Warum jener mechanische Prozeß richtige Ergebnisse erzeugt (Code)

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Exzerpte aus: Edmund Husserl: Philosophie der Arithmetik. Hrsg. von Lothar Eley. Den Haag 1970

Zur Logik der Zeichen (Semiotik). S. 358-365


Indessen, an der Aufklärung des psychologischen Tatbestandes dürfen wir es uns nicht genügen lassen. Bei den Urteilen kommt ein Gesichtspunkt in Betracht, der bei den Vorstellungen fehlt, nämlich die Doppelfrage nach der Berechtigung und nach der Wahrheit. Was die subjektive Seite derselben anlangt, so lautet sie in unserem Falle: Mit welchem Rechte operieren wir in un­seren praktischen Urteilen in der beschriebenen Weise statt mit den wahren Begriffen mit den Symbolen? Die Antwort liegt in den obigen Auseinandersetzungen. Wir verfahren ohne jede Be­rechtigung, uns leitet nicht <ein> Erkenntnismotiv, sondern <ein> psychologischer Mechanismus.

Hiermit ist aber die zweite, objektive Seite der Frage nicht er­ledigt, die nach der Wahrheit. Sehr wohl kann ja ein logisch unbe­rechtigtes Verfahren schließlich zum wahren Resultate führen. Ein solcher Fall liegt hier vor und in der Tat ein höchst merkwürdiger. A priori wäre es ja sehr wohl denkbar, daß eine psychologische Einrichtung unserer Natur unser praktisches (außerlogi­sches) Urteilen immer oder vorzugsweise zum Irrtum und nur aus­nahmsweise zur Wahrheit drängte. In Wirklichkeit verhält es sich gerade umgekehrt. Im Durchschnitt fahren wir sehr gut bei dem Urteilen mit Surrogaten (und die unvergleichliche Mehrheit aller Urteile ist von dieser Art). Dies ist eine metaphysisch sehr in­teressante Tatsache. Man könnte hier, eine H u m e sche Be­trachtung übertragend, ausführen, es entspreche der allgemeinen Weisheit der Natur, eine für die Erhaltung des Menschengeschlechtes so wesentliche Tätigkeit der Seele durch einen me­chanischen Trieb zu sichern, welcher in seiner Wirksamkeit im Durchschnitt frei vorn Irrtum bleibt, gleich beim Beginn des Lebens und Denkens sich geltend macht und von den mühsamen, trügerischen, erst auf einer reiferen Periode der Entwicklung möglichen Begründungen der Vernunft unabhängig ist. Neuere werden es vielleicht vorziehen, diesen teleologischen Zug unserer Natur durch d a r w i nistische Prinzipien zu erklären — doch all das geht uns hier, wo nicht von Metaphysik zu handeln ist, nichts an. Was wir anstreben und anstreben müssen, ist eine logische Auf­klärung des Sachverhaltes. Wie ? Eine logische Aufklärung eines als unlogisch erkannten Verfahrens, wird man fragen; liegt darin nicht ein Widersinn? Es wird nicht schwer sein, die Triftigkeit unserer Absicht klarzumachen. Wenn ein typisches Urteilsverfahren, obgleich nicht von Erkenntnismotiven geleitet, dennoch zu richtigen Resultaten führt, dann werden wir doch in seinem inneren Bau, falls dieser uns überhaupt durchsichtig ist, die Be­gründung suchen und finden müssen, warum er Wahrheit (obschon nicht Erkenntnis) zu erzeugen geeignet ist. Mit anderen Worten, es muß ein parallellaufendes logisches Verfahren angebbar sein, welches den Mechanismus des Urteilsprozesses logisch erklärt und ihn gewissermaßen so auffaßt, als wäre er durch dasselbe ver­nünftig erfunden worden; mit Hilfe desselben erlangen wir das Verständnis, warum jener nichtlogische Prozeß doch wie ein logischer wirken mußte, und dies ist die logische Aufklärung, von der wir oben sprachen.

Wir fragen also: Wie kommt es, daß wir in der gewöhnlichen Praxis des Urteilens der eigentlichen Begriffe entraten können? Wir meinen über sie zu urteilen, aber unseren Urteilen liegen doch nur zugrunde jene so dürftigen, mannigfach wechselnden (und zwar in bezug auf dieselbe Sache wechselnden!) Surrogate. Wie ist es möglich, daß unsere Urteile von diesen unabhängig sind und sich für die wahren Begriffe, auf die sie allein abzielen, bewähren?

