W. Cramer: Die Monade
Referat Wolfgang Cramer, Die Monade, Teil II:
Ich möchte heute versuchen einen Teil des Denkens Wolfgang Cramers vorzustellen und ihn in Beziehung zu setzten zu unserem Thema: Leibniz - Monadologie. Inwieweit ein Vergleich dieser beiden Konzeptionen möglich ist, wird an der Legitimierbarkeit der Bezugnahme Cramers auf Leibniz liegen. Die unumgängliche Skizzierung des Denkweges Cramers wird somit den ersten Teil des Referats ausmachen. Im zweiten Teil sollen einige wichtige Passagen der Monade aufgewiesen werden - der dritte Teil wird sich der Diskussion der beiden Ansätze widmen und ist auch als Diskussion ausgelegt. Bei der Ausarbeitung stand mir die Darstellung der post-neukantianischen Systematik von Kurt Walter Zeidler zur Seite: Kritische Dialektik und Transzendentalontologie, in welcher W. Cramer ein eigenes Kapitel gewidmet ist.
Zur Person: Wolfgang Cramer, 1901 (Hamburg), 1935 Habilitation (Breslau) „Das Problem der reinen Anschauung“: ist eine Auseinandersetzung mit den Prinzipien der Mathematik; Privatdozent in Breslau und Frankfurt/Main, gestorben 1974 in Frankfurt/Main. Schüler von Richard Hönigswald und v.a. Moritz Löwis - Denkrichtung im Sinne N. Hartmanns und M. Heideggers existentialer Analytik.
Die Fragestellung: Dazu ein Zitat von H. Wagner aus der Festschrift für Cramer: „Mitten unter uns ist W. Cramer darangegangen, die Aufgaben der im strengen, traditionellen Sinn verstandenen Metaphysik erneut in Angriff zu nehmen, Antworten also auf genau jene Fragen zu versuchen, von denen Kant gesagt hat, daß die Vernunft sie nicht abweisen könne, weil sie ihr durch ihre eigene Natur aufgegeben seien, ...“ (H. Wagner [1966, Ist Metaphysik des Transzendenten möglich?], S.290). Das Denken Cramers setzt sich also in starken Gegensatz zu neukantianischen Ansätzen, die Kant auf den erkenntnistheoretischen Teil seines Werkes reduzieren und ihn in streng wissenschaftstheoretischer Weise verstehen wollen. Auch für Cramer bildet Kant einen Ausgangs- und Abstoßpunkt, aber in anderer Hinsicht: die von Kant offen hinterlassenen begründungstheoretischen Fragestellungen werden von ihm aufgegriffen und sollen in einem subjektontologischen Fundierungsversuch bereinigt werden. Die ursprünglich-synthetische Einheit der Apperzeption, als „der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik, und, nach ihr die Transzendental-Philosophie heften muß“, bleibt von Kant vorausgesetzt - aber unbegründet.
Im ersten Teil der Monade stellt Cramer das Problem - im Übrigen ein Topos der idealistischen Kantnachfolge wie folgt: nach Kant ist der Verstand ein Vermögen, Vorstellungen auf einen Gegenstand zu beziehen - man weiß aus dem Leitfadenkapitel (Erster Abschnitt: Vom logischen Verstandesgebrauch überhaupt): „... der Verstand ist kein Vermögen der Anschauung. Es gibt aber, außer der Anschauung, keine andere Art, zu erkennen, als durch Begriffe. Also ist die Erkenntnis eines jeden, wenigstens des menschlichen Verstandes, eine Erkenntnis durch Begriffe, nicht intuitiv, sondern diskursiv“ (KrV, B93). Der Gebrauch der Begriffe - im Verstand - erfolgt im Urteil. „Das Urteil ist also die mittelbare Erkenntnis eines Gegenstandes, mithin die Vorstellung einer Vorstellung desselben“ (KrV, B93). Die Fragestellung Kants ist ja, wie Gegenstandserkenntnis innerhalb der Grenzen der Vernunft möglich ist. Die Erkenntnis des Menschen ist nicht unmittelbar durch Anschauung - es sind uns nicht einfach Dinge an sich gegeben, die wir nur passiv anschauend rezipieren und dadurch erkennen. Vielmehr bedarf es noch der aktiven Verstandeshandlung - der Spontaneität des Verstandes, wie Kant sich ausdrückt - um das in der sinnlichen Anschauung Gegebene, mit einem diskursiven Begriff zu einer Gegenstandserkenntnis zu vermitteln.
