Zur Frage der Homosexualität bei Freud

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Zur Frage der Homosexualität in der Psychoanalyse, anhand der drei Abhandlungen zur Sexualtheorie

In den drei Abhandlungen zur Sexualtheorie spricht Freud von Inversion. Es lassen sich zwei Tendenzen festmachen: Einerseits wird der, negativ besetzte, Begriff Homosexualität vermieden, Freud spricht lieber von Inversion, und die Inversion wird nicht als Perversion betrachtet. Damit ist Freud seiner Zeit um viele Jahrzehnte voraus: So war Homosexualität in Österreich lange Zeit ein Strafbestand und, wie Butler anführt, bis vor gar nicht so langer Zeit ein Ausschlussgrund aus der amerikanischen Armee. Andererseits, und das gilt es für gegenwärtige Bezugnahme auf Freud zu problematisieren, wird Inversion doch immer in Abgrenzung zur „normalen“ Heterosexualität gesehen. Ich möchte einerseits im Folgenden fragen, inwiefern die Thesen Freuds noch haltbar sind, andererseits Missverständnisse zum Begriff der „Normalität“ ausräumen. Was versteht Freud unter Perversion? Im Abschnitt „Allgemeines über Perversionen“ führt Freud aus, dass Perversionen jedenfalls nicht etwas ist, dass wir einer bestimmten Personengruppe zuschreiben und diese dann als „Geisteskranke“ abstempeln können. Wir mögen Perversionen eine „Änderung des Sexualziels“ auffassen, die „eine Zeit lang an die Stelle des normalen Sexualziels“ treten könne. Wenn Freud von „normal“ spricht, dann mögen wir heute Erklärungsbedarf sehen, was denn unter „normal“ zu verstehen sei. Es sei jedoch dahingestellt, ob dieser Vorwurf berechtigterweise gegen Freud selbst zu richten ist, und ob in dem Vorwurf nicht eine komplett geänderte Sexualmoral zum Ausdruck kommt. Wenn Freud den Terminus normal verwendet, scheint er bei oberflächlicher Betrachtung dies in Opposition zu „krankhaft“ zu stehen: Dies ist aber nicht haltbar, da Freud fortwährend darauf hinweist, dass sich auch im gesunden bzw. „normalen“ Menschen Änderungen des Sexualziels ausmachen lassen: „In der Mehrzahl der Fälle können wir den Charakter des Krankhaften bei der Perversion nicht im Inhalt des neuen Sexualzieles, sondern in dessen Verhältnis zum Normalen finden. Wenn die Perversion nicht neben dem Normalen (Sexualziel und Objekt) auftritt, wo günstige Umstände dieselbe fördern und ungünstige das Normale verhindern, sondern wenn sie das Normale unter allen Umständen verdrängt und ersetzt hat – in der Ausschließlichkeit und in der Fixierung also der Perversion sehen wir zu allermeist die Berechtigung, sie als ein krankhaftes Symptom zu beurteilen.“ Jedenfalls, wichtiger als die Abgrenzung homosexuell-heterosexuell scheint das Gegensatzpaar normal – krank zu sein: Als kranke oder neurotisch bezeichnet Freud den absolute Angewiesenheit auf ein ganz bestimmtes Sexualobjekt, wenn dieses bei der Frau nicht der Penis des Mannes ist.

