verschiedene Perspektiven:

  • Der Staat ist neutral entsprechend dem Prinzip des gleichen Rechtes aller, an seiner Gestaltung teilzunehmen
  • Jeder Staat ist konkret mit Ungleichheit behaftet

Ich sehe ein, dass man gegen eine überzogene Rhetorik "des Rechtsstaates" auf das konkrete Unrecht hinweist (war ja auch mein Punkt mit Lennart Binder). Aber dabei sollte man nicht übersehen, dass

  • die Idee des modernen Rechtsstaates eine lohnende Konstruktion ist
  • der Vorschlag Habermas' ein bedenkenswerter Versuch ist, aus der Kelsenschen Neutralität des Entscheidungsverfahrens einen normativen Inhalt zu gewinnen.

Etwa so: Im Wiki kann - rein technisch - jede schreiben. Daraus kann sich - inhaltlich - eine Identifikation mit den Resultaten der Diskussion ergeben. --anna 20:01, 23. Nov 2005 (CET)

Ich stimme darin überein, dass die "Idee", alle Menschen müssen gleich viele Rechte (auch zur Partizipation!) haben, gutzuheißen ist, möchte aber dennoch darauf hinweisen, dass der "westliche" moderne Rechtsstaat, wie wir ihn kennen, per se nicht neutral ist, sondern wesentlich geprägt durch bestimmte Werte und Haltungen bzw. auch Machtverhältnisse konstituiert wurde- vgl. Rechte der Frauen - lange Zeit auch rechtliche Unterscheidungen!- und heute noch die Einschränkung "aller Menschen" auf StaatsbürgerInnen, die gleiche Rechte haben sollen; weiters das Beruhen dieses Rechtsstaats auf einer Trennung von Öffentlichkeit und Privatheit, die in großem Ausmaß konstruiert ist; aus dieser Differenzierung heraus entstand eine Problematik der Ungleichheit, die die Frage aufwirft, ob gleiche Rechte auch immer tatsächlich gleiche Chancen bieten, das Rechtsstaats- Konzept in seiner hier vorliegenden Ausprägung also überhaupt ausreichend ist!--Sophie 13:31, 7. Dez 2005 (CET)