Aus: Was ist eigentlich ein Begriffsschema?

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Begriffsrelativismus?

Aber wie beeindruckend derartige Beispiele mitunter sein mögen, sie sind nicht so extrem, daß es unmöglich wäre, die Änderungen und die Gegensätze mit Hilfe der Mittel einer einzigen Sprache zu erklären und zu beschreiben. Whorf, der nachweisen möchte, daß die Hopisprache eine Metaphysik beinhaltet, die der unseren so fremd ist, daß Hopi und Englisch nicht einander entsprechend »adjustiert« werden können (wie er es formuliert), bedient sich des Englischen, um den Inhalt von Mustersätzen der Hopisprache mitzuteilen. Kuhn gelingt es glänzend, darzulegen, wie die Dinge vor der Revolution standen, indem er unsere nachrevolutionäre Ausdrucksweise verwendet — welche sonst? Quine vermittelt uns einen Eindruck von der »prä-individuativen Phase der Evolution unseres Begriffsschemas«, während Bergson schildert, wohin wir uns begeben können, um einen Ausblick auf einen Berg zu gewin­nen, der nicht durch diese oder jene ortsgebundene Perspektive verfälscht wird.

Die bestimmende Metapher des Begriffsrelativismus — das Bild der unterschiedlichen Standpunkte - scheint eine zugrundeliegende Paradoxie zu verraten. Verschiedene Standpunkte haben zwar Sinn, aber nur wenn es ein gemeinsames Koordinatensystem gibt, in dem man ihre Stelle abtragen kann; doch das Vorhandensein eines gemeinsamen Systems straft die These der überwältigenden Unver­gleichbarkeit Lügen. Was wir brauchen, ist, wie mir scheint, eine gewisse Vorstellung von den Überlegungen, die der begrifflichen Gegensätzlichkeit Grenzen setzen. Es gibt extreme Annahmen, die an Paradoxen oder Widersprüchen scheitern, und es gibt harmlose Beispiele, die wir ohne weiteres verstehen. Wodurch wird bestimmt, an welcher Stelle wir den Schritt vom bloß Fremden oder Neuartigen zum Absurden tun?

Begriffsschemata

Akzeptieren können wir die Theorie, die den Besitz einer Sprache und den Besitz eines Begriffsschemas miteinander verknüpft. Diese Verbindung kann man sich so denken: Wo Begriffssche­mata auseinandergehen, unterscheiden sich auch die Sprachen. Den Sprechern verschiedener Sprachen kann jedoch ein Begriffs­schema gemeinsam sein, sofern eine Möglichkeit besteht, die eine Sprache in die andere zu übersetzen. Die Untersuchung der Ubersetzungskriterien ist daher ein Weg, unser Augenmerk auf die Identitätskriterien der Begriffsschemata zu richten. Werden Begriffsschemata nicht in dieser Weise mit Sprachen verknüpft, wird das ursprüngliche Problem unnötig verdoppelt, denn wir müßten uns ausmalen, daß der Geist mit Hilfe seiner normalen Kategorien eine Sprache mit ihrer eigenen Ordnungsstruktur handhabt. Unter diesen Umständen würden wir gewiß die Frage stellen wollen, wer denn hier das Sagen haben soll.

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Begriffsschemata können wir demnach mit Sprachen gleichsetzen bzw. richtiger: mit Mengen ineinander übersetzbarer Sprachen, denn wir ziehen die Möglichkeit in Betracht, daß mehr Sprachen als nur eine dasselbe Schema zum Ausdruck bringen können. Sprachen werden sich nach unserer Auffassung nicht von den Seelen trennen lassen; eine Sprache sprechen ist kein Merkmal, das der Mensch verlieren kann, während er sein Denkvermögen bewahrt. Es beste­hen also keine Aussichten, jemand könne einen Beobachtungspo­sten zum Vergleich von Begriffsschemata beziehen, indem er zeit­weilig sein eigenes abstreift. Können wir demnach behaupten, daß zwei Personen verschiedene Begriffsschemata haben, wenn sie Sprachen sprechen, die sich nicht ineinander übersetzen lassen?