Zum Zwecke der Beantwortung haben wir zwei Hauptklassen von Fällen zu unterscheiden : 1) jene, wo der Prozeß sowohl in den einzelnen Schritten als in deren Verkettung ein eigentliches Urteilen einschließt, welches nur dadurch einen, obwohl nicht besonders bemerkten, symbolischen Charakter hat, daß die beurteilte Materie in Surrogaten statt in eigentlichen Vorstellungen besteht; 2) jene Fälle, wo das Urteilen selbst ein uneigentliches ist, und zwar derart, daß äußerliche Zeichen, etwa Sätze und sy­stematische Satzkomplexe, für Urteile und Schlüsse surrogierend eintreten.

Zeichen vertreten Aspekte der Sachen

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Für die erste Klasse ist folgendes die einfache Lösung des Rätsels. Es ist richtig, unsere Urteile implizieren nur die schwankenden, unklaren, wechselnden Surrogate. Aber diese Surrogate schließen in jedem Momente gerade die Bestandteile und Merkmale der wirklichen Begriffe ein, auf welche das urteilende Interesse geht. Als Gegenstände besonderer Beachtung werden sie nicht unklar und schwankend, sondern mit dem Grade der Deut­lichkeit vorgestellt, den das Urteilen eben verlangt, mögen die übrigen Bestandstücke des Surrogats nun verschwommen sein wie auch immer; daß sie von Moment zu Moment wechseln, mag sein, aber sie folgen hierin dem Wechsel des Urteilsinteresses. Fragen wir nun nach dem Erkenntniswert dieser Urteile, so ist es klar, daß sie für die eigentlichen Begriffe Gültigkeit haben müssen, insofern diese eben die besonders beachteten und beurteilten Merkmale der Surrogate mitbesitzen, sowie sie überhaupt für alles und jedes Gültigkeit hätten, dem diese Merkmale zukämen. Lo­gisch betrachtet liegt also das folgende Schema zugrunde : Ein Urteil knüpft sich an ein X ausschließlich, sofern es das Merkmal besitzt ; G besitzt das Merkmal a ; also gilt das Urteil auch von G in eben derselben Hinsicht. Das Zeichen X vertritt unsere symbolische Vorstellung, etwa ein im übrigen ganz unklares Phantas­ma, an welchem ausschließlich das Merkmal a beachtet und beurteilt wird. Eben dasselbe ist auch der intendierten Sache (G) gemein und daher gilt das Urteil auch für sie.

"Die Jeans sind blau."

Von logischen Er­wägungen solcher Art findet sich im natürlichen Verlaufe unseres Denkens nicht eine Spur. Unser praktisches Urteilen ist eben kein logisches. Wir gewinnen Urteile aufgrund der Surrogate und behandeln sie, unbekümmert um die Rechtsfrage, ohne weiteres als Urteile über die eigentlichen Begriffe. Hier erkennen wir aber, warum ein solches Tun zu keinem Irrtum führt; wir sehen, daß der nichtlogische Prozeß dasselbe Resultat ergeben muß wie der logische, mit dem einen (theoretisch, aber nicht praktisch wesent­lichen) Unterschied, daß der letztere Einsicht in die Berechtigung mitgewährt, der erstere nicht.

Wir haben bisher bloß die Gründe für die objektive Wahrheit einzelner Urteile der betrachteten Art untersucht. Es ist aber klar, daß zum Verständnis der hierher gehörigen Schlußfolgerungen nichts wesentlich Neues hinzuzufügen ist. Sind die einzelnen Urteile über Surrogate äquivalent denjenigen über die zugehörigen eigentlichen Begriffe, so wird auch ein Schlußverfahren aus Urteilen der einen Art äquivalent sein einem solchen aus Urteilen der anderen Art.

