Zeit und Kunst: Unterschied zwischen den Versionen

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Zeit und Kunst
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Eine Gruppe von Dissertantinnen (m/w) am Institut für Philosophie diskutiert eine Textvorlage zum Thema.
  
Akio Yokoyama
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[[Der Basistext von Akio Yokoyama]]
  
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[[Termine des Konversatoriums]]
  
Was immer die Quelle des jeweils neuen Seins bleibt, das heißt das Jetzt bzw. die
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Gegenwart. Die schwierigkeit, die Lebendigkeit des Jetzt, die lebendige Gegenwart zu
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begreifen, weist sich darin aus, daß sie seit das antike Griechenland, besonders seit
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Aristoteles, traditionell  negativ" bestimmt war und ist.
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Hier, zur gemeinsamen Weiterarbeit, eine Aufteilung des Textes in 7 Abschnitte.
  
Jean-François Lyotard spricht in seinem Aufsatz über Barnett Newman vom Augenblick" als
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* [[Einstimmung (ZuK)]]
Zeit, die negativ extrahiert wird zwischen zwei Werken Marcel Duchamps, dem Großen Glas
 
und Etant donnés. Bei diesen handle es sich um die Enthüllung der Braut, die Entblößung
 
des obszönen Körpers". Dennoch: In der Verzögerung im Glas' hat es sich noch nicht
 
ereignet, in den Büschen, hinter dem Guckloch, ist es schon eingetreten". Duchamp
 
organisiere also  den Raum der Braut gemäß dem noch nicht' und den Raum von Etant donnés
 
nach dem  bereits nicht mehr'"1.
 
  
Die Unerblickbarkeit des entscheidenden Ereignisses, die wesentliche Unfähigkeit
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* [[Lyotard über Duchamps (ZuK)]]
unserer Sehekraft, die Lyotard den Anachronismus des Blickes" nennt, ist nicht
 
anders als der Augenblick" zwischen den Werken als ausgezeichnetes Bild des
 
traditionell verstandenen Jetzt. Hier ist die grundsätzliche Unmöglichkeit festgestellt
 
von dem, was der Autor nach dem Thema des Künstlers als  Weiblichkeit" bezeichnet,
 
und zwar von der  Epiphanie" des Anderen, von der Begegnung oder Berührung mit
 
ihm, d.i. von dem  Ereignis", weil uns die Zeit dafür, das Jetzt, von vornherein nicht
 
gegeben ist. Wir können hier höchstens nur mit eigenen Vorstellungen in  Anamnese"
 
und  Erwartung" über das Unerhörte  erzählen', d.h. sie sukzessiv verbinden, um die
 
Mitte, die ihnen einen Sinn gibt, zu konstruieren.
 
  
Lyotard stellt Duchamp dann einen anderen Künstler gegenüber, der gegen den
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* [[Lyotard über Newman (ZuK)]]
Anachronismus" der ursprünglichen Zeit ­ dieser ist aber ihr uns doch vertrauter
 
Charakter: ihre Vergänglichkeit oder der Übergangscharakter des Jetzt ­ nach der
 
Epiphanie" sucht: Newman. Die Kunst Newmans, so schreibt Lyotard, ein Versuch,
 
den  Augenblick" als  Zeitempfindung" in einem Bild zu realisieren. Hier geht es um
 
die Augenblicklichkeit der Empfindung, die auch Kant kannte2. Diese Empfindung ­
 
das ,was Lyotard auch als  Dringlichkeit des Jetzt" bezeichnet3 - ist die ursprüngliche
 
Zeit, denn der  Beginn", der Ursprung der Zeit, ist nicht anders als  das Staunen
 
darüber, daß etwas ist, mehr als nichts"4.  Die Präsenz", die das  Staunen" als ihre
 
Qualität hat, ist der Augenblick, der das Chaos der Geschichte unterbricht und daran
 
erinnert oder nur sagt, daß  etwas da ist', bevor das, was da ist, irgendeine Bedeutung
 
hat"5. Dieser Beginn ist, so Lyotard, ein Widerspruch". Er findet zwar in der Welt"
 
statt, aber er ist nicht von dieser  Welt", weil er sie erzeugt, er kommt aus der
 
Vorgeschichte oder aus einer Geschichtslosigkeit"6; zum Beispiel so wie eine Linie, die
 
auf der leeren Fläche gezogen ist, gehört zu einem Bild, das als Ergebnis von diesem
 
Strich nachträglich entstand, hat deshlb doch in der Vorgeschichte" dieses Bildes
 
ihren Geburtsort.
 
