11. Juni 2007

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Lacan, Jacques (1986): VIII Das Objekt und das Ding, in: ders.: Das Seminar. Buch VII. Die Ethik der Psychoanalyse, Berlin, Weinheim: Quadriga 1996, 125-142.




Sublimation, Urvater, Kindesopfer

Der erste von vier Ausschnitten aus Vinterbergs Film dient der Illustration von Freuds Überlegungen zur Sublimation. Das Fest als solches verweist auf Freuds erste Theorie zur Sublimation, die Anlehnung der Sexualtriebe an die Selbsterhaltungstriebe, welche den Weg vorzeichnet, über den sexuelle Energie bei der Sublimation abfließt. Feiern, insofern es sich auf eine Befriedigung oraler Bedürfnisse bezieht, ist durch eine solche Umleitung gekennzeichnet.

Die Rede des Vaters und insbesondere Vinterbergs Darstellung dieser Rede illustriert Freuds zweite Theorie der Sublimation, die Rücknahme der sexuell libidinösen Energien auf das Ich, wo die Energien desexualisiert werden, um einem anderen Objekt in Form von nichtsexuellen Aktivitäten zugeführt zu werden. „Und auch Helge ist so ein Stahlwerk“, verkündet der Zeremonienmeister. Das Ich, dem wir uns zuzuwenden haben, wird damit als kompakt, als schlagkräftig vorgestellt. Die kurze Ansprache des Vaters Helge unterstreicht dies auf zweifache Weise: im Bild und im Ton. Im Bild wird das Ich über einen Spiegel hinter dem redenden Vater in Szene gesetzt, das Ich als ein moi, als eine imaginäre Formation, die sich ihrer Totalität und Potenz durch den Blick auf die eigene Familie, die im Spiegel zu sehen ist, versichert. Die libidinöse Energie fließt, so die Einstellung, ganz der Glorie des Pater familias zu. Auch die Worte des Vaters gehen von diesem Moment der Vervollständigung über eine glückliche Familie aus. Alle Familienmitglieder werden aufgerufen. Erst die Erwähnung der Zwillinge lässt den Riss sichtbar bzw. im Tonfall des Vaters hörbar werden, den diese Ich-Inszenierung offensichtlich überbrücken, ja möglicherweise abwehren soll. Das rasche Ende der Rede des Vaters markiert die Schwierigkeit, um sie allerdings gleichzeitig auch wieder zuzudecken. Nur Michael zeigt stellvertretend die zur perfekten Spiegelung dazugehörige jubilatorische Reaktion.

Christians erste Rede, in welcher er nicht nur explizit die Vergewaltigung durch den Vater erwähnt, sondern diese näher beschreibt, macht aus dem Vater eine Art Vater der Urhorde, ohne dass eine solche Urhorde schon zu erkennen wäre. Der Vater gerät zu einem Vater, dem Lacan den Namen Elohim geben würde, zu einem Vater, der Kindesopfer fordert.

Die Rede des Vaters und Christians erste Rede


Der Kampf der Ordnungen

Der zweite Filmausschnitt illustriert einen Moment des Bruchs.

Was bedeutet die erste Rede des Sohnes Christian? Indem Christian der versammelten Festgesellschaft lächelnd von seinem Vater als einem Urvater berichtet, ruft er zum Mord an diesem Urvater auf. Christian beruft sich implizit auf ein Gesetz, das Begehren und sexuelles Genießen erst ermöglicht. Auf das Gesetz, von dem Kant spricht? Christian nennt seinen Vater in der zweiten Rede den Mörder der Schwester. Die Schwester wird damit zu jenem Opfer, das Elohim verlangt. Die Reaktion: die Festgesellschaft gerät durcheinander. Die bürgerliche Geburtstagsidylle lässt sich kaum noch aufrechterhalten. Doch die alte Ordnung, die Ordnung des Urvaters, gewinnt rasch wieder an Terrain, als Christian von seiner Schwester Helen und von seinem Vater für krank erklärt wird.

Die Ordnung des Urvaters


Das Ding im Hintergrund

Christian ist nicht der einzige Sohn. Die dritte Szene lässt eine Stütze der Ordnung des Urvaters hervortreten: Michael ist in anderer Weise als Christian mit seinem Vater verbunden geblieben. Das Dienstmädchen, mit dem er ein Verhältnis hatte, weist ihn darauf hin, dass sie ein Kind von ihm erwartet hat. Sie gerät in der Folge an die Stelle des Kindesopfers. Michael identifiziert sich mit seinem Vater als einem Urvater, als Elohim. Die Unterredung zwischen dem Vater und Christian, unterstreicht noch einmal den Versuch, Christian zu pathologisieren, so als wollte der Vater sagen, Christian sei doch ein Mitglied der Urhorde, Ursohn und als solcher nicht in der Lage, ihn, den Vater, bloßzustellen, zu töten, ein Gesetz einzuführen.

Der Vater weist mehrfach auf die Mutter hin. Sie sei unglücklich gewesen, Christian "mit Medikamenten vollgepumpt" in einer Nervenklinik anzutreffen. "Deine Mutter will, dass Du fährst. Sie möchte Dich nicht mehr sehen." Deutet sich mit diesen Bezugnahmen etwas von dem an, was Lacan mit dem Ding als Ausgangspunkt des Gesetzes meint?

Dienstmädchen Schwester Mutter


Psychotischer Zusammenbruch

In der vierten Filmszene werden die Kräfte, die am Werk sind, noch deutlicher erkennbar.

Mit dem letzten Anlauf, den Christian nimmt, um die Familie zu informieren, gerät er auch für die ZuschauerInnen in ein Jenseits. Psychotische Ausbrüche haben ein solches Gesicht: Sie nehmen die Konventionen nicht mehr wahr, welche zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten bestehen. Christian wendet sich an seine Mutter - an das Ding selbst. Die Folge ist eine Art Implosion. Seine Position wird unhaltbar. Bruder Michael vollzieht die nicht gegebene Anordnung des Vaters: Christian wird physisch aus der Festgesellschaft entfernt.

Ausschluss