Symbolisch gestützte Urteile

Wenden wir uns nun der zweiten Gruppe von Fällen zu, wo bloß äußerliche Symbole unseren Urteilen zugrunde liegen, während wir doch ungehemmt im Urteilsprozeß weiterkommen. Dies wird dadurch möglich, daß das Urteilen selbst nicht wie vorhin ein eigentliches, sondern hier ein äußerlich-uneigentliches ist. Sinnliche Zeichen für die Vorstellungen (z. B. Namen) werden ver­bunden mit eben solchen für Anerkennung oder Verwerfung; es entstehen Sätze; systematische Verkettungen von Sätzen sym­bolisieren Schlußfolgerungen und das Urteilsverfahren besteht nun darin, daß ein äußerliches Fortschreiten entlang der Kette von Zeichen für das wirkliche Schließen surrogiert. Einige Beispiele werden dies erläutern. a ist größer als b, dieses größer als c, dieses größer als e, also a größer als e. a = b, b = c, c = d, d = e, also a = e. Alle A sind B, alle B sind C, alle C sind E, also sind alle A E. Hierbei mögen unter den Buchstaben immer Namen verstanden sein für die Inhalte, auf welche unsere Urteilstätigkeit abzielt. Derartige Schlüsse vollführen wir in der Regel symbolisch. Wir halten uns häufig schon bei den einzelnen Schritten weder an die eigentlichen und vollen Inhalte noch an surrogierende Teil­inhalte, sondern einfach an die Namen oder Schriftzeichen, so daß dann eo ipso von einem eigentlichen Urteilen und Schließen keine Rede sein kann. Mechanisch schreiten wir die Reihe entlang, verknüpfen und eliminieren die Glieder, wie es die Schablone ver­langt, und erhalten so ein symbolisches Urteil (einen Satz), der uns als Zeichen einer Wahrheit gilt. Häufiger werden jedoch die einzelnen Schritte in wirklicher Beurteilung vollzogen; indem aber die Resultate derselben gleichzeitig in äußerlichen Zeichen, etwa in Sätzen, ausgedrückt werden, treten diese in dem weiteren Ver­lauf des Prozesses surrogierend für die wirklichen Urteile ein, und die Schlußfolgerung findet nun wie vorhin in symbolisch-äußerlicher Weise statt.

Wiederum fragen wir nicht nach der logischen Berechtigung dieser symbolischen Verfahrensweisen. Daß sie symbolische sind, merken wir nicht einmal. Wir befolgen sie ohne Reflexion und nicht etwa aufgrund einer vorgängigen Induktion oder irgendeiner anderen berechtigenden Überlegung. Es sind nicht kunstgerechte logische Methoden, sondern naturwüchsige mechanische Prozesse. Unsere Frage lautet anders, und zwar: Worin gründet. der Wahrheitswert der Resultate dieser natürlichen Mechanis­men? Die Beantwortung erfordert einige Überlegungen. Es ist hier zunächst zu bemerken, daß derartige symbolische Verf ahrensweisen nicht dieselbe Ursprünglichkeit besitzen als die ihnen zugehörigen wirklichen Verfahrensweisen, vielmehr aus diesen in Form bequemer Vereinfachungen sich herausgebildet haben. Der einförmige Charakter der Schlußfolgerungen einer gewissen Art, ausgeprägt in Einförmigkeiten des äußeren Ausdrucks, leitet von selbst und natürlich ohne besondere Reflexion dahin, diesen Ein­förmigkeiten des Ausdrucks zu folgen, auch wo die fundierenden psychischen Tätigkeiten fehlen. Es ist wiederum die Kraft der Ideenassoziation der unsichtbare Motor des Prozesses, aber freilich funktioniert sie hier in einer ganz eigentümlichen Weise. Nicht wird der Schlußsatz mit einem Male, in einem Akte repro­duziert; denn dies würde voraussetzen, daß wir genau denselben Schluß mit denselben Prämissen schon wiederholt gemacht hät­ten, während gerade das Charakteristische des Verfahrens darin liegt, daß es in jedem neuen Falle mechanisch und mit Erfolg angewendet wird. Die Reproduktion erfolgt indirekt, unter Ver­mittlung der F o r m. Wir verstehen darunter etwas Ähnliches wie die formale Logik, wenn sie von Schlußformen spricht, wobei wir uns freilich nicht an die Erklärung halten, die sie von diesen Formen als solchen gibt, sondern an den tatsächlichen Gebrauch, den sie von ihnen macht. Die Form eines Schlusses besteht in der äußeren Art der Verkettung und Anordnung der Prämissen. Auf diese Weise erhalten jede Prämisse und demgemäß auch ein jeder von den in den Prämissen enthaltenen Namen eine bestimmte systematische Stelle. Es sind natürlich innere Beschaffenheiten des in dem geistigen Schlußprozesse verwobenen Urteilssystems, welche die systematische Form des sprachlichen Ausdrucks begründen und ihr eine über den konkreten Fall weit hinausragende Allgemeinheit verleihen. Darauf haben wir hier nicht einzugehen. Genug, es sind unzählige Schlüsse denkbar, die in gleicher Form sich äußern. Haben wir nun öfter Schlüsse einer bestimmten Form, und zwar wirklich vollzogen, und ist ihr systematischer Typus leicht zu erfassen, dann wird derselbe sich dem Gedächtnis einprägen, und in späterer Folge wird nun ein konformes Prä­missensystem allein hinreichen können, um den Schlußsatz zu reproduzieren. Sowie wir schrittweise urteilend und sprechend in die wohlbekannte Schablone hineingeraten, bringt uns die voraneilende Reproduktion die Form des Schlußsatzes entgegen.