  
Wie Lyotard mit Worten Thomas B. Hesses sagt, ist der Inhalt" des Newmanschen
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* [[Augenblick (ZuK)]]
Werkes insgsamt "die künstlerische Schöpfung" selbst7, denn er ist das
 
Augenblickliche"8, das der Beginn ist. Newmans Werk hat seine Vorgeschichte d.h. sein
 
Außen, das auch sein Grund ist, in sich. Der Augenblick ist also  das Bild", das Ur-Bild
 
im Sinne dessen, daß es selbst  die Zeit" ist9. Das traditionelle Bild der Zeit, der Jetzt-
 
Zeit, das, wie gesehen, beide Werke Duchamps darstellen, ist das eines Wirklichen
 
bzw. das eines Substanziellen: d.i. das Schema-Bild, das reine Bild der Notion
 
Substanz10, in dem aber kein wirkliches Ereignis erblickbar ist, sondern immer nur ein
 
mögliches, das ab und zu ­ mit, so lautet das zweite Postulat des empirischen Denkens
 
überhaupt11, den materialen  Bedingungen  der Erfahrung  (der Empfindung)
 
zusammengehangen  - verwirklicht wird. Im Ur-Bild  des  Augenblickes ist hingegen
 
dieses  Schema-Bild zerrissen  zwischen  dem Jetzt, das  durch  unsere  Geschichte
 
hinduruch bleibt, um sie erst als ein Wandel zu ermöglichen, und der Vorgeschichte,
 
die im Bild als Spur bleibt und es offen läßt ins Außen unseres Jetzt, so daß hier erst
 
die Zeit als ursprüngliche Ungleichzeitigket manifestiert.
 
  
Der Augenblick bedeutet nicht anders als diese Ungleichzeitigkeit, weil in ihr die
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* [[Erzählen (ZuK)]]
Gleicharitigkeit des Mannigfaltigen, die Kant anspricht, wenn er vom  Begriff einer
 
Größe" spricht12, d.h. die Gleicharitigkeit von Anschauungen überhaupt, und
 
konsequenterweise auch alle Erscheinungen, die als Aggregate (Menge vorher
 
gegebener Teile)" angeschaut werden13, unmöglich werden, so daß man nur noch sagen
 
oder besser daüber staunen kann,  daß etwas ist, mehr als nichts". Dieser einfache
 
Beginn ist aber als der Augenblick nicht negativ bestimmt, sondern eksessiv positiv,
 
mehrfältig' detaminiert, so daß diese Falten den Horizont des Jetzt überschreiten.
 
  
Das Jetzt zwischen Noch-nicht-jetzt" und Nicht-mehr-jetzt" ist doch auch eine
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* [[Ereignis, Erhabenheit (ZuK)]]
Variante des Ur-Bildes der ursprünglichen Zeit aber im Sinne der Form, nach der
 
Anschauungen  als  das  gleichartig  Mannigfaltige  gegeben sind. Wenn das Werk
 
Newmans keine Kopie dieses metaphysischen Zeit-Bildes sein soll, dann soll sich sein
 
Inhalt, der Augenblick, als von focus imaginarius, der jedem Differenten eine
 
Gleichheit des Sinnes gewährt, unterschieden nachweisen. Als imaginärer Fokus ist
 
der Beginn der Geschichte ihr Sinn selbst, so daß wir hier die Vorgeschichte, in der
 
etwas da ist, bevor das, was da ist, eine irgendeine Bedeutung hat, nie erreichen. Im
 
Blick auf ihn werden alle Differenzen getilgt, indem sie als zufällige Eigenschaften
 
einem identisch Bleibenden, dem Sinn, zugeschrieben werden.
 