Das Problem der Kantischen Argumentation, welches Cramer (und andere) zu Recht aufweist, ist damit nachvollziehbar: wenn es möglich sein soll, den Verstand als ein Vermögen der Gegenstandskonstitution auszuweisen, muß das von einem elaborierten Begriff des Gegenstandes aus geschehen. Dieser Begriff steht Kant aber nicht zur Verfügung, weil es ihm ja erst um die Bedingungen der Möglichkeit möglicher Erkenntnis überhaupt - im Sinne von Gegenstandserkenntnis zu tun ist. Mit Cramers Worten: „Wenn Kant den Verstand ein Vermögen nennt, durch empfangene Vorstellungen einen Gegenstand zu erkennen, ... so darf man freilich nicht meinen, als würde hier von einem bereits definierten Begriff vom Gegenstande her nun der Verstand als ein spezifisches Vermögen definiert. ... In der Theorie Kants geht der Begriff vom Verstande dem des Gegenstandes voraus“ (Cramer, Monade, S.33). Der Verstand als Inbegriff der Regeln notwendiger Beziehung von Vorstellung auf einen Gegenstand, ist damit „das Prinzipium der Gegenständlichkeit. Seine Gesetzlichkeit definiert den Begriff vom Gegenstande“ (Monade, S.33). Kants Theorie vom Begriff des Gegenstandes, geht vom Faktum des Gegenstandsbewußtseins aus - die neue Fragestellung nach Cramer muß daher heißen: „Wie ist Gegenstandsbewußtsein möglich“ (Monade, S.33). Der Gegenstand ist Bestimmtheit für das Bewußtsein derart, daß der Gegenstand der Willkür des Bewußtseins entzogen erscheint; d.h. das Bewußtsein erkennt den Gegenstand als ihm gegeben und nicht als von ihm gemacht (synthetisiert). Der Gegenstand erscheint dem Belieben des Bewußtseins entzogen. [Wir können uns im Erkennen nicht einfach aussuchen, ob wir einen grünen oder roten Ball sehen] Es stellt sich nun die Frage: „Wie kann das Bewußtsein als Verstand Verbindung stiften und darin das Verbundene seinem Belieben entzogen denken?“ (Monade, S.35) Nochmals anders gewendet, in Kants Worten: die Schwierigkeit besteht darin, „wie nämlich subjektive Bedingungen des Denkens sollten objektive Gültigkeit haben“ (KrV, B122). Im ontologischen Licht der Cramerschen Problemauffassung würde die Frage lauten: wie muß die Subjektivität beschaffen sein, um die Welt unter objektiven Bedingungen aus sich herauszubeziehen?
Rekapitulation: die Frage Kants nach den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstandserkenntnis wird von Cramer aufgrund der Voraussetzungsproblematik als unvollständig identifiziert - es bedarf einer Fundierung der Voraussetzungen; Cramer reformuliert den Kantischen Ansatz in: wie ist Gegenstandsbewußtsein möglich? Der Gegenstand erscheint dem Bewußtsein, seinem Belieben entzogen und nicht als Resultat einer Handlung;
Wir stehen nun am letzten Punkt der Cramerschen Argumentation: thematisiert das Bewußtsein sich selbst - wird es sich selbst zum Gegenstand, so erkennt es sich selbst als Bestimmtheit. Diese Bestimmtheit muß aber von anderer Artung sein - wie Cramer das nennt -, als ein äußerer Gegenstand. Diese Bestimmtheit ist nicht für ein Bewußtsein - sondern vielmehr Grund oder Ursprung des Bewußtseins. „An dem also, was Bewußtsein ist, muß es liegen, daß Bewußtsein sich selbst als Bewußtsein wissen kann, seiner als Seiendes bewußt ist. ... weil Bewußtsein Bewußtsein vom Sein ist, deshalb ist es als Verstand ein Prinzipium des Stiftens von Verbindung, solcher, darin das Verbundene als Bestimmtheit-für dem Für entzogen gedacht ist“ (Monade, S.35).
