Wittgenstein (W)

Aus Philo Wiki
Wechseln zu:Navigation, Suche

Freges Analyse des Wahrheitsbegriffes am Leitfaden mathematischer Funktionen ergibt: Wahrheitsfunktionen ordnen Behauptungen die (Wahrheits-)Werte w oder f zu. Wahrheitswerte werden als Bezeichnungen für Gegenstände angesehen. Danach gibt es zwei Arten von Gegenständen: jene des Alltagsgebrauches und "wahr" bzw. "falsch".

Wittgenstein läßt keine solche Doppeldeutigkeit zu. Er akzeptiert nur die gewohnte Art von Gegenständen, die sich zu Sachverhalten verbinden, deren Bestehen (und Nichtbestehen) in Sätzen behauptet wird. Als Umstellung in Freges Schema läßt sich das so notieren:


Sinn Bedeutung
Name Gegenstand
Form der Zusammenstellung von Namen logische Form
Satz Gedanke Sachverhalt


Aus "ungesättigten" Sprachausdrücken snd sprachliche Formen geworden, die nicht benennbar sind. An die Stelle der Wahrheitswerte treten Sachverhalte. Die Wahrheitsfunktion bezieht sich auf ein Abbildungsverhältnis zwischen Sprachausdruck und Wirklichkeit. Eine logische Explikation bietet die Isomorphie, d.h. eine struktur-bewahrende Abbildung zwischen zwei Objektbereichen. Beispiel: eine Tabelle und eine Graphik in einem Spreadsheet.

Gegeben seien zwei Gegenstandsbereiche X, Y und zwei auf ihnen definierten Verknüpfungen @, *. Eine Isomorphie f: X -> Y zwischen <X, @>, <Y, *> gehorcht folgender Regel: f(u @ v) = f(u) * f(v).


Siehe auch: Der Isomorphiebegriff


Es wird oft übersehen, dass die so definierte Isomorphie im ersten Schritt nichts mit dem Wahrheitsbegriff zu tun hat. Die Zahlen einer Tabelle können "falsch" sein, auch wenn sie in der dazugehörigen Graphik isomorph dargestellt werden. Dieser Umstand ist z.B. für die Auseinandersetzung mit den erkenntnistheoretischen Ansprüchen der Neurobiologie bedeutsam. Angenommen eine Isomorphie zwischen Umweltgegebenheiten und Reizmustern - das sagt per se nichts über Wahrheit oder Falschheit. Sonst wäre ein Sonnenbrand "die Wahrheit" einer Sonneneinstrahlung.


Ansgar Beckermann diskutiert in seinem Artikel Wittgenstein, Neurath und Tarski über Wahrheit die grundlegenden Zusammenhänge. Er gibt eine semantische Deutung der Wahrheitstheorie des Tractatus und erläutert die Paradoxie, die aus Wittgensteins Festlegung über Bedeutungen entsteht. Das führt zu einem Ausblick auf die Wahrheitsdebatte im Wiener Kreis. Carnap versuchte in dieser Zeit, entsprechend dem "empiristischen Sinnkriterium", Sprache als ausschließlich physikalisches Phänomen zu begreifen. Die Schwierigkeit dieses Unternehmens kann man sich am Zusammenspiel zwischen Akustik, Phonetik, Phonologie und Bedeutungslehre klar machen [1].

Eine detailliertere Darstellung des Verhältnisses zwischen Isomorphie und Wahrheit im Tractatus findet sich unter: Negation, Wahrheit und Darstellung im Tractatus

zurück zu Wahrheit, Vorlesung Hrachovec, 2004/05