Wie umfassend ist ein Begriffsschema? Im Fall von Whorf handelt es sich um eine Stammessprache im Ganzen, im Fall von Kuhn um die Sprache der Physik. Die Überlegung Davidsons ist dementsprechend zu differenzieren:
  • In der ganzheitlichen Lesart sagt er, dass man sich nicht ausserhalb der eigenen Sprache und Denkweise aufstellen kann, um die eigene Position mit anderen zu vergleichen. Das erinnert an Wittgensteins Tractatus.
  • In der abgeschwächten Form heisst das: es ist vielleicht möglich, ein bestimmtes Begriffsschema zu verlassen, aber dabei muss die Person sich dennoch immer eines Begriffsschemas bedienen. Sie kann nicht ohne Sprachgebrauch Sprachen vergleichen.
Rückblick zum Richter in Lessings Ringparabel (und Anwendung auf die Problemstruktur der Hasen/Ente und der Toleranz zwischen Religionen): die Rolle des Richters ist durch den Vergleich zweier Sprach- und Handlungsformen definiert. Dieser Vergleich kann nur stattfinden, wenn der Richter seine Sprache zur Hilfe nimmt. Er ist unparteilich/parteilich. Die Tatsache, dass er zwischen zwei Positionen vergleicht, bedeutet nicht, dass er dabei seine eigene Position mit etwas verlgeicht. Das ist auch in Quines "Ontologische Relativität" gesagt. Davidson fragt darüber hinaus, unter welchen Umständen die "Muttersprache" grundsätzlich relativiert werden kann.
Läßt sich die Relativierung des eigenen Standpunktes auf die Sprache ausdehnen, in welcher diese Relativierung stattfindet?
  • Einerseits schon, um den Preis eines weiteren Sprachgebrauches
  • Andererseits nicht: es ist unmöglich, zu relativieren, ohne Stellung zu nehmen
"Das ist ein Hase", "Das ist eine Ente" -- Aus der Distanz sind diese Aussagen relativierbar. Sie lassen sich in ihrer Widersprüchlichkeit systematisch aufeinander beziehen. Dazu ist nötig, dass Striche als Darstellung gesehen werden etc.

Vollständige Unübersetzbarkeit

Nach Kuhn sind Wissenschaftler, die in verschiedenen wissen­schaftlichen Traditionen (im Rahmen verschiedener »Paradig­men«) arbeiten, »in verschiedenen Welten tätig«. Strawsons Buch "The Bounds of Sense" beginnt mit der Bemerkung: »Es ist möglich, sich Arten von Welten vorzustellen, die von der Welt, wie wir sie kennen, ganz verschieden sind.« Da es höchstens eine Welt gibt, sind diese Pluralgebilde metaphorisch oder bloß vorge­stellt. Diese Metaphern sind jedoch keineswegs gleich. Strawson fordert uns auf zu der Vorstellung möglicher nicht-wirklicher Welten: Welten, die sich durch den Gebrauch unserer jetzigen Sprache beschreiben ließen, indem man die Wahrheitswerte in verschiedenen systematischen Weisen anders auf die Sätze ver­teilt. Die Deutlichkeit der Gegensätze zwischen Welten beruht in diesem Fall auf der Annahme, daß unser Schema der Begriffe — unsere Beschreibungsmittel — unverändert bleibt. Kuhn dagegen will, daß wir an verschiedene Beobachter derselben Welt denken, die mit inkommensurablen Begriffssystemen an sie herangehen. Strawsons viele vorgestellte Welten werden vom selben Stand­punkt gesehen, gehört oder beschrieben; Kuhns eine Welt wird von verschiedenen Standpunkten gesehen. Es ist die zweite Meta­pher, mit der wir uns beschäftigen wollen.

Bei Strawson bleibt das Begriffsschema unverändert. Das heißt: Wir haben eine Theorieform, die sich verschieden anwenden läßt. Das entspricht der Syntax der Hasenente. Wir können eine neutrale Beschreibung der Gemeinsamkeit der divergenten Sichtweisen finden. Der Schritt darüber hinaus besteht darin, die Vorgabe z.B. als Skizze oder als Dekoration zu betrachten. Dabei bleibt kein gemeinsamer "Bedeutungsrest", welcher den Anwendugen analytisch vorangestellt werden könnte.