//Wenn ich ICH denke, bin ich mir nicht ein Gegenstand im Sinne eines äußerlichen Seienden //- ich komme mir nicht als Inhalt eines Gedankens vor.
Die unscheinbare Reformulierung der Kantischen Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstandserkenntnis zur Frage nach dem Gegenstandsbewußtsein zeichnet auch den weiteren Weg der Cramerschen Konzeption vor: das transzendentale Subjekt Kants wird ontologisiert; das Subjekt des Bewußtseins ist bei Cramer ein Seiendes.
Teil II, Die Monade und die Welt.
1. Die Frage nach dem Prinzip des Erlebens. Nachdem Cramer im ersten Teil der Monade die Weichen zu einer ontologischen Fundierung der Transzendentalphilosophie gestellt hat, folgt im zweiten Teil die Auseinandersetzung mit dem Prinzip der Subjektivität. Dabei dient Cramer der Begriff Erleben als Zentrum, von dem aus er seine Überlegungen phänomenologisch entwickelt. Erleben ist als Oberbegriff gedacht, welcher auch Bewußtsein und damit Selbstbewußtsein einschließen kann. „Wir werden zum Beispiel dem Trompetentierchen, dessen Reaktionsbewegungen wir geneigt sind als Ausdruck von Erleben zu deuten, nicht Bewußtsein im Sinne von Selbst- oder Ichbewußtsein zusprechen“ (Monade, S. 54). Wir sehen hier schon eine hierarchische Struktur angedeutet, wie sie sich auch bei Leibniz´ Monadologie findet. Die Frage nach dem Erleben soll so allgemein wie möglich gestellt werden und kann nicht - soweit ist Cramer systematisch - im einfachen Hinnehmen des Erlebens als Bewußtseinsstruktur enden. Weil wir um das Faktum Erleben wissen, müssen wir noch nicht um dessen Voraussetzungen wissen: „Das ist durchaus ein Irrtum, zu glauben, ich müsse das Prinzip des Erlebens kennen, weil ich Erleben kenne“ (Monade, S.50). Auch hier haben wir es mit einer Kantischen Einsicht aus der transzendentalen Deduktion zu tun: (B 157) „Dagegen bin ich mir meiner selbst ... in der synthetischen ursprünglichen Einheit der Apperzeption, bewußt, nicht wie ich mir erscheine, noch wie ich an mir selbst bin, sondern nur daß ich bin“. Weil wir - nach Cramer - selbst Erleben sind, wird uns die Frage nach dem Prinzip des Erlebens zugleich die Frage nach uns selbst sein: was wir sind; „Dem philosophischen Problem vom Bewußtsein und vom Ich geht das philosophische Problem vom Erleben voraus“ (Monade, S.54).
2. Das Prinzip des Erlebens. Der Begriff der Produktion. Cramer geht in diesem Abschnitt daran, das Erleben näherhin zu bestimmen. Das Erleben ist zeitlich. Es ist aber von einer bestimmten Zeitlichkeit - es ist von einer nicht-räumlichen Zeitlichkeit. „Wäre das Erleben im Raume, wäre es Natur. Es müßte wahrgenommen werden können wie Dinge der Natur“ (Monade, S.55). Das Erleben ist damit ein nicht-räumlicher Zeitmodus, es bildet nicht eine räumlich-strukturierte Reihe von Stadien, die aufeinander folgen und in einem räumlichen Nacheinander in Beziehung stehen. Das Erleben kann also nicht durch ihm vorhergehende oder nachfolgende Erlebens-Stadien zeitlich bestimmt sein, so daß, einem Erleben ein anderes Erleben und dann ein wieder anderes Erleben nachfolgen - es wäre sonst von äußerer Zeitlichkeit. Die Zeitlichkeit des Erlebens ist von der Art, daß das Erleben sich selbst bezieht. Die Relate dieser Beziehung sind aber ein Erleben -Eines. Das Erleben ist in einer Beziehung zu sich und die Beziehung zwischen den Bezogenen ist ihrerseits Erleben, d.h. „die Beziehung ist das Erleben, als Beziehen, als Tun der Beziehung. Das Prinzip des Erlebens ist einsinniges Beziehen auf sich“ (Monade, S.56).