  
Es ist aber verständlich, daß Bernhard Waldenfels Lyotards Ansicht über Newman
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* [[Erhabenheit und Zeitempfindung (ZuK)]]
kritisiert und auf die Gefahr, eine bestimmte Grenzkunst" zu kanonisieren"
 
aufmerksam macht14, denn  diese Kritik gälte, wenn sich Lyotards Konzept des
 
Erhabenen" in der  Darstellung, die nichts dastellt", der Kant als deren Beispiel das
 
Verbot von Bildern durch das mosaische Gesetz" gibt15, als das jenes Zeit-Bildes, das
 
nur den imaginären Fokus darstellt, entlarven würde ­ es ist schwierig, im klaren
 
Unterschied zu diesem metaphysischen Grenzpunkt die Vorgeschichte zu zeigen.
 
  
Der Einspruch von Waldenfels ist m.E. widerlegbar, indem wir uns­ für die Absicht
+
Weitere Beiträge zum Thema:
Newmans selbst glit doch wahrscheinlich seine  Kritik Lyotards  Grundstellung
 
klarmachen. Das Erhabene, das sich der Meinung sowohl Kants als Lyotards nach nur
 
in der  negativen Darstellung" zeigt, verlangt von uns zwar das  Verbot von Bildern",
 
aber dieses Verbot bedeutet für Lyotard nur das von der  figurativen" Darstellung16.
 
Lyotard stellt fest, daß die Werke Newmans  tatsächlich kein Ereignis  erzählen', daß
 
sie sich nicht figurativ auf Szenen aus Erzählungen beziehen"17.
 
  
Erzählen ist das einzige Verhalten, das dem erlaubt ist, der zwischen beiden Werken
+
* [[Lebendigkeit der Zeit]]
Duchamps steht, so daß ihm der Blick auf den entschedenden Augenblick und die
 
Möglichkeit der Begegnung mit dem Anderen prizipiell entzogen sind. Dieses Erzählen
 
ist ein Aufzählen von möglich zu Erzählenden über das Ereignis in jenem Horizont des
 
Jetzt, so daß es als Zählen des Gleicharitigen (jetzt-das, jetzt-das...)  grenzlos
 
fortschreitet. Die Grenze ist dabei nur der Anspruch auf die Widerspruchlosigkeit.
 
Daher steht schon am Beginn der metaphysischen Geschichte der Sinn, die Identität
 
eines jeweiligen Was.
 
  
Ein Bild" von Newman  will hingegen, so Lyotard, selbst  das Ereignis  sein,  der
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* [[Lebendigkeit der Zeit, zweiter Anlauf]]
Augenblick, der geschieht"18. Dieses Geschehen wird erst dann möglich, wenn das Bild
 
jene Zeit selbt ist, in der auch der Beginn  wird', indem es seine Vorgeschichte in sich
 
hat. Der Augenblick, als Zeit des Zwischen ist hier nicht mehr zwischen  Noch-nicht-
 
jetzt" und  Nicht-mehr-jetzt", d.h. zwischen möglichen gleichartigen Jetzten, sondern
 
zwischen zwei  (oder mehr) Welten, die wir sozusagen nie  auf einen gemeinsamen
 
Nenner bringen können: das Mannigfaltige, das früher als das Eine ist.
 
  
In diesem Sinne zeigt das Bild Newmans als seinen Inhalt das, was schlechthin groß
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* [[Planungen (ZuK)]]
ist, was Kant das mathematisch-Erhabene"  nennt. Dieser Inhalt ist keine Größe
 
(quantum) im Sinne, daß  Vielheit des Gleicharitigen zusammen Eines ausmacht".
 