Die erste Metapher verlangt, daß in der Sprache zwischen Begriff und Inhalt unterschieden wird: Wir beschreiben alternative Wel­ten, indem wir ein starres System von Begriffen (Wörtern mit feststehenden Bedeutungen) verwenden. Manche Sätze werden einfach aufgrund der beteiligten Begriffe oder Bedeutungen wahr sein, andere aufgrund der Beschaffenheit der Welt. Bei der Beschreibung möglicher Welten spielen wir nur mit Sätzen der zweiten Art.

Die zweite Metapher deutet statt dessen auf einen Dualismus ganz anderer Art hin, auf einen Dualismus zwischen Gesamtschema (oder Sprache) und uninterpretiertem Inhalt. Ein Eintre­ten für den zweiten Dualismus steht zwar nicht in Widerspruch zur Befürwortung des ersten, kann jedoch durch Angriffe auf den ersten begünstigt werden. Das geht womöglich wie folgt: Wenn man die Unterscheidung zwischen analytisch und synthe­tisch als eine Grundlage des Sprachverstehens fallenläßt, gibt man damit die Idee auf, wir könnten deutlich zwischen Theorie und Sprache unterscheiden.

Die in Aussicht genommene Verwendung (als Tierdarstellung oder Serviettenmuster) prägt auch die quasi formale Vorgabe. Die Striche am Papier für sich genommen stellen keine Verbindung zwischen Tierwelt und Dekoration her. "Dieser Strich als ..." bettet die formale Vorgegebenheit bereits in einen praktizierten Vergleich ein. Anders gesagt: Dass beide Verwendungen "eine formale Voraussetzung" (eine gemeinsame Syntax) haben, ist im Rahmen dieser zweiten Metapher nicht selbstverständlich. Die Einigung auf eine derartige Syntax ist schon ein Verständigungsschritt. Diese Neutralität ist keine neutrale Vorgabe.

Die Bedeutung — das Wort in vagem Sinne gebraucht — ist kontaminiert durch die Theorie, durch das, was für wahr gehalten wird. Feyerabend formuliert das so:

Unser Argument gegen die Bedeutungsinvarianz ist einfach und, klar. Es geht davon aus, daß einige der Prinzipien, die mit der Bedeutungsbestim­mung früherer Theorien oder Standpunkte zu tun haben, gewöhnlich in Widerspruch stehen zu den neuen ... Theorien. Unser Argument ver­weist darauf, daß es natürlich ist, diesen Widerspruch aufzulösen, indem man die störenden früheren Prinzipien eliminiert und durch Prinzipien oder Theoreme einer neuen ... Theorie ersetzt. Und abschließend zeigt unser Argument, daß ein solches Vorgehen auch zur Eliminierung der früheren Bedeutungen führt.

Nun verfügen wir, wie es scheint, über eine Formel zur Erzeu­gung verschiedener Begriffsschemata. Wir erhalten ein neues Schema aus einem alten, sobald die Sprecher einer Sprache einen wichtigen Bereich von Sätzen, die sie früher für falsch hielten, als wahr akzeptieren (und umgekehrt natürlich auch). Diesen Wan­del dürfen wir nicht so beschreiben, als handele es sich um nichts weiter, als daß die Sprecher früher Falsches später für etwas Wah­res erachten, denn eine Wahrheit ist eine Proposition, und was die Sprecher nun — indem sie einen Satz als wahr anerkennen – akzeptieren, ist nicht dasselbe, was sie früher, als sie den Satz für falsch hielten, abgelehnt haben. Eine Veränderung hat die Bedeu­tung des Satzes erfaßt, denn jetzt gehört er zu einer neuen Spra­che.

Zur Veranschaulichung kann man an die String-Theorie denken. Sie ersetzt die Elementarteilchen der Kernphysik durch Saiten ("strings"), die in einem vieldimensionalen Raum schwingen. Wie verändern sich die Termini "Elementarteilchen" und "Dimension" zwischen den beiden Theorien?

...