Zur Frage des Gebrauchs nicht-genitaler Organe beim Sex

Freud: „ Die Verwendung des Mundes als Sexualorgan gilt als Perversion, wenn die Lippen (Zunge) der einen Person mit den Genitalien der anderen in Berührung gebracht werden, nicht aber, wenn beider Teile Lippenschleimhäute einander berühren. In letzterer Ausnahme liegt die Anknüpfung ans Normale. Wer die anderen wohl seit den Urzeiten der Menschheit gebräuchlichen Praktiken als Perversionen verabscheut, der gibt dabei einem deutlichen Ekelgefühl nach, welches ihn vor der Annahme eines solchen Sexualzieles schützt.“ Auch hier sehen wir wieder, dass, wenn wir nur den ersten Satz des obigen Zitats lesen, Freud nur dem genitalen Sex zwischen Mann und Frau die Berechtigung als „normal“ bezeichnet zu werden, einräumt. Zweifelsohne ist Freuds Intention an dieser Stelle nicht die „Konstruktion von Normalität“, sondern ganz im Gegenteil, die strikte Trennung zwischen „normal“ und „pervers“ in Frage zu stellen: Was in einer Kultur als pervers oder normal in Bezug auf den Gebrauch der Geschlechtsorgane gilt, ist Konvention im Sinne kultureller Übereinkunft. Sein daraufhin folgender Verweis darauf, dass der Ekel nur Konvention sei, lässt sich meines Erachtens aber durchaus auch so auslegen, dass die gesellschaftlich sanktionierte Bindung zwischen Mann und Frau ebenfalls nur Konvention sei. So meint die Bundespräsidentschaftskandidatin der FPÖ, Barbara Rosenkranz, im Interview mit der Tageszeitung der Standard am 21. April: „Ich habe kein gespaltenes, sondern ein ganz klares Verhältnis zur Homosexualität. Wie ein Mensch sexuell orientiert ist seine freie und höchst persönliche Entscheidung, das gilt selbstverständlich auch für meine Kinder. Tatsache ist aber auch, dass die Bevorzugung der Partnerschaft zwischen Mann und Frau deswegen besteht, weil nur aus ihr Kinder hervorgehen, die im Rahmen des Generationenvertrages unseren Sozialstaat absichern.“ Wir könnten also behaupten, dass bei Rosenkranz die unbewusste Abneigung, der Ekel, gegen nicht-heterosexuelle Partnerschaften rationalisiert wird: Homosexualität sei den Individuen, wo man sie nicht mehr verbieten kann, frei zu stellen, so Rosenkranz . Als einzig selig-machende und für den Fortbestand der Art notwendige Einrichtung sei aber die Familie zu schützen. Ist das nicht, auf einer Rosenkranz nicht bewussten Ebene –der Versuch einer einer Abgrenzung zu den anderen, nicht-normalen Praktiken der Homosexualität, die sich – auf der bewussten Ebene – darin zeigt, Homosexuellen jegliche Unterstützung und rechtlicher Anerkennung oder gar rechtlicher Gleichstellung abzusprechen? Zurück zu Freud: Wenn Freud fortwährend die Sexualität des Neurotikers in Opposition zur „normalen“ Sexualität definiert, stellt sich die Frage, ob dies auch für die Homosexualität gilt? Schließlich spricht Freud ja auch von den „sexuellen Abirrungen“, wenn von Perversionen die Rede ist. Insbesondere scheint folgende Aussage problematisch: „Der Sexualtrieb der Psychoneurotiker läßt alle die Abirrungen erkennen, die wir als Variationen des normalen und als Äußerungen des krankhaften Sexuallebens studiert haben. (a) Bei allen Neurotikern (ohne Ausnahme) finden sich im unbewußten Seelenleben Regungen von Inversion, Fixierung von Libido auf Personen des gleichen Geschlechts. Ohne tief eindringende Erörterung ist es nicht möglich, die Bedeutung dieses Moments für die Gestaltung des Krankheitsbildes entsprechend zu würdigen; ich kann nur versichern, daß die unbewußte Inversionsneigung niemals fehlt und insbesondere zur Aufklärung der männlichen Hysterie die größten Dienste leistet Psychoneurose vergesellschaftet sich auch sehr oft mit manifester Inversion, wobei die heterosexuelle Strömung der vollen Unterdrückung zum Opfer gefallen ist.“ Halten wir zunächst fest, was von Freud hier alles nicht gesagt wird: 1. Es wird nicht behauptet, dass alle Homosexuellen pervers sind, oder alle Invertierte Neurotiker. Wenn Freud meint, dass die unbewusste homosexuelle Phantasie dasjenige ist, was krank macht, dann müssen wir um seine Aussagen im Kontext seiner Zeit sehen und vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Umständen, in denen sich Homosexualität zeigen oder nicht zeigen darf: Wenn wir davon ausgehen, dass es heute zumindest für einige homosexuelle Paare über eine gewisse Strecke möglich ist, offen und legal eine Beziehung führen zu können, ohne soziale Isolation fürchten zu müssen, dann fällt hier möglicherweise die eigentlich krank machende Sache, nämlich die gesellschaftliche Stigmatisierung weg. Dass dieses offene Ausleben aber zu Freuds Zeiten nicht möglich war, darf hier außer Streit gestellt sein. Die Beschäftigung mit den eigenen homosexuellen Neigungen müsste also nach Freud als ein Prozess sein, der die eigenen Abwehrmechanismen (Verdrängung, Verschiebung auf ein anderes Objekt) offenbar werden lässt. Jedenfalls, und das zeigt seine Beschäftigung mit der Frage ob perverse Neigungen angeboren sind oder nicht, handelt es sich um Neigungen die uns allen angeboren sind, deren Ausleben oder Verdrängung in einem Fall zum Krankheit, im anderen Fall aber zur „normalen“ Sexualität führen, dass die Grenze fließend ist, was aber nicht bedeutet, dass Freud sie nicht gezogen hätte. Freud selbst hat an keiner Stelle die Inversion selbst als Neurose bezeichnet, sondern den Beitrag der verdrängten Sexualenergie zur Bildung des Symptoms hervorgekehrt. Perversion wird definiert als Abweichung in Bezug auf das Sexualziel oder –objekt. Wichtig ist Freud zu zeigen, dass neurotische Erkrankungen nicht aus einem Fundus eigener psychischer Intensitäten schöpfen, die den Gesunden fremd wäre. Es ist vielmehr so, dass der Unterschied zum „Normalen“ dadurch definiert ist, dass dieser von den beiden obigen Abweichungen, wieder zurückkehrt.