Die Zeitlichkeit des Erlebens ist in seinem Tun der Beziehung - es bringt nicht etwas von resultathaften Charakter hervor; insofern, daß das Erleben eine Operation durchführt, eine Funktion ausübt deren Resultat dem Erleben als ein Anderes gegenübertritt - vielmehr ist es „Zeit als Tätigung der Zeit. Es ist nicht äußerlich zeitlich, nicht „in“ der Zeit, sondern selbst Zeit. Das Erleben ist ein Zeitmodus“ (Monade, S.60). Es ist Ausgang des Beziehens, das Beziehen und das Bezogene; es tätigt sein Bezogenes und ist daher Ursprung. Das Bezogene wird von Cramer „Entsprungenes“ genannt - „Im Wegbeziehen zeugt der Ursprung Entsprungenes“ (Monade, S.60). Das Erleben bezieht sich weg, setzt damit zu sich eine Differenz und bezieht sich aber im Entsprungenen (in der Differenz zu sich) auf sich zurück; wie gesagt, dieser Vorgang in seinen Momenten ist keine „stadienzeitliche“ Aufeinanderfolge. Es ist eine unzeitliche Auseinanderfolge, die in der Tätigkeit erst so etwas wie äußere Zeit setzt. Somit ist das Prinzip dieser Struktur für Cramer Produktion. Natürlich ist dieses Prinzip der Produktion vorerst ein leerer Formalismus. Wie Leibniz steht nun auch Cramer an dem Punkt, an dem die „fensterlosen Monaden“ sich der Welt in irgendeiner Form öffnen müssen. „Das Prinzip der Produktion ist von Leibniz eigentlich klar ausgesprochen worden: les monades n’ont point des fenêtres. ... Wie sich die Fensterlosigkeit der Monade damit verträgt, daß sie Sinneseindrücke empfängt, wird noch auseinanderzusetzen sein. Der Leibnizschen harmonie préétablie werden wir nicht bedürfen“ (Monade, S.62).
3. Das Prinzip als Vereinzelung und das Vereinzelungsprinzip. Es muß im Folgenden nach der Art der Beziehung des Prinzips des Erlebens zum Erleben gefragt werden. Diese Frage ist gleichbedeutend mit der Frage nach der Art und Möglichkeit der Beziehung der Subjektivität auf Welt. Cramer stellte eine prinzipielle Verschiedenheit von Erleben und Inhalt des Erlebens fest - dennoch müssen beide aufeinander bezogen werden können, nur dann ist Erleben überhaupt möglich. „Das Prinzip alles äußerlich Zusammenhängenden ist die Welt“, dieses Prinzip ist aber je anderer Artung als das Erleben, denn das Erleben ist nicht in der Welt - es ist nicht, wie schon bemerkt, Natur (Monade, S.64).
Das Erleben ist ein Prinzip welches Tätigung ist - die produzierte Tatsache ist, weil Tätigung, Prinzip und somit fallen für Cramer Prinzip und Tatsache zusammen. „Man kann also nicht vom Prinzip des Erlebens u n d vom Erleben sprechen“, das Erleben ist ein prinzipielles Faktum und damit Faktizität. Weil das Erleben Faktizität ist, sich auf sich selbst bezieht und bezogen ist, vereinzelt es sich. Die Monade ist angesprochen, als Isoliertheit. Das Erleben ist Prinzip als Vereinzelung und muß sich auf etwas beziehen. Dieses Andere muß die Vereinzelung seinerseits ermöglichen und ist damit eine Struktur des „Auseinander“. Die Ordnung des Auseinander, die „Seinsordnung des Außen“ ist die Welt.
Das Prinzip als Vereinzelung (das Erleben) bedarf eines Vereinzelungsprinzips (der Welt) - Welt ist Prinzip möglicher Vereinzelung, ist Bedingung der Möglichkeit von Erleben.
Zum einen ist nach der Bezogenheit des Erlebens (als Tätigung des Ursprungs) auf die Ordnung des Außen (Welt) zu fragen: „Erleben als Isoliertheit ist auf „s e i n“ Außensystem ... angewiesen. Dieses Außensystem heißt O r g a n i s m u s. Er gehört dem Weltzusammenhange an“ (Monade, S.70). Zugleich gehört er aber zu einem Erleben - das untrennbare Ganze von Organismus und Erleben ist das Individuum. Erleben gehört damit notwendig einem Individuum an. Zum anderen ist das Erleben Ursprung - Produktion seiner Individualität derart, daß der Organismus als spezielle Art des anderen erscheint. Der Organismus gehört zwar der Ordnung der Welt an (räumlich / zeitlich), er ist aber kein Gegenstand im Sinne eines Äußeren.