Ich für mein Teil glaube nicht, daß es die Wissenschaft oder unser Verständnis weiterbrächte, wenn wir diesen Rat befolgten, obwohl es uns vielleicht sittlich fördern würde. Hier geht es jedoch nur um die Frage, ob wir, wenn solche Veränderungen stattfänden, berechtigt wären, sie als Veränderungen unseres fun­damentalen Begriffsapparates zu bezeichnen. Das Problematische dieser Bezeichnung ist leicht einzusehen. Denken wir uns, ich will in meinem Amt als Minister für Wissenschaftssprache den neuen Beamten davon abhalten, Wörter zu verwenden, die sich etwa auf Emotionen, Gefühle, Gedanken und Absichten bezie­hen, und statt dessen soll er von den physiologischen Zuständen und Ereignissen reden, von denen angenommen wird, sie seien mehr oder weniger identisch mit dem mentalen Plunder. Wie soll ich angeben, ob mein Rat befolgt worden ist, wenn der neue Beamte eine neue Sprache spricht? Soweit ich weiß, können die funkelnagelneuen Wendungen — obwohl sie der alten Sprache entlehnt sind, in der sie sich auf physiologische Regungen bezie­hen — aus seinem Munde kommend dieselbe Rolle spielen wie die liederlichen alten Begriffe.

Das dritte Dogma

Die Analytisch/synthetisch-Unterscheidung wird jedoch durch einen Gedanken erklärt, der dazu dienen kann, den Begriffsrelativismus zu untermauern, nämlich durch den Gedanken des empirischen Gehalts. Der Dualismus des Synthetischen und des Analytischen besteht zwischen Sätzen, von denen einige sowohl aufgrund ihrer Bedeu­tung als auch aufgrund ihres empirischen Gehalts wahr (oder falsch) sind, während die anderen einzig und allein vermöge ihrer Bedeutung wahr (oder falsch) sind, da sie keinen empirischen Inhalt haben. Wenn wir diesen Dualismus fallenlassen, geben wir zwar die damit einhergehende Bedeutungskonzeption auf, brau­chen aber nicht auf die Idee des empirischen Inhalts zu verzich­ten: Wir können, wenn es uns beliebt, geltend machen, daß alle Sätze empirischen Gehalt haben. Dieser empirische Inhalt wird seinerseits erklärt durch Bezugnahme auf die Fakten, die Welt, Erfahrung, Empfindung, die Gesamtheit der Sinnesreizungen oder dergleichen. Die Bedeutungen gaben uns ein Verfahren, über Kategorien, die Ordnungsstruktur der Sprache usw. zu reden; aber wie wir gesehen haben, ist es möglich, Bedeutungen und Analytizität fallenzulassen und zugleich den Gedanken der Sprache als Verkörperung eines Begriffsschemas beizubehalten. So erhalten wir anstelle des Analytisch/synthetisch-Dualismus den Dualismus von Begriffsschema und empirischem Inhalt. Der neue Dualismus ist die Grundlage eines um die unhaltbaren Dog­men der Analytisch/synthetisch-Unterscheidung und des Reduk­tionismus verkürzten Empirismus — d. h. ihm ist die nicht zu verwirklichende Idee kupiert worden, wonach wir empirischen Gehalt Satz für Satz eindeutig zuordnen können.

Die Bedeutung von "Elementarteilchen" wird festgelegt durch (1) physikalische Theorien und (2) deren empirische Bestätigung. Im Grenzfall trifft man auf Sätze, die keine empirischen Annahmen enthalten, sondern ausschließlich die theoretischen Annahmen explizieren. Die Ablehnung des Unterschiedes zwischen analytischen und synthetischen Sätzen bedeutet, dass zwischen internen und externen Sätzen (Carnap) nicht säuberlich unterschieden werden kann. (Quines Kritik an Carnap). Es läßt sich nicht eindeutig feststellen, wann über eine Sache verschiedene Auffassungen vertreten werden, und wann von zwei verschiedenen Sachen die Rede ist.
Davidson akzeptiert Quines Carnap-Kritik und präzisiert die Voraussetzungen des ontologischen Relativismus: Verschiedene, eventuell inkompatible, Sprachmuster stehen der Erfahrungswelt gegenüber.