Aber nicht bloß dies, auch den die Form erfüllenden Inhalt, d. h. die Namen, welche sie zum vollen Schlußsatz ergänzen, liefert die Reproduktion. In der Tat, da, wie oben erwähnt wurde, jeder Name seine systematische Stelle hat, und in dem Schlußsatz Namen mit ganz bestimmt charakterisierter Stellung zur Verknüpfung kommen (wie in den obigen Beispielen der erste und 1 e t z t e Name), so dienen die Stellenwerte als reproduktive Momente, welche die zugehörigen Namen hervorrufen und in dieser Weise eine vollständige Reproduktion des ganzen Schlußsatzes ermöglichen. Nachdem wir durch diese Analysen eine genauere Kenntnis des natürlichen psychologischen Mechanismus des symbolischen Schließens erlangt haben, wird es möglich sein, das parallele logische Verfahren zu konstruieren, welches unsere Frage löst und uns die Erklärung liefert, warum jener mechanische Prozeß richtige Ergebnisse erzeugen müsse. Damit solch ein Mechanismus sich bilden und funktionieren könne, müssen die betreffenden Schlüsse und deren sprachliche Korrelate gewisse Anforderungen erfüllen. Zählen wir sie der Reihe nach auf. Es liegt zunächst in der Natur der sprachlichen Bezeichnungsmittel, die in Verwendung kommen, daß sie, wenn auch nicht unter allen Umständen, doch in den hier auftretenden systematischen Verbindungen, eindeutig sind. Die systematischen Verknüpfungsformen der Worte müssen genau widerspiegeln diejenigen der Gedanken, sonst könnten die ersteren nimmermehr zu gewohnheitsmäßigen Surrogaten der letzteren werden. Die Vieldeutigkeiten würden trotz aller Reproduktion dazu zwingen, immer die wirklichen Vorstellungen, Urteile und Schlüsse zu vollziehen, und ein Mechanismus wäre unmöglich. Aber noch eine andere, speziellere Eigenschaft muß das Zeichensystem besitzen, mit Rücksicht darauf, daß eine Reproduktion des Schlußsatzes aufgrund der Prämissensätze allein soll stattfinden können. Es muß offenbar der eine Teil des Systems, welcher die Prämissen in der gehörigen Ordnung und Verknüpfung enthält, den anderen, welcher den Schlußsatz enthält, rein formell, und zwar eindeutig bestimmen; nur dann kann die reproduktive Phantasie, in Fällen, wo der erstere allein gegeben ist, alsbald (in der oben beschriebenen Weise) den fehlenden zweiten, den Schlußsatz konstruieren. Mit Rücksicht auf die Eindeutigkeit der Bezeichnung folgt, daß auch das korrespondierende Urteilssystem von der Beschaffenheit sein muß, daß der Inbegriff der Prämissenurteile das Schlußurteil eindeutig bestimmt. All das führt zu einer wichtigen Folge. Erfüllt nämlich eine bestimmte Schlußform bzw. eine durch sie charakterisierte allgemeine Klasse von Schlüssen sämtliche Erfordernisse, dann wird die Erkenntnis dieser Sachlage uns befähigen, zweckbewußt und aus logischen Gründen das wirkliche Schließen durch ein symbolisches zu ersetzen. Sowie nämlich in concreto ein dieser Klasse ange­höriges Prämissensystem gegeben ist, dann können wir aufgrund der sprachlichen Ausdrücke allein und ohne Beziehung auf die psychischen Korrelate den Schlußsatz konstruieren, und wir haben die volle logische Sicherheit, in dem korrespondierenden Urteil das intendierte, richtige Schlußurteil zu besitzen. Was wir nun solcherart aus Erkenntnisgründen tun, das tut der Mechanismus der Reproduktion aus blinder Kausalität. Damit er sich bilden und funktionieren könne, sind ja, wie wir sahen, gerade die Beschaffenheiten der Schlüsse erfordert, welche, wenn sie erkannt wären, das mechanische Verfahren logisch rechtfertigen würden. Die Eindeutigkeit des sprachlichen Ausdrucks und die eindeutige Bestimmtheit des Schlusses durch die Prämissen sowohl nach der psychischen als der symbolischen Seite — das sind die notwendigen und hinreichenden Erfordernisse für das blind-mechanische Verfahren auf der einen und das logisch-mechanische auf der anderen Seite. Auf diese Weise ist unsere Aufgabe gelöst, die scheinbare Teleologie des natürlichen Prozesses ist vollkommen aufgeklärt. Von besonderem Interesse ist hier aber der Umstand, daß das parallelgehende logische Verfahren auch ein mechanisches ist, nur daß die Einrichtung des Mechanismus aufgrund logischer Erwägungen zweckmäßig erfunden ist ; die Allgemeinheit desselben konzentriert sich in einer logischen Regel, welche für die betreffende Klasse von Schlußformen lehrt, wie das eigentliche Schließen durch ein äußeres Operieren mit den sprachlichen Zeichen zu ersetzen und auf diese Weise der sprachliche Ausdruck des Schlußurteils von diesem selbst herzustellen ist. Darin aber besteht alles formale Schließen in dem echten und rechten Sinn des Wortes. Daß aber ein solches nicht etwa (wie man nach den obigen einfachen Beispielen vermuten möchte) ein unerhebliches, sondern im Gegenteil ein höchst wichtiges Werkzeut wissenschaftlichen Fortschritts bildet, dafür soll unsere Theorie der Arithmetik die bindestens Beweise liefern