4. Innere Zeitlichkeit und äußere Zeitlichkeit. Geht es Kant um die Welt so, wie sie unter subjektiven Formen unserer Anschauung erscheint, so versucht Cramer unsere Bezogenheit auf die Welt als ein In-der-Welt zu thematisieren. „Uns geht es um die Welt, in der wir s i n d. Wir sind in ihr; das bedeutet: als Individuen sind wir in ihr“ (Monade, S.73). Es ist zuwenig sich selbst als Individuum in der Welt „nur“ vorzustellen. Die Frage muß daher nun lauten: welcher Art muß die Ordnung der Welt sein, damit sie die vereinzelte Subjektivität ermöglicht?
Bei Leibniz sind Monaden einfache Substanzen (Atome mit Entelechie - so könnte man sagen), die „zusammensetzbar“ sind. Die Analyse von Aggregaten führt auf distinkte einfache Substanzen - die Vielheit ist bei Leibniz schon im Einfachen der Substanz angelegt. Die Veränderung der Monade folgt aber ihren Perzeptionen, ist innere Veränderung und nicht äußere Bewegung. Die Monade hat ein inneres Prinzip ihrer Veränderung und folgt nur diesem Prinzip. „Ist die Welt - wie Leibniz meint - ein Aggregatum von Monaden, dann müssen die Monaden „aggregabel“ sein, sie müssen auf eine Ordnung des möglichen Viel bezogen sein, ihre Einfachheit muß auf eine andere Ordnung, die nicht Einfachheit ist, angewiesen sein“ (Monade, S.74). Nach Cramer hat Leibniz nach der Möglichkeit des Viels der Monaden nicht gefragt - die Notwendigkeit der Bezogenheit der Monaden auf eine nicht-monadische Seinsordnung nicht erkannt. Deshalb bedarf es der prästabilierten Harmonie um überhaupt eine Korrespondenz zwischen den Perzeptionen der Monaden stiften zu können.
Eine solche äußere Seinsordnung aber, versteht Cramer unter Welt; sie ist räumlich / zeitliche Ordnung, Ordnung des Neben und Nach - in der Weltordnung Geordnetes ist auf anderes räumlich / zeitlich Geordnetes bezogen. Das Erleben allerdings ist nicht in der Weltordnung: „Das zeitliche Erleben hat keinen Stellenwert in der räumlich-zeitlichen Ordnung. Vom Erleben ist nicht zu sagen, daß es da wäre. Es ist kein Vorkommnis in der Welt. Daß das Erleben nicht da ist, wohl aber Daseinsproduktion, das ist der letzte Möglichkeitsgrund aller Erkenntnis. ... Es [das Erleben] muß sich in die äußere Ordnung hineinsetzen, sich äußern. Äußern wiederum kann sich Erleben nur vermittels seines Organismus“ (Monade, S.75).
5. Das Zeitproblem in der Philosophie. Insofern Erleben Zeitmodus als Produktion von Zeit ist und auf äußere Zeit bezogen erscheint, gilt es nun zu erörtern, was unter ursprünglicher Zeit zu verstehen ist. Die Ursprünglichkeit der Zeit steht in Frage und mit ihr, worauf die Zeit ein Ursprüngliches ist. Das ist das philosophische Problem der Zeit. Die ontologische Ausgangslage rückt dabei wieder in den Vordergrund; die Zeit ist ein Ursprüngliches, heißt für Cramer, daß wir ursprünglich aus uns selbst um Zeit und Zeitliches wissen. „Ein Selbst ist also eine Struktur: das Selbst das da versteht; das Selbst, das das Verstehen selbst ist; das Selbst, das da verstanden wird. ... Das ursprüngliche Zeitverständnis gründet seinerseits in der Struktur, die das Selbst ist“ (Monade, S. 77). Das will sagen, daß das Zeitverständnis des Selbst in dessen Struktur gründet - das Selbst also die Ermöglichungsstruktur von Zeitlichkeit und damit ursprünglicher als Zeitlichkeit ist (und des Verständnisses von Zeitlichkeit).