Ich möchte behaupten, daß sich dieser zweite Dualismus von Schema und Inhalt, von ordnendem System und etwas, was darauf wartet, geordnet zu werden, weder verständlich machen noch rechtfertigen läßt. Er ist seinerseits ein Dogma des Empi­rismus, das dritte Dogma. Das dritte und vielleicht das letzte, denn wenn wir dieses Dogma fallenlassen, ist nicht klar, ob überhaupt noch etwas Spezifisches übrigbleibt, was Empirismus zu nennen ist.

Der neutrale Bezugspunkt

Der Dualismus von Schema und Inhalt ist in vielfältiger Weise formuliert worden. Hier einige Beispiele: Das erste stammt von Whorf, der ein Thema von Sapir weiter ausführt. Whorf sagt,

... daß die Sprache eine Ordnung der Erfahrung herbeiführt. Wir sind geneigt, die Sprache bloß als Ausdruckstechnik aufzufassen, ohne zu erkennen, daß sie in erster Linie den Strom der Sinneserfahrung klassifiziert und gliedert, woraus eine gewisse Weltordnung resultiert ... Mit anderen Worten, das Verfahren der Sprache ist zwar weniger komplex als das der Wissenschaft, doch in umfassenderer und flexiblerer Weise leistet sie dasselbe ... So gelangen wir zu einem neuen Relativitätsprinzip, das besagt, daß nicht alle Beobachter durch dieselben physikalischen Belege zum selben Weltbild geführt werden, es sei denn, ihr sprachlicher Fundus ist gleich oder kann in irgendeiner Weise adjustiert werden.?

Hier haben wir alle erforderlichen Bestandteile: die Sprache als ordnende Kraft, die nicht deutlich von der Wissenschaft zu unterscheiden ist; das, was geordnet und, je nachdem, als »Erfahrung«, »Strom der Sinneserfahrung« und »physikalische Belege« bezeichnet wird; und schließlich die wechselseitige Unübersetzbarkeit (Mißlingen der »Adjustierung«). Wechselseitige Unübersetzbarkeit ist eine notwendige Bedingung des Unterschieds von Begriffsschemata; die gemeinsame Beziehung zur Erfahrung bzw. zu den Belegen ist das, was uns helfen soll, die Behauptung verständlich zu machen, daß es Sprachen oder Schemata sind, denen die Betrachtung gilt, wenn die Übersetzung mißlingt.

Nach dem Carnapschen Muster widersprechen einander die Hasen- und Entendeutung, es gibt jedoch eine Gemeinsamkeit, nämlich die doppeldeutige Zeichnung, die auch einen gemeinsamen visuelle Zug der beiden Tiere wiedergibt. Wenn man nun eine Vorgabe als Skizze oder Gekritzel auffasst - wo treffen diese Sichtweisen aufeinander? Kann man sagen: etwas haben sie gemeinsam? Kann man darüber verschiedener Meinung sein?

Es ist diesem Gedanken wesentlich, daß es etwas Neutrales und Gemeinsames gebe, was außerhalb aller Schemata liegt. Dieses gemeinsame Etwas kann freilich nicht die Thematik der gegensätzlichen Sprachen sein, sonst wäre eine Übersetzung ja möglich. Dementsprechend hat Kuhn vor kurzem geschrieben:

Die Philosophen haben nunmehr die Hoffnung aufgegeben, eine reine Sinnesdatensprache ausfindig zu machen, . . . doch viele von ihnen gehen auch weiterhin davon aus, daß Theorien verglichen werden können durch Rückgriff auf ein Basisvokabular, das zur Gänze aus Wörtern besteht, die der Natur in unproblematischer und – soweit notwendig – theorieunabhängiger Weise zukommen ... Feyerabend und ich haben ausführlich begründet, daß kein derartiges Vokabular zur Verfügung steht. Beim Übergang von einer Theorie zur nächsten ändern Wörter ihre Bedeutungen oder Anwendungsbedingungen in diffiziler Weise. Obwohl die Zeichen, die vor und nach der Revolution verwendet werden, größtenteils dieselben sind – z. B. Kraft, Masse, Element, Verbindung, Zelle –, hat sich die Art und Weise, in der sich einige von ihnen auf die Natur beziehen, irgendwie verändert. Aufeinanderfolgende Theorien sind daher, wie wir sagen, inkommensurabel

»Inkommensurabel« ist natürlich Kuhns und Feyerabends Wort für »nicht ineinander übersetzbar«. Der neutrale Inhalt, der seiner Ordnung harrt, wird von der Natur gestellt.