Unsere bisherigen Untersuchungen galten den Symbolen und symbolischen Prozessen niedrigster Stufe, denjenigen, die im Verlaufe des natürlichen, reflexionslosen Denkens vermöge der gesetzlichen Einrichtung unserer Natur für eigentliche Vorstel­lungen, Urteile und Schlußprozesse surrogierend eintreten, ohne daß ein besonderes Bewußtsein von dieser ihrer Funktion vorhan­den wäre, geschweige denn, daß logische Motive (sei es vorhergehende oder begleitende) deren Verwendung regelten. Neben diesen n a t ü r 1 i c h e n Surrogaten (so können wir sie kurz bezeichnen) verwenden wir aber, und in weitestem Umfange, künstliche. Wir erfinden Symbole und symbolische Prozesse oder verwenden von anderen erfundene als Stützen und Surrogate für Vorstellungen und Urteilsprozesse und verfahren hierin zweckbewußt, wohlwissend, daß wir mit Symbolischem zu tun haben.

<Der> Logik der symbolischen Vorstellungen und Urteile wenden wir uns jetzt mit einigen Betrachtungen zu. Die Durchführung einer solchen Logik würde sich das Ziel setzen, die Funk­tion der symbolischen Vorstellungen und Urteile für die theore­tische Urteilstätigkeit zu ergründen und vor allem die algorithmischen Verfahrensweisen, welche in so großartigem Maßstabe die Vehikel des Fortschritts in den exakten Wissenschaften ge­worden sind, logisch aufzuklären und Regeln der Prüfung und Er­findung derartiger Methoden aufzustellen. Untersuchungen der Art, wie wir sie oben für die natürliche praktische Urteilstätigkeit angestellt haben, würden naturgemäß ein Fundament für jene höheren Untersuchungen abgeben müssen. Denn ein logisches Verfahren ist ja gegenüber dem korrespondierenden natürlichen nicht etwas toto genere Verschiedenes. Von den psychologischen Gesetzen unserer Natur machen beide Gebrauch und zum erheblichen Teil von denselben. Aber nur zum Teil und eben hierin besteht der Unterschied. Als neues Moment tritt auf der Einfluß des von Erkenntnismotiven geleiteten Willens und die Fähigkeit, durch ihn den Gang der Urteilstätigkeit eben diesen logischen Interessen gemäß zu regeln.


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