Das Selbst ist in seinem Selbstverständnis aber auch Weltverständnis. Die Welt begegnet dem Selbst als von ihm unabhängig - das Selbst weiß seinen Organismus in der Welt (als in der Weltordnung stehend), es begreift sich selbst aber in Abziehung von der Welt (meines Wissens nach ein Augustinsches Motiv -> sich selbst wegbeziehen). „Ja, sich selbst, sein Selbst, versteht ein Selbst nur mit diesem Verständnis von „Welt [!] ohne Selbst“. Es versteht darin geradezu, daß es selbst nur in der Welt sein kann, ... die Welt hingegen gar nicht eines Selbst bedarf“ (Monade, S. 78).
Im Folgenden setzt Cramer sich mit N. Hartmanns Ontologie und Heideggers existentialer Analytik auseinander - wir werden diese interessanten Gedanken aber dennoch überspringen.
6. Die Monade. Ichbewußtsein und Gegenstandsbewußtsein. Dieser Abschnitt befaßt sich mit dem Monadenreich und seiner Stufung. Erleben liegt ja in verschiedenen Stufungen vor; insofern das Erleben als Produktionsprinzip das Erleben eines Erlebenden zum Ausdruck bringt, kann es Monade genannt werden. Das Minimum monadischer Produktion ist ein „Sichspüren“ - verworrene Perzeption bei Leibniz. In höheren Stufen wird die Erlebensstruktur zum Selbst - zur Apperzeption; Apperzeption ist ein Perzeptionsmodus. Die Stufung des Monadenreiches hat ihr Prinzip nicht als äußerliches - die Ordnung der Monaden erfolgt nicht nach einer äußeren Ordnung - das Prinzip muß das Prinzip der Monadizität selbst sein. Das Prinzip der Monade ist ein Prinzip der Deutung, d.h. die Monade hat ein mehr oder weniger ausgeprägtes Vermögen, das Beziehungssystem in dem sie steht auseinanderzulegen. „Eine Deutungsstufe ist als Grad von D e u t u n g ein Grad von Deutlichkeit“ (Monade, S.95).
Das Ich als spezifische Deutungsstufe, ist dann in einer philosophischen Theorie nur dann zu entwickeln, wenn es in einer Monadologie grundgelegt ist: „Denn die Monadologie ist die Theorie von derjenigen Einheit, die das Ich-denke und das Vorstellungenhaben Kants „in demselben Subjekte“ einigt“ (Monade, S.95). Das Ichbewußtsein denkt das Seiende als unabhängig von ihm und ist gerade darin von nicht-gestifteter Einheit und damit selbst Prinzip der Einheitsstiftung. „Als Bewußtsein ist der Ursprung Bewußtsein von d e u t u n g s e n t z o g e n e r E i n h e i t, daher Bewußtsein vom äußeren Gegenstande als Deutung auf Eindeutigkeit hin, als E i n d e u t e n“ (Monade, S. 97). Es geht Cramer also um eindeutige äußere Bestimmtheit, die nicht Erscheinung (im Sinne Kants ist; das was dieser Ding an sich nennt) - diese eindeutige äußere Bestimmtheit; diese Ordnung ist Bedingung der Möglichkeit der korrespondierenden Perzeptionen vereinzelter Monaden.
Abschluß: Ich breche an dieser Stelle die Darstellung des Ansatzes Cramers mit einer kurzen Zusammenfassung seines Programms ab, die er im ersten Teil seines Werkes gibt: „Das Problem der Gegebenheit ist in der Philosophie Kants unbewältigt geblieben. ... Im Begriffe vom Dinge an sich ist eine Bestimmtheit gemeint ..., die weder Subjektivität noch Bestimmtheit für ein Subjekt, d.i. Vorstellung bzw. Vorgestelltes ist. ... Es bleibt [damit] nur der Weg, die Subjektivität des Subjekts zum Problem zu stellen, nach dem Prinzip des Subjektiven zu fragen. Eine durchgreifende Analyse jenes Seienden, das wir „subjektives“ nennen, ist verlangt“ (Monade, S. 11).
Cramer W., Die Monade. Das philosophische Problem vom Ursprung, Stuttgart 1954