Feyerabend schlägt seinerseits vor, wir könnten gegensätzliche Schemata vergleichen, indem wir »einen Standpunkt außerhalb des Systems oder der Sprache wählen«. Er hofft, wir seien dazu imstande, weil »es doch immer noch die menschliche Erfahrung als wirklich existierenden Prozeß gibt«, der von allen Schemata unabhängig sei.

Die gleichen bzw. ähnliche Gedanken werden an vielen Stellen von Quine zum Ausdruck gebracht: »Die Gesamtheit unseres sogenannten Wissens oder unserer Überzeugungen ... ist ein von Menschen gebautes Gebilde, das die Erfahrung nur an den Kanten berührt...«; »... die Gesamtwissenschaft ist wie ein Kraftfeld, dessen Grenzbedingungen Erfahrung sind«"; »als Empirist ... fasse ich das Begriffsschema der Wissenschaft als Werkzeug auf ...,um künftige Erfahrung im Lichte früherer Erfahrung vorherzusagen«. Und weiter:

Wir zerlegen fortwährend die Wirklichkeit in eine Vielzahl erkennbarer und unterscheidbarer Gegenstände ... Die Rede von Gegenständen ist uns derart in Fleisch und Blut übergegangen, daß diese Feststellung fast nichts zu besagen scheint. Wie anders könnten wir denn reden? Es läßt sich kaum sagen, wie man anders reden könnte, nicht etwa weil unsere vergegenständlichende Sprechweise ein unveränderlicher Zug der menschlichen Natur wäre, sondern weil wir jede andersartige Sprechweise schon beim Verstehen und Übersetzen der andersartigen Sätze der unseren anpassen müssen.

Die Probe auf den Unterschied bleibt das Mißlingen oder die Schwierigkeit der Übersetzung: »... daß diese fernen Aus- drucksmittel von den unseren radikal verschieden seien, [bedeutet] nicht mehr, als daß die Übersetzungen nicht reibungslos gelingen.« Die Reibung kann jedoch so stark sein, daß der Fremdsprachliche ein »bis jetzt nicht vorstellbares Schema jenseits der Individuation hat.«

Der Grundgedanke ist demnach, daß etwas (egal, ob wir es übersetzen können oder nicht) eine Sprache ist und mit einem Begriffsschema zusammenhängt, sofern es zur Erfahrung (Natur, Realität, Sinnesreizungen) in einer bestimmten Beziehung steht (Prognose, Ordnung, Gegenüberstehen oder Zusammenpassen). Das Problem ist, anzugeben, was das für eine Beziehung ist, und mehr Klarheit zu gewinnen über die in dieser Beziehung stehenden Entitäten.

Wir sind mit unverständlichen Regularitäten konfrontiert. Handelt es sich um eine Sprache, die von der unseren grundlegend verschieden ist? Das würde heissen: es gibt eine Syntax, zu deren Gebrauch wir keinen Zugang haben, und die wir dennoch als Syntax betrachten. Also: uns erscheint es als ein Gekritzel, aber es ist vielleicht doch eine Sprache.
  • Ein Gekritzel ist keine Sprachform.
  • Ein Gekritzel kann sich als Sprachform erweisen.
  • In dem Moment, in dem es sich als verständlich erweist, wird es in die "Muttersprache" übersetzt. Das ist die systematische Lehre der "radikalen Interpretation".
  • Unser Ausdruck "Sprache" bezieht sich auf die Verständigung zwischen Lebewesen in der Welt.
  • Es ist empfehlenswert, diese Zuschreibung flexibel zu handhaben.
  • Kann sie so flexibel sein, dass ein Phänomen, das keinerlei Verständlichkeit aufweist, mit der Prädikat "... ist eine Sprache" versehen wird?
  • "Die Beobachtung dieser Tätigkeit zeigt weder ein Netz, noch Bälle, noch Schläger, aber ich betrachte sie als Tennis."



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