Diese Größenbestimmung der Erscheinungen kann keinen absoluten Begriff  von
 
einer Größe, sondern allemal nur einen Vergleichungsbegriff liefern"19. Das Erhabene
 
ist  schlechthin (nicht bloß komparativ) groß" und übertrifft daher unseres Vermögen
 
der Größenschätzung der Dinge der Sinnewelt, d.h. die Voraussetzung der Möglichkeit
 
der synthetischen Erkenntnis a priori, die  Axiome der Anschauung" darstellen. Um
 
das Unendliche als ganz gegeben, als ein Ganzes zu denken, ist es nicht genug,  die
 
sukzessive Addition von Einem zu Einem (gleichartigen)" zusammenzubefassen. Im
 
Augenblick,  in  dem  das  gleicharitig  Mannifaltige  auf  seine  Vorgeschichte  stoßt,
 
überfällt uns das Staunen darüber, daß etwas ist, mehr als nichts. Es ist nicht anders
 
als Gefühl des Erhabenen.
 
  
Das, was in  der Erfahrung  des Erhabenen geschieht, ist das Mißlingen der
 
Zusammenfassung durch die Einbildungskraft, im Scheitern der Synthesis der
 
Reproduktion mag die Welt in ein formloses Chaos auseinanderfallen.  Würde ich aber
 
die vorhergehende...immer aus den Gedanken verlieren, und sie nicht reproduzieren,
 
indem ich zu den folgenden fortgehe, so würde ich niemals eine ganze Vorstellung, und
 
keiner aller vorgennanten Gedanken, ja gar nicht einmal die  reinsten und ersten
 
Grundvorstellungen von Raum und Zeit entspringen können"20. Aber wie Heidegger
 
sagt, Wenn also in  einem  gegebenen  Felde  des  Sehens  eine  Mannigfaltigkeit  von
 
Farben wild durcheinanderwirbelt und nicht die Spur von irgendeiner Ordnung
 
aufweist, auch dann hat dieses Gegebene, dieses Gewühl von Empfindungen - wie man
 
unklar zu sagen pflegt, wobei man  dann nicht weiß, ob es Gegebene ist, oder ein
 
Gewühl, das  psychisch  abläuft  -, auch dieses Durcheinanderwirbeln  gegebener
 
unbestimmter Gegenstände hat den Charakter  mannigfaltig', also eine Bestimmtheit,
 
eine Artikulation"21. Das, was hier nur noch  mannigfaltig' gennant werden kann, ist
 
nicht anders als die Zeit, in der alle Erscheinungen sind. Das Erhabene ist in diesem
 
Sinne auch die Zeitempfindung.
 
  
Das Werk  Newmans als  Bild  der Zeitempfindung ist, weil es das Unendliche als
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* [[Duchamp]]
seinen  Inhalt  in sich  hat,  selbständig.  Diese Selbstständigkeit ist  wohl  anders als
 
autonomy", die Clement Greenberg in einem Text, an dessen Anfang Kant als  der
 
erste echte Madernist" bezeichnet ist, der modernistischen Malerei zukommen läßt,
 
denn er schreibt dort deutlich, daß es wichtig sei, alle Besitze, die sie mit anderen
 
Kunstbereichen, besonders mit Bildhauerei gemeinsam habe, aufzuheben, und, daß ,
 
obwohl sie im Endeffekt immer abstrakter werde, es sekundär sei, das Darstellende
 
und das Literarische auszuschließen22. Die  self-critique", die Greenberg als Wesen
 
vom Modernismus sieht - deshalb ist Kant aufgerufen worden - im Fall der Malerei die
 
Selbstbegrenzung auf die Fläche, ergab aber  letztendlich  Werke,  die  selber  nichts
 
Anderes als Ereignis sind. Daher schreibt über Kant auch Lyotard  folgendes, er
 
kündigt die abstraktionistischen und minimalistischen Auswege an, durch die die
 
Malerei dem figurativen  Gefängnis  zu  entkommen  versucht"23. Die  Kreativität  der
 
modernistischen Malerei schöpft sich aus der der Zeit.
 

Aktuelle Version vom 28. Juli 2005, 11:09 Uhr

Eine Gruppe von Dissertantinnen (m/w) am Institut für Philosophie diskutiert eine Textvorlage zum Thema.

Der Basistext von Akio Yokoyama

Termine des Konversatoriums




Hier, zur gemeinsamen Weiterarbeit, eine Aufteilung des Textes in 7 Abschnitte.

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