„Bei keinem Gesunden dürfte irgendein pervers zu nennender Zusatz zum normalen Sexualziel fehlen, und diese Allgemeinheit genügt für sich allein, um die Unzweckmäßigkeit einer vorwurfsvollen Verwendung des Namens Perversion darzutun. Gerade auf dem Gebiete des Sexuallebens stößt man auf besondere, eigentlich derzeit unlösbare Schwierigkeiten, wenn man eine scharfe Grenze zwischen bloßer Variation innerhalb der physiologischen Breite und krankhaften Symptomen ziehen will. […]“ 

Temporäre Abweichung sind also ein Teil der normalen Sexualität, Freud spricht auch von der „Unzweckmäßigkeit einer vorwurfsvollen Verwendung des Namens Perversion“ . Die Abwertung von Perversionen ist also als eine Abwehrhandlung des Ich gegen etwas ihm Eigenes zu sehen: Indem das Ich die Neigungen den ganz anderen zuschreibt, und das Vorkommen derselben in sich selbst abstreitet, wird eine „falsche“ Souveränität hergestellt, die nicht den von Freud beobachteten Krankheitsbildern gerecht wird. Perverse Neigungen sind jene, die verhindern dass sich unser sexuelles Begehren auf das „normale“ Sexualobjekt, dem begehrten Menschen richtet. Jene perversen Neigungen sind, wie Freud sich ausdrückt, „allen Menschen angeboren“ und kommen beim gesunden Menschen „durch wirksame Einschränkung und sonstige Verarbeitung“ ebenso vor, wobei aber beim Perversen die Lustempfindung abhängig von der Erfüllung eines ganz bestimmten Partialtriebes ist.

Bezüglich der Frage nach der "Normalität" der Sexualität bei Freud

Freud behauptet nirgendwo in den „3 Abhandlungen zur Sexualtheorie“ dass jede Inversion eine „Psychoneurose“, „Neurose“ oder gar „Perversion“ sei. Freud selbst hat sich mehrfach dagegen ausgesprochen, Homosexualität als Krankheit aufzufassen, zu pathologisieren oder gar unter Strafe zu stellen. Was von Freud jedoch zu viel verlangt wäre, wäre ein komplettes Abgehen von Unterscheidung „normal“ –„invertiert“.

„Eine bei der Objektwahl sich ergebende Aufgabe liegt darin, das entgegengesetzte Geschlecht nicht zu verfehlen.“  

Wenn die Rede von der Normalität der reifen, genitalen Sexualbeziehung ist, dann mag das von Freud nicht in normativer Setzung geschehen sein. Freud stellt diverse Vermutungen darüber an, warum frühkindliche Bindung an die weibliche/männliche Bezugsperson die spätere sexuelle Orientierung festlegt. Ob sich das Problem Homosexualität zu erklären gar nicht mehr stellt, wenn man sie nicht in Abgrenzung zur „normalen“ Heterosexualität sieht, sei dahin gestellt.